Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Alpenflusslandschaften

Wo die Flüsse freier fließen

Zwei Hotspots sind vereint im Projekt „Alpenflusslandschaften“. Ziel des Projekts ist, die noch vorhandene Biodiversität entlang der Flüsse zu erhalten, durch naturschutzfachliche Maßnahmen zu verbessern sowie Strukturen und Akzeptanz für umfassende Revitalisierungsmaßnahmen zu schaffen. Wolfgang Hug, Harald Jungbold und Fabian Unger stellen das Projekt vor.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
 1 Neue Lebensräume sind durch die Redynamisierung der Litzauer Schleife entstanden.
1 Neue Lebensräume sind durch die Redynamisierung der Litzauer Schleife entstanden. Harald Jungbold 
Artikel teilen:

Der Lech gurgelt, gluckert, rauscht in einem weiten Bogen an mir vorbei. Ich kauere hinter einer Weide, die Kamera im Anschlag. Mein Blick ist auf die offene, vielgestaltige Kiesfläche vor mir gerichtet: Ich warte. Dann passiert es: Ein Flussregenpfeifer flattert heran. In grazilen Trippelschritten bewegt er sich über den Kies. Brütet er hier oder ist er nur, wie ich, zufälliger Gast?

Hier in der Litzauer Schleife hat sich einiges getan. Die natürliche Dynamik ist zwar noch lange nicht wiederhergestellt, dennoch wurden kleine Schritte hin zu mehr Wildflussnähe gemacht. Im Zuge dieses Projekts schaffte es der Verein „Lebensraum Lechtal e. V.“, gemeinsam mit den Wasserwirtschaftsämtern Weilheim und Kempten und dem örtlichen Fischereiverein (Die Gesplißten e. V.), verlorengegangene Lebensräume wiederherzustellen. Denn es gab zwar noch Hochwässer am Lech, doch die Geschiebefraktionen, die vom Wasser umgelagert werden könnten, fehlten, und damit auch die Habitatvoraussetzungen für Flussregenpfeifer, Huchen und Co. Rund 1.500 m³ Kies in Korngrößen unter 7 cm wurde innerhalb einer Woche im Spätherbst 2016 eingebracht – mit durchschlagendem Erfolg: Schon im Sommer danach gab es erstmals seit langer Zeit wieder Huchen-Nachwuchs im Lech! Die Kieseinbringung wurde 2017 wiederholt und wird künftig vom WWA Weilheim fortgeführt. Und auch für die Vogelwelt wurde etwas getan – in einem Modellversuch wurde mit einem Bagger eine Kiesbank teilweise abgeräumt, um dem Flussregenpfeifer wieder Brutmöglichkeiten anzubieten.

Die Redynamisierung der Litzauer Schleife ist aber nur eine von vielen Maßnahmen, eine von 68, um genau zu sein. Die Maßnahme ist ein Teilprojekt des Hotspotprojekts „Alpenflusslandschaften“. Vor sechs Jahren starteten hier 18 Projektpartner gemeinsam, die artenreichen Lebensräume an Ammer, Isar, Loisach, Lech und Wertach aufzuwerten, Abschnitte zu renaturieren und selten gewordene Arten wieder anzusiedeln. Ziel war es aber auch, die Akteure untereinander zu vernetzen und die Bevölkerung auf die Besonderheit der Alpenflüsse und ihrer Tier- und Pflanzenarten zu begeistern.

Aber beginnen wir von vorn: Dem Projektstart 2014 ging enorm viel Arbeit voran. Nicht nur das Vorbereiten von Anträgen, sondern vor allem sehr viel Kommunikation mit Akteuren und potenziellen Partnern. Welche Partner gibt es? Wer ist fachlich, finanziell und organisatorisch in der Lage, ein solches Projekt zu stemmen? Diese Fragen galt es zu klären. Federführend hier: Claire Tranter, ehemalige Mitarbeiterin des WWF. Sie hat die 18 Partner im Projekt zusammengebracht, und sie ist diejenige, die die „Alpenflusslandschaften“ angestoßen hat.

Die Kommunikationsarbeit endete aber keineswegs mit dem Projektstart, im Gegenteil: „Ganz wesentlich im Projekt ist die Netzwerkarbeit“, erklärt Wolfgang Hug, Büroleiter des WWF Weilheim und Projektleiter. „Da findet ein Austausch unterschiedlichster Akteure statt mit einem enormen Wissenstransfer. Man hat sich auch mal aneinander gerieben, aber dadurch haben wir uns auch selbst reflektiert, dazugelernt und gemeinsame solide Wege gefunden.“ Der Ergebnisbericht zeigt die vielfältige Palette der Aktivitäten für die biologische Vielfalt im Projektgebiet und die erbrachten Leistungen der Projektpartner (siehe QR-Code).

Maßnahmen für die Natur

Die Redynamisierung der Litzauer Schleife ist nur ein Beispiel dafür, dass eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Interessengruppen gelingen kann. „Hier gingen die Vorstellungen bezüglich der Kiesbankräumung anfänglich stark auseinander“, erinnert sich Harald Jungbold, der während des Projekts beim Lebensraum Lechtal arbeitete. „Die Diskussion hat sich gegenseitig befeuert“, meint er – und letztlich haben alle gemeinsam mehr erreicht, als ein Partner alleine hätte schaffen können.

Es gibt viele solcher Beispiele im Projekt – nicht verwunderlich in Anbetracht der vielfältigen Lebensräume, die in den beiden Hotspots der Alpenflüsse einbegriffen sind: Hangquellmoore und Flussbänke, Streuwiesen und Altarme, lichte Kiefernwälder und Auen. Dementsprechend breit war das Maßnahmenspektrum: Es reichte von der Rückverlegung der Ramsach im Murnauer Moos in ihr altes Gewässerbett über die Wiederansiedlung von Seeforellen in der Ammer und Alpen-Knorpellattich an der Isar bis hin zur Entbuschung und Mahd der Hangquellmoore mit ihren faszinierenden Sinterstrukturen entlang der Isarleiten.

Nicht jedes Projekt war gleichermaßen erfolgreich. Vor allem die Wiederansiedlung der Tamariske stellte die Beteiligten vor enorme Herausforderungen. Sie ist die Charakterart der dynamischen Schotterflächen der Alpen- und Voralpenflüsse, doch ausbleibende Geschiebeumlagerungen führten dazu, dass die Art heute fast ausgestorben ist. Nur an Isar und Ammer kommt sie noch sehr vereinzelt vor. Das sollte sich ändern: Die Deutsche Tamariske sollte zurückkehren an den bayerischen Lech und hier die Schirmart für eine neue Flussdynamik an der Litzauer Schleife werden. Gesagt, getan: Im März 2015 wurden 36 im Botanischen Garten München aus Samen herangezogene Pflänzchen ausgebracht. Doch das Frühjahrshochwasser war zu massiv, die Anpflanzung vernichtet. Zwei Jahre später startete ein zweiter Versuch, dieses Mal mit 160 stecklingsvermehrten Pflanzen. Doch wieder zerstörte ein starkes Hochwasser alles, im Sommer 2019 lebten gerade einmal zwei der 160 Pflanzen. Die durch den Menschen verursachte Veränderung des Lechs ist zu stark.

Und doch: Die Erfolge überwiegen. In den Hangquellmooren wachsen neue Kalksinterstrukturen, Mehlprimeln und Schwalbenwurz-Enzian profitieren von der Biotoppflege, Huchen, Forellen, Kreuzottern und Kiesbrüter haben neue Lebensräume gefunden. Und die Aussichten auf eine weitere große Wirkung des Projektes sind sehr gut: An der Ammer, im Bereich Schnalzaue (Gemeinde Peiting) hat der WWF die Ausführungs- und Genehmigungsplanung für eine Deichrückverlegung erstellt und dem Wasserwirtschaftsamt im Mai 2021 überreicht. Die Umsetzung der Maßnahme kann nach der behördenseitigen Prüfung sämtlicher Unterlagen und der Freigabe der zur Umsetzung notwendigen Mittel durch den Freistaat im Jahr 2022 bzw. 2023 beginnen. Dadurch erhält die Ammer zehn Hektar zusätzlichen Entwicklungsraum und wird durch die für Wildflüsse typische Dynamik viele neue Lebensräume für spezialisierte und bedrohte Wildflussarten entstehen lassen.

Im Gespräch

Ein großer Teil der Maßnahmen beinhaltete aber nicht die Erhaltung und Verbesserung der Lebensräume selbst. Schwerpunkte des Projekts waren Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit. „Es geht nicht nur darum, umzusetzen, sondern auch darum, mit Menschen und Akteuren zusammenzuarbeiten, um Bewusstsein für die Alpenflüsse und für das, was sie ausmacht, zu schaffen“, betont Wolfgang Hug.

Von einem generationenverbindenden Projekt erzählt Harald Jungbold. „Eine Woche lang haben wir mit Studierenden der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Zeitzeugen interviewt“, erzählt er. 23 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen durften erzählen, wie sie den Lech kennengelernt haben, positiv wie negativ. Unter ihnen Hochwasserbetroffene, Heimatvertriebene aufgrund des Stauseebaus und viele andere. Tagsüber wurden Interviews geführt, bis spät in die Nacht ausgewertet. Am nächsten Morgen ging es weiter. „Wir konnten so eine Brücke schlagen zwischen den Generationen“, meint Jungbold. „Da ist ein gegenseitiges Verständnis gewachsen.“ Und nicht nur das: Gemeinsam mit Fotograf Detlef Fiebrandt entstand innerhalb kürzester Zeit das Buch „Vom Lech – Zeitzeugen erzählen“.

Von Infoständen in den Isarschutzgebieten erzählt Fabian Unger. Er war für den Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) für das Projekt tätig. An den Ständen hat er zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Projektbeteiligter mit Hunderten Freizeitnutzenden über die Schutzgüter des Flusses gesprochen. Dabei wurden Auskünfte zu bedrohten Pflanzenarten und störungsempfindlichen Kiesbrütern wie Flussregenpfeifern und Flussuferläufern, aber auch Tipps zum richtigen Verhalten in den Schutzbereichen gegeben. Denn vor allem in den Sommermonaten sind die Wege, Flussufer und das Wasser stark frequentiert. Was vielen nicht bewusst ist, erklärt Unger: „Wir haben mit der Isar einen der bedeutendsten Wildflüsse Deutschlands. Ein echtes Naturjuwel mit gut 200 Rote-Liste-Arten!“

Vor allem aus Unwissenheit, seltener aus Ignoranz, kommt es zu Störungen und Beeinträchtigungen auch hochgradig gefährdeter Schutzgüter. Durch den hohen Nutzungsdruck am Gewässer entstehen enorme Interessenskonflikte zwischen Naturschutz und Erholungsfunktion. Doch die Situation ist nicht hoffnungslos, findet Unger. „Es war sehr befriedigend, mit so vielen Menschen ins Gespräch zu kommen“, meint er rückblickend. Man hat ein Bild von den Nutzergruppen. Ich habe dabei gelernt, wie unterschiedlich der Fluss wahrgenommen wird.“ Oft waren diese Gespräche sehr positiv für Fabian Unger: „Wenn man die Leute auf die Schutzgüter aufmerksam macht, ist meist Interesse da. Die Infostände haben das Bewusstsein der Besucherinnen und Besucher für die Umgebung und die Natur geschärft und so zu einem naturverträglicheren Verhalten in den Schutzbereichen beigetragen.“

Wie geht’s es weiter?

Auch nach Projektende müssen die Freizeitnutzer an der Isar nicht auf Informationen verzichten: Zahlreiche neue Infotafeln, die der Isartalverein und der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen erstellt haben, informieren kompakt über den Fluss, die Schutzgüter und das richtige Verhalten. Selbst für Kinder gibt es auf den Tafeln altersspezifisch aufbereitete Informationen und spannende Rätsel und Spiele von „Flori, dem Flussregenpfeifer“. Die Kinder können Fische zählen, einen Knicks für die Wasseramsel machen oder Freundschaft mit der Schlingnatter schließen.

Auch am Lech wird weiter informiert: Hier ist Lech-Rangerin Patrizia Majowski unterwegs. Sie führt Gruppen auf Exkursion zu den botanischen Highlights der Lechleiten, hält Ausschau nach kiesbrütenden Vogelarten, begleitet Landschaftspflegemaßnahmen und kommt mit Erholungssuchenden ins Gespräch. Ins Leben gerufen wurde die Lech-Ranger-Arbeit vom Verein Lebensraum Lechtal, nach Abschluss des Projekts trägt der Landkreis Weilheim-Schongau bis auf Weiteres die Stelle.

Der Erhalt dieser Stelle ist ein Beispiel der vielen kleinen und großen Erfolge des Projekts. Den wesentlichen Gewinn sieht Wolfgang Hug aber an anderer Stelle: „Die Allianzen für biologische Vielfalt sind die eigentlichen Erfolge des Projekts!“, betont er. „Wir haben Vertrauen aufgebaut, verstehen uns heute viel besser und können bei Bedarf immer an jemanden verweisen, der sich zum einen oder anderen Thema auskennt, weil man ihn jetzt eben kennt. Es gibt immer noch viele Herausforderungen, auch mal unterschiedlichen Meinungen oder Blockaden, aber das liegt vor allem daran, dass wir zu wenig miteinander reden.“ Das Projekt hat jedoch gezeigt, dass es auch anders geht. Echter Mehrwert entsteht dann, wenn die Akteure in den Dialog kommen und ein Netzwerk aufgebaut wird. Die drei Experten fassen zusammen: „Wir wünschen uns für die Zukunft einen Planungsprozess, der die Menschen und die Akteure sofort einbindet, so wie es in unserem Projekt der Fall war.“

Projektdaten

  • Projekttitel: Alpenflusslandschaften – Vielfalt leben von Ammersee bis Zugspitze
  • Hotspots: Ammergebirge, Niederwerdenfelser Land und Obere Isar (Hotspot 2), Ammer-Loisach-Hügelland und Lech-Vorberge (Hotspot 4)
  • Laufzeit: 15. Oktober 2014 bis 30. September 2020 (mit teilweiser Verlängerung bis 31. März 2021 und abschließender Evaluation bis zum 30. September 2022)
  • Verbundpartner: WWF Deutschland, Bayerischer Kanu-Verband e. V., Bezirk Oberbayern, Bund Naturschutz in Bayern e. V. – Kreisgruppe Weilheim-Schongau & Bund Naturschutz in Bayern e. V. – Naturschutz- und Jugendzentrum Wartaweil, Deutscher Alpenverein e. V., Isartalverein e. V., Jugendsiedlung Hochland e. V., Katholisches Kreisbildungswerk Garmisch-Partenkirchen e. V., Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V., Landesfischereiverband Bayern e. V., Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, Landkreis Starnberg, Landkreis Weilheim-Schongau, Lebensraum Lechtal e. V., navama GmbH, Schutzgemeinschaft Ammersee e. V., Tourismusverband Pfaffenwinkel, Landkreis Garmisch-Partenkirchen
  • Finanzierung: Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), Bayerischer Naturschutzfonds
  • Finanzierungsumfang: 5,62 Mio. €

Weitere Infos: 

Ergebnisbericht des Hotspot-Verbundprojekts

 

 

 

Kontakt

Sigrun Lange
WWF Deutschland

Büro Wildflüsse Alpen
Münchener Str. 35A
82362 Weilheim i. OB
Tel: 49 (0)881/12233313
Mail: sigrun.lange@wwf.de
Website: www.alpenflusslandschaften.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren