Moorschutz im Teufelsmoor
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Ich muss Ihnen ein Geständnis machen: In Städten habe ich einfach keinen Orientierungssinn. Im Gelände geht das besser, da weiß ich in der Regel, in welche Himmelsrichtung ich laufe und wie ich dahin komme, wohin ich will. Aber in der Stadt? Da bin ich aufs Navi angewiesen. Meistens zumindest. In Osterholz-Scharmbeck, etwa 20 Minuten von Bremen entfernt, ist das anders. Mein Ziel hat nämlich eine Wegmarkierung, die heute nicht mehr ganz so gebräuchlich und daher kaum zu übersehen ist: eine Windmühle.
In den Wohnräumen des Müllers und der Mägde und Knechte ist längst kein mehlbestäubter Arbeiter mehr zu finden. Stattdessen ist hier die Biologische Station Osterholz zu Hause. Gegründet wurde der Verein im Jahr 1985. Damals war der Deutsche Bund für Vogelschutz in der Hammeniederung sehr aktiv. Doch das ehrenamtliche Engagement reichte nicht aus, erzählt Dr. Hans-Gerhard Kulp. Er ist gemeinsam mit drei anderen Kolleginnen und Kollegen im Verein für die Schutzgebietsbetreuung zuständig. Stattdessen sollte die Naturschutzarbeit mit wissenschaftlicher Kompetenz professionalisiert werden: die Geburtsstunde des gemeinnützigen Vereins Biologische Station Osterholz.
Erste Arbeiten folgten schnell: Noch im Gründungsjahr wurden die Wallhecken des Kreises kartiert, ein Schutz- und Pflegeplan wurde entwickelt, um die noch vorhandenen Hecken zu regenerieren. Auch der Schutz von Feuchtwiesen und Mooren entwickelte sich zum wichtigen Thema.
Rebellische Anfänge
Schwierig war allerdings die Finanzierung der Arbeit: „Der Verein war einfach noch sehr klein, die Arbeit überschaubar“, erzählt Dr. Jutta Kemmer, die im Verein die Verbandsbeteiligung für die Naturschutzverbände bearbeitet. „Die Finanzierung war damals mehr als wackelig.“ Das lag vielleicht auch am Image des noch jungen Vereins. „Wir haben als Naturschutzopposition angefangen“, erinnert sich Tasso Schikore. Der Diplombiologe kam vor seinem Studium in Bremen als Praktikant zum Verein und „blieb hängen“, wie er selbst scherzhaft bemerkt. Da wurde schon mal demonstriert und so auf Missstände beim Torfabbau oder bei Jagdmethoden aufmerksam gemacht. Von diesen rebellischen Tagen ist man im Jahr 2020 weit entfernt. „Heute sind wir als Faktor im Ort anerkannt und versuchen, unsere Ziele eher durch Kooperation zu erreichen“, ergänzt Hans-Gerhard Kulp.
Damals aber musste eine feste Einnahmequelle her. Die Lösung: Das Gutachterbüro BioS, das vier Jahre nach dem Verein gegründet wurde. Das Büro ist heute der wirtschaftliche Geschäftszweig des Vereins und trägt zu dessen Finanzierung bei. Die Unterscheidung der einzelnen Bereiche ist alles andere als einfach, vor allem in der Kommunikation nach außen. „Es passiert eigentlich jede Woche, dass Leute für das Büro bei der Station anrufen und umgekehrt“, erzählt Tasso Schikore. Er zählt heute zur Führungsriege von BioS und versucht, für mich die unterschiedlichen Sparten zu erläutern. Auf meine Frage, was das Büro vom Verein trennt, antwortet er trocken: „Eine hölzerne Treppe!“. Für ihn keine negative Situation, ganz im Gegenteil. Es sind die „Treppe-Flur-Gespräche“, die sich fast täglich ergeben und die zum engen Austausch zwischen den verschiedenen Arbeitsgruppen beitragen.
Das denkmalgeschützte Mühlengebäude aus dem Jahr 1882 ist dafür ideal und bietet auch für die Umweltbildung große Vorteile: Mit dem Umzug in die Mühle im Jahr 1993 wurde die Biologische Station zugleich anerkanntes Regionales Umweltbildungszentrum (RUZ). Jedes Jahr erleben mehr als 6.000 Schüler und Kindergartenkinder die Angebote des RUZ. Abgeordnete Lehrkräfte und Umweltpädagogen vermitteln erlebnisorientiert Wissen über Natur und Umwelt, Nahrungsmittelproduktion und naturwissenschaftliche Grundbildung, immer im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. „Außerdem passt das Ambiente des denkmalgeschützten Anwesens einfach sehr gut zu unserer Naturschutzarbeit“, ergänzt Kulp.
Im Jahr 2000 kam die Koordinationsstelle für naturschutzfachliche Verbandsbeteiligung (KNV) dazu. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich eine außergewöhnliche Zusammenarbeit der Naturschutzverbände im Landkreis. Über eine Fachkraft, die gemeinsame qualifizierte Stellungnahmen erarbeitet, bemühen sich die Verbände, Naturschutzbelange intensiv in die Planungen von Verwaltung und Politik zu integrieren. „Naturschutz muss eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe sein“, ist Jutta Kemmer überzeugt. „Daran arbeiten wir.“
Inzwischen schränkt das Gebäude aber auch ein: Es ist einfach kein Platz mehr. Heute arbeiten inklusive der FÖJler 24 Menschen in der alten Mühle. Zu zweit oder zu dritt sind sie in den Räumen untergebracht. Damit ist das absolute Limit erreicht – und dabei arbeiten acht weitere Kollegen von BioS gar nicht vor Ort, sondern in der Zweigstelle des Büros auf Norderney.
Die Insel-Zweigstelle verwundert zwar den Betrachter von außen, ist aber eigentlich leicht erklärt. Einen Kollegen aus dem Gutachterbüro zog es auf die zweitgrößte der Ostfriesischen Inseln. Er baute dort einen neuen Standort auf, erweiterte damit den Aktionsbereich des Büros und das Auftragsspektrum, beispielsweise durch umfangreiche Arbeiten im Prädationsmanagement im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer.
Solch individuelle Lösungen sind nicht ungewöhnlich bei BioS. Es gibt diverse Teilzeitmodelle, Homeoffice, wechselnde Büroarbeitsplätze, freiberufliche Tätigkeit. Das wäre in der Mühle auch nicht anders lösbar: Alle gleichzeitig finden keinen Sitzplatz.
Die Mitarbeiter der BioS scheint der Platzmangel wenig zu stören. Ein Kündigungsgrund scheint es zumindest nicht zu sein: Die Fluktuation ist sehr gering. Ein Wechsel findet meistens dann statt, wenn projektbezogene Stellen nicht verlängert werden können. Das ist immer dann der Fall, wenn in einem Bereich kein neues Projekt und damit keine neuen Gelder eingeworben werden können. Lieber wäre es der Führungsriege, ihre Kollegen unbefristet anzustellen, merkt Corinna Ahrensfeld an. Sie arbeitet in der Umweltbildung – gemeinsam mit zwei Kolleginnen, die auf Projektebene angestellt sind. „Wir sind einfach auf Drittmittel angewiesen“, führt Hans-Gerhard Kulp aus. „Das zwingt uns aber auch zu einer gewissen Kreativität, neue Projekte zu generieren.“ Die daraus entstehende kreative Dynamik sei zwar sehr positiv, führt Kulp weiter aus, allerdings müssten so einige interessante Projekte immer im „Windschatten“ derjenigen Projekte laufen, die Geld einbringen.
Flexible Denker
Diese Situation fordert auch von den Mitarbeitern eine große Flexibilität im Denken, genauso wie eine aktive Mitarbeit über die Projekte hinaus. Gefunden werden diese Kolleginnen und Kollegen meist recht einfach: Die direkte Ansprache ist hier das Mittel der Wahl. So waren fünf der acht Mitarbeiter des Gutachtenbüros ursprünglich als Praktikanten in der Station. Sie zeichneten sich durch besonders gute Artenkenntnis aus – ein wichtiges Kriterium für die Arbeit in der BioS – und wurden gezielt angeworben. So hat sich über die Zeit eine gute Altersmischung entwickelt. „Die, bei denen das Feuer brennt, bleiben“, meint Tasso Schikore. Was es mit diesem Satz auf sich hat, erklärt der Jüngste in der Runde, Jonas Linke, der in der Schutzgebietsbetreuung tätig ist und naturschutzfachliche Beiträge für die Untere Naturschutzbehörde erarbeitet. „Wir sind ein sehr von Idealisten geprägtes Team“, meint er. „Viele von uns sind bereit, sich auch über die Arbeit hinaus zu engagieren.“
Dabei denken die Mitarbeiter auch gern über die Grenzen ihres Landkreises hinaus. Repräsentativ dafür ist das Projekt MooNi (Moorschutz in Niedersachsen). In diesem Projekt wurden Umweltbildungsinstrumente entwickelt, um Interessierten Wissen über den Nutzen und die Dringlichkeit des Moorschutzes zu vermitteln. Und auch sonst zieht sich das Moor wie ein roter Faden durch das Tun der Biologischen Station. So veranstalten die Mitarbeiter im Programm „Wege ins Moor“ regelmäßig Führungen und Radtouren im Moor – vor allem auch an Wochenenden, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Dieses überdurchschnittliche Engagement mag erklären, wieso die BioS sowohl als Gutachterbüro wie auch als Verein insgesamt recht erfolgreich ist. „Tiefschläge waren eher die Ausnahme“, findet Schikore rückblickend. Die größten Probleme im Arbeitsalltag – neben dem ständigen Kampf um die Finanzierung der Stellen – sind Konfliktpotenziale, die vor allem im Austausch mit Jägern und Landwirten entstehen. Beide Gruppen haben oft Vorbehalte gegenüber den Artenschutzmaßnahmen vor allem, wenn sie ihre eigenen Rechte eingeschränkt sehen. Bei zufälligen Treffen im Gelände kann es dann schon mal zu spannungsgeladenen Situationen kommen. „Ich versuche, mich erst darüber aufzuregen, wenn niemand dabei ist“, meint Jonas Linke. „Anschuldigungen helfen nicht weiter. Wir wollen schließlich langfristig mit den Leuten zusammenarbeiten.“ Die einzige Möglichkeit, die aufgebrachten Gemüter zu besänftigen, ist, eine gemeinsame Sprache zu finden und durch stete Ortspräsenz die Kommunikation in beide Richtungen aufrechtzuerhalten. „Es ist unglaublich wichtig, dass man zusammen rausgeht und gemeinsam nach Lösungen sucht.“
Die Mühe zahlt sich aus: Vor allem beim Wiesenvogelschutz unterstützen einige Landwirte die Arbeit der Biologischen Station inzwischen aktiv. Einmal durch einen kartierenden Biologen auf ein Gelege inmitten der Wiese aufmerksam gemacht, denken viele um. „Da möchten viele Landwirte zeigen, dass auch sie einen Beitrag zum Naturschutz leisten“, stellt Kulp fest.
Mit Kontinuität zum Erfolg
Wichtig dafür ist die Kontinuität der Geländearbeit. Zu jeder Jahreszeit draußen präsent zu sein, Bestandsentwicklungen zu verfolgen und bei Fehlentwicklungen nachsteuern zu können, das ist für die Mitarbeiter der Biologischen Station ein klares Qualitätsmerkmal. „Die Präsenz in der Fläche ist etwas absolut Außergewöhnliches“, findet Kemmer. „Das können Behörden so nicht leisten.“
Diese Kontinuität hat auch zum Erfolg eines der Vorzeigeprojekte des Landkreises Osterholz beigetragen: des GR-Projekts „Hammeniederung“. Dieses Naturschutzgroßprojekt gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung diente von 1995 bis 2009 der Sicherung und Entwicklung des wichtigen Feuchtgebiets auf einer Fläche von etwa 27 km². Ohne die ehrenamtliche Sammlung von Daten über Flora und Fauna wäre das Gebiet nie FFH- und EU-Vogelschutzgebiet geworden, erzählt Tasso Schikore. Bis heute begleiten die Schutzstation und das Gutachterbüro das Gebiet, immer wieder ergeben sich Folgeaufträge, zum Beispiel die Erfassung nordischer Gastvögel im Rahmen der Effizienzprüfung entsprechender Förderprogramme.
Die Niederung ist aber nur ein Teil dessen, was die Ökologen in der Station heute betreuen. Insgesamt sind sie für 15.000 ha in Kooperation mit der Naturschutzbehörde verantwortlich. Die Gebietsbetreuung wird mit vier Teilstellen bewältigt. „Diese Intensität würden wir in Zukunft gern erhöhen“, wünscht sich Hans-Gerhard Kulp. Dafür wäre aber mehr Personal nötig – und dafür stehen bisher weder Gelder noch Räumlichkeiten zur Verfügung. An erster Stelle steht daher die Kontinuität – nicht nur in der Flächenbetreuung, sondern auch in der Langzeitperspektive für die Mitarbeiter.
Der Aktionsradius des Gutachterbüros erstreckt sich hingegen auf weite Teile Nordwestniedersachsens vor allem im Elbe-Weser-Dreieck und in Ostfriesland. Aber auch Kartierungen von Brutvögeln in den Küstenwäldern an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern waren in den letzten Jahren ein Schwerpunkt. Ein Schlüsselprojekt des Büros war sicherlich die Bearbeitung der „Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands“ im Jahr 2005; daraus folgte schließlich die Mitarbeit am aktuellen Brutvogelatlas (2014).
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Biologische Station Osterholz
Lindenstraße 40
D-27711 Osterholz-Scharmbeck
Tel. 0 47 91 / 96 56 99-0 Fax 0 47 91 / 89 325
E-Mail: info@biologische-station-osterholz.de
www.biologische-station-osterholz.de
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BIOS – Gutachten für ökologische Bestandsaufnahmen, Bewertungen und Planung
Lindenstraße 40
D-27711 Osterholz-Scharmbeck
Tel. 0 47 91 / 50 26 67-0 Fax 0 47 91 / 8 93 25
E-Mail: t.schikore@bios-ohz.de
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Betriebsdaten
- BioS, Gutachten für ökologische Bestandsaufnahmen, Bewertungen und Planung
- Gründung: 1989
- Gesellschaftsform: Wirtschaftlicher Zweckbetrieb des e.V. Biologische Station Osterholz
- Büropartner/innen: Hartmut Andretzke, Tasso Schikore, Karsten Schröder, Elke Thielcke
- Auftraggeberstruktur: 70 % öffentliche Hand, 20 % Gewerbe, 5 % Wohnungsbau, 5 % sonstige
- Tätigkeitsfelder: 20 % Landschaftsplanung, 20 % FFH-Grunddatenerfassung, 20 % Kartierung, 15 % Eingriffsregelung, 5 % FFH-Verträglichkeitsprüfungen, 5 % Grünordnungsplanung, 5 % Erholungsplanung, 2 % Umweltverträglichkeitsprüfung, 2 % Gewässerplanungen, 1 % Umweltbaubegleitung, 5 % weitere
- Mitarbeiter: 16, davon 11 Biologen/Ökologen, 1 Landschaftsarchitekt, 2 Techniker, 1 Agraringenieur, 1 Verwaltungsangestellte
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Philosophie
Als Gutachterbüro stehen wir öffentlichen und privaten Projektträgern mit ökologischen Bestandsaufnahmen, Bewertungen und Planungen in Natur und Landschaft beratend zur Seite. Dabei sind wir seit unserer Gründung 1989 der wirtschaftliche Geschäftszweig der Arbeitsgemeinschaft Biologische Station Osterholz e. V., des Natur- und Umweltzentrums im Landkreis Osterholz.
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Weitere Informationen: Einen Beitrag aus der ZDF-Sendung Abenteuer Wissen zum Thema Moorleichen finden Sie, wenn Sie den QR-Code aufrufen. Ab Minute 7.00 zeigt der Beitrag das Teufelsmoor und die Möglichkeit, im Moor zu versinken.
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