Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Empfehlungen und technische Lösungsansätze

Straßenabläufe als tödliche Fallen

Konventionelle Abläufe für Niederschlagswasser an Straßen und Wegen sind eine tödliche Falle für viele Tiere, besonders Amphibien. Daher sind technische Lösungen gefragt, durch die die Tiere entweder gar nicht erst in die Abläufe gelangen, oder die es ihnen ermöglichen, aus eigener Kraft wieder herauszukommen. Dabei muss der Abfluss gewährleistet sein. Bislang scheint es dafür in Deutschland jedoch noch keine einschlägigen Regelwerke und Normen beziehungsweise allgemein anerkannte Regeln der Technik zu geben. Jonas Renk hat für uns nach diesen Lösungen gesucht.
Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Amphibtec-Ausstiegsröhre, bei der im oberen Teil des Ablaufs von außen in die Wand gebohrt wird.
Amphibtec-Ausstiegsröhre, bei der im oberen Teil des Ablaufs von außen in die Wand gebohrt wird.Firma Häfliger Amphibtec 2022
Artikel teilen:

Nach aktuellen Schätzungen des Deutschen Tierschutzbundes verenden in Deutschland jedes Jahr Hunderttausende Tiere dadurch, dass sie in konventionelle Abläufe in Straßen und Wegen fallen und nicht mehr aus eigener Kraft aus den Entwässerungssystemen hinausgelangen (Brückner 2022). Dass die Schätzung keineswegs zu hoch gegriffen ist, bestätigen verschiedene Untersuchungen (z. B. Wimmer et al. 2021, Zehm 2015, Gaus Caprez et al. 2013). Das Problem betrifft insbesondere Amphibien auf ihren Frühjahrs-Wanderungen zu ihren Laichgewässern oder später im Jahr zu ihren Überwinterungsstätten. Sofern sie nicht überfahren werden, wandern sie häufig am Straßen- oder Wegesrand an Bordsteinen und unüberwindbaren Grundstückseinfriedungen entlang und fallen schließlich in einen Ablauf (vgl. auch Brückner 2022; Wimmer et al. 2021).

Teilweise gelangen Tiere auch in die Einläufe, weil sie vom günstigen feuchten Mikroklima angelockt oder bei Starkregen hineingeschwemmt werden. Kröten und Frösche, die durch den Aufsatz eines konventionellen Ablaufs fallen, bleiben ab circa 3 cm Größe im Schlammeimer hängen. Kleinere Tiere gelangen durch die Öffnungen des Schlammeimers in die Kanalisation.

Die zentrale Entwässerung in konventionellen Abläufen kann ohne entsprechende Gegenmaßnahmen also zum einen mit dem Tod vieler Tiere verbunden sein, der im Untergrund mehr oder weniger unbemerkt bleibt. Gerade im Hinblick auf die hohen Verluste von Amphibien ist dies jedoch auch aus artenschutzfachlicher und -rechtlicher Sicht ein Problem: Amphibien sind hierzulande in hohem Maße gefährdet. Zu den hauptsächlichen Gefährdungsursachen zählen neben dem Verlust geeigneter Laichgewässer und Landlebensräume auch die Zerschneidung der natürlichen Wanderrouten durch die Flächen(neu)inanspruchnahme für den Straßen- und Siedlungsbau.

Leitsysteme und Querungshilfen nicht ausreichend

Es wird zwar in Deutschland heute schon einiges für den Amphibienschutz getan: Bei neugebauten Verkehrswegen etwa werden aus artenschutzrechtlichen Gründen häufig stationäre Leitsysteme und Querungshilfen gebaut; bei älteren Straßen ohne solche Einrichtungen, die regelmäßig von vielen Amphibien überquert werden, werden gelegentlich – und oft auch nur dank ehrenamtlichen Engagements – zu Beginn der Amphibienwanderungen im späten Winter oder beginnenden Frühling mobile Zäune aufgestellt und Eimer in den Boden gegraben und die Amphibien dann eingesammelt und über die Straße getragen. Erhältlich sind solche Zäune beispielsweise bei Firma Maibach (www.maibach.de) und bei Blömen VuS (www.bloemen-vus.de).

Das ist für den Amphibienschutz richtig und wichtig. Mit diesen Maßnahmen allein kann der Problematik aber wohl kaum ausreichend entgegengewirkt werden, weil damit nur einzelne Stellen passierbar gemacht werden und die Wanderungen komplexen und dynamischen Prozessen unterliegen. Es sind daher auch Lösungen für wenigstens einen Teil derjenigen Tiere wichtig, die nicht das Glück haben, Straßen durch einen Amphibientunnel unterqueren zu können oder hinübergetragen zu werden. Zwar gleichen viele Amphibienarten auch höhere Verluste an Tieren durch hohe Reproduktionsraten aus – die Natur hat jedoch keine Straßen mit Autos, Bordsteinen und ungesicherten Abläufen in diese Rate mit einkalkuliert.

Besonders für zentral entwässerte Straßen, auf denen regelmäßig Amphibien vorkommen und die nicht mit Leitsystemen und Querungshilfen ausgestattet sind, sind technische Lösungen notwendig, durch die die Tiere entweder gar nicht erst in die Abläufe fallen oder die es den Tieren ermöglichen, aus eigener Kraft wieder herauszukommen. Dabei muss der Abfluss gewährleistet werden und die Abläufe dürfen nicht verstopfen. Spezielle Aufsätze, Abdeckungen oder Roste mit schmalen Öffnungen beziehungsweise geringem Abstand zwischen den Roststreben können hier helfen. Zumindest können in kritischen Zeiträumen an besonders betroffenen Stellen auch Schutzgitter unmittelbar unter den Abdeckungen angebracht werden.

Für bestimmte Situationen dürfte sich bei Abdeckungen mit schmalen Öffnungen bei Starkregen das Risiko des Verstopfens erhöhen. Insofern sollte der Fokus bei Abläufen auch auf geeignete Ausstiegsmöglichkeiten gerichtet werden. Diese müssten so gestaltet sein, dass die Tiere bis durch die Abdeckung hinausklettern können, idealerweise in einen sicheren Bereich in der Nähe.

Technische Lösungsansätze aus der Schweiz

In der Schweiz gibt es seit vielen Jahren konkrete Empfehlungen und technische Lösungen zum Amphibienschutz in Entwässerungsanlagen. Die Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch) stellt hierfür umfassende Informationen auf ihrer Internetseite zur Verfügung. Darunter finden sich auch Empfehlungen, Montageanleitungen sowie Produkthinweise für Ausstiegshilfen in Abläufen. Letztere umfassen unter anderem Amphibienleitern wie spezielle Geotextilbänder und Systeme, die den Auf- und Ausstieg durch spezielle Röhren ermöglichen.

Die von der karch empfohlenen Amphibienleitern sind in Deutschland zum Beispiel schon in Garmisch-Partenkirchen in einem Gebiet mit einem größeren Laichgewässer erprobt worden, in dem regelmäßig Amphibienwanderungen vor allem von Grasfröschen, Erdkröten und Bergmolchen über Straßenräume und Parkplätze mit konventionellen Straßenabläufen stattfinden. Dort gelang vielen Amphibien, vor allem Grasfröschen, der Aufstieg besonders an dem recht einfach an der Abdeckung zu installierenden bandförmigen Kunststoffwirrgelege, das mit Metallkabelbindern an der Abdeckung fixiert werden kann (Firma Sytec, www.sytec.ch). Bei der Reinigung von Schlammeimern werden diese Geotextilbänder mit dem Aufsatz herausgenommen, damit sie nicht beschädigt werden.

Bei den von der karch empfohlenen patentierten Ausstiegsröhren (Firma Häfliger Amphibtec, www.amphibtec.ch ) können die in einen Ablauf gefallenen Amphibien über Röhren hinaufsteigen und schließlich aus dem Einlaufbauwerk herausgelangen. Die Röhren werden dabei so montiert, dass sie wendeltreppenartig nach oben führen. Das System gibt es in zwei Varianten. Bei der einen Variante wird von außen in die Wand des Ablaufs gebohrt, um dort den oberen Teil des Ausstiegsrohrs zu montieren. Die Öffnung, durch die die Tiere dann aus dem Ablauf gelangen, liegt bei dieser Variante außerhalb der Abdeckung, durch die die Tiere hineingefallen sind. Bei der zweiten Variante wird das Ausstiegsrohr komplett im Ablauf bis direkt unter den Aufsatz montiert, wodurch die Tiere wieder durch die Abdeckung hinauskriechen, durch die sie hineingefallen sind.

Weitere Denkanstöße für Straßenabläufe

In Deutschland befindet sich bei konventionellen Straßenabläufen zur Punktentwässerung in Trockensinkkästen unter dem Aufsatz ein herausnehmbarer Schlammeimer, der etwa bis in 0,5 bis 1 m Tiefe reicht. Ein solcher Schlammeimer weist seitlich üblicherweise längliche Schlitze und weiter oben größere Öffnungen auf. Ein Ansatz für mehr Amphibienschutz könnte sein, den Rand zumindest an einzelnen Stellen so zu gestalten, dass Tieren der Aufstieg bis zur Abdeckung gelingt, wodurch dann nur im oberen Bereich der Abdeckung eine zusätzliche Ausstiegshilfe eingefügt werden müsste. Alternativ könnte die Abdeckung stellenweise eine entsprechende Struktur aufweisen, die den Ausstieg begünstigt.

Einbindung des Themas in Regelwerke und Normen im deutschen Kontext

Zum Zeitpunkt der Recherchen zu diesem Artikel konnten für den deutschen Kontext keine Angaben in einschlägigen Regelwerken und Normen oder andere als allgemein anerkannte Regeln der Technik zu wertende konkrete Angaben gefunden werden. Insofern erscheint es im Sinne des Artenschutzes und besonders des Amphibienschutzes wünschenswert, dass solche Grundlagen von den entsprechenden Gremien und Ausschüssen (zum Beispiel des DIN-Normen-Ausschusses Wasserwesen, der FGSV oder der DWA) entwickelt werden. So könnte eine fachlich und technisch fundierte Basis dafür geschaffen werden, dass geeignete technische Lösungen unter Berücksichtigung abflusstechnischer Aspekte entwickelt und hergestellt werden und ihren den Weg in die Praxis finden. Die Empfehlungen und technischen Lösungen aus der Schweiz könnten dabei als Grundlage für eine Prüfung der Übertragbarkeit auf deutsche Abläufe und entsprechende Anpassungen dienen.

Maßnahmen an Straßen und Wegen sowie in der Entwässerung

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bauhöfen und Entwässerungsbetrieben, die trotz des Aufwands dazu bereit sind und dies zeitlich einrichten können, können sich bei der Wartung und Reinigung von Abläufen für den Artenschutz engagieren. Gerade in Bereichen mit bekannten Amphibienvorkommen und vor allem im kritischen Zeitraum der Frühjahrswanderungen zu den Laichgewässern und den Wanderungen zu den Überwinterungsstätten können Amphibien und andere Tiere aus Schlammeimern von Straßenabläufen gerettet werden: Nach dem Herausnehmen der Abdeckung kurz in die Schlammeimer hineinsehen, Tiere mit einem Kescher bergen oder beim Herausheben der Eimer zur Entleerung Tiere abfangen und in sichere Bereiche in der Nähe tragen.

Hinsichtlich baulicher Maßnahmen können zum Beispiel Schräg-, Rund- oder Flachbordsteine, das Absenken von Bordkanten zur Verringerung des Leiteffekts und der Barrierewirkung der Bordsteine oder das zeitweise Anbringen von Rampen an Hochbordsteinen in Straßen- und Wegeräumen mit Amphibienvorkommen nützlich sein. Flachere oder abgesenkte Bordsteine könnten insbesondere in der Nähe von (nach Möglichkeit „entschärften“) Entwässerungsschächten sinnvoll sein, damit die Tiere dort einfacher aus dem Gefahrenbereich der Straße gelangen. Einfriedungen von Gärten und Grundstücken sollten einen Durchlass für Amphibien und andere Kleintiere bieten und damit zur Biotopvernetzung beitragen.

Auch der weitere Entwässerungsprozess ist zu berücksichtigen. So können zum Beispiel durch Ausstiegshilfen in unterirdischen Hochwasserrückhaltebecken viele Tiere, die durch die Öffnungen der Schlammeimer gespült wurden, jedoch bis dorthin überlebt haben, noch gerettet werden. Da jedoch gerade unter den Amphibien viele A rten einen starken Homing - Effekt aufweisen – das heißt, sie wollen zu ihrem angestammten Lebensraum und Laichgewässer zurückgelangen – erscheinen Ausstiegshilfen in der Nähe der Stellen sinnvoll, an denen die Tiere in Abläufe gefallen sind.


5 EMPFEHLUNGEN

zum Schutz von Amphibien und anderen Tieren an Straßen und Wegen, insbesondere in Bereichen mit Amphibienwanderungen:

  • Niederschlagswasser grundsätzlich vorrangig dezentral entwässern, beispielsweise in begrünten Mulden oder Gräben oder in Baumscheiben
  • „Entschärfung“ der Fallenwirkung von Abläufen an Straßen und Wegen durch angepasste Aufsätze (zum Beispiel mit schmalen Öffnungen sofern abflusstechnisch möglich) oder Aufstiegshilfen (Amphibienleitern oder Ausstiegsröhren)
  • „Entschärfung“ von Barrierewirkungen und Leiteffekten durch Schräg-, Rund- oder Flachbordsteine, Absenken von Hochborden oder Anbringung von Rampen an geeigneten Stellen
  • Durchgängigkeit in angrenzende Bereiche ermöglichen, Barrieren wie engmaschige bodennahe Zäune, hohe Sockel und Mauern möglichst vermeiden oder reduzieren
  • Bergung von Tieren bei der Reinigung von Schlammeimern, so weit möglich.

WEITERE INFOS

Weiterführende Literatur finden Sie unter Webcode NuL6448.


KONTAKT

Jonas Renk
E-Mail: jonas.renk@gmx.de

Jonas Renk, M.Sc. (TUM) Umweltplaner und Ingenieurökologe, ist Fachautor und Sachverständiger für Naturschutz. Von Oktober 2020 bis September 2022 war er als Wissenschaftlicher Koordinator der staatlichen Wildlebensraumberatung für den Bereich Öffentliches Grün an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) tätig. Zuvor hat er von 2017 bis 2020 die Fachabteilung Naturschutz und Landschaftspflege der Stadt Würzburg (Untere Naturschutzbehörde) geleitet.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren