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Michael Succow

Wegbereiter des Naturschutzes

Vier Seiten sind viel zu wenig, um ein ganzes Leben zu beschreiben. Vor allem, wenn es ein so bewegtes und ereignisreiches ist wie das Michael Succows. In seinem Leben hat er vieles erreicht, und er ist noch längst nicht fertig. Uns hat er von der Vergangenheit und der Zukunft berichtet.
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1 Michael Succow ist einer der führenden Moorexperten Europas.
1 Michael Succow ist einer der führenden Moorexperten Europas.Michael Succow Stiftung
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„Da könnte ich viel erzählen.“ Dieser Satz Michael Succows trifft auf jedes einzelne Kapitel seines Lebens zu. Geboren 1941 in einem kleinen Dorf im damaligen Kreis Oberbarnim östlich von Berlin, genießt er unter Ökologen heute eine internationale Reputation. Der Grundstein dafür wurde bereits in frühester Kindheit gelegt. „Meine ersten Erinnerungen gelten nicht nur der Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg“, erzählt mir der Moorökologe in unserem ersten Gespräch. „Es sind vor allem die Vögel und Moore meiner Heimat, an die ich mich erinnere.“

Auf dem Hof seines Vaters hütete er Schafe und begann, seine Naturbeobachtungen aufzuzeichnen. Bis heute hat er zwölf Tagebücher gefüllt mit Aufzeichnungen über Vögel, Natur und seine Umwelt. „Damals gab es eine unglaubliche Artenfülle, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann“, schwärmt Succow – und stellt das eindrücklich unter Beweis, als er eine geschlagene Minute Arten aufzählt, die damals seine Heimat bevölkerten und die man heute vergebens sucht. Das ist einer der typischen Einschübe, die Michael Succow in seine Erzählungen einbaut. Trotzdem gelingt es ihm problemlos, immer wieder zum roten Faden zurückzukehren: seinem Werdegang.

Als es schließlich an die Studienwahl ging, war seine Entscheidung klar: Biologie! Und zwar in Greifswald, denn hier konnte er seiner Leidenschaft für die Ornithologie nachgehen. Hier machte er bald Bekanntschaft mit der Staatssicherheit: Succow wurde aufgefordert, Bericht zu erstatten über seine Kommilitonen. Er weigerte sich und erklärte: „Dann werde ich Schäfer!“ Glaubwürdig erklärte er, dass er dann, wie schon als Kind, Schafe hüten würde. Und ein Buch über die Vogelwelt Brandenburgs wolle er schreiben. Die Stasi kaufte ihm die Geschichte ab. In ihren Unterlagen war schließlich zu lesen: „Der Student Succow ist für unsere Arbeit nicht geeignet. Er ist blauäugig, er ist geschwätzig, er ist unzuverlässig.“

Große Vorbilder

Succow widmete sich stattdessen von den Genossen unbehelligt seinem Studium. Schon bald entdeckte er neue Themengebiete für sich. Vor allem der Botaniker Werner Rothmaler faszinierte ihn und so wechselte er in die Vegetationskunde. Der Tod Rothmalers noch während seines Studiums war ein heftiger Einschnitt für den werdenden Wissenschaftler. Sein neuer Mentor wurde Franz Fukarek. Er wurde dessen Assistent und promovierte über Flusstalmoore Vorpommerns und deren anthropogene Umwandlung.

Schon bald machte Succow sich als Vegetationsökologe und Moorwissenschaftler einen Namen. Die TU Dresden verlieh ihm 1984 die Facultas docendi und bemühte sich, ihn als ersten Professor für Landschaftsökologie an die Forstwissenschaftliche Fakultät in Tharandt zu berufen. Das allerdings erlaubte die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR nicht, Succow sollte an keine Universität. Er war seit 1974 als Bodenkundler an der „Landakademie“ tätig, wo ihm aber schließlich 1987 der Professorentitel verliehen wurde, allerdings blieb er weiter Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er durfte aber immerhin auch Projekte im Ausland durchführen: 1973 in der Mongolei, 1987 bis 89 in Äthiopien jeweils als Bodenkundler beim Aufbau von Staatsgütern. Obwohl er kein „Reisekader“ war, fürchtete die Stasi nicht sein Überwechseln in die westliche Welt: Er galt als heimatverbunden und hatte eine „intakte Familie“, so ist es in seinen Stasi-Unterlagen zu lesen.

Die Wende rückt näher

In diesem Fall behielt die Staatssicherheit Recht: Ein Verlassen der DDR kam für Succow nie in Betracht „Ich dachte immer: Wir können doch nicht alle dieses Land aufgeben“, erinnert er sich. Zudem ahnte er schon früh: Die Deutsche Demokratische Republik war bereits Mitte der 1980er-Jahre ökonomisch am Ende, ein Auslaufmodell.

Auf Drängen der Bürgerbewegung wurde Michael Succow im Januar 1990 als Stellvertreter des Umweltministers in die Regierung berufen. Sein selbstgewählter Aufgabenbereich war Naturressourcenschutz und Landnutzungsplanung. Er durfte sich seine Mitarbeiter (Freunde und Weggefährten) selbst zusammenstellen. „Wir hatten damals die Vision, eine ökologische Republik aufzubauen“, erzählt er. „Und in dieser Aufbruch- und Umbruchsituation hatten wir überraschend viele Freiheiten.“ Seine Fachexpertise wurde ernst genommen, Vorschläge ohne lange Diskussionen akzeptiert. Bereits im Frühjahr 1990 wurden die bezirksgeleiteten Agrochemischen Zentren geschlossen, ebenso die volkseigenen Meliorationskombinate und die ungefähr 60 zentral geleiteten Kombinate „Industrielle Mast“. Stattdessen konnte er mit seinem Stab die einstweilige Sicherung von Großschutzgebieten auf den überflüssig werdenden Truppenübungsplätzen, Grenzsicherungsräumen und Staatsjagdgebieten durch Ministerratsbeschluss Mitte März 1990 erwirken. Immerhin waren das circa 12 % der Landesfläche der DDR. In der letzten Sitzung des Ministerrats der DDR im September 1990 konnte fast die Hälfte dieser Flächen endgültig gesichert werden, 4,5 % des Territoriums der DDR. Das wurde mit dem Einigungsvertrag als „Nationalparkprogramm“ der DDR besiegelt, dabei handelte es sich um die ersten fünf Nationalparke, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparke „neuer Prägung“. Die restlichen Flächen wurden in den nachfolgenden Jahren von allen neuen Bundesländern ebenfalls in Großschutzgebiete geführt. In all diesen Schutzgebieten wird heute beispielhaft Naturschutz, Forschung und nachhaltige Landnutzung umgesetzt.

Der Mensch im Fokus

Succow macht seinen Erfolg aber nicht an materiellen Dingen fest. Stattdessen sind für ihn die Menschen wichtig, die er für seine Anliegen gewinnen konnte. „In meinem Leben war ich umgeben von Idealisten, die versuchten, die Gesellschaft vernünftiger, nachhaltiger zu gestalten“, meint er. „So kann ich auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken, mit einem Netzwerk wirklich guter Freunde, mit denen ich gemeinsam für Mensch und Natur etwas erreichen konnte.“

Dieses Netzwerk, das schon zu DDR-Zeiten die Grenzen der Republik deutlich überschritt, intensivierte sich mit der Wiedervereinigung. Succow folgte dem Ruf der TU Berlin, die im Eilverfahren im Sommer 1990 eine Gastprofessur im Institut für Ökologie bei Prof. Herbert Sukopp für ihn schuf. Kurze Zeit später, 1992, folgte der Ruf nach Greifswald. Dort galt es, das Botanische Institut neu aufzubauen. „Professor Wolfgang Haber meinte damals zu mir: ‚In dem nun für Sie neuen Gesellschaftssystem haben Sie die größte Freiheit als Hochschullehrer. Sie sind nur Gott und Ihrer Frau verpflichtet.‘ Und ich blieb nicht in der Politik“, lacht Succow. In Greifswald gelang es ihm, innerhalb von nur sechs Jahren vier Stiftungsprofessuren in sein Institut zu bringen. Er internationalisierte den Studiengang und sorgte dafür, dass die Gesamtzusammenhänge der Ökologie einschließlich der Landschaftsökonomie und der Ethik in den Vordergrund rückten.

Neue Ziele

Im Jahr 2006 endete schließlich Succows Dienstzeit als Hochschullehrer. An den Ruhestand denkt er deshalb lange noch nicht. Im Gegenteil: Bereits sieben Jahre zuvor hatte er das Preisgeld des Right Livelihood Awards als Grundstock genutzt, um die Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur zu gründen. Mit der Stiftung folgt er den Leitgedanken Erhalten, Haushalten, Werthalten. „Stiftungen haben mir viel ermöglicht. Und ich möchte mit meiner Stiftung davon der Gesellschaft etwas zurückgeben, um dem Gemeinwohl zu dienen“, meint Succow.

Dabei geht es in seinen Projekten nicht um den reinen Naturschutz. Succows Anliegen ist, die Natur in ihrer Funktionstüchtigkeit für uns Menschen zu erhalten. Ein wichtiger Wirkungsbereich ist, weltweit mitzuhelfen, ökologisch intakte, regionale Wirtschaftsregionen zu erhalten. Dafür bietet sich das von der UNESCO weit vorausschauend vor nunmehr 50 Jahren etablierte Programm „Man and Biosphere“ an. Ein Schwerpunkt der Michael Succow Stiftung ist es, Biosphärenreservate und Welterbestätten zum Erhalt traditioneller, von Nachhaltigkeit geprägter Lebensweisen mit aufzubauen. „Der menschlichen Zivilisation eine Zukunft zu geben, ist heute die größte Herausforderung“, meint er. „Wenn wir die vor allem durch uns reiche Länder maßgeblich veränderte Welt zukunftstauglich für unsere Enkel erhalten wollen, dann müssen wir auch bereit sein, Produkte aus anderen Weltteilen zu Preisen der Wahrheit und im Sinne von Weltgerechtigkeit zu bezahlen.“ Und Succow weiß, wovon er spricht: Er war vor Ort. Allein in Äthiopien 26 Mal, ebenso in zahlreichen anderen Ländern.

Es ist beeindruckend, mit welchem Selbstverständnis Michael Succow von seinen Projekten an der Universität und nun in der Stiftung erzählt: von Moorrenaturierungen, Biosphärenreservaten und Welterbegebieten in Weißrussland, den Weiten Russlands, in China, der Mongolei, den Ländern Mittelasiens, dem Kaukasus und der Ukraine, dem Iran, in Afrika und Zentral- und Südamerika. Der Ökologe ist dabei immer an vorderster Front, auch unser erstes Telefonat ist passgenau zwischen größere Auslandsreisen, ein persönliches Treffen maßgeschneidert zwischen wichtige Termine eingefügt.

Dass in manchen dieser Länder die Diktatur noch die geltende Regierungsform ist, schränkt die Arbeit nur wenig ein. „Man kann in Diktaturen einiges erreichen, wenn man ohne Feindschaft, sondern mit Freundlichkeit auf die Reichtümer der Natur hinweist“, weiß Michael Succow zu berichten. „Ich gehe in die Höhle des Löwen, und Mensch und Natur haben etwas davon!“ Die Jahre des Umgangs mit der DDR-Regierung haben ihn offensichtlich geprägt, er weiß, dass gute Ideen nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern nur mit Überzeugungskraft und wissenschaftlicher Argumentation umgesetzt werden können.

Die Machtlosigkeit der Demokratie

Michael Succow hat zwei Gesellschaftssysteme kennengelernt und das Erlebte ausführlich reflektiert. Sein Fazit ist klar: „Die Demokratie ist das höchstentwickelte System!“ Doch zugleich bereitet ihm eines große Sorge: „Der Umgang mit der notwendigerweise zu nutzenden Landschaft, der Erhalt ihres Naturhaushalts, denn Landschaft ist nicht vermehrbar“, beklagt er.

Sein Heimatort ist ein greifbares Beispiel dafür: Anstelle einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt in einer historisch gewachsenen alten Kulturlandschaft finden sich heute Mais-Monokulturen ohne den Gesang der Feldlerche, ohne Regenwürmer und blühende Kornblumen. Eine Agrarindustrie, das Spekulieren mit Boden, von der Politik befördert, vom Steuerzahler mit subventioniert, hat weiträumig ruinierte Böden hinterlassen, ist zunehmend lebensfeindlicher. Kein Wunder, findet Succow, dass viele AfD wählen angesichts der Perspektivlosigkeit. „Das ist für mich ein Begreifen der Machtlosigkeit in einer Demokratie!“, betont der Ökologe, und stellt die ketzerische Frage: „Wie lange können Demokratien in Zeiten des menschengemachten Klimawandels und der rasanten Verknappung des Naturkapitals noch menschenfreundlich bestehen?“

Doch Michael Succow sieht auch einen Lichtstreif am Horizont seiner düsteren Zukunftsaussichten. Es sind die jungen Menschen von Fridays for Future, die ihm Hoffnung geben. „Diese jungen Leute, noch unverdorben, die durch die Straßen ziehen“, meint er. „Da finden sich viele kluge und starke Menschen, vor allem junge Frauen. Wenn diese Persönlichkeiten es schaffen, weiter Menschen um sich zu scharen, gibt es eine Zukunft.“ Um diese Zukunft zu erreichen – Succow verwendet hier gerne den Begriff einer enkeltauglichen Gesellschaft – braucht es Weisheit: das Zusammenspiel von Wissen und Verantwortung. Denn, so meint er: „Die Corona-Krise hat uns gezeigt: Die Natur ist doch die Stärkere, sie hat immer Regulative.“ Das zeige, dass unser überhitztes, globalisiertes Wirtschaftssystem, dieses ständige Streben nach Maximierung, nach größtmöglicher Rendite im Bewusstsein der Begrenztheit der Naturressourcen nicht zukunftsfähig ist.

Zukunftspläne

Dann wechselt Succow das Thema, denn Schwarzmalerei ist seine Sache nicht. „Das ist der erste Teil eines sehr erfüllten Lebens“, scherzt er. Erfüllt und immer noch voller Pläne: Sein neues großes Moorbuch steht kurz vor dem Abschluss, anschließend will der Ökologe die Geschichte der Kulturlandschaft seiner Heimat niederschreiben, basierend auf seinen Tagebüchern. Außerdem ist schon die nächste Reisen in Planung, nach Aserbaidschan, nach Äthiopien. „Langeweile gibt es nicht“, lacht Succow. „Schön ist, dass man gebraucht wird und nicht allein ist in einer Welt voller Wunden!“

 

Michael Succow ist Biologe und hat als Moorökologe internationale Bekanntheit erreicht. Er gilt als Wegbereiter des Naturschutzes nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Heute engagiert sich Succow in der von ihm gegründeten Stiftung und arbeitet an Büchern zu Mooren und der Kulturlandschaftsentwicklung seiner Heimat.

Lebenslauf
  • Geboren 21. April 1941 in Lüdersdorf im Osten Brandenburgs
  • 1960–1965 Biologiestudium an der Universität Greifswald
  • 1965 Familiengründung, zwei Töchter
  • 1970 Promotion mit dem Thema „Die Vegetation der nordmecklenburgischen Flusstalmoore und ihre anthropogene Umwandlung“ an der Universität Greifswald mit „summa cum laude“
  • 1981 Verteidigung der Habilitationsschrift „Landschaftsökologische Kennzeichnung und Typisierung der Moore der DDR“ an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften
  • 1990 Gastprofessur für „Angewandte Ökologie“ an der Technischen Universität Berlin
  • 1992 Berufung zum Universitätsprofessor an den Lehrstuhl für Geobotanik und Landschaftsökologie und zum Direktor des Botanischen Instituts und Botanischen Gartens der Universität Greifswald.
  • 1999 Gründung der Michael Succow Stiftung
  • 2006 Eintritt in den (Un-)Ruhestand
  • 2019 Ehrendoktorwürde an der Western Caspian University, Baku
Philosophie

Es geht darum, zu begreifen, dass wir uns in diesem so wunderbar ökologisch gebauten Haus Erde einzufügen haben, dass wir Teil des Ganzen sind. Und dafür braucht es eine Wertediskussion!“

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