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Auf die Kuh gekommen

Waldweide im Naturpark Schönbuch

Der Naturpark Schönbuch südlich von Stuttgart umfasst 15.000 ha Wald. Auf 7 ha Fläche hat das Landratsamt Böblingen im Juni 2019 eine Waldweide mit Galloway-Rindern etabliert. Wir haben uns mit den Projektverantwortlichen Reinhold Kratzer und Winfried Seitz getroffen.
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4 Besonders auffällig: der weiße Farbschlag bei einem der Rinder
4 Besonders auffällig: der weiße Farbschlag bei einem der RinderJulia Schenkenberger
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Schon am frühen Vormittag, als wir uns treffen, klettert die Quecksilbersäule überraschend schnell der 30-Grad-Marke entgegen. Da ist es verständlich, dass die fünf Galloways sich nicht sofort zeigen, als wir den Zaun überqueren. Aber mit gut 500 kg kann man sich sogar als Versteckkünstler auf einer lichten Weidefläche, nur bestanden mit einzelnen Charakterbäumen und Habitatbaumgruppen, nicht allzu lange verbergen. Vor allem, wenn man weißes Fell hat. Deshalb dauert es bei unserer Entdeckungstour quer über die Weide nicht lange, bis wir die urigen Landschaftspfleger aus dem Schatten einer kleinen Fichtengruppe entdecken und sie sich schließlich auch hervorwagen – im gebührenden Abstand zu uns Besuchern. Man kann ihnen ihre Scheu nicht verdenken: Ihre Umgebung ist noch sehr neu für sie. Bei unserem Besuch weiden sie erst seit zwei Wochen auf der „Waldweide Schönbuch“.

Diese Weidefläche war keineswegs ein planerischer Schnellschuss des Forstamtes Böblingen, das für diesen Bereich des Gemeindewaldes Herrenbergs zuständig ist. „Im Naturparknetzwerk wurde diskutiert, wie wir uns strategisch weiterentwickeln wollen“, erklärt Reinhold Kratzer, Amtsleiter beim Amt für Forsten des Landratsamts Böblingen. „Dabei haben wir gemeinsam überlegt, wie wir die Naturschutzfunktion im Naturpark befördern können.“ Schnell war klar: Das Besondere im Herrenberger Teil vom Schönbuch sind die alten Eichenbestände. Im Projekt sollten diese wieder als lichte Wälder stärker herausgearbeitet werden, und zwar durch Beweidung. Der Grund für diese Entscheidung liegt auch in der Geschichte des Waldes: Die Waldweide ist die historische Nutzungsform in der Region, was in zahlreichen alten Literaturquellen belegt ist. „Das zeigt: Was wir hier machen, ist nicht irgendein Spleen von uns, sondern hat einen handfesten, jahrhundertealten Hintergrund“, erläutert Kratzer. „Das ist wie ein Museum, in dem ich 300 Jahre zurückblättern kann.“

Bevor es so weit war, waren intensive Abstimmungsprozesse notwendig. „Uns war klar: Wir können hier nicht einfach voranschreiten wie im Staatswald“, erinnert sich Kratzer. „Im Gemeinderat müssen wir ganz anders informieren, ganz anders beteiligen, die Leute anders mitnehmen.“ Das „Mitnehmen“ nahmen Reinhold Kratzer und sein Kollege Winfried Seitz sogar wörtlich: Beim jährlichen Waldbegang stellten sie ihre Ideen dem Bürgermeister und den Gemeinderäten vor, zeigten am Ort des Geschehens, welche Strategien sie im Wald verfolgen.

Dreiklang

Insgesamt sind es drei Ziele, die im Projekt abgebildet werden und die auch in der Gesamtkonzeption des Naturparks wiederzufinden sind. Oberstes Ziel ist der Naturschutz. „Wir möchten hier einfach beweisen, dass Waldwirtschaft mit hohen Naturschutzzielen auch im Gemeindewald möglichst ist“, erklärt Kratzer. „Es soll in erster Linie ein Naturschutzprojekt sein mit der Zielsetzung, lichten Wald zu schaffen und damit lichtbedürftigen Arten wieder eine Chance zu geben.“ Gleichzeitig soll die historische Landschaft des Schönbuch zumindest auf einem begrenzten Teil der Fläche wieder erlebbar gemacht werden.

Zum Dritten soll mit dem Projekt die Öffentlichkeitsarbeit des Naturparks Schönbuch weiter gefördert werden. Derzeit wird das Besucherleitsystem des Schönbuchs komplett überarbeitet und die Waldweide wird hier als Besonderheit herausgehoben. Der Vorteil für die Projektinitiatoren: Ihre Ziele decken sich mit der Zielsetzung der Stadt Herrenberg für diesen Wald. „So gesehen könnte ich mir keinen besseren Waldbesitzer vorstellen“, meint Winfried Seitz, zuständiger Forstrevierleiter. „Die Führungsspitze war sehr offen für unsere Ideen und hier laufen auch schon viele gute Projekte.“

Wichtig war den Projektinitiatoren, das Weideprojekt auch dauerhaft anzulegen. Daher wurde nicht nur der Gemeinderat regelmäßig über den Fortschritt auf dem Laufenden gehalten. Auch mit den Behörden wurden alle Einzelheiten abgestimmt, bevor überhaupt das erste Rind einen Huf auf die Fläche setzen durfte. „Es gab einen sehr intensiven Abstimmungsprozess mit dem Veterinäramt, mit der Wasserwirtschaft, mit der Landwirtschaftsverwaltung und mit der Naturschutzverwaltung sowieso“, erzählt Kratzer. „Und da hat jeder ein paar Rahmenbedingungen definiert, die wir einhalten mussten.“

Und auch die Vorarbeiten erstreckten sich über einen längeren Zeitraum. Schon zwei Jahre vor Maßnahmenumsetzung nutzte Winfried Seitz die Gelegenheit, um beim anstehenden Hieb darauf hinzuarbeiten, interessante Gehölze, „Charakterbäume“, wie er sie nennt, mehr als gewöhnlich freizustellen. „Ich habe dabei die Solitärbäume mehr freigestellt als bei einem normalen Hieb“, erklärt er sein Vorgehen. „Aber ich habe bewusst so gearbeitet, dass es noch der normalen Vorratspflege entspricht, die wir betreiben.“

Eigenes Vorbild

Hintergrund für diese vorsichtige Vorbereitung waren die Erfahrungen, die Kratzer und Seitz auf der Neuweiler Viehweide, nur wenige Kilometer entfernt von der neuen Waldweide, gemacht hatten. „Dort standen zum Zeitpunkt des Eingriffs 450 bis 500 Jahre alte Eichen mit dichtem Buchenunterwuchs“, erzählt Kratzer. „Die Auflichtung war für einige Bäume zu radikal und einzelne sind uns dann relativ bald abgestorben. Deshalb wollten wir dieses Mal etwas behutsamer vorgehen.“

Die Eichen auf der Waldweide sind noch wesentlich jünger, überwiegend etwa 200 Jahre alt. Für ihr Alter sind sie recht dünn, was neben dem ursprünglich dichten Unterwuchs auch im tonigen Untergrund begründet liegt, der keine optimalen Standortbedingungen bietet. Doch auch sie haben schon „Charakter“, findet Winfried Seitz. Als schließlich feststand, dass das Waldweideprojekt umgesetzt wird, pickte er sich genau die Bäume heraus, deren Habitus sich von den umstehenden Exemplaren abhob. „Oder auch Bäume, denen man schon ansieht: Die haben eine gewisse Schädigung“, ergänzt der Förster. „Da war schon das Ziel, das ökologische Potenzial der Fläche herauszuarbeiten.“ Denn gerade diese Bäume liefern wertvolle Habitate wie Rindentaschen, die beispielsweise für die Mopsfledermaus ein wesentlicher Lebensraum sind.

„Trotz der einheitlichen Zielsetzung für die Fläche wollten wir auch eine Uneinheitlichkeit zulassen“, erläutert Seitz sein Vorgehen weiter. Und deshalb sind die Gehölze heute in kleinen Gruppen verstreut, nicht aber gleichmäßig auf der Fläche verteilt. „Die Auswahl der Bäume war auch für uns Förster etwas Besonderes“, erinnert sich sein Kollege Kratzer. „Normalerweise markieren wir die Bäume, die wir entnehmen. Dieses Mal haben wir aber die Bäume markiert, die stehen bleiben.“ Seitz ergänzt: „Und für die Waldarbeiter hieß es dann: alles weg, was keinen blauen Ring hat!“

Und es sind auch nicht nur die Eichen, die der Forstrevierleiter im Blick hat. Neben dem lichten Eichenaltholz mit Eiche, Wildobst, Zitterpappel, Hainbuche und Buche gibt es auf der Fläche auch einen etwa 40-jährigen Fichten-Laub-Mischbestand und im unteren Bereich der Weide entlang des Sommerbachs, der die Fläche unterteilt, einen kleinen Auwald. Diese drei Typen sind auch nach der Auflichtung des Waldes immer noch vertreten. Tatsächlich war der Hieb weniger umfangreich als von den Kritikern erwartet, denn von „Kahlschlag“ kann keine Rede sein. „Wir haben auf 7 ha zirka 1.000 Festmeter entnommen“, erzählt Seitz. „Das ist ungefähr die doppelte Menge von einem normalen Eingriff, also nicht exorbitant viel. Aber er reicht, um Licht auf den Boden zu bringen, damit die krautigen Pflanzen und Gras wachsen können.“

Frühzeitige Besucherinformation

Bevor aber die erste Kettensäge angesetzt wurde, stand die Information der Waldbesucher im Vordergrund. „Wir wollen keinen Naturschutz im Verborgenen machen!“, betont Reinhold Kratzer. An allen Zuwegungen zur Fläche wurden deshalb Schilder aufgestellt, die über die Maßnahme informieren. Auch in den Lokalzeitungen erschienen Beiträge. Und das kommt an: Viele Besucher kommen eigens, um nach den fünf Galloways Ausschau zu halten.

Sie tatsächlich auf der Fläche zu entdecken ist – wie wir am eigenen Leib erfahren – nicht selbstverständlich. Die Weide ist zwar bewusst so angelegt, dass an drei Seiten Wege verlaufen und ein Großteil der Fläche einsehbar ist, aber trotzdem haben die Rinder ihre Rückzugsmöglichkeiten, was durch die geringe Besatzdichte noch gefördert wird. Auch können die Tiere so länger auf der Fläche verbleiben – langfristig ist eine Beweidung von Mai bis Oktober geplant. „Natürlich ist das ein Spagat“, gibt Winfried Seitz zu. „Rein aus Naturschutzgründen wäre es auch spannend, gleich 20 Tiere einzusetzen, die dann über einen kurzen Zeitraum die vorhandene Vegetation sehr stark nutzen.“

Die Galloways gehören einem Tierhalter aus der Region. Für die Beweidung der Fläche erhält er eine Prämie – einer der wenigen laufenden Kostenpunkte im Projekt, denn sonst hat es in der Anfangsphase eher Gewinn erwirtschaftet als Kosten verursacht. „Der Hieb selbst hat der Stadt natürlich Einnahmen gebracht“, erklärt Winfried Seitz. „Das Eichenholz haben wir in einer Wertholzversteigerung zum aktuellen Marktpreis verkauft.“ Die Anfangsinvestition beschränkte sich also vor allem auf den Elektrozaun, der die Fläche umgibt und mit einer Leistung von gut 8 kW dafür sorgt, dass das Weidevieh in der Weide bleibt. Finanziert wurde er über Mittel, die dem Forst zur besonderen Verwendung in Schutz- und Gestaltungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt wurden.

Artenpotenziale

Nun, ein Jahr nach der forstlichen Auflichtung und wenige Wochen nach Beginn der Beweidung, können die Projektinitiatoren bereits ein erstes Resümee ziehen: Sie sind positiv überrascht von der raschen Entwicklung der Artenvielfalt besonders in der Fauna. „Der Mittelspecht ist schon in der Fläche drin“, berichtet Seitz, der in Sachen Ornithologie ein großes Artenwissen hat. „Der Gartenrotschwanz hat hier auch schon gesiedelt, der war im letzten Jahr noch nicht da. Und dann der Star – auch eine Lichtwaldart.“ Hoffnungen setzt er auch auf den Halsbandschnäpper, den Wendehals, Wiedehopf und Ziegenmelker. Für alle diese Arten sei die neue, offenere Struktur eigentlich perfekt.

Auch für Reptilien und Amphibien bieten sich hier ideale Lebensräume. Waldeidechsen haben die Reisighaufen, Überbleibsel vom Hieb im Herbst, schon erobert und die drei Tränkteiche auf der Fläche sind neue Heimat von Teichfrosch, Laubfrosch und Gelbbauchunken. Letztere lassen sich auf der Weide an diesem Morgen wesentlich leichter entdecken als die eigentlichen Bewohner: Ein geübter, schneller Griff in einen kleinen Tümpel und schon präsentiert Winfried Seitz ein junges Exemplar der Art.

Gespeist werden die Tränkteiche einerseits von der Wegentwässerung und außerdem von Wasser, das sich hier natürlicherweise in den Senken sammelt. Im Winter möchte Seitz noch weitere Wasserstellen anlegen lassen. Sie haben sich als wertvoller Lebensraum bewährt und außerdem lieben es die Rinder vor allem an Hochsommertagen, sich hier im Schlamm und im Wasser abzukühlen.

Auch weitere Pläne schmieden die beiden Förster schon. So ist bereits eine kleine Aussichtsplattform in Planung, die es den Waldbesuchern erleichtern soll, die Galloways zu beobachten. Generell gilt: Abgeschlossen ist das Projekt noch lange nicht. Jetzt geht es daran zu beobachten, wie sich die Weide unter Verbiss entwickelt. Einen guten Vergleich bietet ein „Zwickel“ an einer Weggabelung, der zwar freigestellt wurde, aber nicht beweidet wird. „Ich freue ich jetzt auf diese Phase, da man einfach aus dem Projekt lernen kann“, meint Kratzer. „Wir sind auch sehr empfänglich für konstruktive Kritik. Wir wollen da nachbessern, wo es notwendig und sinnvoll ist.“

Die ersten Beobachtungen dazu werden zwei Studentinnen machen, die hier auch Vegetationsaufnahmen geplant haben. Kratzer und Seitz hoffen aber, ein dauerhaftes Monitoring einrichten zu können. Sie zählen dabei auf ihre Kontakte zu Hochschulen, denn im Budget der Forstverwaltung selbst ist keine Artkartierung vorgesehen.

Projektdaten

  • Projektbeginn: 2016
  • Umsetzung: Herbst 2018 bis Frühjahr 2019
  • Projektkoordination: Landratsamt Böblingen, Amt für Forsten
  • Zielarten: Mittelspecht, Gartenrotschwanz, Star, Halsbandschnäpper, Wendehals, Wiedehopf, Ziegenmelker, Teichfrosch, Laubfrosch, Gelbbauchunke, Waldeidechse, Zauneidechse, Ringelnatter, Blindschleiche, Juchtenkäfer, Hirschkäfer, Mopsfledermaus, Mausohrfledermaus, Bechsteinfledermaus

Philosophie

Die Waldweide im Schönbuch soll nicht nur die Artenvielfalt in der heimischen Tier- und Pflanzenwelt fördern und neue Habitate für gefährdete Arten schaffen, sondern auch den Waldbesuchern die traditionelle Nutzungsform der Region näherbringen.

Weitere Informationen: Zur Infoseite der Stadt Herrenberg gelangen Sie, wenn Sie den QR-Code aufrufen.

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