Mit Beweidung Amphibien und Reptilien fördern
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Noch vor 30 Jahren prägten schwere Maschinen das Bild: Bagger, riesige Radlader, LKWs. In Heldenstein wurde Kies gewonnen. Im Jahr 2022 bietet sich ein gänzlich anderer Anblick: Galloways streifen durch eine vielfältige, blütenreiche Landschaft, ihr gemächliches Kauen wird durchbrochen von dem Gesang zahlreicher Vögel und dem vereinzelten „määäh“ der Ziegen, die hier die Gehölze abfressen. Zwei grundverschiedene Bilder, die nichts gemein haben? Doch. Denn manche Arten können sich in beiden Lebensräumen behaupten: Zwei Beispiele sind die Gelbbauchunke und der Laubfrosch.„Beide Arten benötigen periodisch austrocknende, besonnte Gewässer für eine optimale Fortpflanzung“, erläutert Andreas Zahn die Gemeinsamkeit. „Während des Kiesabbaus entstanden diese Gewässer durch Grundwasseranschnitte sowie die Verdichtung und die Fahrspuren der Maschinen. Heute halten wir Gewässer durch Beweidung offen und regeln die Wasserführung.“
Dass das möglich ist, ist einer günstigen Gelegenheit zu verdanken: Als die Kiesgrube in den 90ern stillgelegt wurde, kannte Zahn, damals seines Zeichens 2. Vorsitzender der Kreisgruppe Mühldorf des BUND Naturschutz in Bayern, die Flächen und ihre Bewohner bereits. Er erkannte den naturschutzfachlichen Wert und so initiierte der BUND Naturschutz den Ankauf der stillgelegten Kiesgrube mit Unterstützung des Bayerischen Naturschutzfonds. Der Coup gelang, und 1999 konnte der BUND mehrere Hektar rekultivierte Kiesgrube sein Eigen nennen. Einige Zeit später kamen zusätzliche Flächen der Autobahndirektion – heute die Autobahn GmbH des Bundes (Niederlassung Südbayern) – und des Landkreises dazu. Zusammen sind es 16 ha, die nun dem Naturschutz dienen.
Heterogene Grundlage
„Die Abbausohle war zu diesem Zeitpunkt zum großen Teil bereits wieder verfüllt“, erinnert sich Zahn. „Das war Auflage der Behörden.“ Das Füllmaterial? Wie damals typisch denkbar heterogen, vom niedermoorigen Aushub bis zu Gartenböden war alles dabei. Zusätzlich war das Gelände durch die von den LKWs abgeladenen Haufen alles andere als eben. „Es war eine Buckellandschaft.“ Zahn und seine Mitstreiter beschließen, sich genau dies zunutze zu machen. „Wir finden hier eine Mischung aus trockenen Kuppen und feuchten Senken vor, ein Mosaik verschiedenster Lebensräume für ganz verschiedene Arten und vor allem kleinräumige Habitatgradienten und damit Ausweichmöglichkeiten bei Klimaextremen, was immer wichtiger wird.“ Unter anderem gibt es hier so unterschiedliche Arten wie Ödland- und Schwertschrecke, Dorngrasmücke und Pirol, Zauneidechsen und Kammmolch. Das Team beschließt deshalb, diese Vielfalt nicht nur zu erhalten, sondern auch zu fördern: Die Flächen werden nicht etwa planiert, sondern der größte Teil, rund 14 ha, extensiv beweidet. Derzeit verbringen im Schnitt sechs Ziegen und zehn Galloway-Rinder den Sommer in der ehemaligen Kiesgrube. Die Tiere gehören Landwirten – einem Ziegenhalter im Nebenerwerb und einem Rinderhalter im Haupterwerb. Sie erhalten aus verschiedenen Töpfen Fördermittel für Ihre Arbeit. Für die Tiere ist ein fester Zaun installiert, der von einem ehrenamtlichen Team wöchentlich kontrolliert wird – eine Serviceleistung des BUND für die Tierhalter.
Tierische Landschaftsgestalter
Die Galloways weiden ab Ende Mai die blütenreichen Flächen und das Röhricht der Gewässer ab. Durch den späten Auftrieb wird der Blütenhorizont im Frühsommer nicht zu sehr beeinträchtigt, doch bis zum Herbst wird der Aufwuchs ausreichend reduziert. Die Kiesgrube wird offen gehalten und auch die Tümpel eignen sich auf Dauer als Laichhabitat. Was den Rindern schmeckt, ändert sich im Jahresverlauf. So werden Brennnesseln im August intensiv abgefressen. Als wichtig hat sich die Beweidung im Spätherbst erwiesen. Erst dann fressen die Tiere bestimmte Binsen am Gewässer und stellen so unbeschattete Flachwasserzonen für das kommende Frühjahr her.
Die Ziegen kommen bereits im April auf die Fläche. Ihre Aufgabe ist es, die Gehölze in Schach zu halten. Das klappt grundsätzlich gut, doch nicht in allen Teilen der Kiesgrube in ausreichendem Umfang. So hat Zahn festgestellt, dass die Tiere junge Pappeln und Weiden dort nicht ausreichend verbeißen, wo sie nicht durch schmackhaftere Pflanzen zum Verweilen verleitet werden. Auch ändert sich der Verbiss mancher Gehölzarten im Lauf der Jahre erheblich: Die Esche, in den ersten Jahren begeistert geschält, wird inzwischen eher gemieden und selbst stark geschädigte Bäume erholen sich. Apfelbaumrinde bleibt hingegen beliebt.
Über die Jahre ist durch die Beweidung ein Strukturmosaik entstanden mit intensiver und weniger intensiver verbissenen, trockeneren und feuchteren Bereichen. „Das Wiederaufleben einer Weidelandschaft, die man sonst eher aus Urlaubsregionen kennt, ist toll zu beobachten“, freut sich Zahn. „Wir haben viel gelernt, wie sich Landschaften unter Beweidung entwickeln. Besonders faszinierend ist die Entstehung Garigue-ähnlicher Gehölzformationen wie im Mittelmeerraum – das Resultat ständig verbeißender Ziegen.“
Manuelle Nachpflege
Allein die Beweidung reicht nicht aus, um alle naturschutzfachlichen Ziele zu erreichen. Einmal jährlich veranstaltet die Kreisgruppe daher einen Pflegeeinsatz, an dem sich Mitglieder, aber auch Freiwillige und Kindergruppen beteiligen können. Dann werden die alten Kopfweiden zurückgeschnitten und die von den Ziegen nicht ausreichend frequentierten Bereiche entbuscht.
Das Schnittgut kann auf der Fläche verbleiben: Als Asthaufen bietet das Gehölz Brutplätze für Vögel, aber vor allem wichtigen Lebensraum für Reptilien wie die Zauneidechse. Denn nicht nur Amphibienschutz und Beweidung funktionieren gemeinsam: Auch Eidechsenschutz ist kompatibel. „Man muss auf jeden Fall auf die Reptilien Rücksicht nehmen, ausreichend Deckung schaffen und kann nicht einfach nur Tiere auf die Fläche stellen“, gibt Zahn zu. „Aber es funktioniert.“
Die positiven Auswirkungen grasender Rinder und knabbernder Ziegen lassen sich belegen: Auf der Fläche findet seit Beginn der Beweidung ein Monitoring statt. Für Eidechsen, Insekten und Vögel nicht immer regelmäßig, aber genug, um Trends ableiten zu können. Teilaspekte werden im Rahmen von Bachelorarbeiten oder über Kartierungen von Spezialisten näher untersucht. So wurde nachgewiesen, dass Zauneidechsen in Kiesgrubenbereichen mit halbhohen Gehölzen und zahlreichen Asthaufen besonders hohe Dichten erreichen, während gehölzarme Flächen oder offene Steinhaufen gemieden werden. Auf jährlicher Basis erfolgt das Monitoring wichtiger Zielarten des Projekts: der Amphibien. Ihre Bestände und Fortpflanzungserfolge werden genau dokumentiert. Dadurch können Bestandsschwankungen verfolgt werden, wie etwa beim Laubfrosch, wo die jährliche Anzahl maximal rufender Männchen in den letzten 20 Jahren zwischen vier und 190 schwankte. „Es ist deutlich geworden, wie viel Bedeutung Zufälle haben“, erklärt Zahn. Zufälle – das können Hitze und Trockenheit sein, die zum Austrocknen der Laichgewässer führen, aber auch unerwartet rasche Populationsentwicklungen von Fraßfeinden. Beides kann zum kompletten Ausfall der Nachkommenschaft eines Jahres führen. Und in Gebieten wie der Kiesgrube, die durch intensive Landwirtschaft und Straßen weitgehend isoliert in der Kulturlandschaft liegt, ohne Zuwanderung aus anderen Beständen, ist das Risiko genetischer Verarmung oder des völligen Aussterbens von Arten hoch. Besonders unzuverlässig ist der Fortpflanzungserfolg der Gelbbauchunken. „Wir wollen deshalb weitere optimale Unkentümpel anlegen, um möglichst schnell aus den wenigen Gelbbauchunken viele zu machen. So lässt sich die Dauer des Flaschenhalseffekts und das Risiko des Verschwindens der gesamten Population verringern“, meint Zahn.
Neue Gewässer
Die anfangs vorhandenen Laichgewässer in der Kiesgrube verschwanden in den ersten Projektjahren und das acht Arten umfassende Amphibienvorkommen war damit massiv bedroht – vor allem, weil der Grundwasserspiegel im Inntal sinkt und periodisch Wasser führende Senken im Grundwasserschwankungsbereich trockengefallen sind. Der BUND Naturschutz hat deshalb Gewässer angelegt. „Erst haben wir auf die Normalisierung des Grundwasserstandes gehofft – vergebens. In dieser Zeit ist der Grasfrosch ausgestorben und die anderen Arten gingen massiv zurück. Wir haben dann künstlich abgedichtete Teiche angelegt und dabei viel herumprobiert mit verschiedenen Techniken“, meint der Projektleiter. „Es gibt aber immer noch Optimierungsbedarf.“ Teichvarianten mit Folie, 60 cm tief in den Boden eingegraben, oder die Kombination aus Beton und Folie haben sich recht gut bewährt. Letztere Gewässer können abgelassen werden. So lässt sich bei manchen Gewässern ein Austrocken simulieren, um sicherzustellen, dass sie „feindfrei“ bleiben und nicht von Fischen oder zu vielen räuberischen Wasserinsekten besiedelt werden, die die Nachkommenschaft der Gelbbauchunken auf null dezimieren würden.
„Wir sind mit dem Pflegekonzept auf einem guten Weg, doch in einigen Bereichen bedarf es noch am Finetuning“, stellt Zahn fest. Es gibt zahlreiche offene Fragen: Sollen in eine solch isolierte Fläche wie die Kiesgrube Arten eingebracht werden oder nicht? Welche Arten können die Distanz zum nächsten geeigneten Lebensraum inmitten intensiver Landwirtschaft überwinden? „Wir haben ja gewisse Vorstellungen, welche Arten sich natürlicherweise einstellen würden. Zauneidechse und Ringelnatter sind eingewandert, die Schlingnatter und Igel haben es nicht geschafft, obwohl der Lebensraum ideal wäre. Es bleibt offen, ob sie noch irgendwann kommen, aber vermutlich ist der Isolationsgrad der Fläche zu hoch.“
In Einzelfällen helfen die Naturschützer dann schon mal nach – Thymian und Natternkopf zum Beispiel wurden als Saatgut in die Kiesgrube eingebracht und breiten sich stark aus. Doch wie umfangreich soll der Mensch eingreifen? Diese Fragestellung betrifft auch die Gartenflüchtlinge, die durch den eingebrachten Oberboden in die Kiesgrube gelangt sind. Bisher werden sie in Heldenstein toleriert – sie breiten sich aber auch nicht übermäßig aus und verdrängen damit auch keine seltenen Arten.
Für den Naturschützer Zahn ist die Beobachtung der Entwicklung „seiner“ Naturschutzkiesgrube wichtig, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Es gibt noch viel zu lernen bei der naturschutzfachlichen und nachhaltigen Rekultivierung solcher Kiesabbauflächen. Deshalb publiziert er, auch gemeinsam mit anderen, immer wieder seine Erkenntnisse. „Ich würde mir wünschen, dass das in viel mehr Projekten passieren würde“, meint Zahn. „Und nicht nur die Erfolge, sondern gerade auch die Fehlschläge. Aus diesen können wir ja am meisten lernen.“ Und auch generell sorgt er für fachlichen Austausch: Er hält Vorträge zur extensiven Beweidung, macht Führungen für Kinder und Erwachsene auf der Fläche und bietet auch Fachexkursionen an. Aber die Menschen können sich auch im Alleingang informieren: Ein Aussichtsplateau mit Infotafel gibt Wanderern und Radfahrern einen Einblick in die Vielfalt der Naturschutzkiesgrube.
Kontakt
Dr. Andreas Zahn
BUND Naturschutz, Kreisgruppe Mühldorf am Inn
Prager Straße 6, 84478 Waldkraiburg
Mail: muehldorf@bund-naturschutz.de
Web: www.muehldorf.bund-naturschutz.de
Projektdaten
- Projektbeginn: 1999
- Fläche: 16 ha
- Wichtige Zielarten: Gelbbauchunke, Laubfrosch, Zauneidechse
- Maßnahmen: Beweidung mit Rindern und Ziegen, Entbuschungs- und Gehölzpflegemaßnahmen, Anlage von Laichgewässern, Monitoring und Untersuchungen zu speziellen Artengruppen sowie zu Auswirkungen der Beweidung
- Finanzierung: Die beteiligen Landwirte erhalten eine Förderung über das bayerische Vertragsnaturschutzprogramm bzw. in entsprechender Höhe von der Autobahn GmbH des Bundes Niederlassung Südbayern. Die Anlage von Gewässern und anderen Lebensräumen sowie spezielle Pflegemaßnahmen fördert die Gerhard und Ellen Zeidler-Stiftung. Auch die Naturschutzbehörde am Landratsamt finanziert immer wieder Maßnahmen, wie zum Beispiel den Schutz gepflanzter Obstbäume vor Verbiss.

Literatur
Literatur zur Naturschutz-Kiesgrube finden Sie unter Webcode NuL6391 .
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