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Natur auf Zeit

Leben zwischen Radlader und Baggerlöffel

Bayernweit aktiv ist das Projekt „Management von Lebensräumen FFH-relevanter Amphibienarten in Rohstoffgewinnungsstätten“ des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern in Kooperation mit dem BIV Baustoffe Steine und Erden und der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bergbau- und Mineralgewinnungsbetriebe (ABBM). Mit dieser Hilfe soll Lebensraum gefährdeter Amphibien erhalten bleiben und neu geschaffen werden. Projektleiter Dr. Andreas von Lindeiner hat uns das Projekt vorgestellt.
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1  Während der Paarungszeit ertönt in den Gruben das abendliche Rufen der Kreuzkröten.
1 Während der Paarungszeit ertönt in den Gruben das abendliche Rufen der Kreuzkröten.Andreas von Lindeiner
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Kaum noch eine Spur des Regens, der zwei Stunden zuvor heruntergeprasselt ist. Der Sand hat das Wasser hungrig geschluckt, die dünne Lehmschicht der Pfützen ist trocken und rissig. Fast wüstenartig mutet die Fläche an. Doch in einer Senke: Grün! Wasser! Und dort die zierlichen Blüten des Wasserhahnenfußes am Ufer. Ein Schritt näher – und Andreas von Lindeiner versinkt knöcheltief im nassen Lehm. Jetzt ist klar, wo der Regenguss hin ist.

Der Biologe nimmt es mit Humor. „Waren ja zum Glück die alten Schuhe“, schmunzelt er. Und schließlich hat er gefunden, was er gesucht hat: Kaulquappen, enorm zahlreich und in sämtlichen Altersstufen. Dass sie hier, mitten in einer Sandabbaufläche in Mittelfranken, einen Lebensraum gefunden haben, ist der Betreuung der Unternehmer vornehmlich durch den ehrenamtlichen Naturschutz zu verdanken. Die Unternehmen verpflichteten sich dabei – auf freiwilliger Basis – entsprechende Lebensräume zu erhalten.

Der Landesbund für Vogelschutz strebt an, diese freiwillige Kooperation zumindest an einigen Standorten in Bayern auf eine rechtlich abgesicherte Ebene zu verlagern. Dazu hat er das Projekt „Management von Lebensräumen FFH-relevanter Amphibienarten in Rohstoffgewinnungsstätten“ ins Leben gerufen, in dem der LBV gemeinsam mit den Betreibern von Steinbrüchen und Sand- beziehungsweise Kieslagerstätten vorübergehende Laichplätze für gefährdete Amphibien schafft.

Denn die Gefährdungssituation von Geburtshelferkröte, Gelbbauchunke, Wechsel- und Kreuzkröte ist durchweg hoch – und der Zustand verschlechtert sich. Für Laubfrosch, Knoblauchkröte und Kammmolch sieht die Situation kaum besser aus. Ihre ursprünglichen Habitate – dynamische Flusslandschaften, Geröll, vegetationsarme Tümpel – sind längst nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden.

Neue Heimat

In den Steinbrüchen finden sie einen Sekundärlebensraum. „Einen, der nur durch die Tätigkeit entsteht“, ergänzt von Lindeiner. „Oft sind das die letzten Refugien unserer Amphibien.“ Die Aktivität der Bagger stellt die größte Gefahr auf den Flächen dar, doch gleichzeitig entstehen so neue Habitate: Durch den Sandabbau wird die wasserundurchlässige Lehmschicht freigelegt, flache Tümpel entstehen, in alten Fahrspuren sammelt sich Wasser. Der perfekte Lebensraum für R-Strategen, die als konkurrenzschwache Arten im Laufe der Sukzession verdrängt werden.

Für die Grubenbetreiber ursprünglich keine komfortable Situation: Groß waren die Ängste, mit dem Artenschutz in Konflikt zu kommen und mit Betriebsschließungen oder -einschränkungen konfrontiert zu werden. Hier setzt die Idee des LBV an: In Kooperation mit den Industrieverbänden werden im laufenden Abbaubetrieb Habitate erhalten oder bei Bedarf neu geschaffen. „Unser Job ist, dass der Unternehmer weiß: Mit der fachlichen Begleitung komme ich nicht in Konflikt mit dem Artenschutz.“

Mit Kooperation zur Lösung

Die kooperierenden Betriebe gehen dabei einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem LBV und den zuständigen Naturschutzbehörden ein, entworfen vom Peter Fischer-Hüftle, Naturschutzrechtsexperte und Kommentator des Bundesnaturschutzgesetzes. Dieser regelt die Rechte und Pflichten beider Seiten. Die Unternehmer verpflichten sich dabei, vorausschauend zu arbeiten, um Konflikte mit dem Artenschutz zu vermeiden. Bestehende oder neu entstehende Fortpflanzungs- und Ruhehabitate der Amphibien müssen, beispielsweise mit Flatterband, geschützt werden. „Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch mal ein Laichhabitat zugeschoben werden kann“, ergänzt Andreas von Lindeiner. „In diesem Fall werden an anderer Stelle auf dem Betriebsgelände neue Habitate geschaffen.“ Die Behörden ermöglichen für einen solchen Fall eine Ausnahmegenehmigung, ohne jeweils den laufenden Betrieb durch Ausnahmeprüfungen zu verzögern. Genau das ist der neue Ansatz des Projekts: Es gibt nun eine Verbindlichkeit für alle Beteiligten im Hinblick auf Abbau und Artenschutz, die die zahlreichen freiwilligen lokalen Kooperationen und freiwilligen Vereinbarungen (siehe Infokasten) zwischen Naturschutz und Gesteinsabbau, die es im Vorfeld des Projekts bereits gab und die Wegbereiter für das Projekt waren, nicht bieten konnten.

Die Mitarbeiter des LBV begleiten die Maßnahmen fachlich. In einem jährlichen Monitoring werden die Habitate und deren Entwicklung neu bewertet. Ein zusätzlicher privatrechtlicher Vertrag regelt den Versicherungsschutz beim Betreten des Geländes. Wenn das Monitoring zeigt, dass Habitate weichen müssen, werden rechtzeitig neue Ausgleichsflächen auf dem Gelände geschaffen – wo und wie, entscheiden Unternehmer und Fachberater gemeinsam. „Eigentlich handelt es sich um ein Paradoxon“, meint von Lindeiner. „Wir schaffen Natur auf Zeit – aber langfristig.“ Häufig bringen auch die Mitarbeiter der Abbaubetriebe selbst Ideen ein – ihr Ideenreichtum und ihre Offenheit begeistern von Lindeiner. „Da ist ganz viel Potenzial, das bisher nur nicht genutzt worden ist“, findet er.

Vertrauensbildung

Das klingt erst mal nach einem praktikablen Weg. Ein überschaubarer Aufwand für Unternehmer, dafür rechtliche Sicherheit. In der Praxis erwies es sich jedoch als schwierig, Projektpartner zu gewinnen. Nur durch enge Kooperation mit den Industrieverbänden und durch gemeinsame Informationsveranstaltungen gelingt es, die nötige Vertrauensbasis herzustellen. Ziel ist es, gut 100 Abbaustellen bayernweit ins Projekt aufzunehmen, betreut von eigens geschulten Kreisgruppenmitarbeitern des LBV.

Als wesentlich größere Herausforderung stellte sich aber – und stellt sich in einigen Regionen nach wie vor – die Skepsis der Behörden dar. Denn durch den Projektansatz kommt es unvermeidlich auch zur Tötung einzelner Individuen. Man kann in solchen Lebensräumen aber nicht jedes Individuum schützen, und das ist bei Arten mit einer derart hohen Reproduktionsrate auch nicht sinnvoll, findet Andreas von Lindeiner. Eine gewisse Mortalität muss in Kauf genommen werden. „Es geht darum, einem R-Strategen ein besseres Auskommen zu ermöglichen als ohne Vertrag.“ Einige der Höheren Naturschutzbehörden haben zu einzelnen rechtlichen Fragen noch Bedenken – und so liegen die Verträge in einigen Bezirken auf Eis.

Die Befürchtung der Behörden ist auch, dass es durch das Projekt schwarze Schafe geben wird. Betriebe, die auf dieser Basis den Artenschutz umgehen wollen. Andreas von Lindeiner sieht das eher pragmatisch. „Schwarze Schafe wird es immer geben. Die Frage ist: Soll ich deshalb den Artenschutz bei den anderen sein lassen? Wie viel Restrisiko leiste ich mir?“ Er setzt auf die Vertrauensbasis, die sich im Projekt entwickelt hat. „Da sind ganz viele mit Herzblut für Arten und deren Schutz dabei. Die etwas tun wollen.“

Reifenspur als Lebensraum

Zwei Abbauflächen solcher Unternehmer zeigt Andreas von Lindeiner mir bei meinem Besuch. Und tatsächlich: Mitten in der Baustellenatmosphäre gibt es kleine Oasen. Ein Haufen alter Holzstubben am Rand eines flachen Teichs. In ihm tummeln sich Hunderte, Tausende Kaulquappen, einige noch ganz jung, der Kopf noch oval, andere schon wesentlich älter, kurz davor, Hüpferlinge zu werden. Und auch in trüben Pfützen, entstanden durch das grobe Profil von Radladerreifen im feuchten Lehm: Kaulquappen, dicht an dicht. Ihr wesentlicher Standortvorteil: Hier gibt es weniger Fressfeinde – wenn man einmal von dem Flussregenpfeifer absieht, der hier irgendwo, optimal getarnt im bunten Kies, sein Nest haben muss. Zumindest zeigt er deutlich, dass er sich durch unsere Anwesenheit gestört fühlt.

Das Beispiel des Flussregenpfeifers führt vor Augen, dass nicht nur die Amphibien von dem Projekt profitieren. Auch Uferschwalben und Sandlaufkäfer, Reptilien: Sie alle nehmen die kleinen Schutzrefugien an. Trotzdem stehen sie nicht im Fokus des Projekts. „Wir haben uns zunächst gezielt nur um eine Artengruppe gekümmert, um damit übertragbare Erfahrungen zu sammeln, sonst kommen wir nicht voran“, erläutert von Lindeiner die Entscheidung.

Auch ein weiteres Themenfeld konnte noch nicht abgehandelt werden: Was passiert, wenn der Abbau eines Tages eingestellt wird? Normalerweise greift hier dann der Rekultivierungsplan. Wenn allerdings Populationen von gefährdeten FFH-Arten in dem Bereich siedeln, wird normalerweise eine Verträglichkeitsprüfung notwendig. „Dafür muss ein Ausstiegsplan entwickelt werden“, findet der Biologe. Ein Teil der Rekultivierung könnte beispielsweise offengehalten werden, oder es könnten rechtzeitig Ersatzhabitate geschaffen werden, um die Amphibien umzusiedeln, zum Beispiel in neu entstehende Abbauflächen in der näheren Umgebung. Wie genau das letztendlich für alle Fallkonstellationen aussehen kann, ist noch nicht abschließend geklärt.

Neue Aufgabenfelder

Der Entwurf eines solchen Ausstiegsplans könnte Inhalt eines Folgeprojekts sein – schließlich endet das Projekt trotz Verlängerung im Jahr 2022. Es gibt aber eine Aufgabe, die Andreas von Lindeiner noch mehr am Herzen liegt: Gemeinsam mit den Kollegen von NABU und Industrieverbänden möchte er die gute fachliche Praxis für den Gesteinsabbau, die im Projekt erarbeitet wurde, als Generalausnahme ins Bundesnaturschutzgesetz bringen, mit einer Ausformulierung auf untergesetzlicher Ebene, die den Unternehmen als Werkzeug dienen kann. Diese Intention hat aber weitreichende Folgen. „Das Problem dabei ist, dass dann andere Industriezweige mit diversen anderen Themen von so einer Generalausnahme profitieren wollen“, stellt der Biologe fest. „Brachen auf Industrieflächen, Bahngelände oder Hochwasserpolder können nicht in gleicher Weise behandelt werden wie die Rohstoffgewinnungsbetriebe, die durch ihre Tätigkeit ja erst Lebensräume entstehen lassen.“

Zusammen mit den Industrie- und Baustoffverbänden und dem NABU auf Landes- und Bundesebene hat der LBV deshalb inzwischen ein Diskussionspapier vorgelegt, wie eine solche Generalausnahme und die erforderliche Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes aussehen könnte. „Wir müssen unsere Erkenntnisse in den Dienst eines größeren Zusammenhangs stellen“, schließt von Lindeiner. „Der Ansatz soll Strahlkraft haben.“

Philosophie

Wir wollen Natur auf Zeit schaffen – aber das langfristig.

Weitere Infos

Freiwillige lokale Kooperationen und Vereinbarungen

  • Bezirksebene: Schwabenleitfaden
  • Frankenbündnis in Unterfranken
  • Absichtserklärung des LBV aus dem Jahr 2011
Bezirksebene: Schwabenleitfaden
Frankenbündnis in Unterfranken
Absichtserklärung des LBV aus dem Jahr 2011
Projektdaten
  • Projektleitung: Landesbund für Vogelschutz in Bayern
  • Projektpartner: Bayerischer Industrieverband Steine u. Erden e. V. (BIV), Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bergbau- und Mineralgewinnungsbetriebe (ABBM)
  • Projektgebiet: Bayern
  • Zielarten: Wechselkröte, Kreuzkröte, Gelbbauchunke, Laubfrosch, Geburtshelferkröte, Kammmolch
  • Laufzeit: 2016 bis 2022
  • Finanzierung: Naturschutzfond Bayern (85 %), LBV (15 %)
  • Finanzierungsumfang: 336.000 €
Kontakt

Landesbund für Vogelschutz

Eisvogelweg 1
91161 Hilpoltstein

Tel. +49 9174/47750

Website: www.lbv.de

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