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Zwei Jahrzehnte Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Praxisempfehlungen

Regressive Entwicklungen von Vegetation, Rotbauchunke, Laubfrosch und Libellen nach Revitalisierung von Feldsöllen

Abstracts

Feldsölle als Kleingewässer der offenen Landschaft können eine hohe Artenvielfalt inmitten von intensiv genutzter Agrarlandschaft aufweisen, einschließlich Arten der FFH-Richtlinie. Der Beitrag beschreibt die Entwicklungen von Vegetation sowie von Lokalpopulationen von Rotbauchunke (Bombina bombina), Laubfrosch (Hyla arborea) und Libellen fast zwei Jahrzehnte nach der Revitalisierung von 19 Feldsöllen in Mecklenburg-Vorpommern. Die ehemals offenen Gewässer sind mittlerweile fast alle zugewachsen und vom Rand durch Gehölzstrukturen teils stark überschattet. Die Bestände der untersuchten Arten und Artengruppen sind nach anfänglicher Expansion erheblich eingebrochen. Bei künftigen Revitalisierungen von Feldsöllen sollten keine Gehölze angepflanzt werden, da die Sukzession aufgrund der hohen Nährstoffverfügbarkeit rasch fortschreitet. Vielmehr sollte in regelmäßigen Abständen durch parzellierte Entnahme von Biomasse eingegriffen werden, um Struktur- und Artenvielfalt zu erhalten.

Regressive developments of vegetation, fire-bellied toad, tree frog, and Odonata after revitalization of kettle ponds – Two decades of experience from Mecklenburg-Western Pomerania with practical recommendations Kettle ponds, as small bodies of water in the open landscape, can have a high biodiversity in the midst of intensively used agricultural landscape, including species from the Habitats Directive. This article describes the development of vegetation as well as populations of fire-bellied toad (Bombina bombina), tree frog (Hyla arborea) and Odonata almost two decades after the restoration of 19 kettle ponds in Mecklenburg-Western Pomerania. The formerly open waters are now almost all overgrown and partly shaded by woody vegetation around the edges. After an initial expansion, populations of the species and species groups examined have collapsed considerably. No trees should be planted in future restoration of kettle ponds because succession progresses rapidly due to the high availability of nutrients. Rather, at regular intervals biomass should be removed in order to maintain structural diversity and thus biodiversity.

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Abb. 3 : Feldsoll R14 bei Viegeln mit 0,5 km2Fläche & einem Einzugsgebiet von 34 km2.A = März 2002 stark vermulltes Moor mit Resten von Seggen, sonst Grauweide und Brennnessel,B = April 2005 erste Frühjahr nach Revitalisierung mit Pflanzungen,C = Juli 2005, submerse Vegetationsstrukturen,D = Drohnenaufnahme Anfang Juni 2022
Abb. 3 : Feldsoll R14 bei Viegeln mit 0,5 km2Fläche & einem Einzugsgebiet von 34 km2.A = März 2002 stark vermulltes Moor mit Resten von Seggen, sonst Grauweide und Brennnessel,B = April 2005 erste Frühjahr nach Revitalisierung mit Pflanzungen,C = Juli 2005, submerse Vegetationsstrukturen,D = Drohnenaufnahme Anfang Juni 2022André Bönsel
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Eingereicht am 01.02.2023, angenommen am 24.04.2023

1 Einleitung

Zur Revitalisierung von Ökosystemen und speziell von Fließgewässern, Mooren, Seen und Kleingewässern wie etwa Feldsöllen liegen zahlreiche Publikationen vor (etwa Belyea & Baird 2006, Bischoff et al. 2006, Bönsel 2019, Chimner et al. 2017, Clausnitzer 2001, Dale & Connelly 2012, Glatzel et al. 2008, Howie & Van Meerveld 2018, Kieckbusch et al. 2006, Looy 2011, Poschlod et al. 2009, Richert et al. 2000, Rosenthal 2006, Sprößig et al. 2020, Timmermann et al. 2006, Vasander et al. 2003, Verhoeven et al. 2006, Zerbe et al. 2013). Berichte in Tageszeitungen spiegeln die Tatsache wider, dass Revitalisierungen auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Revitalisierung bedeutet, einmalig Prozesse auszulösen, wie sie historisch an diesen Standorten bestanden. Im Anschluss daran setzt erneute Sukzession ein, das heißt, die Störung muss später erneut stattfinden. Dabei laufen die Prozesse der Sukzession von Vegetationseinheiten allein durch die erhebliche Nährstoffverfügbarkeit an nahezu allen Standorten rascher ab als früher (Hautier et al. 2014, Kurze et al. 2018), worauf viele, wenn nicht sogar die meisten Arten Mitteleuropas evolutionär nicht vorbereitet sind (Lovejoy 2006). Dieses Phänomen bezeichnet Wildermuth (2001) als beschleunigte Dynamik in der Zivilisationslandschaft. In der Schweiz wurde deshalb ein Rotationsmodell (Wildermuth 2001) zum Kleingewässer-Management (Wildermuth 2005) eingeführt: Räumlich und zeitlich gestaffelt wird wiederkehrend in die revitalisierten Flächen eingegriffen, um in einem Raum fortlaufend die Existenz mehrerer Sukzessionsstadien und damit Habitatvielfalt zu gewährleisten. Wildermuth (2001) drängte auf dieses Vorgehen, da seit ungefähr der Hälfte des letzten Jahrhunderts kaum noch Dynamik in der Landschaft möglich ist und zudem für den Artenschutz nur begrenzt Flächen zur Verfügung stehen. An dieser Situation der fehlenden Dynamik in der Landschaft und dem Flächenmangel für Artenschutz hat sich bis heute nichts geändert (Brooks et al. 2019).

Im wissenschaftlichen Naturschutz hat sich ein gedanklicher Paradigmenwechsel vollzogen, wonach die Störungsbiologie immer mehr in den Vordergrund tritt (Bönsel & Matthes 2007, Wohlgemuth et al. 2019). Im administrativen Naturschutz ist dieser Gedanke der stetig wiederkehrenden Störung aber noch längst nicht verankert; er spiegelt sich auch nicht in den rechtlichen Regelungen wider. Vielmehr wird gerade in Deutschland nach wiederholten anthropogenen Eingriffen der Vergangenheit an einem Status festgehalten, welcher einen Anschein von Natürlichkeit erreicht hat, wie es Blackbourn (2007) auf den Punkt brachte. In vielen Naturschutzflächen mit oder ohne Revitalisierung geht es häufig um die Frage: Was ist Natürlichkeit (Piechocki 2010, Ridder 2007, Wittmer 2000)? Doch mittlerweile sind extrem viele Arten in ihrer Existenz so stark bedroht, dass weitere öffentliche Diskurse über Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit fast fehlgehen (Radkau 2011, Reichholf 2008). Wollen wir Menschen möglichst viele Arten erhalten, dann geht es jetzt um das Machen und nicht um das Debattieren (Berthold 2010, Berthold 2017). Um Artenschutzmaßnahmen aber langfristig erfolgsorientiert durchzuführen, müssen die Wirkungen von Revitalisierungen längerfristig einem Monitoring unterzogen werden, um daraus für die Zukunft handlungsnotwendige Erkenntnisse zu generieren. Der vorliegende Beitrag fasst vor diesem Hintergrund beispielhaft die Entwicklung von Vorkommen von Libellen, der Rotbauchunke (Bombina bombina ) und des Laubfrosches (Hyla arborea ) im Bereich revitalisierter Feldsölle in Mecklenburg-Vorpommern zwei Jahrzehnte nach der Revitalisierung zusammen.

2 Methode

2.1 Untersuchungsrahmen und Untersuchungsgebiet

Zwischen Februar 2001 und August 2004 wurden 19 Feldsölle in der freien Landschaft in Mecklenburg-Vorpommern (Abb. 1) revitalisiert. Unmittelbar nach der Revitalisierung, an deren Ausführungsplanung der Autor beteiligt war, sowie nach zwei bis drei Jahren wurden diese Feldsölle auf die Vorkommen von Libellen, Rotbauchunke und Laubfrosch untersucht (Bönsel et al. 2007). Im Jahr 2022 wurde diese Erfassung an allen 19 Feldsöllen wiederholt. Dabei handelt es sich um ein deskriptives Monitoring. Ein statistisch auswertbarer Forschungsaufbau war nicht möglich, da nur die Feldsölle revitalisiert werden konnten, die die landbesitzenden Landwirte zum Revitalisieren freigaben und die gemäß der damaligen Förderrichtlinie förderfähig waren. Die Zahl der revitalisierenden Feldsölle ergab sich aus den finanziellen Möglichkeiten des Landes pro Flächeneinheit eines Landwirtschaftsbetriebes.

Vor den Revitalisierungsmaßnahmen bestanden nur an acht von 19 Feldsöllen noch wenige Quadratmeter offener Wasserflächen (siehe Abb. 2, dort R 5, 7, 8, 11, 14, 15, 17, 19). Diese Flächen begrenzten sich auf Gräben (siehe als Beispiel Abb. 3, oberes linkes Bild vor Revitalisierung) oder auf kleinere Anstauungen vor schon leicht defekten Meliorationseinrichtungen wie Schluckern oder Ein- beziehungsweise Auslaufdrainagen (siehe als Beispiel Abb. 4, oberes Bild links). Durch Baggerarbeiten wurden wieder größere Wasserflächen geschaffen und Abläufe (Schlucker oder offene Gräben) auf ein höheres Ablaufmaß umgebaut. Beim Baggern wurde darauf geachtet, keine wasserhaltende Schicht zu durchteufen. Denn alle Feldsölle lagen deutlich über dem Grundwasserspiegel und mussten vom Einzugsgebiet mit Wasser gespeist werden.

Bei Selow (A in Abb. 1 mit den Söllen R1–R9) lag der Grundwasserspiegel an allen Gewässern bei 10 m unter Flur, bei Viegeln (B in Abb. 1 mit den Söllen R10–R14) zwischen 5 und 2 m und bei Brünkendorf (C in Abb. 1 mit den Söllen R15–R19) bei 2 m unter Flur (siehe Abb. 2 und Bönsel et al. 2007). Die Einzugsgebiete waren, wie bei Feldsöllen typisch, recht klein (Klafs et al. 1973, Schmidt 1994) und lagen bei den meisten (63 %) zwischen 1 und 5 km2(Abb. 2, R 1, 2, 3, 4, 6, 9, 12, 13, 16, 17, 18). Nur bei sieben Söllen (Abb. 2, R 5, 7, 11, 15, 19) betrug das Einzugsgebiet zwischen 8 und 12 km2beziehungsweise 25 km2(R8) oder 34 km2(R14), weil Gräben diese Feldsölle durchfließen (Bönsel et al. 2007). Die Flächengröße der Sölle zuzüglich ihrer Pufferzonen (siehe Abb. 2) lag bei 89 % zwischen 0,01 und 0,6 km2und nur bei zwei Söllen über 1 km2(R5 = 1,5 km2, R8 = 1,3 km2).

Der Aushub wurde weiträumig auf den umliegenden Ackerflächen verteilt, sodass er nicht wieder als Sediment in die Hohlformen gespült werden konnte. Nach Abschluss der Bagger- und Umbauarbeiten von Meliorationseinrichtungen wurden alle Feldsölle mit einer 5–10 m breiten Schutzzone umgeben, in der keine landwirtschaftliche Nutzung mehr stattfand, außer dass diese Zone bis dato einmal jährlich gegen Ende Juli gemäht wurde. Ausgenommen von der Mahd waren stets die schon vorhandenen oder jeweils im Norden neu gepflanzten Gebüsch- oder Baumstrukturen. Das Neupflanzen von Gebüschen war eine von der unteren Naturschutzbehörde geforderte zusätzliche Revitalisierungsmaßnahme (Bönsel et al. 2007).

2.2 Aufnahme der Vegetation sowie Amphibien und Libellen

Die Vegetation wurde vor der Revitalisierung, unmittelbar beziehungsweise zwei bis drei Jahre danach (Bönsel et al. 2007) und im Jahr 2022 aufgenommen. Dabei wurden nicht Pflanzengesellschaften differenziert, sondern lediglich Acker, Brache, Gebüsch/Baumstruktur, Brennnessel-Distel-Flur, Seggenröhricht, offene vegetationsfreie Wasserfläche, Wasserfläche mit emerser/submerser Vegetation, Röhricht und Vegetation temporärer Wasserflächen wie Flutender Schwaden oder Knick-Fuchsschwanzgras, Algenwatten/Lemna-Decke (Abb. 2) unterschieden (Bönsel et al. 2007). Die einzelne Flächenausdehnung wurde prozentual von der Gesamtfläche geschätzt, wobei von Beginn an die Landfläche für die spätere Schutzzone um das jeweilige Feldsoll mitgezählt wurde (Bönsel et al. 2007). Damals musste diese Schätzung vom Rand des Gewässers erfolgen, während aktuell eine Drohne zum Einsatz kam (Abb. 3, 4, 5, 6).

Die Erfassung von Rotbauchunke, Laubfrosch und Libellen begann ebenfalls unmittelbar nach der Revitalisierung (Bönsel et al. 2007) und wurde im Jahr 2022 wiederholt. Die Rufzeiten der beiden Amphibien (Mai bis Juni) gaben hier den Erfassungszeitraum vor, wobei jedes Gewässer mindestens zwei-, meist dreimal angelaufen wurde. Die Ruf-Erfassungen für Rotbauchunke fanden am Tage bei sonniger Witterung (Abb. 7) und für den Laubfrosch in den Abend- und Nachtstunden statt. Zudem wurde im Juli/August versucht, das Abwandern von frisch metamorphosierten Jungtieren zu erfassen (Abb. 8). Beobachtungen dieser Abwanderungsphase sind aber stets zufälliger Natur, da eine 24-stündige Untersuchung über einen längeren Zeitraum nicht umsetzbar war. Wurden Jungtiere entdeckt, so wurden diese in Schätzkohorten (siehe Tab. 1 und 2; x = 1–10 Individuen, xx = 11–20 Individuen, xxx = weit über 20 Individuen) und nicht die Rufer aufgenommen, da Jungtiere eine sichere Bodenständigkeit der Art am Gewässer belegen.

Ähnlich wurde bei den Libellen verfahren, wonach bei Exuvienfunden, welche hier die sichere Bodenständigkeit belegen, diese in dieselben genannten Schätzkohorten aufgenommen wurden und nicht die Imagines. Ohne Exuvienfund wurden die Imagineszahlen angegeben (siehe Tab. 1 und 2). Die Libellen wurden von Anfang Mai bis Ende August an mindestens neun Untersuchungstagen pro Gewässer erfasst, um die Frühjahrs- und die Spätsommerarten zu ermitteln.

3 Ergebnisse

3.1 Entwicklung der Vegetation

An fast allen Feldsöllen bis auf drei (R4, R12 und R13, siehe Abb. 2) bestanden trotz der mehreren trockenen Sommern seit 2018 Wasserkörper mit unterschiedlichsten Vegetationsstrukturen. Zwei Jahrzehnte nach der Revitalisierung waren die drei trockenen Sölle wieder mit einer Brennnessel-Flur und teils Gebüsch (R4, R13) oder gar vollständig mit Gebüsch- und Baumstrukturen zugewachsen (R12, siehe Abb. 2). Dieser Trend des Zuwachsens besteht bei allen Feldsöllen und extrem bei Söllen mit kleinen Einzugsgebieten (Abb. 2). So gab es 2022 zwar noch Wasserkörper, aber es dominierte Vegetation temporärer Wasserführung und/oder Röhrichtflächen prägten die Sölle (Abb. 2). So war die Vegetation mit temporärer Wasserführung, prozentual für alle 19 revitalisierten Feldsölle betrachtet, wieder auf dem Stand vor der Revitalisierung, und zwar bei durchschnittlich 10 %. Das Röhricht nahm vor der Revitalisierung 15 % ein und lag 2022 mit 20 % noch darüber. Abb. 4 mit einem kleinflächigen Feldsoll und Abb. 3 und 5 mit jeweils großflächigen Söllen verdeutlichen diesen Prozess des Zuwachsens mit Röhricht und Gebüsch- sowie Baumstrukturen, die im Zuge der Revitalisierung vor zwei Jahrzehnten gemäß Forderung der Naturschutzbehörde gezielt gepflanzt wurden. Im Jahr 2022 nahmen die Gebüsch- und Baumstrukturen schon 32 % der Revitalisierungsflächen aller revitalisierten Feldsölle ein (Abb. 2). Dabei wachsen diese Gehölze nicht nur auf den Schutzstreifen (Brache) um die Sölle, sondern ebenfalls ins Gewässer (siehe als Beispiel die chronologische Bildreihe in Abb. 3). So ist der prozentuale Gesamtanteil von 19 % offener Wasserfläche nach zwei bis drei Jahren der Revitalisierung auf nunmehr 2 % im Jahr 2022 geschrumpft. Der Wasserkörper, der nicht schon von Vegetation temporärer Wasserführung oder Röhricht geprägt war, blieb nicht von submerser/emerser Vegetation geprägt (3–4 Jahre nach Revitalisierung noch bei 28 % Gesamtanteil), sondern verringerte sich auf 10 % (Abb. 2). Die enormen Nährstofffrachten aus den Einzugsgebieten und der Luft erstickten die submersen/emersen Vegetationsstrukturen in den Feldsöllen, weshalb die Algenwatten oder Lemna-Decken nochmals zunahmen (11 %, Abb. 2). Erreicht den Gewässerkörper durch Verschattung der Gebüsch-/Baumstrukturen und/oder durch Algen- und/oder Lemna-Decken nicht mehr genügend Licht und nimmt die Gewässertiefe zudem durch Trockenheit ab, kann sich die strukturgebende submers/emers Vegetation einfach nicht mehr erhalten.

3.2 Entwicklung von Rotbauchunke und Laubfrosch

Bis auf das Gebiet bei Brünkendorf, in dem für die Rotbauchunke schon immer eine ungeklärte Verbreitungslücke besteht (Günther 1996), kamen vor der Revitalisierung der 19 Feldsölle Unke und Laubfrosch in den verbliebenen Restpfützen oder zumindest in deren Umgebung vor, weshalb eine Rekolonisation sehr wahrscheinlich war und durch mindestens eine der Arten – häufig auch beide Arten – unmittelbar nach der Revitalisierung oder spätestens zwei bis drei Jahre danach auch stattfand (Bönsel et al. 2007). Im Jahr 2022 war das Vorkommen beider Arten dagegen äußerst gering. Die Rotbauchunke kam im Gebiet bei Selow nur noch an einem der neun Feldsölle vor (R5, Tab. 1), wo noch unmittelbar nach Revitalisierung sieben Sölle rekolonisiert waren und sich 2–3 Jahre später Rückgang und Zunahme die Waage hielten (Bönsel et al. 2007). Etwas besser ist die Situation für die Rotbauchunke bei Groß Viegeln, wo es noch eine Zunahme der Individuenzahlen (R10) gab, aber sonst stagnierte oder die Art wieder verschwand (Tab. 1).

Der Laubfrosch hatte zwischen 2002 und 2005 mit Ausnahme von zwei Gewässern (R2 und R4) bei Selow alle Gewässer rekolonisiert (90 %). Das Gewässer R4 liegt mittlerweile wieder permanent trocken, R2 ist nur mit Vegetation temporärer Wasserführung bewachsen, also fast trocken, weshalb weiterhin kein Laubfrosch dort vorkam. In sieben von neun revitalisierten Söllen kam die Art dort nach der Revitalisierung vor. Im Jahr 2022 war die Art dort nur noch an drei Gewässern nachzuweisen. Bei Groß Viegeln fehlt der Laubfrosch fast komplett. Alle fünf Gewässer waren damals rekolonisiert (Bönsel et al. 2007), jetzt wurden nur noch an einem Feldsoll (R10) Rufer vernommen. Bei Brünkendorf stellte sich der Bestand des Laubfrosches noch am besten dar, wo damals rasch alle fünf Sölle rekolonisiert wurden und bis 2022 noch vier von dieser Art besetzt blieben, wenngleich eine starke Abnahme der Individuenzahl vorlag (Tab. 2).

3.3 Entwicklung der Libellen

Extrem regressiv verlief die Entwicklung bei den Libellen. Waren zwei bis drei Jahre nach der Revitalisierung in allen Teilgebieten zusammen noch 28 Arten als Imagines vertreten, waren es 2022 nur noch 20 Arten (Abnahme um 29 %). Bei den Individuenzahlen waren nahezu bei allen Arten erhebliche Rückgänge zu verzeichnen (Tab. 1, 2). Wird die Entwicklung auf Ebene der Arten pro Gewässer betrachtet, ist die Abnahme exponentiell, da an vielen Söllen in den Teilgebieten gar keine Libellen mehr vorkommen (Tab. 1, 2). Waren bis 2005 noch 95 % der revitalisierten Sölle von Libellen besiedelt, sank dieser Wert bis 2022 auf 63 %. 2005 waren sechs Sölle (R 5, 8, 9, 10, 14, 15) sehr artenreich, indem mit elf bis 20 Arten (Durchschnitt 17 Arten) 61 % aller nachgewiesenen Arten vorkamen. Im Durchschnitt fiel dieser Wert in 2022 auf 41 % (fünf bis maximal 14 Arten an diesen Gewässern). Am größten war der Verlust an den Gewässern R9 mit –71 % und R14 mit –65 %. An Gewässer R14 (Abb. 3) waren 2005 noch 20 Arten nachzuweisen (das artenreichste Gewässer damals; Bönsel et al. 2007), in 2022 nur noch sieben Arten mit sehr wenigen Individuen (Tab. 2).

Die Abnahmen waren bei Klein- und Großlibellen in gleichem Maße festzustellen. Wenige Jahre nach der Revitalisierung (bis 2005) waren die Individuenzahlen beiCoenagrion puella ,Ischnura elegans ,Aeshna mixta oderSympetrum sanguineum hoch (Bönsel et al. 2007), während selbst diese Arten 2022 mit wenigen Individuen und an vielen Söllen sogar gar nicht mehr vorkamen. Am stetigsten, aber gleichsam mit großen individuellen Verlusten waren nochIschnura elegans undLestes sponsa vertreten. Überall fehlen jetztCoenagrion lunulatum ,Enallagma cyathigerum ,Pyrrhosoma nymphula ,Sympecma fusca ,Aeshna cyanea ,Anax parthenope (A. imperator kam noch in einem Gewässer vor),Epitheca bimaculata undSympetrum striolatum . Das plakativste Beispiel für die rapiden Veränderungen ist das Soll R13 bei Groß Viegeln, woEpitheca bimaculata als Art von Gewässern mit ausgeprägter Sub- und Emersvegetation 2005 noch als Imago gesichtet wurde, dieses Feldsoll im Jahr 2022 aber komplett trockengefallen war und mittlerweile wieder zu 85 % von einer Brennnessel-Flur dominiert wird. Ganz vereinzelt ist nurCrocothemis erythraea in allen drei Teilgebieten neu hinzugekommen.Leucorrhinia pectoralis war bei der zweiten Kontrolle verschwunden (Bönsel et al. 2007), ist nun aber wieder bei Selow (n = 2) und Groß Viegeln (n = 1) vertreten.

4 Diskussion

Feldsölle sind in Mecklenburg-Vorpommern die häufigsten Gewässerformen (Korczynski et al. 2003). Es liegt demnach auf der Hand, dass sie eine erhebliche Bedeutung für das Vorkommen vieler Amphibien und Libellen haben. Tatsächlich leben Rotbauchunke und Laubfrosch gerade in diesen kleinen Gewässerformen, was mit der fehlenden Toleranz gegenüber vielen Prädatoren und vor allem den mittlerweile fehlenden Lebensmöglichkeiten in größeren Gewässern zusammenhängt (Brönmark & Edenhamn 1994, Grosse & Günther 1996, Schneeweiss 1993). Früher lebten diese Amphibien in den ausufernden Bereichen von Seen oder abgeschnittenen Mäandern von Flüssen, welche es im 21. Jahrhundert kaum noch gibt, weshalb sich die letzten Vorkommen dieser beiden Amphibien jetzt fast ausschließlich auf Feldsölle beschränken. Ähnlich prädestiniert sind diese kleinen Gewässerformen der Feldsölle für das Vorkommen zahlreicher Libellenarten in Mecklenburg-Vorpommern (Bönsel 2005, Bönsel & Frank 2014).

Die große Bedeutung von Feldsöllen wurde für zahlreiche Artengruppen schon mehrfach und in vielen Teilen Europas mit Jungmoränenlandschaften und damit Feldsöllen der freien Landschaft aufgezeigt (Briers & Biggs 2003, Maynou et al. 2017, Schneeweiss 1996, Simon et al. 2009, Sondergaard et al. 2005, Zawal et al. 2004). Da Rotbauchunke, Laubfrosch und mehrere Libellenarten gemäß Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) in einem guten Erhaltungszustand zu schützen sind, besteht eine gesetzliche Pflicht für den Erhalt dieser Arten in solchen Söllen.

Diesem Anspruch wird die Schutzrealität nicht gerecht. Feldsölle wurden zum Anfang des 21. Jahrhunderts verstärkt revitalisiert, also wieder ausgebaggert, und deren Abflusseinrichtungen zurück- oder zumindest auf ein höher liegendes Ablaufmaß umgebaut. In Mecklenburg-Vorpommern sind mehrere Hundert Sölle revitalisiert, allein das Büro des Autors plante 63 Revitalisierungen und überwachte deren Ausführung. Doch stets blieb es bei einmaligen Maßnahmen. So dürften sich die beschriebenen Entwicklungen auf sämtliche revitalisierten Feldsölle übertragen lassen, da die Prozesse der Nährstoffbelastung überall im Land ähnlich stark sind. Das Problem des Zuwachsens und damit der Rückgang von ursprünglich vorkommenden Arten ist europaweit und für die verschiedensten Landschaftsausschnitte trotz Schutzstatus als Naturschutzgebiet und/oder geschütztes Gebiet gemäß FFH-RL wissenschaftlich belegt (Batary et al. 2007, Dollar et al. 2013, Edenius et al. 2011, Middleton et al. 2006, Olsen & Schmidt 2004, Paschetta et al. 2013, Rosén 1982, Rosén & Van Der Maarel 2000, Szanyi et al. 2021). Mit dem Fehlen der Großsäuger und dem Nichtzulassen von Biberaktivitäten, flächigen Kalamitäten, von Überflutungen, Erdrutschen oder sonstigen historischen Störungen in Landschaftssystemen schreiten Sukzessionsprozesse erheblich stärker als früher voran (Reichholf 2007), selbst in historisch nährstoffarmen Wäldern (Pauli et al. 2003, Reinecke et al. 2014). Ohne Zutun des Menschen wachsen nahezu auf allen Standorten in Deutschland Sträucher und Bäume (Litt 1994). Deshalb ist es zwar löblich, genügt es aber nicht, jeder Gemeinde nur ihren Weiher zu fordern (Berthold 2010), sondern es muss in regelmäßigen Abständen wieder eingegriffen werden, indem Biomasse diesen Feldsöllen (Weihern) entnommen wird, wie es schon Wildermuth (2005) forderte.

Das Anpflanzen von Gehölzen fordern Naturschutzbehörden bei nahezu allen Projekten, und auch bei Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (Köhler 2003) und im Zuge der Revitalisierung von Bächen, Flüssen und Kleingewässern spielen Gehölzpflanzungen eine große Rolle. Daher wurden die hier untersuchten Feldsölle nicht nur von der Biomasse, die durch die enormen Nährstoffverfügbarkeit entsteht, „erdrückt“, sondern zusätzlich von den aufwachsenden Gehölzen beschattet. Dabei ist trotz wärmeren Klimas die fehlende Sonnenwärme und/oder fehlendes Licht bis ins Gewässer oder auf Trockenstandorten bis an den Boden ein zusätzliches Problem für das Schwinden von zahlreichen poikilothermen Tieren (Bönsel & Dinse 2018, Reichholf 2018, Segerer & Rosenkranz 2019).

Ohne die natürlichen Störfaktoren wäre Deutschland ein (halboffenes) Waldland, wo nahezu überall ohne Zutun des Menschen über kurz oder lang Wald aufwachsen würde (Behre 2000, Litt 1994, Wimmer 1905, Zerbe & Brande 2003). Deshalb ist es eigentlich nicht erklärbar, dass bei Natur- und Artenschutzmaßnahmen Gehölze künstlich gepflanzt werden und über ihren Erhalt ständig diskutiert werden müsste. Wie diese Studie erneut belegt, wachsen die Feldsölle von allein zu – es bedarf keines Anpflanzens. Überall in der gemäßigten Zone ist das Aufgeben von Nutzung und damit das Zuwachsen für die Artenvielfalt ein Problem geworden (Cramer et al. 2008). Es muss dringend gefordert werden, dass in revitalisierte Flächen genauso wie in sonstige Naturschutzflächen oder geschützte Biotope regelmäßig und parzelliert eingegriffen werden darf. Da dürfen Restvorkommen von Laubfrosch, Rotbauchunke, Großer Moosjungfer oder Neuntöter in aufgewachsenen dichten Hecken und dergleichen keine Hindernisse sein, denn über kurz oder lang verschwinden diese Arten dann auch wieder alle, wenn nicht künstlich für Störungen und damit den Erhalt von Strukturvielfalt gesorgt wird.

Zum Schluss sei noch auf die Kosten verwiesen, mit denen solche Revitalisierungen umgesetzt wurden und werden. Planung und Umsetzung kosteten je nach Größe der Feldsölle zwischen 35.000 und 200.000 Euro pro Gewässer. Bei einem Durchschnitt von 65.000 Euro hat die Revitalisierung der 19 Feldsölle in Summe circa 1,235 Millionen Euro gekostet. Diese öffentlichen Gelder hatten anfangs eine hohe Artenvielfalt hervorgebracht (Bönsel et al. 2007). Allerdings scheinen sie umsonst für die Artenvielfalt ausgegeben worden zu sein, weil erneute Maßnahmen zum Erhalt der Vielfalt bisher ausblieben. Für die Artenvielfalt erhaltende Maßnahmen steht sich allerdings der gesetzliche Artenschutz häufig selbst im Weg und muss ständig zwischen den Arten in Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutz-Richtlinie sowie weiteren Arten nach BArtSchV abwägen. Flexibleres Handeln wäre hier wünschenswert und würde vielen Arten helfen zu überleben.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.

 

Fazit für die Praxis

  • Diversität erhaltende Landschaftsdynamik wie stetige Überflutungen und damit Verschiebungen von Teilstandorten und in deren Folge von Vegetationseinheiten gibt es nicht mehr. Dafür ist der umliegende anthropogene Nutzungsdruck zu hoch.
  • Um offene Strukturen auch in Gewässern langfristig zu erhalten, reicht ein einmaliges Revitalisieren nicht aus, es muss eine gewisse künstliche Dynamik in diese Flächen integriert werden.
  • Mit Dynamik ist ein stetiger nachträglicher Eingriff in revitalisierte Flächen gemeint, da nahezu alle Revitalisierungsmaßnahmen in Deutschland flächig zu klein sind, als dass sie durch eine Eigendynamik die Standortdiversität erhalten.
  • Der stetige Eingriff auf revitalisierten Flächen muss Eingang in die konstitutionelle Gesetzgebung und damit in den administrativen Naturschutz finden, denn bislang ist es gerade wegen dieser fehlenden Integration gar nicht möglich, nachträgliche unkomplizierte Eingriffe vorzunehmen.
  • Von Bepflanzungen ist generell abzusehen, da das spontane Zuwachsen von nahezu allen „Artenschutz-Flächen“ gerade das Problem für den Artenschutz darstellt.

 

Kontakt


Dr. André Bönsel studierte Landschaftsentwicklung in Osnabrück und promovierte in Ökologie an der Universität Rostock. Seit 2000 leitet er ein Landschaftsplanungsbüro. Neben der Planung Lehraufträge an der Uni Rostock und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Verfolgt mehrere Forschungsansätze im Bereich der Ökologie mit Bezug zu Libellen, Heuschrecken, Ameisen, Amphibien, Reptilien, Vögeln, wobei der evolutionäre Ansatz genauso wie der anwenderorientierte Ansatz im Fokus stehen.
> andre.boensel@pfau-landschaftsplanung.de
> Andre.Boensel@gmx.de
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