Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Gewässerrenaturierung

Wo sich die Lutter windet

Die Lutter bei Harsewinkel im ostwestfälischen Kreis Gütersloh wurde zu Jahresbeginn in einem 500 m langen Abschnitt renaturiert. Oliver Juhnke, Ralf Kloke und Norbert Thiemann stellen das Projekt gemeinsam vor.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
1 Das neue Bett der Lutter ist vielfältig und abwechslungsreich. Bei Hochwasser füllen sich auch die Senken im Gelände mit Wasser.
1 Das neue Bett der Lutter ist vielfältig und abwechslungsreich. Bei Hochwasser füllen sich auch die Senken im Gelände mit Wasser.NZO-GmbH
Artikel teilen:

Wie würde Johann Wolfgang Goethe seinen Faust eigentlich in Zeiten von Social Media sprechen lassen? Vielleicht ja so:

„Heiße Blogger, heiße Influenzer gar!
Und poste schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meinen Follower in der Welt herum.“

Nun ist nicht jeder Besitzer eines Instagram-Accounts auch gleich Influenzer. Viele nutzen die digitalen Möglichkeiten auch, um Netzwerke zu pflegen und andere auf ihre Arbeit – ob privat oder als Unternehmen – aufmerksam zu machen.

Mit Erfolg: Ohne den Insta-Post der Firma Boymann wären wir wahrscheinlich nicht auf die Renaturierung der Lutter im Kreis Gütersloh aufmerksam geworden – die hat schließlich gerade mal eine Länge von 25 km und ist im schwäbischen Stuttgart nicht unbedingt bekannt. Und das wäre schade: Die Renaturierung des sandgeprägten Tieflandbachs zählt definitiv zu den gelungenen Vorzeigeobjekten.

Ausgangssituation

Wenige Monate zuvor sah die Lage noch ganz anders aus: Wie so viele Bäche war auch die Lutter anthropogen überprägt, begradigt, an den Rand ihrer früheren Aue verlegt und sogar mit flachen Verwallungen „eingedeicht“ worden, um die angrenzenden Acker- und Grünlandflächen intensiv nutzen zu können. Das ökologische Potenzial des Baches war unbefriedigend, die Wasserqualität ließ ebenfalls zu wünschen übrig.

Höchste Zeit also für den Kreis Gütersloh, den geltenden Verpflichtungen, die durch die Europäische Wasserrahmenrichtlinie vorgegeben sind, nachzukommen. Von vornherein war klar: Der ursprüngliche Verlauf lässt sich nicht originalgetreu wiederherstellen, auch auf altem Kartenmaterial sind die natürlichen Mäander des Baches nicht mehr vorhanden. „Selbst wenn wir den ursprünglichen Verlauf kennen würden, wäre die Rekonstruktion aufgrund der mangelnden Flächenverfügbarkeit kaum möglich“, ergänzt Oliver Juhnke, der im Sachgebiet Kultur- und Wasserbau beim Kreis Gütersloh die gewässerbaulichen Maßnahmen umsetzt.

Trotzdem gelingt dem Kreis ein Glücksgriff: Er kann eine 6 ha große Grünlandfläche kaufen. Am nördlichen Rand steigt das Gelände leicht an und geht in trockenere Bereiche sowie eines der letzten Hochmoore in Ostwestfalen-Lippe über – drei Lebensräume, für die nun übergreifend eine zusammenhängende Planung stattfinden konnte.

Ganzheitliche Planung

Diese übernahm das Team vom Büro NZO aus Bielefeld, namentlich Geschäftsführer Ralf Kloke, der Geografie studiert hat und seit 22 Jahren bei NZO arbeitet.

Das übergeordnete Planungsziel: Dynamik initiieren. Dazu sollte die Lutter wieder an ihre Aue angeschlossen werden, indem der Bach wieder über seine Ufer treten kann. Pflanzungen von Auengehölzen sollten keine erfolgen – auch hier wird voll auf Eigendynamik gesetzt. Sonst gab es nur die Auflage, die historische Nutzung nicht gänzlich unberücksichtigt zu lassen: „Die Lutter wurde schon in früherer Zeit umgebaut, auch als Zufluss für ein nahe gelegenes Kloster und dessen Fischteiche“, erklärt Kloke. Diese historische Nutzung galt es, so der Wunsch in der Beteiligungsphase der Öffentlichkeit, abschnittsweise erkennbar zu belassen.

Anhand alter Karten und dem Erscheinungsbild anderer sandgeprägter Tieflandbäche in der näheren Umgebung entstand so auf der Fläche ein neues Bild der Lutter, mit weiten Mäandern, ausgeprägten Prall- und Gleithängen und Blänken, die bei geringfügigen Wasserstandsänderungen schnell zu offenen Wasserflächen werden.

Dabei dürfen und sollen wieder große wechselfeuchte Flächen entstehen. „Ein Wasserstand von 1 bis 2 cm macht in der Aue einen erheblichen Unterschied“, erläutert Kloke. „Damit werden schnell große Flächen geflutet. Das sind perfekte Habitate für Watvögel.“ Im Übergang zu den angrenzenden Trockenlebensräumen können so ideale Standorte für verschiedene Arten, beispielsweise die Knoblauchkröte oder auch verschiedene Heuschrecken und Laufkäfer, geschaffen werden.

Erfahrene Modellierer

Um diese differenzierten Naturschutzziele zu erreichen, bedurfte es der Umsetzung durch ein Unternehmen, das bereits Erfahrungen im Bereich Renaturierung hat. Denn Oliver Juhnke weiß: „Jede Renaturierung steht und fällt mit dem Baggerfahrer!“ Nach der Ausschreibung der Arbeiten fiel die Wahl auf die Firma Boymann, ein Garten- und Landschaftsbauunternehmen mit drei Standorten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg. Der nordrhein-westfälische Standort in Dortmund ist spezialisiert auf Renaturierungen, sehr zur Freude des Planers: „Die Baufirma hat ein großes Verständnis für die Gewässerentwicklung an den Tag gelegt“, freut sich Ralf Kloke.

Bevor allerdings die Bagger anrückten, wurden zuerst die Fische mittels Elektrobefischung entnommen. Döbel, Dreistachlige Stichlinge, Gründlinge, Hechte und Schmerlen wurden von den Fischereibiologen von NZO schonend in benachbarte, ungestörte Bereiche umgesiedelt. Erst dann konnte die Umgestaltung beginnen.

Die Bodenbewegungen waren, wie bei allen Renaturierungen, immens. Es gelang aber durch die gute planerische Vorbereitung, keine Bodenabfälle zu produzieren, deren Entsorgung die ausführende Firma erfahrungsgemäß vor Probleme stellen würde. Stattdessen wurde der abgetragene nährstoffreiche Oberboden – schließlich soll sich die Aue zu einem artenreichen Standort entwickeln – auf benachbarte landwirtschaftliche Flächen verbracht, wo er weiter genutzt werden kann. Unterboden wurde zur Ergänzung der benachbarten Trockenlebensräume naturraumtypisch wie ein eiszeitliches Relikt dünenartig gestaltet.

Hilfe von oben

Der 20-Tonnen-Bagger kam aber nicht allein. Mit ihm rückte auch eine Drohne an. Für Boymann war das eine Neuheit im Bauablauf, wie der zuständige Bauleiter Norbert Thiemann erzählt. Mit dieser Drohne überwachte Ralf Kloke die Modellierung der Flächen von oben. Im Büro NZO ist das die übliche Vorgehensweise. „Aus der Luft präzisiert sich der Eindruck, den man vom Boden aus hat“, erklärt er den Drohneneinsatz. Eine sehr produktive Zusammenarbeit mit dem planenden Büro, findet Thiemann. Aber absolut positiv: „Auf diese Weise konnten wir Schwachstellen im neuen Verlauf frühzeitig erkennen. So ließen sich Details wunderbar nacharbeiten.“

Nach der Modellierung der Mäander, der zukünftigen Überflutungsbereiche und der Ansaat der Trockenstandorte mit einer angepassten gebietsheimischen Saatgutmischung erfolgte der wesentliche Schritt: die Entfernung der Verwallungen, die bisher für die Nutzbarkeit der Aue als Grünland sorgten. Diese Maßnahme sorgte bei den Beteiligten allerdings für Überraschungen: Niemand hatte damit gerechnet, dass die Fläche in kürzester Zeit derart wiedervernässen würde. Innerhalb eines Tages füllten sich die beiden Blänken, die Boymann angelegt hatte.

Der Umsetzung tat diese Überraschung aber keinen Abbruch: Zu diesem Zeitpunkt mussten nur noch die Strukturelemente eingebracht werden. Vor allem Baumstubben und ganze Bäume kamen dabei als liegendes Totholz zum Einsatz. Sie sollen Dynamik initiieren, denn, so erklärt Ralf Kloke: „Es kommt nicht darauf an, den perfekten Gleithang zu formen, sondern Engstellen zu schaffen, die Erosion begünstigen. Außerdem ist Totholz ein ganz wichtiger Lebensraum für die Kleintiere im Gewässer, das sogenannte Makrozoobenthos. Schließlich bedeckt Totholz in natürlichen Bächen ein Viertel der Gewässersohle.“

Dynamik und Strukturvielfalt wurden auch erreicht – trotz des nassen Untergrunds. Norbert Thiemann fasst zusammen: „Das ist eine der wenigen Renaturierungen, die nach Abschluss schon ‚fertig‘ aussehen.“ Das finden wohl auch die Kiebitze und Waldwasserläufer: Sie suchten die Fläche schon auf, kaum dass die Baumaschinen abgezogen waren. Vor allem im Sommer profitierten sie außerdem von diesem neuen Nahrungs- und Rückzugsraum. Während andernorts für die Vögel nichts mehr zu holen war, tummelten sich auf der renaturierten Fläche Kiebitze, Waldwasserläufer, Austernfischer, Möwen und zahlreiche andere Arten.

Zukunftsperspektive

In Zukunft soll sich die Aue dynamisch entwickeln, allerdings soll sie nicht komplett mit Auwald zuwachsen – ein Szenario, das ohne Management aufgrund von Sameneinträgen durch Wind und Wasser mehr als realistisch erscheint. Deshalb ist geplant, Teile der Aue zukünftig zu mähen. Die Arbeiten übernimmt der Landwirt, dem die Fläche vor dem Ankauf durch den Kreis gehörte. Sollte eine Mahd in Anbetracht der Wasserstände nicht möglich sein, kommt auch eine Beweidung von Teilflächen zum Beispiel mit Schafen in Betracht.

Die zukünftige Entwicklung soll durch aktive Bürgerinformation begleitet werden. Die Nachfrage nach Führungen ist sehr hoch. „Wir selbst können dieser Nachfrage momentan kaum gerecht werden“, gibt Juhnke zu. „Wir müssen und wollen ja auch noch weitere Projekte umsetzen.“ Deshalb übernehmen Naturführer die Exkursionen mit Interessierten.

Zusätzlich wurden eine Infotafel aufgestellt und ein erhöhter Aussichtspunkt geschaffen, wo über die Renaturierung informiert wird. Zudem hat man von dort einen sehr guten Blick ins Gebiet und kann unter anderem die Vögel wunderbar beobachten. Juhnke hofft, damit die Menschen zu sensibilisieren, die Auenflächen nicht zu betreten und auch Hunde nicht frei laufen zu lassen – unter anderem zum Schutz der Kiebitze und anderer Wiesenbrüter, die sich hoffentlich noch einstellen werden.

 

Projektdaten

Name: Naturnahe Umgestaltung der Lutter am NSG Hühnermoor in Marienfeld (Stadt Harsewinkel)

Projektträger: Kreis Gütersloh

Flächengröße: ca. 6 ha

Laufzeit: Juni 2017 bis November 2019

Finanzierung: 80 % Landesmittel (Nordrhein-Westfalen) und 20 % Eigenanteil

Finanzierungsumfang: ca. 148.000 €

Planung: NZO-GmbH, Bielefeld

Ausführung: Boymann Garten- und Landschaftsbau GmbH & Co. KG

 

Ralf Kloke ist Co-Geschäftsführer des landschaftsökologischen Planungsbüros NZO-GmbH aus Bielefeld. Als Diplom-Geograf und GIS-Ingenieur beschäftigt er sich seit über 20 Jahren mit naturnahen Gewässerumgestaltungen auf der Grundlage der biologischen und ökologischen Anforderungen der Gewässer- und Auenarten.

Oliver Juhnke ist Ingenieur der Wasserwirtschaft. Seit 5 Jahren arbeitet er beim Kreis Gütersloh und kümmert sich hier schwerpunktmäßig um die Renaturierung der Fließgewässer im Sinne der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie.

Norbert Thiemann ist Straßenbaumeister und Techniker im Garten- und Landschaftsbau. Seit 1994 arbeitet er bei Boymann, seit 2001 ist er Geschäftsführer des Standorts Boymann Dortmund.

 

Kontakte

Kreis Gütersloh

Abteilung Tiefbau

Wasserstraße 14

33378 Rheda-Wiedenbrück

Tel. 0 52 41 / 85 26 25

Website: www.kreis-guetersloh.de

 

 

NZO-GmbH

Piderits Bleiche 7

33689 Bielefeld

Tel. 0 52 05 / 99 18-0

Website: www.nzo.de

 

 

Boymann

Garten- und Landschaftsbau GmbH & Co. KG

Bockenfelder Straße 216

44388 Dortmund

Tel. 02 31 / 96 32 58-0

Website: www.boymann.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren