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Hirtenwege im Pfälzerwald, ein chance.natur Projekt

Neue Wege schaffen

Ein lebendiger Biotopverbund und neue Perspektiven für die Wanderschäferei: Das sind die Hauptziele des Naturschutzgroßprojekts „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“. Aber auch weitere extensive Beweidungsformen sollen dabei eine wesentliche Rolle spielen. Nach der ersten Projektphase, in der ein Pflege- und Entwicklungsplan erarbeitet wurde, ist 2024 die Umsetzungsphase gestartet. Projektleiter Helmut Schuler hat uns das Naturschutzgroßprojekt vorgestellt.

von Julia Schenkenberger erschienen am 31.03.2025
Schäfer beim Zug mit seinen Tieren über einen Waldweg © Anna-Maria Marstaller
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Entspannt grasen die Schafe auf den Höhen der Schwäbischen Alb. Vereinzelt blökt ein Lamm. Die Sonne vertreibt gerade den nächtlichen Tau von den Blüten, die hier in großer Zahl blühen. Wachsam ruht der Blick des Schäfers auf seiner Herde. Die nächsten Wochen wird er hier verbringen – nur er, sein treuer Hund und seine Schafe. Satt fressen sollen sich die Schafe und ihre Lämmer großziehen. Sie sind noch nicht lange hier: Den Winter haben sie in milderen Gefilden verbracht – im Pfälzerwald, mehrere hundert Kilometer entfernt. Dort finden die Schafe auch im Winter noch genügend Futter, wenn ihre Sommerweiden von Schnee bedeckt sind.

Die Szenerie, auf die wir in diesen Zeilen blicken, war noch bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts Realität für die Wanderschäferei Süddeutschlands. Jahr für Jahr zogen sie mit ihren Herden hunderte Kilometer von der schwäbischen Alb und dem Schwarzwald in die tieferen Lagen am Rhein, teilweise bis nach Frankreich. Eine bemerkenswerte Leistung von Schafen, Schäferinnen und Schäfern – und sicher längst nicht so romantisch, wie manch einer es sich vorstellen mag.

Die deutsch-französische Grenzregion wurde von jeher nicht nur zum Weinbau, sondern auch von Wanderschäfereien genutzt.
Die deutsch-französische Grenzregion wurde von jeher nicht nur zum Weinbau, sondern auch von Wanderschäfereien genutzt. © Yvon Meyer

Die harte Arbeit der Schäferinnen und Schäfer hat die Kulturlandschaft, wie wir sie heute kennen, entscheidend geprägt. Durch sie entstanden artenreiche Weiden und Triften, ihre Herden sorgten im Nachtpferch für die Düngung von Wiesen und Äckern, und – ganz wesentlich – die Schafe sorgten für den genetischen Austausch zwischen den Weiden, indem sie in Fell, Hufen und Mägen Samen transportierten. Auch Kleinstlebewesen wie zum Beispiel Heuschrecken oder Schnecken konnten so über die Zugwege der Herden verbreitet werden und fanden neue Lebensräume.

Heute gehört das Bild der über hunderte Kilometer ziehenden Herden eher der Vergangenheit an. Die Hüteschäferei ist selten geworden, hat einträglicheren Berufen und Landnutzungsformen Platz gemacht. Mit ihr verschwindet allerdings auch die Landschaft, die durch die stete Beweidung entstanden ist: ein Verlust, nicht nur fürs Auge, sondern auch für die zahlreichen Arten, die dank der Schäfer und ihren Herden einen sicheren Lebensraum hatten.

Im Pfälzerwald möchte das Team des chance.natur Projektes „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“ dieser Entwicklung entgegenwirken beziehungsweise Anpassungsprozesse unterstützen. Erste Überlegungen dazu gab es bereits im Jahr 2016. Damals gab es hier noch sechs größere Schafherden im Biosphärenreservat und mehrere große Herden im Randbereich des Großschutzgebietes. Diese zogen immerhin bis zu 50?km (einfache Strecke) von den Sommer- zu den Winterweiden im Rheintal und zurück. Dabei stellen die komplizierten Zugrouten, deren Zerschneidung durch Verkehrsachsen oder Sperrgrundstücke infolge Freizeitnutzung oder schwindender Pferchflächen die besonderen Herausforderungen dar. Die Anzahl der Betriebe und der Zugwege haben sich unterdessen bereits weiter reduziert. Allerdings zieht ein Wanderschäferbetrieb sogar bis heute noch mehrere hundert Kilometer durch den nördlichen Pfälzerwald.

Helmut Schuler und sein Team erkannten das Potenzial dieser Herden für die wertvollen Flächen, die es im Pfälzerwald zu erhalten gilt: „Wir haben es bisher aufgrund von Personal- und Mittelknappheit kaum geschafft, alle verstreuten wertvollen Biotopflächen im Biosphärenreservat offenzuhalten“, erzählt er. Schließlich entsteht eine Idee: Kann hier wieder ein lebendiger Biotopverbund mithilfe der ziehenden Herden als Landschaftspfleger und Samentaxis entstehen?

Weiden mit Ausblick: Beim Weiden pflegen die Schafe ganz nebenbei die Kulturlandschaft.
Weiden mit Ausblick: Beim Weiden pflegen die Schafe ganz nebenbei die Kulturlandschaft. © Laux

Innerhalb von fünf Jahren nimmt diese Idee als BfN-gefördertes Naturschutzgroßprojekt konkrete Formen an: In Projektphase I wurde von 2017–2022 durch Fachbüros ein umfassender Pflege- und Entwicklungsplan erarbeitet. Ziel des Planes ist, die wertvollen Flächen – Weiden, aber auch Streuobstwiesen und lichte Wälder – zu erhalten und zu vernetzen, das Habitatmosaik zu verbessern und neue Perspektiven für die Wanderschäferei zu schaffen.

In das Konzept fließt nicht nur das Wissen von Helmut Schuler und seinem Team ein. Zahlreiche Akteure bringen sich ein – vor allem in den Arbeitsgruppen „Beweidung“ und „Forst/Offenland“, aber auch aus dem Bereich des Naturschutzes und den Kommunen. Gemeinsam arbeiten die Beteiligten heraus, was wirklich gebraucht wird: bessere Zugwege mit angrenzenden Flächen, die als zusätzliche Weideflächen oder Nachtpferche genutzt werden können, aber auch für eine bessere Wahrnehmung der Schäferei und ihrer Bedeutung sorgen. Insbesondere spielen auch weitere extensive Beweidungsformen mit zum Beispiel Robustrindern oder Ziegen zur Biotopersteinrichtung eine wesentliche Rolle in diesem Konzept.

Mit Beginn der Projektphase II im Jahr 2024 arbeitet das Team des chance.natur-Projekts nun an der Umsetzung des Pflege- und Entwicklungsplanes. „Eine der wichtigsten Aufgaben gerade zu Projektbeginn ist es, Flächen zu sichern“, erklärt Helmut Schuler. Diese Aufgabe ist wohl auch die herausforderndste: Aufgrund der Realerbteilung sind viele Flurstücke extrem klein – oft gerade einmal 300?m² groß. Das macht die Suche nach Flächeneigentümern enorm zeitintensiv – zumal die Erben manches Mal nicht einmal auf demselben Kontinent leben. Das Team versucht dennoch, zusammenhängende Flächen für das Projekt zu gewinnen – entweder durch den Ankauf oder mithilfe langfristiger Pachtverträge von Flurstücken.

Die Sicherung von Flächen ist für das Ziel des Projekts essenziell: Schließlich braucht es, um die Wanderschäferei im Pfälzerwald zu unterstützen, nicht nur Wege, auf denen die Herden ziehen. Einst artenreiche, heute zugewachsene Flächen müssen zunächst entbuscht werden, bevor sie beweidet werden können. Außerdem braucht es Nachtpferche oder die Feldflur, die von den Schafen genutzt werden können – eben jene Flächen, die für die Arbeit der vier heute noch verbliebenen ziehenden Herden des Pfälzerwalds unverzichtbar sind. In den Arbeitsgruppen rund um das Projekt haben sie sich deshalb intensiv eingebracht, um gemeinsam mit dem Projektteam Lösungen zu erarbeiten. „Wir haben schon Ideen zur Streckenführung“, verrät Helmut Schuler. „Aber die Akteure müssen ins Boot geholt und gemeinsam Lösungen gefunden werden.“ Akteure: Das sind nicht nur Flächeneigentümerinnen und -eigentümer, sondern auch Kommunen, der Forst und die Jägerschaft sowie Hobbytierhalter – und nicht zuletzt auch die Bevölkerung, denn es geht auch an Wegen und Plätzen nicht spurlos vorüber, wenn einige hundert Schafe hier entlanggezogen sind.

Kommunikation ist daher ein wesentlicher Bestandteil im Projekt „Hirtenwege“ – in festen Arbeitsgruppen, aber auch in Form von Öffentlichkeitsarbeit. Das Team steht mit vielen Redaktionen in Kontakt und berichtet regelmäßig. In den Regionalzeitungen ist das Projekt deshalb genauso präsent wie im Fernsehen. Auch auf Social Media soll bald mehr über die Hirtenwege zu lesen sein – das ist derzeit aber noch Zukunftsmusik. Neben Kommunikation und Flächensicherung sind auch weitere Bausteine wichtig für das Gelingen des Projekts: So ist beispielsweise ein Themenwanderweg in Planung, außerdem sollen Trockenmauern und andere Kleinhabitate restauriert werden. Auf Pilotflächen sollen außerdem Leuchtturmprojekte entstehen, die zeigen sollen, wie mit extensiver Beweidung artenreiche, vernetzte Biotope entwickelt werden können. Helmut Schuler erklärt den Hintergrund dieser Anstrengungen: „Uns ist wichtig, dass ein Mosaik entsteht aus offenen Bereichen, Wald und Streuobst.“ Er weiß: Nur dieses eng verzahnte Habitatmosaik kann die vielen Zielarten des Projekts – von der Orchidee über Neuntöter bis hin zur Mopsfledermaus – nachhaltig fördern.

„Wir möchten dafür sorgen, dass naturschutzschutzfachlich hochwertige Pflege vor Ort wieder etabliert wird“, betont Helmut Schuler. So profitieren von dem von Bund und Land finanzierten Projekt am Ende alle – die Kulturlandschaft, Pflanzen, Tiere und die extensiven Weidebetriebe.

Zur Person
Helmut Schuler
ist Diplom-Agraringenieur. Er setzt sich beim Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen schon lange für Beweidungsthemen und artenreiche Kulturlandschaft ein und betreut nun das Projekt „Hirtenwege im Pfälzerwald“.
Projektdaten
  • Projektname: Neue Hirtenwege im Pfälzerwald
  • Projektträger: Bezirksverband Pfalz
  • Projektleitung: Helmut Schuler
  • Ziele: Erhöhung der biologischen Vielfalt im Pfälzerwald, Schaffung eines lebendigen Biotopverbunds, Entwicklung von Perspektiven für die Wanderschäferei, Förderung traditioneller Obstsorten, Pflege und Entwicklung der historischen Kulturlandschaft
  • Finanzierungsumfang: 11,5 Mio?€
  • Finanzierung: gefördert durch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und Bundesamt für Naturschutz über chance.natur, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität (Aktion Grün), Bezirksverband Pfalz
Kontakt

Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen

Geschäftsstelle Pfälzerwald

Franz-Hartmann-Straße 9

67466 Lambrecht (Pfalz)

Tel.: +49 (0) 6325 9552-0

E-Mail: info@pfaelzerwald.bv-pfalz.de

https://www.hirtenwege-pfaelzerwald.de/

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