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Habitatbäume

Exoskelett für Baumtorsi

Für den Naturschutz sind alte, hohlraumreiche Baumtorsi von größter Bedeutung. Sie sind jedoch oft stand- und bruchgefährdet. Einem Projektteam ist es gelungen, einen besonderen Baumtorso in einer Würzburger Grünanlage mit einem Upcycling-Außenskelett aus Carbon zu sichern. Jonas Renk stellt das Projekt vor.

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11) Über Baumgurte sind die Carbonstäbe an zwei Stellen jeweils mit dem Stamm verbunden.
11) Über Baumgurte sind die Carbonstäbe an zwei Stellen jeweils mit dem Stamm verbunden.Jonas Renk
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Große alte Bäume sind vielfältige Lebensräume für zahlreiche und teils seltene Arten – von ihrer äußersten Wurzel bis in die Kronenspitze. Auch ihre Stämme, in denen sich im Laufe der Zeit Strukturen wie Löcher, Höhlen, Spalten und Rindentaschen bilden, übernehmen wichtige Biotopfunktionen und sind insofern von besonderer Bedeutung für die biologische Vielfalt (Biodiversität). Aus diesem Grund sollten sie bestmöglich erhalten werden. Andererseits weisen gerade Bäume mit strukturreichen Stämmen naturgemäß oft eine verringerte Stand- und Bruchsicherheit auf, was der Verkehrssicherungspflicht konträr gegenübersteht.

Bei entsprechenden Bäumen, die ansonsten vollständig gefällt werden müssten, kann der fachgerechte Rückschnitt zum Baumtorso ein Kompromiss im Sinne einer pragmatischen und biodiversitätsfördernden Alternative zur kompletten Fällung sein. Um sehr hohe Torsi möglichst lange zu erhalten, können mit der Zeit jedoch auch nach diesem Rückschnitt Maßnahmen zur Stabilisierung notwendig werden. Eine Lösung dafür wurde vor wenigen Jahren in einem Pilotprojekt in Augsburg entwickelt: die Sicherung besonderer Baumstämme mittels Upcycling-Carbonstäben. In Anlehnung an das Augsburger Projekt wurde in diesem Jahr in einer Würzburger Grünanlage ein noch größerer Baumtorso mit besonders strukturreichem Stamm durch ein Carbon-Exoskelett gesichert. Neu daran: Die Bauweise wurde so weiterentwickelt, dass das Exoskelett einschließlich der Fundamente später zur Sicherung anderer geeigneter Baumstämme wiederverwendet werden kann.

Baumtorsi in Würzburg

Das Würzburger Gartenamt lässt in den städtischen Grünanlagen bereits seit Längerem geeignete Stämme von größeren Bäumen, die ansonsten aufgrund zu geringer Stand- und Bruchsicherheit vollständig gefällt worden wären, als Baumtorsi stehen. Gerade in den letzten Jahren seit dem Hitzesommer 2018 mussten im ohnehin sehr niederschlagsarmen und warmen Würzburg viele alte Bäume wegen massiver Hitze- und Trockenschäden sowie Baumkrankheiten aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Dabei wurden häufig Baumtorsi und liegendes Totholz vor Ort belassen.

Projektidee

Nach dem fachgerechten Rückschnitt von gefährlichen, also standsicherheitsgefährdeten Bäumen zu Baumtorsi sind die Stämme zwar nicht mehr dem Gewicht der Baumkronen und deren Windeinwirkungen ausgesetzt, verlieren aber mit der Zeit durch Fraß, Zersetzungsprozesse und Witterungseinflüsse immer mehr an Standsicherheit. Daher müssen sie früher oder später stabilisiert werden, was insbesondere bei sehr hohen und dicken Stämmen eine gewisse Herausforderung darstellt.

Die Idee für das Würzburger Carbon-Exoskelett-Projekt kam auf, nachdem bei einem Pilotprojekt im Augsburger Siebentischwald ein etwa 7,5 m hoher und rund 3 t schwerer Torso einer abgestorbenen Buche mittels Carbonstäben aus ausgedienten Rotorblättern von Windkraftanlagen stabilisiert wurde. Die Carbonstäbe wurden dort mittels Gurtbändern am Stamm und mit Mineralschotter im Boden befestigt. Die filigrane Stützkonstruktion ist optisch sehr unauffällig und entwickelt voraussichtlich mit der Zeit eine ähnliche Bewitterungsschicht wie der Stamm selbst – mit Moosen und Flechten, was dem Material nicht schadet.

Der dem Augsburger Projekt zugrunde liegende Ansatz zur Weiterverwendung von Carbonstäben zur Baumsicherung geht auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachexperten zurück. Die Carbon-Spezialisten Dr. Michael Heine (Consultant Process Innovation der CME Carbon Materials Engineering und Innovation Mentor der Composites United e. V.) und Franz Weißgerber (Carbon-Werken Weißgerber in Wallerstein und Geschäftsführer der Firma iii-Carbon Weißgerber aus Reimlingen) beschäftigen sich schon seit Langem mit der Weiterverwendung von Carbon-Elementen, deren Nutzungsdauer in der ursprünglich vorgesehenen Anwendung erreicht ist.

Die Grundidee für die Nutzung als Exoskelett an Baumtorsi wurde zusammen mit Andreas Detter, Baum-Sachverständiger bei Brudi und Partner TreeConsult in Gauting, entwickelt. Der Augsburger Baumtorso wurde von der Stadt Augsburg ausgewählt und für das Testprojekt zur Verfügung gestellt. Andreas Detter erstellte mit Hilfe der Spezialsoftware Arbostat eine Abschätzung der Spitzenlasten. Auf dieser Grundlage erfolgte die konstruktive Auslegung der Stützen durch Prof. Dr.-Ing. Tobias Dickhut (Universität der Bundeswehr München). Gemeinsam mit Robert Dettenrieder, der beim Amt für Grünordnung der Stadt Augsburg für die Baumpflege verantwortlich ist, wurde das Projekt dann realisiert.

Das Würzburger Carbon-Exoskelett

Der innovative Ansatz der Baumsicherung traf auf großes Interesse und es kam insbesondere in Oberbayern zu verschiedenen Folgeprojekten, die auf dem Augsburger Projekt aufbauen und mit Hilfe des Projektteams umgesetzt wurden. Beim Würzburger Carbon-Exoskelett-Projekt handelt es sich deutschlandweit um das sechste Projekt, bei dem ein größerer Baumstamm mittels Exoskelett aus Upcycling-Carbonstäben gesichert wird.

Das Projekt kam durch die Kooperation zwischen der Stadt Würzburg und der Wildlebensraumberatung für Öffentliches Grün der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) mit den bereits durch die vorangegangenen Carbon-Exoskelett-Projekte erfahrenen Baumexperten Andreas Detter und Robert Dettenrieder sowie den Carbon-Spezialisten Dr. Michael Heine und Franz Weißgerber zustande. Seitens der Stadt Würzburg waren insbesondere Claudia Balling, Leiterin der Fachabteilung für Naturschutz und Landschaftspflege und Dr. Heike Lenz, Artenschutz-Fachexpertin und CEF-Managerin beim Gartenamt der Stadt Würzburg in das Projekt involviert.

Gesichert werden sollte ein etwa 11m hoher Torso einer abgestorbenen Schwarzkiefer in der städtischen Parkanlage an der Frankenwarte auf dem Nikolausberg, einer Anhöhe im westlichen Stadtgebiet. Der Torso weist außergewöhnlich viele Spechthöhlen, Fraß- und Bohrlöcher, abstehende Rindenstücke und andere wichtige Habitatstrukturen für teils seltene Tiere auf und bietet daher ein besonderes Potenzial zur Förderung der Biodiversität im Park.

Im Dezember 2021 wurden die Carbonstäbe aus Restmaterialien der Industrie durch Franz Weißgerber und die Carbon-Werke Wallerstein in geeigneter Form aufbereitet. Im Januar 2022 wurde das Exoskelett innerhalb eines Vormittags mit Hilfe eines Raupenbaggers errichtet: die Schraubfundamente eingedreht, die Carbonstäbe montiert, das Exoskelett mit dem Torso verbunden. In den Folgejahren ist eine jährliche Sicherheitskontrolle des Baumtorsos und des Exoskeletts vorgesehen.

Fazit

Die Wiederverwendung bearbeiteter Upcycling-Carbonstäbe in Exoskeletten ist ein interessanter Ansatz für die Sicherung der Stämme besonderer Bäume oder Baumtorsi. Allerdings ist der Ansatz sehr aufwendig, daher handelt es sich aktuell wohl kaum um eine Standard-Maßnahme zur Baumsicherung im öffentlichen Raum. Vielmehr eignet sich der Ansatz derzeit einerseits – wie in Würzburg – für den Erhalt bestimmter größerer Baumtorsi mit sehr ausgeprägten Lebensraumstrukturen, die auch seltene Tiere bewohen und die daher vor Ort von großer Bedeutung für die Biodiversität sind. Zum anderen kommen große, alte Bäume für die Maßnahme infrage, bei denen aufgrund mangelnder Stand- und Bruchsicherheit eine Baumsicherung notwendig ist. Diese Bäume können prinzipiell samt ihrem Habitus weitgehend erhalten werden und ihr Erhalt ist aus ökologischen Gründen – zum Beispiel aufgrund ihrer lokal besonders wichtigen Ökosystemleistungen – oder aufgrund ihrer kulturhistorische Bedeutung notwendig.

Da die Bauweise bisher stetig weiterentwickelt worden ist – beispielsweise durch Schraubfundamente an Stelle von Fundamenten aus Mineralschotter oder durch modulare Systeme aus Steckverbindungen – und gleichzeitig im Zuge des Ausbaus des Erneuerbare-Energien-Sektors absehbar ist, dass zunehmend ausgediente Carbonstäbe aus den Rotoren von Windrädern anfallen werden, könnten die Konstruktionen in Zukunft häufiger zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus eignen sich Carbon-Exoskelett-Projekte, um öffentlichkeitswirksam über den Lebensraum Baumstamm zu informieren und zugleich Engagement und Wertschätzung für besondere Bäume oder Baumtorsi zu fördern. Dazu empfiehlt es sich, in Internet und Zeitung mehr über die Projekte zu informieren und entsprechende Info-Tafeln zu entwerfen und aufzustellen. Dann hätten die Projekte auch einen symbolischen Charakter – vor allem bei Stadtbäumen, die in der Praxis bei Bauvorhaben und in der Nähe von Verkehrsinfrastruktur leider oft als Problem, das es zu entfernen gilt, statt als Lösung, die es zu erhalten gilt, betrachtet werden.

 

Lebensraum Baumtorso: Ein großer und strukturreicher Baumtorso kann eine Vielzahl von (teils seltenen) Tierarten beherbergen, zum Beispiel: (1)  nach unten abstehende Rindentaschen und tiefe Spalten im Stamm können Lebensraum für Fledermäuse, Insekten und Spinnentiere sein, (2)  alte Fraß- und Bohrlöcher in Rinde und freiliegendes Splint- und Kernholz können beispielsweise als Niströhre für Solitärbienen und -wespen dienen, (3)  Spechthöhlen können von anderen Vögeln als Bruthöhle genutzt werden, sie bieten häufig auch Fledermäusen und Bilchen eine Lebensstätte, (4)  der Übergang des Baumtorsos zum Boden und der Wurzelraum dienen etwa Käfern und deren Larven sowie Tausendfüßlern als Lebensraum. Auch Totholzhaufen sind für viele Tiere – wie etwa Kleinsäuger, Reptilien und Insekten – Nahrungsquelle und Lebensstätte. Größere Schnittgut- und Laubhaufen nutzen Igel beispielsweise häufig für ihren Winterschlaf.

Lebensraum Baumstamm

Alte strukturreiche und stehende Baumstämme dienen neben anderen Pflanzen sowie Pilzen, Flechten und Moosen mit ihren typischen Ausprägungen – Brut-, Mulm- und Asthöhlen, tiefen Spalten, freiliegendem Splint- und Kernholz, Insektengängen, Bohrlöchern und abstehenden Rindenstücken – zahlreichen teils seltenen Tierarten als Lebensraum. Die Stämme beherbergen viele Wirbeltiere: etwa höhlenbrütende Vögel (wie Schwarz- und Mittelspecht, Raufuß-, Sperlings- und Waldkauz, Hohltaube, Kleiber, Gartenbaumläufer, Blau- und Kohlmeise, Rotkehlchen), Fledermäuse (wie Zwerg-, Bechstein-, Bartfledermaus, Großer Abendsegler, Braunes Langohr) oder Bilche (wie Haselmaus und Siebenschläfer). Wichtig sind solche Stämme insbesondere auch für etliche wirbellose Tiere, darunter Käfer, Bienen und Wespen und deren Entwicklungsstadien. Auch der Übergang des Stammes zum Boden und der Wurzelraum sind vielfältiger Lebensraum für Tiere. Neben stehenden Stämmen sind auch auf dem Boden liegendes und mit der Zeit zu Humus zersetztes Totholz sowie Haufen aus Ästen, Zweigen und Laub voller Leben. Deshalb sollte anfallendes Material bei Schnittmaßnahmen und Fällungen zumindest teilweise als liegendes Totholz und Schnittguthaufen an geeigneten Stellen verbleiben. Wenn größere Laub- und Reisighaufen über den Winter belassen werden, können sie Igeln, Amphibien und Reptilien, Faltern und deren Raupen oder Käfern und ihren Larven als Überwinterungsquartier dienen.

Upcycling-Carbonstäbe als konstruktive Elemente zur Baumsicherung

Carbon ist ein Hochleistungswerkstoff und zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr stabil, langlebig und robust gegenüber Korrosion und Umwelteinflüssen und gleichzeitig sehr leicht ist. Carbonstäbe fallen regelmäßig und in hoher Zahl beim Rückbau von Rotorblättern von Windrädern an. In diesen Elementen, aber beispielsweise auch in den Tragflächen von Flugzeugen, haben sich Carbonstäbe bereits seit Längerem durch extreme Belastbarkeit und hohe Ermüdungsfestigkeit bewährt. Sie sind hochelastisch und nehmen dynamische Bewegungen auf. Durch diese Eigenschaften sind sie als Stützkonstruktion in Form von Exoskeletten an Baumtorsos bestens geeignet.

 

Weitere Infos

Weiterführende Informationen über das Würzburger Carbon-Exoskelett-Projekt finden Sie unter Webcode NuL8537.

 

Jonas Renk, M. Sc. (TUM) Umweltplaner und Ingenieurökologe, ist Fachautor und Sachverständiger für Naturschutz. Von Oktober 2020 bis September 2022 war er als Wissenschaftlicher Koordinator der staatlichen Wildlebensraumberatung für den Bereich Öffentliches Grün an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) tätig. Zuvor hat er von 2017 bis 2020 die Fachabteilung Naturschutz und Landschaftspflege der Stadt Würzburg (Untere Naturschutzbehörde) geleitet. 
jonas.renk@gmx.de

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