Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Wiederansiedlungsprojekt

Die Rückkehr der Arnika

Kaum mehr als 30 Individuen umfasste der Restbestand der Arnika (Arnica montana) im niedersächsischen Solling. Durch Düngung, Nutzungsaufgabe und Aufforstung ist die einst häufige Art der Borstgrasrasen hier fast verschwunden. Seit 2013 engagiert sich ein Team für die Wiederansiedlung der seltenen Heilpflanzen. Hier ein Einblick in das Projekt.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
1 Massenblüte der Arnika im Mecklenbruch (Juni 2017)
1 Massenblüte der Arnika im Mecklenbruch (Juni 2017)Winfried Türk
Artikel teilen:

Freitagmorgen. Der April wartet heute mit fast allen Wetterkapriolen auf, die er zu bieten hat – Schneeregen, Sonne, Wind, Regen, Trockenperioden, es ist für jeden etwas dabei. Das beeindruckt die drei Männer, die ich heute treffe, aber kaum: Prof. Dr. Winfried Türk, Dr. Ansgar Hoppe und Ulrich Schlette sind die Eigenarten des Wetters in der Region gewohnt – hohe Niederschläge und niedrige Temperaturen zählen zum Charakter des Sollings. So treffen sie sich auch an diesem Morgen, wetterfest gekleidet und mit Allrad-Fahrzeugen ausgestattet. Sie wollen die Wiesenflächen des Gebiets besuchen, die Schäden einschätzen, die der Winter und die Wildschweine verursacht haben, und die nächsten Pflegeschritte diskutieren.

Es sind keine gewöhnlichen Wiesen und Weiden, um die es geht. Auf den teils moorigen, feuchten bis trockenen, sauren und mageren Böden im Naturpark fühlt sich die Arnika wohl. Oder besser, sie fühlte sich wohl. Bis in die 60er Jahre blühten auf den Wiesen und Weiden im Juni Hunderte Pflanzen, das zeigen Kartierungen durch Berthold Speidel im Rahmen desInternational Biological Programme (IBP) -Sollingprojekt der UNESCO aus dieser Zeit. Die Aufgabe der Wiesenbewirtschaftung, die Düngung vieler Flächen und teils auch die Aufforstung führten dazu, dass die Heilpflanze im Solling immer seltener wurde. Ulrich Schlette ist hier Förster für Waldökologie; er kennt den Wald und die Offenlandbereiche schon seit fast 30 Jahren. Der starke Rückgang – am Ende waren gerade einmal 35 Individuen auf einer einzigen früheren Weide im Randbereich des Naturschutzgebiets Mecklenbruch übrig – trieb ihn zum Handeln: Gemeinsam mit der Unteren Naturschutzbehörde und Winfried Türk von der Technischen Hochschule OWL in Höxter startete er ein Wiederansiedlungsprojekt. Das Ziel: Die Arnika soll wieder heimisch werden und Bestände ausbilden, die sich selbst reproduzieren.

„Als erstes haben wir dann überlegt, welche Flächen überhaupt noch in Frage kommen“, erzählt Türk. Es folgte eine umfangreiche Kartierung. „Wir haben dann die magersten Flächen, die Borstgrasrasen, ausgewählt.“ Doch wie kehren die Pflanzen am besten zurück in diese Potenzialräume? „Das Problem ist bei der Arnika, dass sie schon sehr lange, über Jahrzehnte, überdauern kann. Aber sie vergreist“, erklärt er. „Sie verjüngt sich nicht mehr.“ Wenn keine Störungen die Vitalität der Pflanzen fördern, kein Offenboden mehr entsteht und stattdessen sogar Nährstoffe eingetragen werden, breiten sich andere Arten aus –Holcus lanatus undHolcus mollis beispielsweise, das Wollige und das Weiche Honiggras. Diese und andere Arten verdrängen dann die Arnika allmählich.

Beim Reliktbestand im Solling hatte das Team jedoch Glück: „Wir hatten Glück, dass die Keimrate der Pflanzen relativ gut war“, erzählt Ulrich Schlette. „Trotz der Vergreisung waren die Samen noch nicht steril“, führt Türk weiter aus. Und: Sie waren weit genug über die Fläche verteilt, um genetisch ausreichend unterschiedlich zu sein. Der Genpool war noch groß genug, um Inzuchteffekte zu vermeiden.

„Wir haben bereits 2013 begonnen, Samen zu entnehmen von diesen letzten Exemplaren hier“, berichtet Winfried Türk weiter. „Und die wurden dann bei uns im botanischen Garten in Höxter angezogen.“ Dazu hat er eigens ein Verfahren entwickelt, denn Angaben zur Anzucht sind in der Literatur rar gesät. „Es ist nicht besonders schwierig, es kostet nur viel Zeit“, meint er.

Nach der Keimung werden die Sämlinge pikiert, optimal versorgt und mehrmals umgetopft. „Die erste Charge Jungpflanzen haben wir selbst aufgezogen, die zweite dann bei der Gärtnerei Masolle, einer Gärtnerei am Sollingrand“, erzählt Türk. „Bei uns in Höxter passt das Klima nicht, es ist zu warm.“

Bereits im Mai 2014 waren die ersten 500 Pflanzen bereit, ausgepflanzt zu werden. „Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Jungpflanzen, die wir so heranziehen, gut einwachsen und oft im nächsten Jahr schon blühen.“ Jedoch: Die Anzucht unter kontrollierten gärtnerischen Bedingungen ist aufwändig, zeitintensiv und entsprechend teuer. Pilzbefall im Produktionsprozess kann die Jungpflanzen schädigen. Außerdem hat die Pflanzung einen entscheidenden Nachteil: Wildschweine bevorzugen den gelockerten Boden um die Pflanzung herum bei der Nahrungssuche. Zwar fressen sie die Jungpflanzen nicht auf, wühlen sie aber aus dem Boden und verursachen hohe Ausfälle. „Ich schätze, dass ungefähr 10 % der ausgepflanzten Arnika überleben“, meint Türk.

Das Projektteam schwenkte deshalb ein Jahr später um: „Wir nutzen jetzt die Wildschweinaufbrüche oder künstliche hergestellte Patches und bringen die Arnika-Samen dort aus.“ Das klappte nicht direkt im ersten Jahr perfekt: Die Arnika ist anspruchsvoll. Mithilfe einer Bachelorarbeit untersuchte das Team, wie die Direktsaaten optimiert werden könnten. „Sie keimt am besten, wenn man kleine, gewundene Flächen hat, wo sie mikroklimatisch Schutz findet. Sonst führen schon einige trockene Tage zum Absterben der Keimlinge“, fasst Winfried Türk zusammen. Zusätzlich hilft es, die Samen leicht einzuharken, sie für den besseren Bodenschluss anzutreten und konkurrierende Kräuter wie das Kleine Habichtskraut zu entfernen. „Pinzettenpflege“ nennen die drei das, aber sie haben damit bei der Etablierung der Jungpflanzen gute Erfahrungen gemacht. Ansgar Hoppe ergänzt: „Neben der Struktur ist die Nutzung ein wesentlicher Aspekt. Eine schüttere Struktur, Nährstoffarmut, insbesondere Basenarmut und anschließend eine langfristige Nutzung, sonst wächst einem das zu.“

Nutzung findet auf den Offenlandbereichen des Sollings vor allem durch Beweidung statt. „Wir beginnen hier mit einer zeitigen Vorweide. Hier stehen schon Ende April die ersten Galloways auf der Weide“, erklärt Winfried Türk. Die Rinder sind geeigneter als die ebenfalls genügsamen Exmoorponys – sie wälzen sich zu gerne in den Offenbodenstellen. Durch die Vorweide bekommen die Pflanzen Luft und Licht zum Wachsen. „Die Konkurrenz wird weggefressen und wir haben einen wirklich guten Blüherfolg.“ Nach der Samenreife der Arnika im Juli oder August wird dann erneut beweidet. „Dabei achten wir darauf, dass die auch wirklich was wegfressen, dass die Tiere Biomasse rausholen“, führt Türk aus. Denn: Die Nährstoffe müssen dringend reduziert werden, um die Arnika zu erhalten. „Ein paar Jahre mineralische Düngung versaut einen Standort über Jahrzehnte“, bringt er es auf den Punkt. „Deshalb heißt es ausmagern, ausmagern, ausmagern.“ Und Ulrich Schlette ergänzt: „Die standortörtlichen Voraussetzungen sind das A und O für alles!“

Von der Beweidung profitiert längst nicht nur die Arnika. Auch zahlreiche Orchideen und andere seltene Arten werden durch die extensive Nutzung gefördert. „Die Art ist für uns eine ‚umbrella species‘“, erläutert Winfried Türk. „Es geht uns eigentlich um diese mageren Wiesen – die Borstgrasrasen, die Übergänge zu den anderen extensiven Biotoptypen, das artenreiche Magergrünland in trockenen, frischen und feuchten Varianten.“ Die Arnika hilft bei der „Vermarktung“: Sie ist bekannt und auffällig, sie zu fördern ist auch für Laien nachvollziehbar. Trotzdem ist sie nur eine von zahlreichen Arten, die von der Nutzung profitiert: durch den Verbiss von konkurrierender Vegetation, aber auch durch kleine Rohbodenstellen, die für die Keimung der Samen unerlässlich sind.

Rohboden gibt es in diesem Frühjahr wahrhaftig genug: Wildschweine haben die Flächen gründlich umgepflügt. „Wenn sie es jetzt zumindest in Ruhe lassen würden“, lacht Türk. Erfahrungsgemäß wird das aber nicht der Fall sein – viele Jungpflanzen werden das nicht überleben. „Da sind die Tiere Fluch und Segen zugleich“, meint Ansgar Hoppe. Allerdings finden sich in vielen Patches auch winzige Arnikakeimlinge, nicht die ganze Aussaat des Vorjahres wurde zerstört. Nun heißt es abwarten – die Flächen jetzt abzuschleppen und für die Nachmahd zu optimieren, könnte die Schäden noch vergrößern.

Trotz dieser kleinen Rückschläge: Inzwischen blühen wieder Tausende Arnika im Solling. Sie sind wieder Element bunter Weideflächen – auf 10 Standorten ist sie inzwischen wieder mit blühfähigen Exemplaren vertreten, an den ersten Stellen samt sie sich selbst aus. „Wir haben viele Flächen wieder zielgerichtet in Gang gekriegt“, resümiert Ulrich Schlette. „Das war der Grundstock für unser forstinternes Grünlandkonzept. Wir sind da recht unkonventionell rangegangen, aber das passt einfach, auch mit den Leuten. Sonst wäre es vielleicht zu spät gewesen.“

Finanziert wurden die ersten Jahre vor allem über die Forstbehörde. Inzwischen läuft es quasi nebenher. „Die Methoden stehen ja, aber wir können noch eine ganze Menge optimieren, um wieder gelbe Wiesen zu bekommen. Deshalb machen wir einfach weiter. Unser Projekt hat damit den Vorteil, dass es nicht an feste Mittel gebunden ist“, meint Winfried Türk. Ulrich Schlette ergänzt: „Wir haben schon noch einen jährlichen finanziellen Input, beispielsweise für die Nachpflege. Dafür haben wir jedes Jahr einen Betrag von 3–5.000 € vom Forstamt zur Verfügung.“

Dadurch kann das Projekt langfristig, teils auch in Eigenleistung, fortbestehen. „Viele Projekte, gerade solche, die auch an Doktorarbeiten gekoppelt sind, hören nach drei, vier Jahren auf“, stellt der Biologe fest. „Wenn wir unsere Ergebnisse nach drei, vier Jahren publiziert hätten, dann hätten wir falsche Schlussfolgerungen gezogen.“ Die Etablierung der Arnika beispielsweise ist ganz unterschiedlich je nach Saattechnik und -dichte. Auch ob die Bestände in der Lage sein werden, sich selbst auszusäen, lässt sich nach nur kurzer Projektdauer kaum vorhersagen. „Da haben wir inzwischen einfach eine bessere Datengrundlage. Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir die Etablierung sicherstellen können. Der nächste Schritt ist, die Lebensräume so in der Nutzung zu optimieren, dass die Pflanzen auch auf Dauer bleiben.“


Projektdaten

  • Projektlaufzeit: 2013 bis min. 2025
  • Projektbeteiligte: Niedersächsische Landesforsten: Forstamt Neuhaus (Uli Schlette), Forstamt Dassel (Kai Conrad); Untere Naturschutzbehörde Landkreis Holzminden: Michael Buschmann, Heike Jandt; Naturpark Solling Vogler: Dr. Ansgar Hoppe; Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe: Prof. Dr. Winfried Türk
  • Projektgebiete: Naturraum Hochsolling: 300–500 m NN, mittlere Jahresniederschläge 900–1100 mm, 7,4 °C (1981–2000, DWD Station Holzminden Silberborn). Saure, nährstoffarme Buntsandsteinböden, mäßig trocken bis feucht.
  • Finanzierung: Ausschließlich Eigenmittel der Institutionen

Publikationen

Zur verwendeten Methodik und zu ersten Ergebnissen der Wiederansiedlung sind die nachfolgenden Publikationen erschienen:

  • Nils Stanik, Verena Hollmann, Ansgar Hoppe, Ilona Leyer, Gert Rosenthal, Winfried Türk & Jörg Weise (2018): Die Arnika (Arnica montana L.): Erfahrungen und vorläufige Ergebnisse aus Praxis und Forschung zu Rückgang, Hilfsmaßnahmen und Managementperspektiven für eine Verantwortungsart unseres Berggrünlandes. In: Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17: 99–104.
  • Winfried Türk (2021). Die Arnika im Solling – Ein Projekt zur Rettung der Art – „5 Minuten vor 12“. In: Zweckverband Naturpark-Solling-Vogler (Hrsg.): Weidetiere gestalten Landschaften. 20 Jahre Beweidungsprojekte im Naturpark Solling-Vogler: 159–160.

Prof. Dr. Winfried Türk, geboren 1961, Studium der Biologie und Geowissenschaften in Erlangen, Würzburg, Bayreuth. Promotion am Lehrstuhl Biogeographie der Uni Bayreuth (Vegetationskomplexe in Oberfranken). Seit 2000 Inhaber des Fachgebietes Vegetationskunde an der Technischen Hochschule OWL in Höxter. Forschungsgebiete: Neuanlage und Extensivierung von Grünland und Magerrasen.

Dr. Ansgar Hoppe, geboren 1967, Ausbildung zum Forstwirt, Studium der Biologie Uni Osnabrück, Promotion am Institut für Geobotanik der Leibniz-Universität Hannover (Bewässerungswiesen Nordwestdeutschlands). Bis 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leibniz-Universität und beim Niedersächsischen Heimatbund. Projekte u.a. zur Erforschung der (historischen) Kulturlandschaft. Seit 2017 im Naturpark als Projektmanager im Kooperativen Naturschutz für die Entwicklung artenreiches Grünland.
hoppe@naturpark-solling-vogler.de

Ulrich Schlette, geboren 1959, Studium der Forstwirtschaft an der HAWK in Göttingen, Aufbaustudium Ökologische Umweltsicherung an der GH Kassel / Witzenhausen, seit 1989 in der Funktion als Förster für Waldökologie, Naturschutz und Naturdienstleistungen in verschiedenen Forstämtern der NLF im Weserbergland tätig.
Ulrich.Schlette@nfa-neuhaus.niedersachsen.de


Kontakt

Technische Hochschule OWL
Prof. Dr. Winfried Türk

An der Wilhelmshöhe 44
D-37671 Höxter
winfried.tuerk@th-owl.de
www.th-owl.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren