Naturbasierte Lösungen in Flusslandschaften planen und entwickeln
Abstracts: Naturbasierte Lösungen – also Maßnahmen, die ökologische Prozesse zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen nutzen – können bei der Erarbeitung integrierter Entwicklungskonzepte für Flusslandschaften eine zentrale Rolle einnehmen. Ziel dieses Beitrags ist, das Konzept der naturbasierten Lösungen am Beispiel von Flusslandschaften zu beleuchten. In Form von zehn Thesen werden das Konzept der naturbasierten Lösungen charakterisiert, damit einhergehende Vorteile thematisiert und Chancen für einen erfolgreichen Einsatz diskutiert. Die Thesen wurden vom Autorenteam gemeinsam mit Experten aus Politik und Praxis in einem angepassten Delphi-Verfahren entwickelt. Der Beitrag soll konzeptionelle Missverständnisse vermeiden helfen, die Dringlichkeit zur Umsetzung aufzeigen, und Praktiker motivieren, naturbasierte Lösungen stärker als bisher zu berücksichtigen. Wir hoffen, damit Transformationsprozesse zu einer zukunftsfähigen Entwicklung von Flusslandschaften für die Menschen und die Natur zu unterstützen.
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Planning and developing nature-based solutions in river landscapes: ten propositions
Nature-based solutions – understood here as actions that utilize ecological processes to address societal challenges – can play key roles in creating integrated development concepts for river landscapes. This contribution aims at elaborating the concept of nature-based solutions with a focus on river landscapes. We present ten propositions that characterize the concept of nature-based solutions, introduce the comparative advantages of applying such solutions, and discuss chances for successful deployment. We developed the propositions using an adapted Delphi method, together with experts from policy and practice. Our contribution should help avoiding conceptual misunderstandings, illustrate the urgency for implementation, and encourage practitioners to enhance the consideration of nature-based solutions. We hope the propositions thus help to support transformations towards a more sustainable development of river landscapes for people and nature.
Von Christian Albert, Barbara Schröter, Mario Brillinger, Jennifer Henze, Paulina Guerrero, Sarah Gottwald, Dagmar Haase, Sylvia Herrmann, Dietmar Mehl, Claire Nicolas, Edward Ott, Stefan Schmidt und Mario Sommerhäuser
Eingereicht am 08. 07. 2021, angenommen am 24. 12. 2021
1 Einführung
Der Zustand vieler Flusslandschaften in Deutschland und darüber hinaus stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Erhebliche menschliche Eingriffe, wie etwa der Gewässerausbau für die Schifffahrt und die intensive Ackernutzung der Flussauen, haben bewirkt, dass vielfältige Ökosystemfunktionen und -leistungen stark eingeschränkt werden – insbesondere die Habitatfunktionen, die Funktion als Hochwasserretentionsräume und die Gewässernutzung für Trinkwasser und Erholung (von Keitz et al. 2016). Die Auswirkungen der menschlichen Umgestaltung der Flusslandschaften äußern sich auch darin, dass das Ziel der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, einen guten ökologischen Zustand zu erreichen, im Jahr 2015 bei mehr als 80 % der Oberflächengewässer in Deutschland nicht erreicht wurde. Der ökologische Zustand von mehr als der Hälfte der Flüsse und Bäche wird heute als „erheblich verändert“ oder „künstlich“ bewertet und nur etwa 10 % sind in einem „guten“ oder „sehr guten“ ökologischen Zustand (BMU & BfN 2009, Brunotte et al. 2009, von Keitz et al. 2016). Bereits der im Jahr 2009 vorgelegte Auenzustandsbericht stellte mit Blick auf 79 berücksichtigte Flüsse Deutschlands fest, dass zwei Drittel der ehemaligen Überschwemmungsgebiete durch Hochwasserschutzmaßnahmen verloren gegangen sind (BMUB & BfN 2009). Die verbliebenen rezenten Auen werden zu einem Drittel intensiv als Acker-, Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbeflächen genutzt (BMU & BfN 2009, Brunotte et al. 2009). Der aktuelle Auenzustandsbericht für die 79 Flüsse zeigt, dass im Hinblick auf die ökologische Funktionsfähigkeit nur 1 % der Flussauen sehr gering und nur 8 % gering verändert sind; demnach sind 92 % der Flussauen deutlich bis sehr stark verändert (BMU & BfN 2021, Günther-Diringer et al. 2021).
Die Erarbeitung von Entwicklungskonzepten, wie sie das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ vorsieht (BMVI & BMU 2017), bietet die Möglichkeit, neues Denken im Umgang mit Flusslandschaften zu befördern. Als ein Pilotprojekt für die Erarbeitung eines Entwicklungskonzepts im Nebennetz wird dabei das Integrierte EU-LIFE-Projekt „Lebendige Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“ genannt. In diesem Projekt erstellt die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in enger Kooperation mit den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz sowie der Bundesanstalt für Gewässerkunde eine gemeinsame Zukunftsperspektive, um die Lahn ökologisch aufzuwerten und das Leben am Fluss lebenswerter zu machen (LiLa 2021).
Innerhalb der neuen Entwicklungskonzepte können die sogenannten naturbasierten Lösungen (NBL) eine zentrale Rolle einnehmen (Albert et al. 2019). NBL nutzen ökologische Prozesse, um gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen, zum Beispiel die Renaturierung von Flussauen zur Verminderung von Hochwasserspitzen (Europäische Kommission 2015). Geeignete NBL in Flusslandschaften sind zum Beispiel die Renaturierung von Auen und Feuchtgebieten, die Schaffung von Gewässerrandstreifen oder die Umwandlung von Acker in extensiv genutztes Grünland. Diese Ansätze können beispielsweise zur Resilienz gegenüber Herausforderungen wie Überflutungen und Dürren beitragen. Zudem haben diese Lösungen oft vielfachen Zusatznutzen, etwa für den Naturschutz und die Naherholung, und können damit die Ansprüche verschiedener Stakeholder gleichzeitig erfüllen (Abb. 1). Das NBL-Konzept wird international intensiv diskutiert und derzeit in vielen Forschungs- und Innovationsvorhaben der Europäischen Union erprobt. Im Kontext von Naturschutz und Landschaftsplanung in Deutschland wurden NBL bisher jedoch erst in Ansätzen thematisiert (etwa Albert et al. 2017, Naumann et al. 2014). Wissenslücken bestehen insbesondere dahingehend, ob und wie NBL bei Vorhaben des Naturschutzes und der Landschaftsplanung charakterisiert, besser berücksichtigt und in die Umsetzung geführt werden können. Dies stellt verantwortliche Akteure für die Landschaftsentwicklung vor besondere Herausforderungen, da Planungen mit naturbasierten Lösungen in der Regel nicht auf bestehende Instrumente und Erfahrungen aufbauen können und neue Denk- und Vorgehensweisen entwickelt werden müssen.
Ziel dieses Beitrags ist es, das NBL-Konzept und seine Bedeutung für den Naturschutz, die räumliche Planung und die nachhaltige Regionalentwicklung am Beispiel von Flusslandschaften zu beleuchten. In Form von zehn Thesen (Box 1) werden das NBL-Konzept charakterisiert, damit einhergehende Vorteile thematisiert und Chancen für einen erfolgreichen Einsatz für die Natur und den Menschen diskutiert. Der Beitrag soll Missverständnisse bei der Verwendung und Kommunikation vermeiden sowie die Dringlichkeit bei der Umsetzung und Vermittlung des Ansatzes aufzeigen. Zugleich möchten wir mit den Thesen Praktiker motivieren, NBL stärker als bisher in Planungskontexten einzusetzen, sie zur Förderung des Schutzes und der Entwicklung von Natur und Landschaft zu nutzen und somit Transformationsprozesse hin zu einer zukunftsfähigen Entwicklung von (Fluss-)Landschaften zu unterstützen.
Die Thesen wurden vom Autorenteam gemeinsam mit Experten aus Politik und Praxis in einem angepassten Delphi-Verfahren entwickelt. Dazu wurde ein Entwurf der Thesen vorgelegt und in mehreren Überarbeitungsschleifen inhaltlich weiterentwickelt und konkretisiert. Berücksichtigt wurden Erkenntnisse aus wissenschaftlichen und planungsbezogenen Publikationen und weiteren Quellen sowie insbesondere die Erfahrungen der Autoren aus der eigenen Tätigkeit sowie die im Diskurs entwickelten neuen Ideen.
2 Thesen zu naturbasierten Lösungen
2.1 Naturbasierte Lösungen haben vielfältige Vorteile
These 1: Eine nachhaltige Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen von Flusslandschaften ist langfristig nur unter Einbeziehung naturbasierter Lösungen möglich.
Technische Lösungen zur Minderung oder Überwindung der weitreichenden Folgen von Landnutzungsänderungen oder Klimawandel sind zunehmend nicht hinreichend, um die gesellschaftlichen Herausforderungen in Flusslandschaften wie Überschwemmungen, Dürren, Wasserqualitätsdefizite und Biodiversitätsverluste nachhaltig zu bewältigen. So sind beispielsweise technische Anlagen für den Hochwasserrückhalt (Rückhaltebecken) oder die künstliche Wasserzufuhr im Niedrigwasserfall aufgrund verschiedener Nebeneffekte (etwa Kosten, Energie- und Flächenverbrauch) nur teilweise nachhaltige Lösungen, wenn die Problematiken nur sektoral betrachtet werden. NBL sind daher mindestens in Ergänzung zu technischen Anlagen notwendig, um nachhaltige, multifunktionale Strategien zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu entwickeln. Hierauf zielt unter anderem der im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz zusammen mit den Bundesländern entwickelte Ansatz ab, im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) Synergieeffekte zu identifizieren und auszunutzen (Mehl et al. 2019).
Die Vorteile von NBL zeigen sich jedoch oft erst mittel- oder langfristig (Nesshöver et al. 2017, Tzoulas et al. 2021). NBL sind „Multitalente“, die neben den Beiträgen zur Bewältigung bestimmter Herausforderungen gleichzeitig nachturschutzfachliche Vorteile sowie einen sozialen, bildungsorientierten und/oder ökonomischen Nutzen für breite Bevölkerungsschichten bieten können (zum Beispiel Erholung, Gesundheit, Umweltbildung, „grüne“ Arbeitsplätze; Dushkova & Haase 2020, Frantzeskaki 2019) – dies leisten sektoral orientierte technische Lösungen in aller Regel nicht. Somit kann mit NBL erreicht werden, dass gemäß der Grunddefinition von Nachhaltigkeit unterschiedliche ökologische, soziale und/oder ökonomische Interessen berücksichtigt werden (verändert nach Naumann & Kaphengst 2015).
Dennoch muss das Konzept der NBL auch kritisch und differenziert betrachtet werden. Ganz grundsätzlich benötigen NBL oftmals mehr Platz, mehr Zeit für die Entfaltung ihrer Wirkungen und engere Kooperationen relevanter Akteure als bei technischen Alternativen (Albert et al. 2019). Verbunden mit dem Konzept ist zudem das Risiko, Natur und Landschaft hauptsächlich als Instrument zur Lösung gesellschaftlicher Probleme anzusehen und damit den Gegensatz von Mensch und Natur zu vertiefen (Welden et al. 2021). Auch wird kritisiert, dass das Konzept von westlichen Wissenschaften dominiert und damit nicht offen genug sei, um andere Wissensbestände zu berücksichtigen (Woroniecki et al. 2020).
These 2: Eine Entwicklung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen geht weit über den reinen Schutz von Natur und Landschaft hinaus.
Zentrales Ziel von NBL ist die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen durch die Nutzung und Stärkung von Ökosystemstrukturen und -prozessen. NBL können ein breites Spektrum von Handlungsoptionen zwischen dem Erhalt und der Sicherung bestehender ökologischer Prozesse, über die Aufwertung bis zur Entwicklung ganz neuer Ökosysteme umfassen (Eggermont et al. 2015). Typische Handlungsoptionen in Flusslandschaften sind Maßnahmen zum Schutz oder zur Revitalisierung von Auen, Mooren und artenreichem Grünland. Aber auch hybride Ansätze wie etwa gesteuerte Überschwemmungen, die grüne Infrastrukturen mit Bautechnik kombinieren, sind als NBL zu berücksichtigen.
NBL sind daher nicht per se mit Naturschutzschutz- oder Renaturierungsmaßnahmen gleichzusetzen. Stattdessen wird eine integrative, für die Menschen und die Natur gleichermaßen vorteilhafte Zielsetzung verfolgt (Welden et al. 2021), innerhalb derer die vielfältigen Nutzungsansprüche der Menschen mithilfe „naturbasierter“ Maßnahmen erfüllt und gleichzeitig Vorteile für die Natur und die Landschaft erreicht werden (Schlegelmilch et al. 2018). Der Schutz der biologischen Vielfalt sollte dabei als Grundvoraussetzung für NBL angesehen werden (Cohen-Shacham et al. 2019).
These 3: Naturbasierte Lösungen sind multifunktional, indem sie über die Verminderung von Herausforderungen hinaus vielfältigen weiteren Nutzen stiften.
Der Einsatz von NBL trägt nicht nur zur Bewältigung einer einzelnen gesellschaftlichen Herausforderung bei, sondern kann darüber hinaus vielfältigen Zusatznutzen für Mensch und Natur bewirken (Chausson et al. 2020, Schmidt et al. 2022). Durch die Wiederanbindung von Auen an die natürliche Überflutungsdynamik des Flusses werden beispielsweise zusätzliche Retentionsräume erschlossen, die Hochwasserereignisse abpuffern, Nähr- und Schadstoffe filtern und damit zur Verbesserung der Wasserqualität beitragen sowie naturnahe Lebensräume für die Ausbildung einer gewässertypischen Zielbiozönose und das Vorkommen seltener, auentypischer Tier- und Pflanzenarten fördern (Abb. 2; Grossmann et al. 2010, Haase 2017, Scholz et al. 2012). Wiederangebundene Flussauen leisten somit einen Beitrag zur Biodiversitätsstrategie, zur Zielerreichung gemäß Wasserrahmenrichtlinie und zum Hochwasserrisikomanagement (BMU & BfN 2021). Zusätzlich kann mit der Wiederanbindung von Auen aktiv Klimaschutz betrieben werden, denn Auen verringern Treibhausgasemissionen, indem Kohlenstoffe in Auenböden und deren Vegetation gespeichert werden (Cole et al. 2007, Limpens et al. 2008).
Auenlandschaften werden weiterhin als besonders ästhetisch angesehen, besitzen einen hohen emotionalen und spirituellen Wert, prägen das Identitätsbewusstsein und bieten umfangreiche Möglichkeiten zur Erholung und Freizeitgestaltung (Dehnhardt et al. 2008, Thiele et al. 2020, Verbrugge et al. 2019). Zugleich können NBL enorme Lerneffekte über das Wirken der Natur für den Menschen bei breiten Bevölkerungsschichten erzeugen, da sie die Nützlichkeit funktionierender Ökosysteme zeigen (Biwer et al. 2019).
Es ist wichtig, die multifunktionalen Auswirkungen von naturbasierten Lösungen auf unterschiedliche politische Ziele zu berücksichtigen. So hat eine Untersuchung von Grossmann et al. (2010) gezeigt, dass zwar eine Auenrevitalisierung allein zur Verringerung von Hochwassergefahren höhere Kosten als Nutzen bewirkt. Wird jedoch zusätzlich der gesellschaftliche Nutzen für den Klimaschutz, den Biodiversitätsschutz und das Landschaftserleben berücksichtigt, so kann der Nutzen die Kosten um das Drei- bis Sechsfache übersteigen.
2.2 Naturbasierte Lösungen sind umsetzbar
These 4: Zunehmend liegen Nachweise über die Wirkung von naturbasierten Lösungen vor – damit steigen die Chancen, Zustimmung zur Umsetzung in der Praxis zu generieren.
Eine große Hürde für das stärkere Aufgreifen von naturbasierten Lösungen bei Planungen und Entscheidungen über eine zukünftige Flusslandschaftsentwicklung sind bestehende Unsicherheiten bezüglich der tatsächlichen Wirksamkeit zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen – insbesondere auch im Vergleich zu technischen Alternativen (Brillinger et al. 2021). Mit einer wachsenden Zahl an Fallstudien auch in Deutschland (Box 2, für weitere siehe Zingraff-Hamed et al. 2020 a) liegen zunehmend wissenschaftlich validierte Nachweise über die Wirkung von NBL vor. Sogenannte evidenzbasierte Planungsansätze, die solche empirisch gewonnenen Nachweise der Wirksamkeit von NBL berücksichtigen (Sutherland et al. 2004), haben ein großes Potenzial, Entwicklungsvorschläge inhaltlich zu qualifizieren und gemeinsam Wissen über und Zustimmung für deren Umsetzung zu generieren (Albert et al. 2021 b, für internationale Beispiele siehe Solheim et al. 2021).
These 5: Naturbasierte Lösungen sind auch an Flussabschnitten umsetzbar, an denen die Flächenverfügbarkeit zunächst begrenzt ist.
Bei der Planung und dem Management der Flusslandschaften in Deutschland finden NBL bisher erst wenig Berücksichtigung. So stellten Brillinger et al. (2020) fest, dass die Maßnahmenkataloge von Hochwasserrisiko-Managementplänen in Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt lediglich zu 9 % NBL aufgreifen. Die Flächenverfügbarkeit wird oft als wesentliches Hemmnis identifiziert, das die Umsetzbarkeit von Entwicklungsmaßnahmen wie NBL bestimmt (Harmes et al. 2018). Flächen für NBL verfügbar zu machen bedeutet, bestehende räumliche Nutzungsstrukturen zu verändern. NBL sind multifunktional und erlauben die Integration vielfältiger Nutzungsinteressen und Zielvorstellungen, sodass zum einen die Flächenbeschaffung erleichtert, zum anderen der Erfolg und die Akzeptanz in aktuellen und zukünftigen Projekten gesichert werden.
Die Flächenverfügbarkeit und der Flächenbedarf für eine NBL können durch verschiedene Verfahren überprüft werden (Guerrero et al. 2018, LAWA 2016, Schmidt et al. 2022). Durch die Festlegung standardisierter Kriterien zur Bestimmung von Flächenverfügbarkeit und -bedarf für NBL könnte eine bisher fehlende Datenbasis erstellt werden, welche alle Flächenausweisungen für potenzielle NBL auf den verschiedenen Planungsebenen in Deutschland beinhaltet. Eine solche Datenbasis könnte die Grundlage dafür bilden, systematisch NBL zu etablieren und deren Synergieeffekte auszunutzen. Infolge von Synergieeffekten würde weniger Fläche benötigt, um die gleichen Ziele zu erreichen.
Bei der Flächenbeschaffung gilt es dennoch sicherzustellen, dass die Flächenverfügbarkeit ausreichend ist, um die Wirksamkeit und Effektivität der NBL zu gewähren, etwa durch den freihändigen Erwerb benötigter Flächen zu angemessenen Bedingungen. Für den Flächenerwerb liegen in Deutschland eine Vielzahl an Instrumenten vor (zum Beispiel Mehl & Bittl 2005, Nobis et al. 2020), die aber in der Praxis noch nicht vollständig ausgeschöpft werden (Albrecht & Hartmann 2021, Zingraff-Hamed et al. 2020 b). Darüber hinaus ist es notwendig, ein gemeinsames Verständnis für die Thematik zu entwickeln und Zielkonflikte zu lösen, indem in einem gesteuerten Moderations- und Mediationsprozess relevante Akteure frühzeitig in die Planung einbezogen und unterschiedliche Interessen erfasst werden (Henze et al. 2018).
These 6: Eine Planung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen sollte Interessen und Informationen über Handlungsoptionen sowie ihre jeweiligen Implikationen berücksichtigen und Wissensträger aus Politik und Praxis, Zivilgesellschaft und Forschung systematisch einbinden.
Um Entwicklungskonzepte für Flusslandschaften mit NBL zu konzipieren, sollte ein integrativer Ansatz verfolgt werden, der verschiedene sektorale Perspektiven zusammenführt und das Wissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen als auch nicht-wissenschaftliche Perspektiven einbezieht (Albert et al. 2021 b). Zum einen kann auf diese Weise Wissen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt werden, das in einem systematischen und transparenten Prozess der Koordination und Kooperation gemeinschaftlich entsteht (Jahn et al. 2012, Pohl et al. 2017). Zum anderen kann eine höhere Motivation und Identifikation der Bürger mit zukünftigen Entwicklungskonzepten bewirkt werden, da ihre Interessen berücksichtigt werden, was zu einer bestmöglichen und gleichzeitig umsetzbaren Lösung beiträgt (Pagano et al. 2019). Dies ist jedoch nicht immer einfach, da Akteure langwierige und zahlreiche Diskussionen scheuen, institutionelle Vorgehensweise beachten müssen und über eingeschränkte zeitliche und finanzielle Ressourcen verfügen. Ein Ausweg hierfür bieten sozialwissenschaftliche Werkzeuge, die dabei helfen können, Auswahl und Zusammenarbeit relevanter Akteure zu unterstützen (s. etwa Zingraff-Hamed et al. 2020 c).
Durch integrative Formate der Beteiligung – wie zum Beispiel Reallabore, die als Plattformen des Austauschs dienen – können Lernprozesse bei vielen Akteuren angeregt und möglichst alle relevanten Interessen gleichermaßen in die Konzeptentwicklung eingebracht werden. Gleichzeitig werden durch den Austausch Informations- und Vernetzungsprozesse gefördert, die zur Entstehung von Strukturen zwischen verschiedenen Sektoren (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft) beitragen können. Die Akzeptanz von und Eigenverantwortung für Entwicklungskonzepte werden dadurch gestärkt. Dafür braucht es eine intensivere Information der Bevölkerung über verschiedene Möglichkeiten der Integration ihrer Perspektiven einerseits (Wie kann man sich beteiligen?) und andererseits verschiedener sowohl technischer als auch naturbasierter Maßnahmenoptionen (Welche Optionen gibt es?). Dabei sollte der fehlenden Information über die Wirkung, Effektivität und den Mehrwert naturbasierter Maßnahmen besondere Aufmerksamkeit zukommen, da hier sowohl unter Praktikern als auch in der Bevölkerung lückenhaftes Wissen besteht (Han & Kuhlicke 2019). Erst wenn das Verständnis der Wirkungsweisen und Effektivität aller potenziellen Maßnahmen bei den Beteiligten vorhanden ist, können diese verglichen und abgewägt werden. Die Nachvollziehbarkeit der Maßnahmenentscheidungen, aber vor allem auch eine gerechte Berücksichtigung eingebrachter Kenntnisse und Interessen, haben einen wesentlichen Einfluss auf das Verständnis und die Zustimmung in der Bevölkerung und damit auf die Umsetzbarkeit von Entwicklungskonzepten.
2.3 Ein stärkeres Aufgreifen naturbasierter Lösungen setzt Umdenken voraus
These 7: Das Umsetzen naturbasierter Lösungen in Flusslandschaften kann mit kleinen Pilotprojekten beginnen – es bedarf jedoch Pionieren, um diesen innovativen Ansatz voranzutreiben.
NBL werden in der Planung bisher wenig beachtet. Beispielsweise sind naturbasierte Lösungsansätze nur vereinzelt in aktuellen Bewirtschaftungsplänen und Entwicklungskonzepten integriert (Brillinger et al. 2020, IGB 2021). Entweder sind solche Lösungsansätze noch nicht ausreichend bekannt oder ihre Vorzüglichkeit und Praxistauglichkeit werden bezweifelt, sodass sie häufiger nachrangig behandelt werden (Brillinger et al. 2021). In der Tat können verschiedene Hindernisse die Planung und Umsetzung von NBL erschweren, wie etwa ungesicherte Finanzierung, mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung oder hoher Verwaltungsaufwand (Naumann & Kaphengst 2015). Auch ist ein Wissenstransfer sehr wichtig, um Akteure für das Aufgreifen von NBL zu motivieren (Lamberty et al. 2021, Schröter et al. 2021). Zudem stellen NBL bestimmte Anforderungen an die Planung, die der traditionellen, eher an ordnungsrechtlichen Vorgaben orientierten Flussgebietsplanung entgegenstehen können. Damit NBL mehr Berücksichtigung in der Planung finden, sollten zum Beispiel iterative und diskursive Planungsverfahren entwickelt werden, die ergebnisoffener hinsichtlich verschiedener Flussgestaltungsoptionen sind und deren Vor- und Nachteile aufzeigen. Dabei sollten relevante Akteure der Wissenschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit einbezogen werden, mitgestalten und gemeinsam diskutieren sowie fundiertes Wissen und Methoden aus Natur- und Sozialwissenschaften eingesetzt werden (Albert et al. 2021 b). Eine besondere Rolle kommt dabei Planern, Institutionen und Projekten zu, die als Pioniere trotz Hindernissen in ihren jeweiligen Institutionen innovative Ansätze für eine Planung und räumliche Entwicklung von Flusslandschaften mit NBL vorantreiben, den Austausch mit anderen Institutionen suchen und Lernprozesse in der Planungspraxis und der Gesellschaft anstoßen.
These 8: Eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen ist möglich – wenn ausreichende Finanzmittel bereitgestellt werden.
Förderinstrumente, die für NBL genutzt werden können, existieren bereits. Vorbildcharakter haben beispielsweise das EU-LIFE-Programm und das Förderprogramm „chance.natur – Bundesförderung Naturschutz“ des Bundesamtes für Naturschutz. Abseits von in solchen Programmen geförderten Pilotprojekten fehlen jedoch auf die besonderen Anforderungen von NBL zugeschnittene Förderprogramme noch weitgehend. Eine Berücksichtigung von NBL als zentraler Gegenstand von finanziellen Förderungen steht noch aus. Dabei besteht großes Potenzial, Möglichkeiten zur gemeinsamen Realisierung durch öffentliche Mittel, private Unternehmen und Zivilgesellschaft zu erschließen. Dazu gehören etwa Umweltanleihen, Wasserfonds, Öffentliche-Private-Partnerschaften und Marktplattformen (Browder et al. 2019).
NBL sind aufgrund ihrer Multifunktionalität oft an der Schnittstelle zwischen mehreren politisch-administrativen Bereichen verankert, was eine Kombination von Förderungen erforderlich macht. Deren Kompatibilität vorausgesetzt (Morris et al. 2016) führt die Nutzung mehrerer Förderprogramme meist zu erhöhtem Aufwand (Kommunikation, Administration, Koordination, Konfliktlösung). Auch zusätzliche Anforderungen von NBL an Planung und Umsetzung erschweren den Zugang zu bestehenden Instrumenten: Die Abschätzung von Kosten und Nutzen ist aufwendig und unsicherheitsbehaftet, was flexible Kontrollmechanismen erforderlich macht. Auch die langfristige Nachsorge mit Monitoring und Pflege muss berücksichtigt werden. Im vorsorgenden Hochwasserschutz trifft diese Gemengelage besonders zu. Deichrückverlegungen mit Auenrenaturierung bieten großes Potenzial, natürliche Rückhalteflächen zu gewinnen, aber die Finanzierung solcher Maßnahmenkombinationen ist in der Praxis schwierig. Ein dennoch erfolgreiches Beispiel ist die Deichrückverlegung in Lenzen, Brandenburg (Damm 2016), bei der mehr als 2.400 ha Auenflächen revitalisiert werden konnten.
These 9: Die Entwicklung integrierter und nachhaltiger Planungskonzepte erfordert das Überwinden von Institutionengrenzen und den gleichberechtigten Austausch relevanter und betroffener Akteure.
Zur Realisierung von NBL muss technisches, ökologisches und soziales Wissen zusammengebracht und gemeinsam weiterentwickelt werden. Dieses Wissen ist auf verschiedene Institutionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft verteilt, die zudem horizontale (inhaltliche) und vertikale (hierarchische) Institutionengrenzen aufweisen (Frantzeskaki et al. 2020). Damit das vorhandene Wissen zusammengebracht werden kann und soziales Lernen möglich wird, müssen alle Akteure über Institutionen- und Sektorengrenzen hinweg zusammenarbeiten können (Brink & Wamsler 2018). Dies ist nicht nur sinnvoll, weil NBL verschiedenen, mehrfachen Nutzen haben und somit für unterschiedliche Akteure interessant sind, sondern auch, um Transaktionskosten zu sparen, also Kosten für Information, Planung, Gestaltung, Kommunikation, Beteiligungsprozesse oder Konfliktlösungen (Meyer et al. 2012).
Ein Beispiel für solch eine institutionenübergreifende Zusammenarbeit ist das durch die Europäische Union geförderte integrierte LIFE-Projekt „LiLa Living Lahn – ein Fluss, viele Interessen“, in dem über institutionelle Grenzen von Ministerien, Fachbehörden und wissenschaftlichen Institutionen hinweg gemeinsam ein Entwicklungskonzept für die Bundeswasserstraße Lahn und ihre Aue entwickelt wird. Damit bereits existierende Kooperationen wie diese nicht nur temporären Projektcharakter haben, sondern Synergien dauerhaft weitergeführt werden können, sollte auf ihre institutionelle Fortführung hingearbeitet werden – als Gremien, Flussgebietsorganisationen, Genossenschaften oder Ähnliches. Sie verbessern die Chancen für konsensfähige Entscheidungen und verringern das Konfliktpotenzial bei der Implementierung der NBL. Die Plattformen zur Zusammenarbeit müssen in darüber hinausgehende Initiativen zur Beteiligung der Öffentlichkeit (Frantzeskaki et al. 2020) eingebettet werden, etwa über Citizen-Science-Ansätze, Online-Beteiligungen und Diskussionsveranstaltungen (Wamsler 2017).
Ein gelungenes Beispiel hierfür ist die Emschergenossenschaft/Lippeverband. Hier arbeiten nicht nur verschiedene Akteure wie Städte und Kommunen, Landkreise, Unternehmer und Eigentümer sowie Fachspezialisten der Wasserwirtschaft zusammen, sondern es wurden auch eigene Finanzierungsmöglichkeiten zur Umsetzung naturbasierter Lösungen geschaffen. Darüber hinaus werden Synergien mit wissenschaftlichen Einrichtungen im Rahmen von Kooperationen aktiv genutzt. Nicht zuletzt erfordert diese Art der Zusammenarbeit von den Akteuren aber auch neue Fähigkeiten, Fachkenntnisse und Ressourcen: Sie müssen ihre „Komfortzone“ verlassen (Waylen et al. 2017). Um diese innovative Form der Konzeptentwicklung zu unterstützen, ist es sinnvoll, den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren durch Beteiligungsformate wie regelmäßige gemeinsame Projekttreffen, Themenworkshops oder Exkursionen zu unterstützen. Zusätzlich kann durch eine Vernetzung verschiedener Initiativen und Pilotprojekte ein Erfahrungsaustausch über Projektgrenzen hinweg stattfinden, der neue Perspektiven aufzeigen kann. Nur durch gegenseitiges Verständnis und Perspektivwechsel können nachhaltige und integrierte Planungskonzepte entstehen.
These 10: Naturbasierte Lösungen können umfassend berücksichtigt werden, wenn Entscheidungsstrukturen zur Flusslandschaftsentwicklung verändert werden.
Über das Sammeln von Erfahrungen in Pilotprojekten, eine gute Zusammenarbeit relevanter Akteure, sowie die Bereitstellung ausreichender Finanzmittel hinaus sind für eine umfassende Berücksichtigung naturbasierter Lösungen bei der Entwicklung von Flusslandschaften auch strukturelle Veränderungen der öffentlichen und privaten Entscheidungsprozesse auf allen institutionellen Ebenen im Sinne eines transformativen Wandels notwendig (Diaz et al. 2019). An Bundeswasserstraßen beispielsweise besteht ein wichtiger Beitrag darin, das Management neu auszurichten, indem die Zielsetzung nicht mehr allein in der Sicherstellung der Schiffbarkeit besteht, sondern vielmehr das Erreichen eines breiten Spektrums gesellschaftsrelevanter Ansprüche wie die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, der Schutz von Natur und Landschaft sowie die Förderung von Ökosystemleistungen in den Mittelpunkt rückt. Hierfür sind durch die Novellierung des Bundeswasserstraßengesetzes im Juni 2021 entsprechende rechtliche Grundlagen vorhanden. Ein weiterer Beitrag könnte darin bestehen, das Monitoring des ökologischen Zustands der Gewässer im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie auf die Auenbereiche und die Berücksichtigung diverser Ökosystemleistungen auszudehnen. Dadurch würden bessere Informationsgrundlagen für eine multifunktionale Entwicklung von Flusslandschaften unter Einbezug von NBL geschaffen und NBL könnten regelhafter berücksichtigt werden. Und nicht zuletzt müssen proaktive Ansätze zum Umgang mit Konflikten bei der Realisierung naturbasierter Lösungen aufgegriffen werden, etwa indem mit den avisierten Veränderungen der Flusslandschaft einhergehende Vor- und Nachteile für verschiedene Akteursgruppen frühzeitig abgeschätzt, offen thematisiert und faire Ausgleichsmechanismen geschaffen werden. Kontinuierliches Monitoring sowie die Analyse und Kommunikation von Wirkungen erfolgreicher NBL-Umsetzungen in Pilotprojekten können helfen, wissenschaftliche Informationen über tatsächliche Vor- und Nachteile des Einsatzes von NBL zu erhalten. Dies würde Impulse geben für ein stärkeres Aufgreifen solcher Lösungsoptionen an anderen Flussabschnitten und Flusslandschaften in Deutschland und darüber hinaus.
3 Schlussfolgerungen
Das Konzept der naturbasierten Lösungen könnte für die deutsche Planungs- und Umsetzungspraxis neue Impulse bieten, um eine nachhaltige Entwicklung von Flusslandschaften zu befördern. Die vorgelegten zehn Thesen zeigen auf, dass das Konzept nicht vollkommen neu ist und NBL auch heute bereits an vielen Flusslandschaften vorkommen. Einem stärkeren Aufgreifen von NBL stehen zwar Hürden entgegen, die jedoch mit neuen Ideen, Finanzierungs- und Governance-Modellen sowie institutionell-strukturellen Veränderungen überwunden werden können.
Eine verstärkte Einbeziehung von NBL in Flusslandschaften trägt unter anderem auch dem Koordinationsgebot zwischen Wasserrahmenrichtlinie und Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie Rechnung und dient ebenso der Synergieerzeugung mit naturschutzfachlichen Zielstellungen. Zudem sind je nach Fragestellung und Synergieeffekten vielfältige Zieldimensionen wie Klimaschutz, Bodenschutz, und kulturelle Leistungen betroffen. Der NBL-Ansatz entspricht damit im Sinne einer Optimierung des Einsatzes knapper Ressourcen auch den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit öffentlicher Haushaltsführung.
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.
Dank
Dieses Manuskript wurde erstellt im Kontext von PlanSmart, einer Nachwuchsgruppe zur Erforschung von Ansätzen zur Planung und Governance von naturbasierten Lösungen in Flusslandschaften. PlanSmart wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Sozial-ökologische Forschung“ (SÖF) – Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) unter dem Förderkennzeichen 01UU1601A und B gefördert. Wir danken unseren Praxispartnern aus dem Integrierten EU-LIFE-Projekt „Lebendige Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“ für die Zusammenarbeit. Weiterhin danken wir Thea Kelly für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts.
Box 1: Zehn Thesen zur Planung mit naturbasierten Lösungen
These 1: Eine nachhaltige Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen von Flusslandschaften ist langfristig nur unter Einbeziehung naturbasierter Lösungen möglich.
These 2: Eine Entwicklung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen geht weit über den reinen Schutz von Natur und Landschaft hinaus.
These 3: Naturbasierte Lösungen sind multifunktional, indem sie über die Verminderung von Herausforderungen hinaus vielfältigen weiteren Nutzen stiften. Naturbasierte Lösungen sind umsetzbar.
These 4: Zunehmend liegen Nachweise über die Wirkung von naturbasierten Lösungen vor – damit steigen die Chancen, Zustimmung zur Umsetzung in der Praxis zu generieren.
These 5: Naturbasierte Lösungen sind auch an Flussabschnitten umsetzbar, an denen die Flächenverfügbarkeit zunächst begrenzt ist.
These 6: Eine Planung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen sollte Interessen und Informationen über Handlungsoptionen sowie ihre jeweiligen Implikationen berücksichtigen und Wissensträger aus Politik und Praxis, Zivilgesellschaft und Forschung systematisch einbinden. Ein stärkeres Aufgreifen naturbasierter Lösungen setzt Umdenken voraus.
These 7: Das Umsetzen naturbasierter Lösungen in Flusslandschaften kann mit kleinen Pilotprojekten beginnen – es bedarf jedoch Pionieren, um diesen innovativen Ansatz voranzutreiben.
These 8: Eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Flusslandschaften mit naturbasierten Lösungen ist möglich, wenn ausreichende Finanzmittel bereitgestellt werden.
These 9: Die Entwicklung integrierter und nachhaltiger Planungskonzepte erfordert das Überwinden von institutionellen Grenzen und den gleichberechtigten Austausch zwischen betroffenen Akteuren.
These 10: Naturbasierte Lösungen können umfassend berücksichtigt werden, wenn Entscheidungsstrukturen zur Flusslandschaftsentwicklung verändert werden.
Box 2: Ein Fallbeispiel der Umsetzung von naturbasierten Lösungen im Flussabschnitt der Lahn an der „Gisselberger Spannweite“.
An der Gisselberger Spannweite im Süden Marburgs wurde von 2019 bis 2020, im Rahmen des EU Life Projektes „LiLa Living Lahn – ein Fluss, viele Interessen“, ein 1,5 km langer Flussabschnitt der Lahn renaturiert (Abb. 3; RP Gießen 2020). Die Lahn war in diesem Bereich ein kanalartiger, strukturarmer Flussschlauch, der hinsichtlich des ökologischen Zustands als unbefriedigend beurteilt wurde (HLNUG 2020). Mit dem Ziel, die Lahn als Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten und den Menschen aufzuwerten, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, die als naturbasierte Lösungen interpretiert werden können. So wurden unter anderem Uferbereiche partiell aufgebrochen, Nebenläufe, Kleingewässer sowie Kiesbänke und -inseln angelegt und Totholzstämme eingebaut. Dies hat zur Folge, dass Strömungsverhältnisse und Strukturen im Gewässer sowie in der angrenzenden Aue verändert werden und sich das Gewässer eigendynamisch weiterentwickeln kann. Davon profitieren insbesondere Tierarten wie die Nase (Chondrostoma nasus ), die unterschiedliche Gewässerstrukturen benötigen auf der Suche nach Nahrung, Laichplätzen und Schutz vor Fressfeinden, sowie bedrohte Amphibien, Wattvogelarten und Fledermäuse. Weitere Vorteile der Renaturierung betreffen das erhöhte Hochwasserregulationsvermögen infolge vergrößerter Wasserretentionsflächen sowie eine Verbesserung der landschaftsästhetischen Qualität und der damit verbundenen Attraktivität für Naherholungssuchende (Simon 2020). Mit der Umgestaltung des Lahnabschnitts wurde somit nicht nur ein Zugewinn an wichtigen Ökosystemleistungen erzielt, sondern auch die Bedeutung der Gisselberger Spannweite als ein Trittstein zur Vernetzung von Habitaten und Schutzgebieten seltener Tier- und Pflanzenarten erhöht (RP Gießen 2020).
Fazit für die Praxis
Ein stärkeres Aufgreifen naturbasierter Lösungen bei der Entwicklung von Flusslandschaften kann helfen, gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel auf nachhaltige Weise zu begegnen und zugleich weiteren Nutzen für Mensch und Natur zu generieren. Um bestehende Hemmnisse für ein umfassendes Aufgreifen von naturbasierten Lösungen zu überwinden, bieten sich drei Anknüpfungspunkte:
- Bürger können die Idee, im Rahmen von naturbasierten Lösungen mit der Natur zu kooperieren, anstatt gegen sie zu arbeiten, aufgreifen und zu ihrer Verbreitung beitragen.
- Planer können Spielräume bei bestehenden Instrumenten stärker ausnutzen, um bereits heute NBL in Flusslandschaften zu sichern, zu stärken oder neu zu entwickeln. Kooperationen mit den vielfältigen Interessengruppen und Akteuren sowie die gemeinsame Erarbeitung und Erkundung von Entwicklungsszenarien und ihren Implikationen sind hierbei von zentraler Bedeutung.
- Politisch können Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit NBL stärker als bisher bei Entscheidungen berücksichtigt werden. So könnten Zielsetzungen für das Gewässermanagement so angepasst werden, dass die Entwicklung integrativer Konzepte für Flüsse und ihre Auen erleichtert und das Aufgreifen naturbasierter Lösungen gefördert werden.
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