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Mehr als nur Sand

Integriertes LIFE-Projekt Atlantische Sandlandschaften

„Atlantische Sandlandschaften“ ist das erste Integrierte LIFE-Projekt Deutschlands im Bereich Natur. Im Februar erhielt das Projekt die Auszeichnung der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Wir haben das umfangreiche Vorhaben für Sie unter die Lupe genommen.

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1  Die Anlage temporärer Kleingewässer im Projektgebiet in den Dammer Bergen war nur mit Kettenfahrzeugen möglich.
1 Die Anlage temporärer Kleingewässer im Projektgebiet in den Dammer Bergen war nur mit Kettenfahrzeugen möglich.Frank Körner, Natur-schutzring Dümmer e.V.
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Zehn ausgewählte FFH-Arten, 15 Lebensraumtypen, fast 17 Millionen Euro Projektumfang. Allein diese drei Zahlen lassen erahnen, dass dieses LIFE-Projekt alles andere als gewöhnlich ist. Und doch steht über all dem ein klar übergeordnetes Ziel: Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wollen gemeinsam zur Trendwende beim Verlust der Artenvielfalt und wertvoller Naturräume beitragen. Dr. Martina Raffel und Dr. Sebastian Schmidt von der Bezirksregierung Münster erklären, wie dieses Ziel erreicht werden soll.

Martina Raffel ist Diplombiologin, hat sich im Studium in Bielefeld auf Verhaltensökologie, Zoologie und Physiologie spezialisiert. Zuletzt war sie Kuratorin für In-situ-Artenschutz im Allwetterzoo Münster. Im Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Sebastian Schmidt hat in Münster Landschaftsökologie studiert, war dann wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hamburg und Münster. Heute ist er Projektkoordinator für das Integrierte LIFE-Projekt (IP-LIFE). „Ich wurde mit dieser Aufgabe ziemlich ins kalte Wasser geworfen“, gibt er zu. „Aber ich hatte auch viel Unterstützung hier im Haus.“ Haus, das meint die Bezirksregierung Münster, der die Gesamtkoordination für „Atlantische Sandlandschaften“ übertragen wurde. Neben Raffel und Schmidt arbeiten noch zwölf weitere Personen auf insgesamt neun Projektstellen bei der Bezirksregierung Münster, beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) und beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) an dem Projekt. Hinzu kommen unzählige weitere Personen in der Bezirksregierung und den Fachbehörden, die zumindest in Teilen involviert sind. Die Gesamtverantwortung für das Projekt liegt beim Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV) als koordinierendem Zuwendungsempfänger und dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz als assoziiertem Zuwendungsempfänger.

Länderübergreifende Zusammenarbeit

Die Projektidee entstand schon im Jahr 2014, als beim MULNV und im LANUV in NRW schließlich erkannt wurde, dass die Schutzgüter der atlantischen Regionen Deutschlands länderübergreifend existieren und nur durch eine strategische Zusammenarbeit der Bundesländer in ihrem Erhaltungszustand verbessert oder zumindest gehalten werden können. „Wenn wir die FFH-Lebensraumtypen unabhängig voneinander pflegen, mögen wir vielleicht lokal etwas erreichen, aber es schlägt sich nicht im FFH-Bericht nieder, weil in Niedersachsen dann vielleicht andere Prioritäten gesetzt wurden“, erläutert Schmidt die Bedeutung einer solchen Zusammenarbeit.

Insgesamt 70 000 Quadratkilometer Fläche sind in Deutschland zu der atlantischen Region zu rechnen. 80 Prozent davon liegen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Zu viel, um alle Schutzgüter zu berücksichtigen, zumal der FFH-Bericht 2013 den Erhaltungszustand der atlantischen Lebensraumtypen zu 48 Prozent als „ungünstig bis schlecht“ bewertet. Auch im Hinblick auf die FFH-relevanten Tier- und Pflanzenarten zeigt der Bericht kaum bessere Ergebnisse – akuter Handlungsbedarf also.

Zwei Säulen

Um ein Projekt in dieser Größenordnung bei einer solch schwierigen Ausgangslage zu stemmen, waren umfangreiche Vorbereitungen notwendig. Insgesamt anderthalb Jahre wurde an dem Projektantrag gefeilt – von Sebastian Schmidt und einem Kollegen beim NLWKN, die beide eigens für diese Aufgabe eingestellt wurden. Zum 1. Oktober 2016 schließlich genehmigte die EU-Kommission das Projekt – als erstes Integriertes LIFE-Projekt im Bereich Natur in Deutschland.

Es verfolgt dabei zwei Teilziele, die als die beiden tragenden Säulen betrachtet werden können. Die erste Säule bildet die Erarbeitung einer Gesamtkonzeption, um zu klären, wie die Schutzgüter der Länder in ihrem Erhaltungszustand verbessert werden können. Hierzu mussten vor allem die verfügbaren Flächen, aber auch die benötigten Flächengrößen für eine Erfolg versprechende Aufwertung und die Finanzierbarkeit untersucht werden. „Hier wurde schnell deutlich, dass wir die Schutzgüter überregional betrachten müssen“, erinnert sich Sebastian Schmidt. „Die Flächen hören nicht einfach an der Landesgrenze auf und nur gemeinsam können Maßnahmen effektiv gestaltet werden.“

Auf dieser Basis erfolgte zuerst eine Eingrenzung auf 15 Lebensraumtypen und 10 Arten, die besonders charakteristisch den atlantischen Einfluss repräsentieren. So wurden beispielsweise Heide- und Dünenlandschaften, artenreiche Borstgrasrasen und nährstoffarme Stillgewässer als Lebensraumtypen berücksichtigt. „Wir haben zu Anfang des Projekts gründlich über jeden Lebensraum diskutiert: Brauchen wir den wirklich?“, berichtet Schmidt. Die Fokussierung war notwendig, eine Ausweitung des Lebensraum- und Artenspektrums hätte zu einer Verringerung des Budgets für die einzelnen Teilprojekte geführt.

„Die Abgrenzungen erfolgten auch mit Blick auf andere Großprojekte, die in den beiden Bundesländern existieren“, ergänzt Schmidt. „Das führte dazu, dass in den beiden Bundesländern teilweise ein anderes Repertoire bedient wird.“ So findet in Niedersachsen derzeit ein Moorschutzprogramm statt. Die niedersächsischen Moorflächen fanden daher im Projekt weniger Berücksichtigung. Schließlich sollen die Maßnahmenpakete nicht miteinander konkurrieren. Stattdessen sollen Synergien entstehen. Das betrifft auch verschiedene Teillebensräume und Arten, die nicht zu den Zielarten des LIFE-Projekts zählen.

Die ausgewählten Lebensraumtypen sollen in der zweiten Säule des Projekts, der Maßnahmenumsetzung, optimiert beziehungsweise wiederhergestellt werden. Zugleich sollen die Bestände dort lebender Fokusarten, wie zum Beispiel Knoblauchkröte, Laubfrosch und Kammmolch, gestärkt werden.

Von der Planung zur Praxis

Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt nun über zehn Jahre verteilt in vier aufeinanderfolgenden Phasen. „Schon in der Planungsphase haben wir ein Netzwerktreffen einberufen, über das Projekt informiert und um Mitwirkung gebeten“, erklärt Schmidt. Die Resonanz darauf war höher als erwartet – die Umsetzungsmaßnahmen wurden aus fast 700 Vorschlägen ausgewählt, die nach dem Aufruf bei den Projektkoordinatoren eingereicht wurden.

Für die erste, Ende März abgeschlossene Umsetzungsphase wurden schließlich diejenigen Projekte ausgewählt, die besonders erfolgversprechend erschienen. Insgesamt wurden 98 Maßnahmen auf etwa 60 Flächen ausgeführt, 26 davon in Nordrhein-Westfalen, 72 in Niedersachsen. „Wir haben uns sozusagen erst mal auf ‚leicht umsetzbare‘ Maßnahmen konzentriert, aus denen wir dann auch für die kommenden Phasen lernen können“, so Schmidt. „So profitieren wir von unseren eigenen Erfahrungen und können für die kommenden Maßnahmen noch nachsteuern.“ Gleichzeitig lag der Fokus in der ersten Projektphase auf einer gewissen Kleinflächigkeit. „So konnten wir überall etwas umsetzen. Später soll es dann aber auch eher großräumige Maßnahmen oder verschiedene Leuchtturmprojekte geben.“

Herausforderungen

„Leicht umsetzbare Maßnahmen“ – das klingt erst einmal unproblematisch. Allerdings musste Schmidts Team sich auch einigen Herausforderungen stellen. Die resultierten nicht nur aus den Unterschieden der beiden kooperierenden Bundesländer. Auch deren Rolle im Projekt war gänzlich neu. „Bisher waren die beiden Landesregierungen immer nur Zuwendungsgeber beziehungsweise Kofinanzier“, erläutert der Landschaftsökologe. „Nun aber sind wir Zuwendungsempfänger, müssen selber Rechenschaft ablegen. Das war Neuland für uns.“

Erfolg geht nur gemeinsam

Eine Besonderheit des Großprojekts ist Sebastian Schmidt dabei besonders wichtig: „Ohne die Partner vor Ort können wir nichts umsetzen!“ Denn die beiden Ministerien in NRW und Niedersachsen sind auf die Zusammenarbeit angewiesen, auf den Input, den nur die Gebietsbetreuer liefern können. „Wir haben da zu Projektbeginn schon eine gewisse Skepsis feststellen müssen“, erinnert sich Schmidt. „Im Laufe der ersten Projektphase hat sich das allerdings gelegt.“ Vor allem der Arbeitsaufwand für die Planungen, den die Projektpartner teilweise selbst finanzieren müssen, stieß auf Widerstand. Zudem ist das Konzept der grenzübergreifenden Zusammenarbeit einfach neu und ungewohnt.

Partner sind häufig die Unteren Naturschutzbehörden und in NRW vor allem die Biologischen Stationen. „So hatten wir in diesem Bundesland schon ein recht weitreichendes Netzwerk mit Ausschreibungserfahrung“, erklärt der Landschaftsökologe. „In Niedersachsen war der Netzwerkaufbau schwieriger.“ Hier arbeiten die Projektkoordinatoren beispielsweise mit NABU-Kreisverbänden zusammen. „Es beruht aber sehr viel auf Freiwilligkeit. Wir können niemanden zur Zusammenarbeit verpflichten.“

In den vier Jahren seit der Antragsstellung ist ein eng verzahntes Netzwerk entstanden. Was anfangs noch umständlich den behördlichen Dienstweg ging, kann heute sehr oft einfacher und schneller durch einen kurzen Anruf geklärt werden. Zwei- bis dreimal jährlich werden auch Netzwerktreffen veranstaltet, um den Erfahrungsaustausch zu fördern. „Da staune ich manchmal selbst: Das haben wir schon alles geschafft?“, lacht Schmidt. Dazwischen werden die Partner regelmäßig über den aktuellen Stand informiert. Dieser Teil der Arbeit fällt in Martina Raffels Aufgabenbereich. „Wir haben im Vorfeld ausführlich darüber diskutiert, wie die Öffentlichkeitsarbeit ablaufen soll“, erklärt die Biologin. „Wir richten uns überwiegend an das Fachpublikum, unter anderem mit einem Newsletter.“ Die Aufgabe, auch die breite Öffentlichkeit zu informieren, fällt dann den Partnern vor Ort zu, die die Einzelprojekte betreuen. Die Projektkoordinatoren stehen hier zwar zur Seite und gestalten beispielsweise auch Exkursionen mit, doch die Projektbetreuer selbst sind es, die die jeweiligen Maßnahmen im Detail kennen und aus ihrer täglichen Arbeit berichten können.

Eine weitere Säule der Öffentlichkeitsarbeit wird auch die Teilnahme an der GfÖ-Tagung im September sein. „Eine Session dort wird von unserem LIFE-Projekt gestaltet“, erzählt Raffel. „‚Atlantische Sandlandschaften‘ hat ja definitiv Pilotcharakter durch die länderübergreifende Zusammenarbeit.“ Vielleicht hat das Projekt so auch eine Vorbildfunktion für zukünftige Vorhaben.

Projektdaten

Koordinierender Zuwendungsempfänger: Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
Assoziierter Zuwendungsempfänger: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz
Projektkoordination: Bezirksregierung Münster
Laufzeit: Okt. 2016 bis Sept. 2026
Arten: Kreuzkröte, Europäischer Laubfrosch, Knoblauchkröte, Moorfrosch, Kleiner Wasserfrosch, Kammmolch, Froschkraut, Große Moosjungfer, Schlingnatter, Zauneidechse
Lebensraumtypen: Trockene Sandheiden mit Besenheide und Ginster (2310), Trockene Sandheiden mit Besenheide und Schwarzer Krähenbeere (2320), Dünen mit offenen Grasflächen mit Silber- und Straußgräsern (2330), Nährstoffarme, sehr schwach mineralische Gewässer der Sandebenen (3110), Nährstoffarme bis mesotrophe (= mit mittlerem Nährstoffgehalt) stehende Gewässer mit Strandlings-Gesellschaften (3130), Dystrophe (= nährstoffarme, huminsäurereiche und kalkfreie) Seen und Teiche (3160), Feuchte Heiden des nordatlantischen Raumes mit Glockenheide (4010), Trockene europäische Heiden (4030), Formationen von Heide-Wacholder auf Kalkheiden und -rasen (5130), Artenreiche Borstgrasrasen (6230), Lebende Hochmoore (7110), Noch renaturierungsfähige degradierte Hochmoore (7120), Übergangs- und Schwingrasenmoore (7140), Torfmoor-Schlenken (7150), Moorwälder (91D0)
Finanzierung: 60 % EU, je 20 % Land NRW und Land Niedersachsen
Finanzierungsumfang: 16,875 Mio. €

Philosophie

„Wir möchten möglichst viele Beteiligte ins Boot holen. Naturschutz in dieser Größenordnung kann nur gemeinsam funktionieren.“

Weitere Infos

Weitere Infos zum Projekt finden Sie über den QR-Code oder über den WebcodeNuL4736.

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