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Interview

Fließgewässerrenaturierung – alles im Fluss?

Georg Hermannsdorfer, seines Zeichens Landespfleger, kann jahrzehntelange Erfahrung in Gewässerpflege und Gewässerrenaturierung nachweisen. Erst kürzlich hat er seine Praxiserfahrung im Buch „Renaturierung von Fließgewässern“ zusammengefasst ( NuL4028 ). Seine Motivation: Zwischen Theorie und Umsetzung gibt es immer noch eine große Lücke. Im Interview zeigt er die Problemfelder auf.

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Naturnaher Bach im Bregenzer Wald. Kies und Felsen bilden trotz der hohen Fließgeschwindigkeit auch strömungsberuhigte Bereiche.
Naturnaher Bach im Bregenzer Wald. Kies und Felsen bilden trotz der hohen Fließgeschwindigkeit auch strömungsberuhigte Bereiche.Julia Schenkenberger
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Redaktion: Herr Hermannsdorfer, viele von uns, die Landschaftsplanung oder Landschaftspflege studiert haben, kennen umfangreiche Literatur zur Renaturierung von Fließgewässern. Wieso brauchte es noch ein weiteres Buch?

Georg Hermannsdorfer: Die meisten Bücher befassen sich mit dem theoretischen Überbau. Da geht es um die ökologischen Defizite. Ich glaube, das ist inzwischen hinreichend geklärt, sodass man handeln könnte. Auch das Bewusstsein, dass man was ändern muss, ist da. Aber über das „wie“, wie man das ändert, da finden Sie wenig.

Mangelt es also an praktischem Wissen?

Das ist genau der Knackpunkt. Die große Frage ist: Wie setzt man die Theorie in die Praxis um? Dazu braucht es eben erstens Praxiswissen und zweitens Firmen, die das Know how haben, die Ideen der Planungsbüros umzusetzen.

Welche Probleme stellen Sie im Transfer zwischen Theorie und Praxis fest?

Hier müssen wir unterscheiden zwischen Gewässern I. und II. Ordnung und den Gewässern III. Ordnung – für die ersteren sind die Länder zuständig: Da gibt es die Wasserbehörden mit Fachpersonal. Leider haben wir in den letzten Jahrzehnten – für Bayern kann ich das mit Sicherheit sagen – gerade bei diesem Fachpersonal, das in der Fläche aktiv umgesetzt hat, massiv eingespart. Sämtliche Flussmeister sind abgeschafft, wegrationalisiert oder mit anderen Aufgaben belegt. Die Kommunen genauso wie die Gewässer hat man dabei im Regen stehen lassen.

Die durchschnittliche Gemeinde hat kein gewässerökologisches Fachpersonal. Treten Probleme an Gewässern auf, dann soll der Bauhof das erledigen. Der Bauhof hat aber alle möglichen Aufgaben – was soll er denn noch alles können? Da wird dann in der Not der nächste Baggerbetrieb angerufen und eine Ladung Steine bestellt. Und damit ist ein weiterer Uferabschnitt ökologisch kaputt. Sie bringen die Steine nie mehr raus.

Aber an wen soll sich die Kommune denn wenden? Welche Firma ist spezialisiert auf Gewässerrenaturierung, Ingenieurbiologie und naturnahen Uferschutz? Die gibt es nicht, mit vielleicht einigen ganz wenigen Ausnahmen, die mir nicht bekannt sind.

Welche Firmen kämen denn dafür in Frage?

Prädestiniert für diese Arbeiten wären auf jeden Fall die Landschaftsbaubetriebe und Forstbetriebe, aber die brauchen hierfür natürlich Zusatzkurse. Es ist ein Riesenunterschied, ob ich einen Park anlege oder am Gewässer arbeite. Es ist Spezialwissen erforderlich.

Dieses Spezialwissen ist ja bereits vorhanden. Wieso schwindet es denn immer weiter?

Das war vorhanden bis in die 90er Jahre hinein – da waren die Flussmeister und Wasserbauarbeiter noch da, die dieses Praxiswissen und die entsprechende Erfahrung hatten und Ingenieurbiologie beherrschten, einfach aufgrund der Tatsache, dass man sich früher nicht anders zu helfen wusste. Aber in den 60er Jahren, mit der Entwicklung des Hydraulikbaggers, waren diese Methoden nicht mehr rationell. Deswegen geriet dieses Wissen in Vergessenheit. Der Wasserbaustein ersetzte die Weidenfaschinen.

Sie gehören zu den Menschen, die dieses Wissen wieder ausgegraben haben. Welche Lösungen sehen Sie, um es wieder in den Köpfen zu verankern?

Erstens Praxisschulungen, zweitens Praxisschulungen und drittens Praxisschulungen. Das alte Wissen stirbt mit den alten Flussmeistern und Wasserbauarbeitern aus. Deshalb habe ich das alles in einem Buch zusammengefasst, manche Techniken vereinfacht und damit auch wirtschaftlicher gemacht, neue Methoden ergänzt, die ich zusammen mit Kollegen oder auch selbst entwickelt habe, beispielsweise für Struktureinbauten nach der Wasserrahmenrichtlinie.

Um das in die Praxis zu bringen, sind jetzt Schulungen erforderlich, und das müssen Praxisschulungen sein. Wer die Grundtechniken einmal erlernt hat, kann diese Techniken und Methoden angepasst an die jeweilige Situation variieren und weiterzuentwickeln. Die Schulungen betreffen aber auch die Landschaftsarchitekten und Planer in den Planungsbüros, in den Fachbehörden und auch in den Hochschulen. Wer sich diese praktischen Erfahrungen angeeignet hat, der kann auch besser und praxisnäher planen und die Kommunen entsprechend praxisorientiert beraten.

Für Firmen gibt es nach meinen Recherchen aktuell keine Fortbildungskurse. Die GaLaBau-Betriebe werden aber auch erst in Schulungen investieren, wenn die entsprechende Nachfrage gegeben ist. Und das ist derzeit nicht der Fall.

Wie lässt sich dieses Henne-Ei-Problem denn lösen?

Zuerst einmal muss das alte Wissen und die Erfahrung gerettet werden, bevor es pensioniert und verrentet wird. Dazu müssen die Wasserbehörden ihr eigenes Personal, insbesondere die Landschaftspfleger und Flussmeister, schulen und zwar mit ihren eigenen, leider sehr wenigen noch verbliebenen Spezialisten, die dieses Praxiswissen beherrschen. Damit wäre das Wissen schon mal breiter gestreut. Das wären dann die Multiplikatoren, die dieses Wissen weiter an Hochschulen und Universitäten tragen könnten. Parallel sollten wir erste Kurse für Galabaubetriebe anbieten und zwar direkt am Objekt, weil es dort zu einem Auftrag kommt und Firmen nur interessiert sind, wenn es zu Aufträgen kommt. Die Nachfrage der Kommunen wird steigen, sobald sie feststellen, dass es sich hier um praxisnahe Maßnahmen handelt, die auch wirtschaftlich sind und oftmals kostengünstiger als die Bagger-Stein-Methode und damit wird auch das Interesse der Firmen an Schulungen steigen.

Jetzt mal in die Praxis geschaut: Wie können wir uns die perfekte Renaturierung vorstellen?

Die gibt's natürlich nicht, weil die Gewässer und das Umfeld unterschiedlich sind. In einem beengten Siedlungsraum planen wir anders und intensiver als in einem unbebauten Gebiet.

Für die großen Flüsse besteht die Optimalplanung in der Förderung der Eigendynamik, das heißt Uferversteinung entfernen, flussdynamische Prozesse zulassen, beobachten und nur bei Bedarf eingreifen. Dafür bieten sich in einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland natürlich nur sehr wenige Abschnitte an, aber die sollte man unbedingt ausschöpfen, weil die Natur es einfach besser und auch kostengünstiger als wir kann. Wenn wir an die Gewässer III. Ordnung denken, würde ich sagen, dass Zurückhaltung angesagt ist. Die große Gefahr besteht darin, dass die Planer auf kurzen Abschnitten die ganze Palette des Möglichen versuchen. Am Ende findet eine Einweihungsfeier statt und alles scheint gut. Wenn dann aber der „Arbeitskreis Wasser“ einen weiteren Antrag auf Renaturierung die Kommune heranträgt, dann werden die Gemeinderäte voraussichtlich aus Kostengründen ablehnen.

Fazit: Wir brauchen bedarfsgerechte, kostengünstige Planungen und noch mehr kostengünstige Unterhaltungsmaßnahmen ohne aufwändige Wasserrechtsgenehmigungen, wenn wir in der Fläche punkten wollen.

Wenn es die perfekte Renaturierung nicht gibt, haben Sie dann allgemeine Tipps, an denen sich Planende orientieren können?

Es gibt ein übergeordnetes Ziel: Für die Gewässer der Ordnung III brauchen wir eine durchgehende Gewässeraue, einen Gewässerrandstreifen bestehend aus Gehölzen, Röhricht, Hochstauden. Der ist sogar im Wasserhaushaltsgesetz (WHG § 38 und § 39) verankert! Optimal wären beiderseits 10 m, da hätten wir auch mit dem Biber kein Problem. Wir hätten Beschattung, wir hätten Sohl- und Uferschutz durch die Wurzeln, wir hätten Unterstände, Kehrwasser, alles was so ein Gewässer braucht, und am Gehölzrand einen Saum aus Wildblumen und Kräutern. Dazu brauchen wir keine teuren Mäander anlegen, durch das intensive Wurzelwerk entstehen auf kleinstem Raum unterschiedliche Strömungen und zahlreiche Kleinstrukturen, die entscheidend sind für die Biodiversität im Gewässer.

Leider gibt es im WHG §38 den Absatz 4 Nummer 3, der die frommen Vorgaben aus § 39 (Erhaltung und Neuanpflanzung einer standortgerechten Ufervegetation) und § 38 (Gewässerrandstreifen zur Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Vegetation) wieder aushebelt: „Der Umfang mit wassergefährdenden Stoffen ist verboten. Ausgenommen ist die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln.“ Damit ist natürlich klar – hier soll kein natürlicher Ufergehölzsaum entstehen, sondern die landwirtschaftliche Nutzung bis ans Ufer beibehalten werden. Diesen Trojaner hat wohl die Agrarlobby geschickt eingeschleust. Dabei hätten die Landwirte mit Ufergehölzen keinen Nachteil. Der Uferbewuchs könnte genauso gefördert werden wie die landwirtschaftliche Nutzung und er könnte auch als nachwachsender Rohstoff genutzt werden. Wenn wir es schaffen, diese Uferstreifen zu etablieren, hätten wir das größte zusammenhängenden Biotopverbundnetz überhaupt. Wir hätten Lebens-, Nahrungsraum und Wanderachsen für Säugetiere und Insekten gleichermaßen und außerdem Fläche, um Energieholz zu gewinnen!

Es liegt also noch viel Arbeit vor uns.
Herr Hermannsdorfer, vielen Dank für das Gespräch!

Die ungekürzte Version dieses Interviews finden Sie unter Webcode NuL6777.


Georg Hermannsdorfer ist Dipl.-Ing. (FH) Landespflege. Er leitete über 30 Jahre lang das Sachgebiet Gewässerpflege am Wasserwirtschaftsamt Traunstein und war bis 2019 Lehrbeauftragter an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Seine Schwerpunkte sind Gewässerrenaturierung, Ingenieurbiologie und Umweltbildung. Dazu hat er das Buch „Renaturierung von Fließgewässern“ veröffentlicht.

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