Die neue Lebensader Leipzigs
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Über Kilometer prägen sie die Landschaft, dicht bewachsen mit hohen Gräsern und einzelnen blühenden Kräutern – insgesamt ein eher monotones Bild. Vereinzelt sind kleinere Schafherden zu sehen, die entspannt in der Mittagshitze lagern oder die Fläche abweiden. Die beiden meterhohen Deiche rahmen die Neue Luppe ein, die im sanften Schwung im Nordwesten Leipzigs fließt. Gewässerdynamik: Fehlanzeige. Auf den Deichrücken: asphaltierte Wege, ideal zum Radfahren – und genau das machen Maria Vlaic und ich heute auch.
Dr. Maria Vlaic ist hier täglich mit dem Rad unterwegs auf ihrem Arbeitsweg zum NABU Sachsen. Sie hat Biologie und im Nebenfach Geografie studiert, anschließend in der Forstwissenschaft promoviert. Zum NABU kam sie über die Umweltbildung. „Mir war es immer schon wichtig, die Menschen zu sensibilisieren und auf den Wert vor ihrer Haustür aufmerksam zu machen“, erzählt sie. Für ihren Arbeitgeber ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung im Projekt „Lebendige Luppe“ zuständig.
Weitreichende Veränderungen
Die Neue Luppe prägt das gesamte Projektgebiet und ist maßgeblich für die heutigen Probleme der Elster-Luppe-Aue verantwortlich. Dieses Gewässer wurde vollständig von menschlicher Hand geformt. Die Neue Luppe wurde Anfang der 1930er- und 1950er-Jahre gebaut. Sie zweigt aus dem Elsterbecken ab, einer rechteckigen, ebenfalls anthropogenen Struktur, die zum Ziel hatte, das Hochwasser der Auenlandschaft in Leipzig zu kontrollieren. Ihre geschwungene Form hat die Neue Luppe nicht ohne Grund: Durch den Verlauf gelang es, alle ursprünglichen Wasserläufe der Auenlandschaft quer zu durchschneiden. „Und damit hat man natürlich den gesamten Wasserhaushalt komplett gestört“, fasst Maria Vlaic zusammen.
Durch die Zusammenführung der Gewässer aus dem Süden im breiten Elsterbecken sinkt die Fließgeschwindigkeit enorm ab. Deshalb lagern sich die Feinanteile dort ab. In der Folge des Geschiebemangels vertiefen sich die Gewässersohlen der abzweigenden Neue Luppe und Nahle stark – und senken den Grundwasserstand in der umgebenden Aue. Die Auswirkungen tiefer Grundwasserstände und mangelnder Überflutung sind klar abzulesen: Im Jungwuchs des Hartholzauenwalds dominieren heute der Spitz- und Bergahorn als trockenliebende Arten. In vielen Bereichen ist bereits heute eine Entwicklung zum Eichen-Hainbuchenwald zu erkennen.
Diesen Status quo möchten die fünf Projektpartner der Lebendigen Luppe aktiv angehen. Ziel des Projekts ist, ehemalige Wasserläufe mithilfe der Relikte ursprünglicher Flussläufe in ähnlicher Form wiederherzustellen und auch kleinere Hochwasserereignisse wieder in die Aue zu bringen. Die Städte Leipzig und Schkeuditz übernehmen dabei die Baumaßnahmen südlich der Neuen Luppe, der NABU die Baumaßnahmen nördlich sowie die Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung. Für die wissenschaftliche Begleitung sorgen das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und die Universität Leipzig. Eine der Besonderheiten des Projekts: Es gibt nicht nur eine naturwissenschaftliche Begleitung für die floristischen, faunistischen und bodenkundlichen Aufnahmen, sondern auch eine sozialwissenschaftliche Begleitung, die die Kommunikationsprozesse unterstützt.
Gerade durch die sozialwissenschaftliche Komponente hat sich das Projekt inhaltlich stark weiterentwickelt, denn sie fördert den ausführlichen Dialog mit allen Akteuren. „Ursprünglich war unser Ziel, einen kleineren Flusslauf zu schaffen mit wechselnden Wasserständen zwischen 0,5 und 2,5 Kubikmeter Durchfluss pro Sekunde“, erzählt Maria Vlaic. Doch damit stießen die Projektplaner auf erhebliche Widerstände, vor allem vonseiten des Naturschutzes. Wenn schon ein alter Gewässerverlauf in der Aue wiederhergestellt würde, dann doch bitte auch mit den auentypischen Überschwemmungen und Wassermengen. „Das hat zu vielen ausführlichen Diskussionen geführt“, erinnert sich Vlaic. „Aber auch zu vielen sehr guten Ideen.“
Inzwischen ist der Projektstand ein völlig anderer: Die Lebendige Luppe soll im Mittel 1 bis 1,5 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, im Hochwasserfall bis zu 30 m³/s führen und soll in der Lage sein, den Auwald zu überschwemmen. „Das sind jetzt keine Unmengen an Wasser“, gibt Vlaic zu. „Es entspricht etwa einem fünfjährigen Hochwasserereignisse.“ Aber gerade diese kleineren Hochwasser sind es, die in der Landschaft fehlen. „Damit könnten wir schon fast die Hälfte der Auwaldfläche überschwemmen. Dazu zählen auch verschiedene Offenlandbereiche, die zusammen mit der Hartholzaue hier ein Mosaik bilden.“
Fließen muss es!
Wichtig ist der Biologin, dass das Wasser nicht einfach in die Fläche eingeleitet wird und dort verbleibt, sondern den Rinnen und alten Flussläufen folgend flutet und auch wieder entwässert, um zu lange Stauwirkungen zu vermeiden. „Wir brauchen eine Hochwasserleitbahn!“, beschreibt sie diesen Ansatz. In Senken kann und sollte das Wasser auch länger verbleiben. Den Praxistest hatte das Gebiet bereits, vor allem das letzte Hochwasser. Damals führte die Neue Luppe Hochwasser (mehr als 400 m³/s) und über das Nahleauslassbauwerk wurde dies in den Auwald abgeleitet. Die Aue als Flutpolder. „Das Wasser verteilte sich auch wirklich schön in den alten Flussbetten“, erzählt Vlaic, „und überschwemmte fast alles.“ An den Deichen und der quer zur Fließrichtung verlaufenden Bundesstraße aber stoppte das Wasser. Die Querstrukturen ließen es aufstauen. Drei Wochen lang stand das Wasser in diesen Flächen und konnte in der „Hochwassersackgasse“ nicht abfließen. Einige wenige Ahornbestände in der Aue starben aufgrund von zehnwöchigen Überstauungen in kleinen Bereichen ab. Schließlich musste das Wasser abgepumpt werden. „Für uns war das eine Bestätigung: Die Leipziger Nordwestaue hat noch ein großes Potenzial und der neue Verlauf des Flusses würde das Wasser entlang der Deiche aus der Sackgasse hindurchleiten.“
Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn dabei müssen die Planer zahlreiche Herausforderungen meistern. Das geringe Gefälle der Fläche und die tief liegenden Flussbetten der Nahle und der Neuen Luppe machen die Planung nicht ganz einfach und so lassen sich die alten Flussläufe nicht problemlos an die bestehenden Gewässerläufe anschließen. Gleichzeitig ist es nicht einfach, überhaupt Wasser für flächige Überschwemmungen in die Fläche zu bekommen. Die Planer entwickelten hier eine ganze Reihe von Lösungsoptionen. Oft stellte sich dann aber beim Durchspielen solcher Szenarien heraus, dass doch irgendwo ein Haken war, der das jeweilige Szenario scheitern ließ. „Entweder ist es der Rückstau des Wassers im Fluss oder die Infrastruktur wie Brücken oder Gasleitungen“, erzählt Maria Vlaic. Probleme verursachen auch die zahlreichen Mischwassereinlässe und Siedlungsentwässerungen. „Bei Starkregen springen die Mischwasserauslässe an. Das könnten in manchen Szenarien einen Rückstau in die angrenzenden Siedlungsbereiche bedeuten.“ Nach einer ganzen Reihe von Szenarien, die ein solches Trial-and-Error-Verfahren durchliefen, ist man nun in der Alternativenbetrachtung angelangt. Die zukünftige Lösung muss sowohl naturschutzfachlich sinnvoll als auch technisch und im urbanen Kontext möglich sein.
Eine weitere Herausforderung in der Auenlandschaft ist auch die vor allem durch den Bergbau im Einzugsgebiet bedingte hohe Schwermetallbelastung der Sedimente, die die Flüsse mit sich bringen. Die bindigen Auenböden puffern diese zwar recht gut ab; dennoch gilt es, dies bei der Planung zu berücksichtigen, um die Schadstoffe nicht zu mobilisieren.
Gleichzeitig darf bei allen Überlegungen, möglichst viel Wasser für eine Überschwemmung abzuzweigen, auch nicht der Wasserbedarf an anderer Stelle vergessen werden, denn direkt an das Projektgebiet angrenzend befindet sich zum Beispiel auch das zentrale Klärwerk der Stadt Leipzig, das auf das Wasser aus der Weißen Elster und der Neuen Luppe als Mischwasser angewiesen ist. „Das schränkt uns bei Mittelwasser für einen weiteren Flusslauf momentan recht stark in der verfügbaren Wassermenge ein“, gibt Vlaic zu. Aber wenn bei zukünftigen Sanierungen oder Modernisierungen von Anlagen in der Aue die aktuellen Rahmenbedingungen verändert werden können, kann das Wassermanagement der Lebendigen Luppe neu überdacht werden.
Kommunikation als Werkzeug
„Unsere wichtigste Aufgabe in den ersten Jahren war, den Menschen zu erklären: Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser“, erzählt Vlaic. „Auch wenn ein Fluss über die Ufer tritt, bedeutet das nicht, dass gleich ganz Leipzig oder Schkeuditz unter Wasser steht.“ Der kleine Burgauenbach mit seiner geringen Fließgeschwindigkeit – auch hier bildet sich das geringe Gefälle der Aue deutlich ab – ist daher ein beliebtes Exkursionsziel, das Vlaic gern nutzt, um Vorbehalte abzubauen. Der Bach ist ebenfalls ein Renaturierungsprojekt des NABU und der Stadt Leipzig, wurde bereits 1999 eingeweiht. Es ist ein kleiner Bach mit geringen Wassermengen, der sich in ehemaligen Fließrinnen durch die Aue schlängelt, dessen Wasserstand stark schwankt und auf 10 Hektar sogar über die Ufer treten kann. Er ist zu Fuß und per Rad bequem zu erreichen, sein Ufer ist an vielen Stellen problemlos zugänglich. Damit ist er für die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts Lebendige Luppe besonders wertvoll.
Im Frühjahr wird die Wassermenge üblicherweise erhöht. Diese kleinen Hochwasserereignisse lassen das Fließgewässer anschwellen, mitunter auch über die Ufer treten und sich in der Umgebung des Baches ausbreiten. Der neue Gewässerlauf der Lebendigen Luppe wird mehr Wasser führen und zu größeren Überschwemmungen in der Aue beitragen. Und: Die Lebendige Luppe soll auch den Grundwasserspiegel im Auwald anheben, was der Burgauenbach kaum schafft. Diese Ziele versucht die Öffentlichkeitsarbeit im Projekt Lebendige Luppe zu vermitteln – auf Exkursionen und Informationsveranstaltungen, in Broschüren und im direkten Gespräch.
Papitzer Lehmlachen
Neben dem Burgauenbach blickt Vlaic besonders stolz auf die Papitzer Lehmlachen. Sie sind das Teilprojekt, dass der NABU umgesetzt hat. Hier wurde bis in die 1970er-Jahre hinein Lehm abgebaut. „Und auch daneben haben die Lachen eine bewegte Vergangenheit“, weiß die Biologin zu berichten. „Urzeitkrebse sollen hier so häufig gewesen sein, dass die Bauern früher ihre Schweine damit gefüttert haben. Und in Kriegszeiten wurde hier Kohl angebaut.“ Auch als FKK-Bad und als klassischer Fischteich wurden die Lachen genutzt. Nach und nach erfolgte die Stilllegung und schon zu DDR-Zeiten wurden Teile der Flächen unter Schutz gestellt. Sie füllten sich mit Grundwasser und boten wertvolle Lebensräume für Rotbauchunke und Kammmolch. Der Grundwasserentzug durch die Neue Luppe bereitete dem aber schnell ein Ende: Die Lachen trockneten aus, die Amphibien drohten zu verschwinden. „Schon direkt nach der Wende wurde hier deshalb die erste Bewässerung initiiert und später erweitert“, erzählt Vlaic. Doch mit den Jahren wurde das Bauwerk marode, am Ende war die Bedienung geradezu lebensgefährlich. Der NABU erneuerte das Bauwerk, sodass nun wieder verschiedene Wasserstände aus der Weißen Elster durch den Wiesengraben in die Lachen geleitet werden können.
Neben der Erneuerung der kontrollierten Bewässerung sorgt der NABU vor allem dafür, dass die Lehmlachen auch weiterhin von zu viel Gehölzaufwuchs freigehalten werden. Sie bieten deshalb heute nicht nur Lebensraum für Amphibien wie Moorfrosch, Kammmolch und Rotbauchunke sowie zahlreiche Libellenarten, sondern weisen auch üppige Bestände von Sumpf-Wolfsmilch (Euphorbia palustris ) auf. Im Sommer wird dann die Wasserversorgung gestoppt und innerhalb von wenigen Tagen fallen die Lachen trocken – bis zur nächsten Saison.
Projektfortschritt
Neben den grundlegenden Planungen, die gerade in Form von verschiedenen Lösungsoptionen betrachtet werden, und dem bereits abgeschlossenen Teilprojekt des NABU wird ein Gewässerabschnitt derzeit auch für die Planfeststellung vorbereitet: der Zschampert. Dieser Abschnitt wird zunächst losgelöst vom Rest betrachtet, da er vom Talrand kommend in sein altes Gewässerbett durch die Aue zurückgeführt werden soll. Er wird aber voraussichtlich nach Fertigstellung des vorderen Abschnitts an die Lebendige Luppe angeschlossen.
Die verschiedenen Abschnitte werden parallel beplant und stückweise in die Planfeststellung übergeben. Am Ende sollen sie sich dann wie ein Puzzle zu einer „Lebendigen Luppe“ zusammenfügen.
Maria Vlaic betrachtet das Projekt aber keinesfalls isoliert von anderen Naturschutzbemühungen. Vielmehr ist die Lebendige Luppe für sie ein Bestandteil einer größeren Auenvision, deren Ideen und Ziele weit über die Projektinhalte hinausgehen. „Wir können mit dem Projekt Lebendige Luppe nicht die ganze Aue retten“, betont sie. „Aber wir sind ein Baustein.“ Um dauerhaft etwas zu bewirken, müssen sämtliche Akteure an einem Strang ziehen, und das weit über das Projektende hinaus. Dann bekommen Leipzig und Schkeuditz wieder eine lebendige Auenlandschaft.„Hochwasser ist nicht
Projektdaten
Projektpartner: Stadt Leipzig, Stadt Schkeuditz, NABU Landesverband Sachsen e. V., Universität Leipzig, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Projektkoordination: Stadt Leipzig
Projektlaufzeit: Mai 2012 bis Dez. 2019, beantragt bis 2023
Finanzierung: Bundesamt für Naturschutz mit den Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt sowie die Eigenmittel der Partner
Terminhinweis
Fachtagung „Lebendige Luppe im Kontext einer zukünftigen Auenentwicklung“ vom 6. bis 7. November 2019 in Leipzig.
Alle Infos unter WebcodeNuL4814 oder unter www.lebendige-luppe.de
Philosophie
Ziel des Projekts ist, dem Wassermangel im Auwald entgegenzuwirken und der Aue neue Lebensadern zu schenken, auch als Basis für zukünftige Projekte, die die Beförderung einer auentypischen Dynamik verfolgen.
Neben der Revitalisierung alter Wasserläufe liegt ein Schwerpunkt des Projekts darauf, die Bedeutung der Aue für Mensch und Natur in den Blickpunkt zu rücken.
Weitere Infos
finden Sie unter demWebcode NuL4819 und unter www.lebendige-luppe.de
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