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Fließgewässerrenaturierung

Lernen von der Ruhr

Einst ein technischer Flussschlauch, eingeengt und reguliert, mäandert die Ruhr heute wieder in einem abwechslungsreichen Flusslauf. Im nordrhein-westfälischen Arnsberg, mitten in der Stadt, gelang es, Naturschutz, Hochwasserschutz und Naherholung in Einklang zu bringen. Wie konnte diese aufwendige Renaturierung gelingen? Veronika Rivera gibt einen Einblick in das Projekt.

von Veronika Rivera erschienen am 09.01.2025
Ruhr bei Arnsberg nach der Renaturierung: Totholz bietet wertvolle Unterstände. © Dr. Günter Bockwinkel
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Versteckt hinter Betonmauern, begradigt und eingezwängt – so sehen viele Flüsse Europas heute aus. Der Mensch hat Fließgewässer seit Jahrhunderten verändert. Landwirtschaft, Siedlungen und Infrastruktur engen sie ein, während Hochwasserschutz und Energiegewinnung sie in monotone Kanäle verwandelt haben. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass bis 2027 alle Gewässer Europas wieder in einen guten Zustand gebracht werden müssen. Doch viele Gemeinden verfehlen derzeit dieses Ziel. Ein Beispiel der renaturierten Ruhr in Arnsberg zeigt jedoch, wie solche Flüsse wieder zu lebendigen Landschaften werden können.

Renaturierung – raus aus dem Korsett, rein ins quirlige Leben!

Stellen Sie sich einen Fluss vor, der jahrzehntelang in ein starres Korsett gezwängt wurde. Wie würde es aussehen, wenn dieser Fluss wieder frei fließen dürfte? Fließgewässerrenaturierung gibt Flüssen genau diese Freiheit zurück – und bringt viele Vorteile mit sich.

Fließgewässer werden in Hierarchien eingeteilt: Gewässer 1. Ordnung sind Flüsse und Ströme von überregionaler Bedeutung, insbesondere Binnenwasserstraßen wie der Rhein oder die Donau. Gewässer 2. Ordnung umfassen kleinere Flüsse und Bäche. In einigen Bundesländern wird zusätzlich eine Kategorie der Gewässer 3. Ordnung verwendet, die Bäche und Gräben einschließt. Jeder Gewässertyp hat unterschiedliche Funktionen und Anforderungen. Renaturierungsmaßnahmen müssen daher genau auf die jeweilige Gewässerordnung abgestimmt sein. Ein kleiner Quellbach der ersten Ordnung mag nur wenige Meter umfassen, während ein Fluss wie die Ruhr, eine höhere Ordnung, ganze Landschaften prägt.

Die Renaturierung gibt Flüssen ein naturnahes Bett zurück. Dafür müssen künstliche Einschränkungen entfernt werden: Uferbefestigungen, Begradigungen und Wehre, die dem Fluss jede Dynamik genommen haben, werden zurückgebaut. Stattdessen wird Raum geschaffen – Raum, den der Fluss braucht, um seinen eigenen Charakter zurückzugewinnen. Der Fluss wird bewegter und quirliger, das Wasser kann mehr Sauerstoff aufnehmen. Durch die neu gewonnene Freiheit fängt der Fluss an, sich selbst zu formen. An strömungsstarken Stellen gräbt er sich ein, an strömungsschwachen Stellen lagern sich Sand und Holzteilchen ab. An manchen Stellen entstehen neue Mäander, an anderen ruhige Seitenarme oder breite Kiesbänke. Er verbindet sich neu mit der Aue. Diese Verbindung stabilisiert den Grundwasserspiegel und schützt vor Dürre. Flussholz und Steine im Wasser bieten Plätze zum Laichen. Vielfältige Strukturen in und am Wasser sind Lebensraum für viele Arten.

Die Ruhr bei Arnsberg nach der Renaturierung: Flussholz, Kiesbänke und zahlreiche andere Lebensraumelemente bieten viele Lebensräume für verschiedene Arten.
Die Ruhr bei Arnsberg nach der Renaturierung: Flussholz, Kiesbänke und zahlreiche andere Lebensraumelemente bieten viele Lebensräume für verschiedene Arten. © Dr. Günter Bockwinkel

Die Maßnahmen müssen sorgfältig geplant sein, damit der Fluss wieder tun darf, was er am besten kann: Strömungen formen, Sedimente transportieren und Lebensräume schaffen. Renaturierung dreht die Zeit nicht zurück. Auch die so erfolgreiche Renaturierung der Ruhr wird nie wieder den wilden Fluss zurückbringen, der die Ruhr einst war. Aber mit jedem Schritt in diesem Prozess kehrt mehr Leben zurück – nicht nur für Tiere und Pflanzen, sondern auch für Menschen, die von einem lebendigen Fluss als natürlicher Hochwasserschutz, und durch höhere Lebensqualität und Klimakrisenfolgenanpassung profitieren.

Jedes Fließgewässer ist individuell

Fließgewässerrenaturierung ist ein vielseitiger Prozess, der je nach Zustand des Flusses und der Umgebung unterschiedlich gestaltet wird. Die Maßnahmen reichen von minimalen Eingriffen bis hin zu großflächigen Umgestaltungen, wobei jedes Projekt individuell auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmt wird.

Bei gut erhaltenen oder nur leicht beeinträchtigten Flüssen genügen oft einfache Eingriffe, um die ökologische Funktion zu stärken. Ein Beispiel ist die Hase, wo durch gezielte Maßnahmen eine ökologische Aufwertung erzielt wurde. Das Einbringen von Totholz oder die Schaffung von Kiesbänken sorgt hier für eine stärkere Strömungsvielfalt und neue Lebensräume.

In stärker veränderten Gewässern sind moderatere Anpassungen erforderlich. An der Wern wurden seit 1995 abschnittsweise Renaturierungen durchgeführt. Hierzu gehörten die Wiederanbindung von Altarmen und der Abtrag von Vorland, um den Hochwasserrückhalt zu verbessern. Diese Maßnahmen fördern nicht nur die ökologische Vielfalt, sondern verringern auch das Hochwasserrisiko. Ein besonders nachhaltiger Ansatz ist die Förderung der Eigendynamik des Flusses. An der Nebel wurden Laufverlängerungen umgesetzt und Teile der ehemaligen Aue wieder erschlossen. Der dadurch geschaffene Hochwasserrückhalteraum zeigt, wie effektiv solche Maßnahmen auch wirtschaftlich sein können: Der monetäre Nutzen des Hochwasserschutzes wird auf 174 Mio. € geschätzt.

Bei stark regulierten Flüssen sind umfassende Umgestaltungen unverzichtbar. Die Ruhr in Arnsberg brauchte mehr als 20 Einzelmaßnahmen, darunter die Entfernung von Uferbefestigungen und die Neugestaltung der Aue, um den Fluss in eine lebendige Flusslandschaft zu verwandeln. Heute finden dort Bachforellen und Äschen ideale Lebensbedingungen, und die Ruhr wird als Ort der Naherholung geschätzt.

Vielfältiger Nutzen

Durch Renaturierungsprojekte können nicht nur ökologische Verbesserungen erreicht werden, sondern auch die natürliche Wasserrückhaltung in Flusslandschaften gestärkt werden. Das sorgt für einen besseren Hochwasserschutz. Die oben erwähnte Laufverlängerung an der Nebel und die Wiederanbindung von Flächen schuf einen um etwa 16 % größeren Hochwasserrückhalteraum. Ähnlich war es an der Wern, wo durch Vorlandabtrag und neu angelegte Mulden das Gewässervolumen um ca. 15.000 m3 erweitert wurde. Diese Maßnahmen verlangsamen den Abfluss von Starkregen, mildern Abflussspitzen von Hochwasser und schützen so Siedlungen und Infrastruktur.

Gleichzeitig entstehen neue Lebensräume, die die Artenvielfalt fördern. Die Wiederanbindung von Altarmen und die Beseitigung von Hindernissen ermöglichen es wandernden Arten, wie dem Lachs in der Wümme, ihre angestammten Gebiete wieder zu erreichen. Stillgewässer und Verzweigungen zwischen Flussarmen schaffen zudem Refugien für Amphibien und Wasserinsekten. An der Helme profitieren Fischotter und Bachmuschel von naturnahen Renaturierungsmaßnahmen.

Darüber hinaus steigern renaturierte Gewässer den Erholungswert und das Landschaftsbild. Es sieht wunderschön und natürlich aus, wie sich die renaturierte Flusslandschaft der Ruhr durch Arnsberg schlängelt. Der Fluss, einst kaum präsent, prägt heute das Stadtbild. Die Ruhr lädt zum Radfahren, Spaziergehen und Baden im Sommer ein und wird von der Bevölkerung als Freizeit- und Erholungsraum geschätzt. Zugängliche Flächen und naturnahe Strukturen bietet der Bevölkerung sowie Besuchenden gleichermaßen Möglichkeiten zur Entspannung und Naturerfahrung.

Luftbild der Ruhr bei Arnsberg nach der Renaturierung: An der Jägerbrücke zeigt die Ruhr nun vielfältige Gerinneverzweigungen.
Luftbild der Ruhr bei Arnsberg nach der Renaturierung: An der Jägerbrücke zeigt die Ruhr nun vielfältige Gerinneverzweigungen. © Dr. Günter Bockwinkel

Auch die Anpassung an die Klimakrise ist ein wichtiger Nutzen von Renaturierung. Breitere Gewässerbereiche und Auenlandschaften fördern die Verdunstung und sorgen für Kühlung, was insbesondere in urbanen Gebieten eine wichtige Funktion darstellt. Die aufgeweiteten Bereiche an der Ruhr sorgen für größere Wasserflächen und damit an heißen Tagen für stärkere Verdunstung und Kühlung im urbanen Nahbereich. Der Rückbau von versiegelten Teilflächen und die Aufweitung des Flussprofils schaffen Platz für durch zunehmende Starkregenereignisse verursachte Hochwasser und führen zu einer deutlichen Absenkung des Wasserspiegels.

Erfolgsfaktoren in Arnsberg

Was in Arnsberg an der Ruhr beeindruckend gelungen ist – eine naturnahe Flusslandschaft mitten in der Stadt zu schaffen – verursacht an anderen Orten oft Probleme. Flächenverfügbarkeit, Kosten und konkurrierende Nutzungsansprüche stellen dabei die größten Herausforderungen dar. In vielen Regionen, vor allem in landwirtschaftlich intensiv genutzten oder dicht besiedelten Gebieten, reicht die Nutzung oft bis direkt an die Flussufer heran. Flächen für Pufferzonen oder Auenreaktivierung bereitzustellen, erfordert kreative Lösungen wie Flächentausch oder langfristige Pachtverträge – Prozesse, die nicht selten Jahre dauern. In Arnsberg erhielt die Ruhr den maximal möglichen Raum innerhalb der verfügbaren Flächen, außerdem wurde zusätzlicher Entwicklungsraum durch die Verlegung des Ruhrtalradweges geschaffen.

Nebenrinne der Ruhr bei Niedrigwasserführung
Nebenrinne der Ruhr bei Niedrigwasserführung © Dr. Günter Bockwinkel

Auch die Kosten spielen eine entscheidende Rolle. Arnsberg konnte die Maßnahmen kostenneutral gestalten, da das Land Nordrhein-Westfalen die Maßnahmen zu 80% förderte und der städtische Eigenanteil als Ausgleichsmaßnahme angesetzt werden konnte. Doch oftmals bleibt die Finanzierung eine Herausforderung. Während kleinere Maßnahmen, wie die Anhebung der Gewässersohle, relativ kostengünstig sind, können großflächige Projekte wie Deichrückverlegungen schnell Millionenbeträge verschlingen. Ohne ausreichende Fördermittel bleiben solche Projekte oft in der Planungsphase stecken.

Ein weiteres Hindernis sind konkurrierende Nutzungsansprüche. Besonders in Städten, wo Flüsse oft stark technisch ausgebaut sind, gibt es kaum Spielraum für Renaturierungsmaßnahmen, ohne bestehende Nutzungen zu beeinträchtigen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schifffahrt, die in vielen Flüssen Vorrang hat und Renaturierungen einschränken kann.

Auch die Eigendynamik eines Gewässers kann Probleme bereiten. Während die Ruhr nach der Entfernung von Uferbefestigungen ihre Dynamik wieder entfalten konnte, sind viele Flachlandflüsse auf bauliche Initialmaßnahmen angewiesen, um überhaupt eine naturnahe Entwicklung zu ermöglichen. Solche Maßnahmen sind jedoch oft technisch aufwendig und teuer.

Zuletzt ist da die Akzeptanz in der Bevölkerung. In Arnsberg wird die renaturierte Ruhr von den Bürgerinnen und Bürgern als Bereicherung erlebt – ein Ort für Erholung und Naturerlebnis. Wünsche und Anregungen, beispielsweise bezüglich der Standorte von Sitzbänken und Aussichtspunkten wurden berücksichtigt. Es braucht eine gute Kommunikation und Aufklärung, um Vorurteile und Ängste abzubauen. Manch Anwohnerin ist vielleicht skeptisch, sieht die Maßnahmen als Eingriff in ihre gewohnte Umgebung, ein Anderer fürchtet um den Hochwasserschutz. Transparente Kommunikation und der Einbezug der Betroffenen sind deshalb essenziell, um solche Projekte erfolgreich umzusetzen.

Frische Schotterbank an der Ruhr unterhalb der Denzbrücke im Mai 2015
Frische Schotterbank an der Ruhr unterhalb der Denzbrücke im Mai 2015 © Dr. Günter Bockwinkel

Fazit

Was an der Ruhr in Arnsberg gelungen ist, zeigt, dass Flüsse nicht auf immer hinter Betonmauern und in Begradigungen gefangen bleiben müssen. Mit kluger Planung, Engagement und kreativen Lösungen können monotone Kanäle wieder zu lebendigen Landschaften werden. Die Renaturierung der Ruhr ist ein Beispiel dafür, wie Natur, Hochwasserschutz und Naherholung Hand in Hand gehen können. Sie macht Hoffnung darauf, dass auch andere Flusslandschaften Europas ihr Potenzial als Lebensadern für Mensch und Natur zurückgewinnen können.

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