Pioniere für die lokale Artenvielfalt
Der Nationale Aktionsplan in der Schweiz sieht vor, die Vielfalt der pflanzengenetischen Ressourcen zu erhalten. Andreas Bosshard bearbeitet ein Teilprojekt im Aktionsplan und untersucht die Möglichkeiten der lokalen Saatgutgewinnung. Er hat uns das Projekt und seine weiteren Aktivitäten zur Förderung artenreicher Wiesen mit autochthonem Saatgut vorgestellt.
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Die Schweiz ist ein „Wiesenland“. Sie weist eine besonders hohe Diversität verschiedener Wiesentypen mit einer einzigartigen Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten auf. Zwar ist ein enormer Teil dieser Vielfalt in den letzten Jahrzehnten als Folge einer intensivierten Landwirtschaft verschwunden, aber auf Restflächen ist sie noch immer vorhanden.
Die Vielfalt liegt natürlich auch in ihrem Relief begründet: steile Bergwiesen, grüne Täler, nasse Auenbereiche. Praktisch alle Wiesen werden landwirtschaftlich genutzt, ja existieren nur wegen einer angepassten landwirtschaftlichen Nutzung.
Die Regierung hat 1999 den Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP) ins Leben gerufen. Etwa 300 Projekte konnten so in den vergangenen 20 Jahren abgeschlossen werden, weitere 100 laufen derzeit. Bei den meisten geht es um die Erhaltung von Kulturpflanzensorten und von traditionellen Nutztierrassen. Innerhalb des Aktionsplans sind aber seit dem Jahr 2005 auch einige Projekte angesiedelt, die zum Ziel, die genetische Vielfalt der Wiesen in der Schweiz zu erhalten, beitragen sollen.
Eines dieser Projekte ist die „Saatgutproduktion aus ertragreichen Naturwiesen zur Förderung der genetischen Vielfalt im Futterbau“. Im Fokus stehen dabei diejenigen Naturwiesentypen der Schweiz, die zur Futtergewinnung intensiver genutzt werden. Geleitet wurde es vom Schweizer Agrarökologen Andreas Bosshard. Bosshard ist Geschäftsführer der Ö+L GmbH, die das Saatgutverfahren HoloSem entwickelt hat. „Wir untersuchen dabei, wie wir Saatgut von solchen mehrmals jährlich gemähten Naturwiesen gewinnen können, um diese Ökotypen dann wieder regional auszubringen“, erklärt er das Projektziel. „Nur so kann die regionale Vielfalt dauerhaft erhalten werden.“
Für Aufmerksamkeit in unserer Redaktion sorgte das Unternehmen Ö+L schon 2017, als auf der Freiland-Maschinenmesse „demopark“ ein ungewöhnliches Gerät präsentiert wurde. Es wirkte wie ein Hybrid aus Lastenschubkarre und Kehrmaschine. „Das ist der eBeetle“, erklärte uns damals Dr. Andreas Bosshard. „Mit ihm können wir Wiesen beernten, ohne sie zu mähen.“
Drei Säulen
Die Idee, sich mit einer effizienten Gewinnung von qualitativ hochwertigem, artenreichem Wiesensaatgut auseinanderzusetzen, beschäftigt Andreas Bosshard schon seit seiner Dissertation, die er in den 1990er-Jahren über die Neuanlage artenreicher Wiesen auf zuvor intensiv genutztem Ackerland verfasste.
Mit seiner Firma, die er kurz nach seiner Dissertation gründete, bauten Bosshard und sein Team ein eigenes Produktionssystem auf, das „HoloSem-Verfahren“, eine Art „Wiesenkopierverfahren“, wie es der Agrarökologe selbst gern nennt. Die Methodik besteht aus drei wesentlichen Säulen: Die Entwicklung einer Methode zur Kartierung beziehungsweise Identifikation geeigneter Spenderwiesen, die Entwicklung und Erprobung geeigneter Ernteverfahren und schließlich die Aufbereitung des Saatguts, sodass es erfolgreich zur Etablierung stabiler, artenreicher Wiesen großflächig und effizient eingesetzt werden kann.
Die Kartierung geeigneter Spenderflächen ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren Arbeiten. Hier galt es, noch erhaltene Naturwiesen in der Schweiz zu finden, die die hohen Anforderungen für eine qualitativ einwandfreie Saatgutproduktion erfüllen. „Die Bestände müssen absolut ‚rein‘ sein“, erklärt Bosshard. „Die dürfen nicht mit Standardsaatgut übersät worden sein oder mit Problempflanzen, die sich beispielsweise durch zu intensive Nutzung in den Flächen ausbreiten.“
Einige seiner langjährigen Erfahrungen mit der Produktion von autochthonem Saatgut konnte Bosshard in den Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung der Pflanzengenetischen Ressourcen einspeisen. Der Aktionsplan gab ihm die Möglichkeit, seine für artenreiche, extensiver genutzte Wiesentypen entwickelte Methodik auch auf den Bereich der intensiver genutzten Futterwiesen auszudehnen mit dem Ziel, auch solches Futterbausaatgut „ökotypenecht“ zu gewinnen und lokal wieder auszubringen. Zur Standardisierung der Kartierergebnisse hat der Schweizer vor zirka zehn Jahren mit seinem Team zusammen im Rahmen des Aktionsplans einen Vegetationsschlüssel publiziert. Er soll dabei helfen, geeignete Spenderflächen zu identifizieren. Er gibt an, welche Arten die Spenderflächen enthalten sollten und welche zu maximal einem geringen Prozentsatz vorhanden sein dürfen. Der Schlüssel ist frei zugänglich und kann heruntergeladen werden. „Allerdings haben wir inzwischen viel Erfahrung in der Praxis dazugewonnen“, ergänzt Bosshard. „Eigentlich ist der Vegetationsschlüssel schon nicht mehr auf dem neuesten Stand.“ Deshalb ergänzen inzwischen Praxishinweise das ursprüngliche Dokument.
Sind entsprechende Wiesen von hoher Qualität identifiziert, kann das Saatgut gewonnen werden. „Viele Flächen in der Schweiz sind nicht mit herkömmlichen Methoden zu beernten“, erklärt er. „Sie sind zu klein, zu steil, teilweise vernässt. Mähdrescher sind hier viel zu groß, das ist in den allermeisten Fällen keine angepasste Technik.“ Zudem sind die verschiedenen Arten der Wiesen auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten reif. Das bedeutet, es müssen oft auch mehrere Erntedurchgänge durchgeführt werden, um alle Arten im Saatgut abzubilden. Bei der Methode der Mähgutübertragung, also einer Ernte durch Mahd, könnte eine Fläche jährlich aber nur einmal geerntet werden. Zudem fällt der Ansaatzeitpunkt bei der Mähgutübertragung immer mit dem Erntezeitpunkt zusammen, was die Anwendung der Mähgutübertragung stark einschränkt.
Bürsten statt mähen
Ein neues Konzept musste also her: das Ernten im Bestand ohne Mahd. Bosshards Unternehmen Ö+L hat dafür den sogenannten eBeetle entwickelt, das etwas ungewöhnliche Gerät mit der kehrmaschinenartigen Bürste, das wir vor zwei Jahren schon kennenlernen durften. Damit können die Flächen ohne Mahd beerntet werden. „Wir mähen nicht, wir bürsten“, beschreibt der Schweizer das Verfahren. „Das Saatgut wird von den Pflanzen abgestreift und dann aus dem stehenden Bestand herausgesaugt.“ Durch mehrere Arbeitsgänge in einer Vegetationsperiode kann so eine „Kopie“ in Form des Saatguts erstellt werden.
Der Ernter ist dabei sehr flexibel einsetzbar, auch aufgrund seines geringen Gewichts. Dadurch kann mit ihm auch auf feuchtem Gelände oder in Steillagen gearbeitet werden, wo schwerere Maschinen mit einem höheren Bodendruck versagen würden. Durchschnittlich können so zwei Hektar Wiesenfläche am Tag bearbeitet werden. Diese Flächenleistung ist allerdings sehr von den Rahmenbedingungen vor Ort abhängig. In steilem Gelände oder in sehr krautigen Beständen sinkt die Leistung auf etwa einen Hektar täglich. Außerdem müssen die Wetterbedingungen stimmen: Der Bestand muss zur Ernte absolut trocken sein. „Der Bediener braucht da schon ein großes Know-how“, gibt Bosshard zu. „Man muss genau wissen, wann der Bestand reif ist. Man muss sich botanisch sehr gut auskennen. Und schließlich braucht auch die Aufbereitung des Saatguts viel Erfahrung und eine geeignete Infrastruktur.“ Zudem sind die Flächen jedes Jahr anders, ganz in Abhängigkeit von Wetterbedingungen, Bewirtschaftung und weiteren Einflussfaktoren.
Grenzen der Arbeit
Wirklich gute Spenderflächen zu finden ist je nach Region eine Herausforderung. Flächen, die noch nicht durch Fremdsaatgut verfälscht wurden, die keine „Problemarten“ enthalten und die botanisch artenreich sind. Die Qualität der Spenderflächen hat für Bosshard oberste Priorität. „Eine Kopie kann nie besser sein als das Original, man verliert immer kleine Details. Deshalb muss die Spenderfläche ausgezeichnet sein, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.“ Dem Verlust kann allerdings entgegengewirkt werden, indem das Saatgut mehrerer Spenderflächen des gleichen Wiesentyps aus dem gleichen Einzugsgebiet gemischt wird. So kann nicht nur die Artenzahl des autochthonen Saatguts wesentlich erhöht, sondern auch das für den Erfolg wichtige Verhältnis zwischen Gräsern und Kräutern austariert werden. Damit lassen sich Wiesen etablieren, die stabil und ebenso artenreich sind wie das „Original“, auch wenn jede Fläche sich je nach Standort und Saatgut vom Original leicht unterscheidet.
Wieso es so wichtig und sinnvoll ist, lokales Saatgut vor Ort zu gewinnen und zu verwenden, erklärt Andreas Bosshard: „Es kommt auf den lokalen Genpool an. Die Pflanzen haben sich über viele Generationen an die Standortbedingungen an ihrem Wuchsort angepasst. Eine Wiesen-Flockenblume von einer südexponierten Magerwiese hat andere genetische und ökologische Eigenschaften als die gleiche Art, die von einer nährstoffreicheren Fromentalwiese stammt.“ Um keine Florenverfälschung zu riskieren und stattdessen den individuellen, regionaltypischen Charakter der Flora zu bewahren, ist es also wichtig, Spenderflächen in der Nähe des Einsatzortes zu beernten. Das mit künstlich vermehrtem Saatgut zu leisten sei kaum möglich, meint Bosshard. Zudem reduziert jede Vermehrung zwangsläufig die genetische Vielfalt, wie neuere Untersuchungen zeigten.
Bosshard kämpft seit Jahren schon für den Einsatz von autochthonem Saatgut. „Es ist unglaublich schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine an sich so simpel scheinende Methode des ‚Wiesenkopierens‘ wirklich funktioniert“, stellt der Schweizer fest. Außerdem gebe es ja die bewährte Methode mit dem käuflichen Standardsaatgut. „Da wurde dann schon kritisiert, wieso es dann ein neues Verfahren bräuchte.“ Bosshards Team leistete jahrelange Überzeugungsarbeit – mit Referenzflächen, Exkursionen, eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen, Vorträgen. Der Nationale Aktionsplan des Bundes half mit, die Akzeptanz des Verfahrens und die Bedeutung autochthonen Saatguts weiter zu verankern.
„Inzwischen wächst das Bewusstsein für die lokale Ökotypenvielfalt und die Erhaltung der lokalen genetischen Vielfalt“, freut sich der Agrarökologe. „Auch, da die Verwendung von autochthonem Saatgut in Deutschland bald verpflichtend wird.“ Trotzdem werde die Alternative zum herkömmlichen Saatgut immer noch zu selten angewandt. „Ausschreibungen sind noch immer häufig auf das Standardsaatgut ausgerichtet. Wenn man mit einem alternativen Produkt kommt, ist das extrem aufwendig“, kritisiert er.
Blick in die Zukunft
Bosshard ist optimistisch, dass die lokale Saatgutproduktion an Bedeutung gewinnen wird. Ob zur Wiederbegrünung nach Bauprojekten, zur Neueinsaat oder zur Aufwertung von degenerierten Wiesen: Die Verwendung von Saatgut von nahe gelegenen Spenderflächen könnte einen wesentlichen Mehrwert bieten und so zur Erhaltung der lokalen Ökotypenvielfalt beitragen – und das eben nicht nur in der Schweiz.
Einige Forschungsfragen bleiben aber auch nach Projektabschluss offen. Denn noch hat Bosshard keine Lösung gefunden, die auf alle Wiesentypen anzuwenden ist. Noch gibt einige Wiesentypen, auf die seine „Bürstenmethode“ nicht angewendet werden kann.
Philosophie
„Es geht nicht darum, mit lokalem Saatgut ein großes Geschäft aufzubauen. Vielmehr steht die Erhaltung der Biodiversität, vor allem der lokalen Biodiversität, im Vordergrund. ‚Aus der Region für die Region‘ lautet sein Motto. Dies gilt auch für die wirtschaftliche Wertschöpfung, die beim autochthonen Saatgut nicht bei den großen Saatgutkonzernen, sondern bei den Bauern der Region liegt. Auch in Deutschland beginnen immer mehr Bauernbetriebe, mit dem eBeetle eine eigene regionale Produktion von autochthonem Wiesensaatgut aufzubauen.“
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