Straubing engagiert sich für autochthone Arten
In den Gewächshäusern und auf den Freiflächen einer Stadtgärtnerei würde man vor allem Zierpflanzen erwarten, kurzlebige Arten für den Wechselflor, gekauft als Jungpflanze und für die Verwendung in städtischen Beeten vorgesehen. Nicht so in Straubing: Hier sind auch zahlreiche seltene heimische Arten zu finden, die hier im Artenhilfsprogramm Niederbayern vermehrt werden. Wir haben die Stadtgärtnerei besucht.
- Veröffentlicht am
Alles begann Anfang der 80er-Jahre. Damals war Ludwig Scherl Oberbürgermeister in Straubing. Der Ingenieur und CSU-Politiker war sehr flora- und faunaaffin. Als schließlich die Donau in Straubing umgebaut wurde und im Zuge der Maßnahmen viele Lebensräume entlang des Fließgewässers verloren gingen, weckte das in ihm einen Impuls: Die Arten müssen wiederangesiedelt werden!
Die Ausgleichsflächen, auf denen Arten ausgebracht werden konnten, standen zur Verfügung. Es mangelte aber an Pflanzenmaterial. Scherl ergriff kurzerhand die Initiative, ließ lokal Saatgut sammeln und brachte es zu Michael Zapf, seines Zeichens Angestellter der Stadtgärtnerei Straubing. In ihm fand er einen Gleichgesinnten: Gemeinsam vermehrten sie sorgfältig die gesammelten Arten und schließlich konnten autochthone Pflanzen in entsprechender Menge wieder ausgepflanzt werden.
Was vor über 30 Jahren auf die Initiative eines Einzelnen hin entstand, hat längst eine Eigendynamik entwickelt. Dr. Willy Zahlheimer, ein Bekannter des damaligen Oberbürgermeisters, wurde während seiner Dissertation auf das Projekt aufmerksam und nutzte die Kapazitäten und Erfahrungswerte der Straubinger auch später als Mitarbeiter der Höheren Naturschutzbehörde der Regierung von Niederbayern nur zu gern für das „Artenhilfsprogramm Niederbayern“, das darauf abzielt, die genetische Vielfalt der Pflanzenarten in der Region zu erhalten.
Inzwischen sind sowohl Ludwig Scherl als auch Michael Zapf in den Ruhestand verabschiedet. Ihr gemeinsames Projekt aber lebt fort – unter der Federführung von Jörg Mildenberger, Gärtnermeister und derzeitiger Innendienstleiter und Ausbilder der Stadtgärtnerei. Er ist seit 31 Jahren dabei, kennt das Projekt also, seit es den Kinderschuhen entwachsen ist. „Heute vermehren wir hier zirka 260 Arten aus insgesamt 490 verschiedenen Herkünften“, erklärt er nicht ohne Stolz.
Woher die Pflanzen stammen, gibt er nicht bekannt. „Zu groß ist die Gefahr, dass Pflanzen gestohlen werden“, begründet er die Entscheidung. „Es handelt sich ja durchgehend um Bestände, die sowieso schon gefährdet sind.“
Die Auswahl dieser Bestände erfolgt durch mehrere Biologen, die auf Werksvertragsbasis für die Bezirksregierung Niederbayern arbeiten.
Saatgutgewinnung
Einer von ihnen ist Martin Scheuerer. Bei seinem Besuch an diesem Tag hat er Samen von zwei Arten mitgebracht:Taraxacum frisicum undPulsatilla vernalis . Das Sammeln von Saatgut ist aber nur eine der Aufgaben der Betreuer im Artenhilfsprogramm, meist kurz als AHP-Betreuer genannt. Denn zu ihren Tätigkeiten zählt auch das Auffinden gefährdeter Arten. „Es gibt alte Fundortdaten“, erklärt der freie Biologe. „Diese Orte sucht man dann auf.“ Nicht immer ist die Suche erfolgreich. „Oft findet man die Arten nicht mehr, da die Lebensräume zerstört wurden. Wir suchen dann im Umfeld und dokumentieren die Funde.“ Scheuerer ist dann mit GPS und Schreibblock unterwegs, immer auf der Suche nach gefährdeten Arten.
Als Betreuer hat er die beste Übersicht über Bestandsentwicklungen. Er darf daher auch Vorschläge machen, um Arten von der Zielartenliste zu streichen, wenn sich ihre Bestände gut entwickeln, oder umgekehrt neue Arten vorschlagen, wenn er rückläufige Entwicklungen feststellt. Auch Empfehlungen zu Pflege und Bestandssicherung fallen in seinen Aufgabenbereich. Da legt er schon einmal spontan selbst Hand an, sozusagen mit einer „Pinzettenpflege“ vor Ort, um kleinräumig einzelne Individuen konkurrenzschwacher Arten freizustellen. „Es ist ab und zu schon ein Kampf gegen Windmühlen“, gibt der Biologe zu. „Und es gibt eben auch Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, zum Beispiel den Klimawandel oder die allgemeine Eutrophierung.“
Die AHP-Betreuer können aber auch Erfolge aufzeigen. Martin Scheuerer ist beispielsweise stolz auf die Sicherung der Bestände vonPulsatilla vernalis in seiner Region. „Hier konnten wir fast alle Standorte sichern“, erzählt er. „Bis auf einen, wo die Leute dazwischenfunken und die wieder ausbuddeln.“ Und auch andere Arten wieScorzonera purpurea undAllium pulchellum konnten durch die Vermehrung in der Stadtgärtnerei Straubing an ihrem Naturstandort vor dem Verschwinden bewahrt werden.
Die Arbeit der Stadtgärtner
Trotz der Zuarbeit durch AHP-Betreuer wie Scheuerer bleibt für Mildenbergers Team mehr als genug zu tun: Die Arten sind anzusäen, zu überwintern, zu pikieren, teils über mehrere Jahre zu pflegen. Den Löwenanteil dieser Arbeit erledigt Markus Schlederer. Der Staudengärtner war erst als Zeitarbeiter angestellt, inzwischen ist er fester Mitarbeiter. Er erfuhr schon in seinem Bewerbungsgespräch vom Artenhilfsprogramm – und war gleich Feuer und Flamme. „Ich war schon immer pflanzenaffin, auch als Hobby“, erzählt der junge Gärtner. „Da stehe ich natürlich mit vollen Engagement hinter dem Projekt.“
Jörg Mildenberger weiß diese Begeisterung zu schätzen, denn ihm ist bewusst, dass der Umgang mit den heimischen Arten auch einiges an Eigenleistung erfordert. „Man muss auch jemanden finden, der das mag. Sonst funktioniert das nicht.“ Vor allem die Artenkenntnis weicht erheblich vom üblichen Arbeitsfeld eines Staudengärtners ab. „Viel habe ich von meinem Vorgänger Herrn Zapf gelernt“, meint Schlederer. „Den Rest habe ich mir Stück für Stück angelesen.“
Die Arbeit des jungen Staudengärtners beginnt bei der Aussaat der Samen, die die AHP-Betreuer zur Stadtgärtnerei bringen. Manchmal bekommt er auch aus anderer Hand Saatgut, beispielsweise von der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald für deren Projekte. Zur Aussaat verwendet Schlederer ein Standardsubstrat, das Michael Zapf entwickelt hat, und passt es den Ansprüchen der jeweiligen Art an. Wesentliche Bestandteile sind gewachsener Boden, Ökohum, Steinmehl, Lavagrus, Sand und Seramis. „Die genaue Rezeptur verraten wir natürlich nicht, die ist geheim“, meint er mit einem Augenzwinkern.
Genau hinschauen
Ausgesät wird im Winter ins Außenbeet. Die Saat wird dann mit Schnee abgedeckt, um natürliche Bedingungen zu imitieren. Nach der Keimung im Frühjahr werden die Sämlinge in Töpfe pikiert und weitergepflegt – ohne den Einsatz von Pestiziden. Zweimal jährlich wird aufwachsendes Wildkraut entfernt. „Bei manchen Arten muss man ziemlich genau hinschauen“, gibt Schlederer zu. Schwierig wird es nämlich bei seltenen Arten, die den häufigeren Beikräutern zum Verwechseln ähnlich sehen. So voraussichtlich auch bei der Aufzucht der Samen vonTaraxacum frisicum , die ihm der Biologe Scheuerer mitgebracht hat. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt, die Jungpflanzen nicht anstatt der häufigerenTaraxacum sect.Ruderalia auszuzupfen – schließlich steht die Art auf der Roten Liste und ist vom Aussterben bedroht.
Aktuell betreut der Staudengärtner fast 30.000 Töpfe mit autochthonen Pflanzen. Bei einem Teil der Pflanzen wird wieder Saatgut gewonnen, das ausgebracht wird, andere werden zum Auspflanzen kultiviert. Allerdings wird darauf geachtet, dass sich keinesfalls Individuen verschiedener Herkünfte kreuzen. „Das wäre ja Florenverfälschung vom Feinsten“, meint Mildenberger. Stattdessen werden die Blüten frühzeitig entfernt, wenn die gleiche Art von verschiedenen Standorten auf dem Gelände der Stadtgärtnerei kultiviert wird.
Projektkoordination
Unterstützt werden Mildenberger und Schlederer bei ihrer Aufgabe seit 2018 von Jessica Rossow. Die junge Biologin wird wie die AHP-Betreuer von der Bezirksregierung über einen Werkvertrag bezahlt. Sie sorgt vor allem für die Organisation, sichtet die Bestände, hält die Artentabelle aktuell, pflegt die Kontakte zu Regierung und Biologen. Und diese Hilfe ist auch dringend notwendig, denn die Stadtgärtnerei erhält nur wenig Unterstützung für ihre wichtige Arbeit. „Inzwischen werden wir mit 12.000 Euro jährlich gefördert“, erzählt Mildenberger. „Aber allein die Arbeitsstunden belaufen sich im Jahr auf etwa 60.000 Euro. Wir brauchen einfach Unterstützung, auch wenn wir nicht gewinnorientiert arbeiten.“
Die Bereitschaft und das Engagement, die Arten zu erhalten, sind da. Es braucht aber auch Kapital und Arbeitskraft, um das Artenhilfsprogramm langfristig am Leben zu erhalten. „Und auch, um es bekannter zu machen“, ergänzt der Gärtnermeister. „Ich möchte unbedingt mehr Einblicke geben in diesen Bereich unserer Arbeit.“ Trotzdem hat das Projekt derzeit nicht einmal eine Homepage – die Zeit dazu fehlt.
Ambitionierte Ziele
Aufgeben möchte er trotzdem nicht, denn er blickt auf die komplette Bandbreite seiner Arbeit. „Wir pflanzen Insekten! Die Biodiversität ist von diesen Pflanzen abhängig. Und langsam erkennen die Leute das und beginnen umzudenken!“ Und ambitionierte Pläne hat er auch für das Programm: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir für andere Bezirke mitvermehren, wenn wir die personelle Ausstattung bekommen.“ Und auch mehr Platz, denn allmählich wird die Fläche in Straubings Stadtgärtnerei knapp.
Projektdaten
Projektträger: Stadtgärtnerei Straubing, Bezirksregierung Niederbayern
Projektkoordination: Jessica Rossow, Jörg Mildenberger
Finanzierung: Eigenleistung Stadt Straubing, Bezirksregierung Niederbayern
Projektlaufzeit: seit den 80er- Jahren
Philosophie
„Für uns alle ist das Leidenschaft. Wer sich von Kindesbeinen an mit der Natur beschäftigt, kann sich hier begeistern. Nur so kann man etwas über das normale Maß hinaus entwickeln.“
Weitere Infos
Mehr zur Pflanzenwelt Niederbayerns finden Sie unter demQR-Code
Barrierefreiheit Menü
Hier können Sie Ihre Einstellungen anpassen:
Schriftgröße
Kontrast
100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot
Als Abonnent:in von Naturschutz und Landschaftsplanung erhalten Sie pro Kalenderjahr 100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot im Grünen Stellenmarkt.
mehr erfahrenNoch kein Abo? Jetzt abonnieren und Rabatt für 2025 sichern.
zum Naturschutz und Landschaftsplanung-Abo
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.