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Mut zur Unordnung

Blühende Wegränder und Feldsäume

Sinja Zieger leitet als Mitarbeiterin des Landschaftspflegeverbands (LPV) Göttingen das Projekt „Blühende Wegränder und Feldsäume im Göttinger Land“, das Landwirtinnen, Landwirte und Flächeneigentümer ermutigen soll, freiwillig die Wegraine insektenschonend zu pflegen. Zum Projektende stellt sie uns ihre Arbeit vor.
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 1  Blühender Wegrand in Großerode
1 Blühender Wegrand in Großerode Sinja Zieger
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Ein sonniger Tag im Göttinger Land. Die Luft über dem Feldweg flirrt in der Sommerhitze, die Ähren des Weizens bewegen sich in der sanften Brise. Zwischen Ackerflur und Weg ein breiter Streifen Grün, locker drei Meter. Ein bisschen wild mutet der Streifen an, geprägt von den intensivblauen Blüten der Wegwarte, Schafgarbe und verschiedenen Kleearten. Dazwischen stehen Gräser, Kräuter und noch einzelne vertrocknete Stängel aus dem Vorjahr. Bläulinge, Schachbrettfalter und ein Kleiner Fuchs flattern von Blüte zu Blüte, und gut verborgen zwischen den Halmen zirpen Heuschrecken.

Zugegeben, diese Zeilen beschreiben ein Idealbild. Es ist das Bild, das entsteht, wenn Sinja Zieger vom perfekten Wegrand berichtet. Und sie muss es wissen als Projektleiterin des Projekts „Blühende Wegränder und Feldsäume im Göttinger Land“. Schon zuvor hat sie sich intensiv mit dem Thema beschäftigt: In ihrer Masterarbeit an der Uni Göttingen untersuchte sie die Artenvielfalt von Pflanzen und Insekten auf Wegrändern im ganzen Landkreis.

Initiiert hat das LEADER-Projekt Ute Grothey, stellvertretende Geschäftsführerin des LPV. „Sie hatte die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt“, stellt Zieger fest. „Sie hat den Bedarf erkannt, als das Thema Insektensterben noch nicht so präsent war wie heute.“ Im Frühjahr 2017 startete das Projekt mit dem Ziel, die Menschen, insbesondere die Landwirtinnen und Landwirte, für die Bedeutung der Wegraine für die Artenvielfalt zu sensibilisieren. Sinja Zieger stieß schließlich, mit druckfrischem Masterzeugnis in der Tasche, im November dazu.

Die Kontakte, die sie während ihrer Masterarbeit geknüpft hat, bilden bis heute die Basis ihrer Arbeit. Inzwischen sind viele weitere dazugekommen. Ein Netzwerk von Menschen aus Naturschutz und Landwirtschaft aufzubauen, die gemeinsam bereit sind, einen Beitrag zum Artenschutz zu leisten, das war der Fokus der ersten Projektphase. „Dabei kam uns zugute, dass der LPV in Göttingen schon 1994 gegründet wurde“, erzählt die junge Umweltwissenschaftlerin. „In der Zwischenzeit ist ein gutes Vertrauensverhältnis mit den Akteuren in der Region entstanden.“ Trotzdem wartete nicht wenig Arbeit auf sie: Es galt, die „Feldmarkinteressentenschaften“, die in Südniedersachsen Grundeigentümer der Wegeparzellen und meist Landwirtinnen und Landwirte sind, zu erreichen. Zieger nutzte den Winter, denn dann, außerhalb der Vegetationszeit, finden ihre Versammlungen statt. „Ich habe Kontakt zu den Vorsitzenden der Feldmarkinteressentenschaften aufgenommen und wurde zu einigen Versammlungen eingeladen“, erzählt sie. „So kam ich mit vielen Flächenbewirtschaftenden eines Dorfs in Kontakt und hatte die Möglichkeit, die Themen mit allen Beteiligten kontrovers zu diskutieren.“

Zusätzlich organisierte Zieger öffentliche Infoveranstaltungen, informierte über die Artenvielfalt auf Wegrändern und zeigte, wie diese gefördert werden kann. „Die wesentliche Botschaft dabei ist: Manchmal ist weniger mehr. Wir brauchen Mut zur Unordnung!“ Seltener zu mähen und, wo es geht, Abschnitte für zwei bis drei Jahre komplett stehen zu lassen, sind sehr einfache Maßnahmen, die für Insekten aber höchst wirkungsvoll sind. „Dann gibt es noch ein zweites Level für Leute, die ein bisschen mehr tun wollen“, erklärt Zieger weiter. Diese Menschen klärt sie über insektenschonende Mähtechniken auf und informiert über das Abräumen des Mahdguts. „Zum Teil ist dieser Schritt jedoch schwierig, da in den Betrieben oft die entsprechende Technik fehlt oder es keine Verwertungsmöglichkeit für das anfallende Mahdgut gibt.“

Die Landwirtinnen und Landwirte, die sich – freiwillig – an einer Mitmach-Aktion des LPV beteiligen und mindestens zwei von vier vorgegebenen Maßnahmen zur Förderung artenreicher Wegränder umsetzen, können ihr Engagement nach außen sichtbar machen: Personalisierbare Schilder informieren darüber, was auf den Wegrändern passiert. Etwa 80 Schilder stehen inzwischen im Landkreis Göttingen – ein guter Erfolg, findet Zieger. „Die Schilder sind öffentlichkeitswirksam und haben schon für positive Rückmeldungen gesorgt. Diese Anerkennung ist total wichtig. Hier können die Landwirtinnen und Landwirte zeigen, dass sie aus eigenem Antrieb etwas für den Naturschutz tun!“

Im Juli 2019, nach gut zwei Jahren, endete die Förderung für das Projekt. „Wir haben aber gemerkt, dass das Thema gerade erst richtig losgeht“, erzählt Sinja Zieger. „Der Insektenrückgang wurde dann gerade zum großen Thema, unter anderem durch die Erkenntnisse der Krefelder Studie.“ Für die Göttinger bedeutete das: Weitermachen! Sie beantragten ein Folgeprojekt, das sich nahtlos anschloss und nun in wenigen Wochen endet. Den Fokus richteten sie dabei auf die Herausforderungen, die sich im ersten Projekt gezeigt hatten: Zum einen die fehlende Technik zum insektenschonenden Mähen, zum anderen die Möglichkeiten der Mahdgutverwertung. Denn: Die Bereitschaft der Landwirte ist groß, und dank der intensiven Netzwerkarbeit könnte das Projekt zum Selbstläufer werden – wenn da diese Hürden nicht wären.

In Sachen Technik hat sich einiges getan seit Projektbeginn. „Viele Hersteller haben inzwischen Lösungen am Markt präsentiert“, erzählt Sinja Zieger. „Manche versprechen eine Reduzierung des Insektenverlustes durch das Mähen um bis zu 90 % – allerdings, ohne diese Zahlen je durch Versuche belegt zu haben.“ Bestandteil des Projekts waren deshalb auch Versuche mit verschiedenen Mahdtechniken, um die Landwirte zur für sie optimalen Technik beraten zu können.

Der zweite Projektschwerpunkt, die Verwertung des Mahdguts, erwies sich als deutlich größere Herausforderung. „Ein großes bundesweites Problem ist, dass das Material in den meisten der flächendeckenden vorhandenen Biogasanlagen nicht verwertet werden darf“, erklärt die Umweltwissenschaftlerin. „Der Aufwuchs zählt als Bioabfall.“ Zu Unrecht, findet Zieger – schließlich sind die Wegraine entlang der Äcker nicht mehr mit Schadstoffen belastet als der angrenzende Acker. „Aus meiner Sicht ist das Landschaftspflegematerial!“ Doch auch am Feldweg gilt das Material, das hier bei der Mahd anfällt, als Straßenbegleitgrün, was die meisten Biogasanlagen nicht annehmen dürfen. „Hier ist eine neue Definition des Begriffs Straßenbegleitgrün dringend notwendig“, meint die Projektleiterin. „Aber die Mühlen mahlen langsam.“

Bis es eines Tages dazu kommen sollte, sind deshalb Alternativen gefragt. Eine Lösung könnte sein, das Material entweder frisch oder als Heu als Tierfutter zu verwenden. Dazu muss es aber frei von Hundekot oder sonstigen Verunreinigungen sein. Die Tierhalterinnen und Tierhalter selbst haben ein gutes Auge dafür, welche Wegränder sich dafür eignen und welche nicht, hat Zieger festgestellt. Trotzdem, die Risikobereitschaft bleibt sehr heterogen. „Diejenigen, die das Material bereits verwenden, könnten als gutes Beispiel voran gehen und die Hemmschwelle bei den Skeptikern senken“, hofft sie.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Kompostierung des Materials. Kompostwerke sind wie Biogasanlagen in ausreichender Anzahl vorhanden. Allerdings entstehen bei der Anlieferung Kosten, die die Flächeneigentümerinnen und -eigentümer tragen müssten. Damit die wirtschaftlichen Hemmnisse abgebaut werden, ist hier der politische Wille entscheidend.

Sinja Zieger hofft, dass ihre Arbeit einen kleinen Beitrag zu diesem Umdenken leistet. Damit ist sie nicht allein: In Niedersachsen hat sie sich mit mehrere Mitstreitenden zur „AG Wegraine Niedersachsen“ zusammengeschlossen. In den Arbeitstreffen sind der „Niedersächsische Wegrainappell“ und ein Positionspapier zum Thema Biomasseverwertung entstanden. Und auch der Dachverband der LPVs, der Deutsche Verband für Landschaftspflege, hat das Thema aufgegriffen und möchte nun ein eigenes Projekt starten, in dem Lösungen für die rechtlichen Hemmnisse bei der Mahdgutverwertung gefunden werden sollen.


Projektdaten

  • Laufzeit: August 2019 bis Mai 2022 (erste Projektphase: Februar 2017 bis Juli 2019)
  • Projektleitung: Sinja Zieger (50 % Teilzeitstelle)
  • Mitarbeiter: keine
  • Schwerpunkte: Öffentlichkeitsarbeit zu einer ökologisch angepassten Pflege von Wegrändern, Beratung zu insektenschonender Mahdtechnik und Aufzeigen von Verwertungsmöglichkeiten für die anfallende Biomasse
  • Finanzierung: 70 % LEADER (EU-Mittel), 20 % Ersatzgeldmittel des Landkreises Göttingen, 10 % Eigenanteil
  • Finanzierungsumfang: 104.700 € (zweite Projektphase)

Philosphie

Wir möchten die Menschen motivieren, freiwillig etwas für die Artenvielfalt auf Wegrändern zu leisten.


Kontakt

Landschaftspflegeverband Landkreis Göttingen e.V.
Neustadt 14
D-37073 Göttingen
Mail: sinja.zieger@lpv-goettingen.de
www.www.lpv-goettingen.de

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