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Leipziger Neuseenland

Von der Baggerwüste zur Seenlandschaft

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden im Süden Leipzigs Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. Mit dem Ende des Abbaus kam der Wandel: Wo man einst am Rande der Abbaugrube in eine ausgeräumte wüstenähnliche Landschaft blickte, baden heute bei gutem Wetter Tausende Menschen im kühlen Nass. Stadtplaner Heinrich Neu stellt die Entwicklung des Leipziger Neuseenlands vor.
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 1 Vom Turm auf der Bistumshöhe lässt sich der Cospudener See gut überblicken.
1 Vom Turm auf der Bistumshöhe lässt sich der Cospudener See gut überblicken. Julia Schenkenberger
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Leipzig ist für mich untrennbar mit dem Fahrrad verbunden. Woran das liegt? Zweimal war ich in dieser Stadt. Beide Male, um Projekte für Naturschutz und Landschaftsplanung kennenzulernen. Und beide Male durfte ich das Gebiet mit dem Fahrrad erkunden. Zugegeben: Das bietet sich rund um den Cospudener See auch an. Aber es ist nicht das einzige Verkehrsmittel hier: Auch Inlineskates sind beliebt, Jogger umrunden schon bei den ersten Sonnenstrahlen den See, und nicht zuletzt erreichen gegen Mittag die ersten Paddler die offene Wasserfläche: Sie sind morgens im Leipziger Hafen gestartet und haben nun das erste Etappenziel erreicht.

Von einer solch vielfältigen Freizeitnutzung des Leipziger Südens war lange nur zu träumen: Wo ursprünglich die Weiße Elster und die Pleiße durch eine strukturreiche Landschaft mit Wiesen, Feldern, Wäldern und kleinen Ortschaften flossen, veränderten Braunkohlebagger das Bild nachhaltig. 1921 begann der Abbaubetrieb, drei Jahre später wurde die erste Kohle gefördert. In den nachfolgenden Jahren mussten Dörfer und Straßen weichen, der Harthwald wurde komplett gerodet, auch das Bett der Weißen Elster wurde verlegt. Erst 78 Jahre später endet diese Ära – und hinterließ auf 31 km² eine ausgeräumte Wüste aus Restlöchern und Abraumhalden.

Diese Kubatur bildete die Grundlage der neuen Gestaltung: Eine Seenlandschaft sollte entstehen, als wesentliches Naherholungsgebiet im Einzugsgebiet Leipzigs zum einen und als Fläche für den Natur- und Landschaftsschutz zum anderen. Die Seen bilden das zentrale Element, umgeben von offenen Wiesenflächen und der „neuen Harth“, einer aufgeforsteten Waldfläche in der sonst eher waldarmen Leipziger Tieflandbucht. Das erklärte Ziel: Eine Verbindung möglichst aller Gewässer mit einer Anbindung an den Leipziger Hafen. Schließlich gab die Expo 2000, deren Außenstandort Leipzig war, einen wesentlichen Impuls, die Fläche aufzuwerten. Ein weiterer Impuls: der Freizeitpark Belantis, der mitten in der Tagebaufolgelandschaft emporwuchs und der heute pro Jahr eine halbe Million Besucher anlockt.

Die Besonderheit bei der Planung: Das Gebiet erstreckt sich über die Stadtgrenzen hinaus. Ein Teil der Flächen gehört zur Stadt Leipzig, ein Teil zur Stadt Zwenkau – unterschiedliche Vorgaben an die Arbeitsinhalte bei Planung und Unterhaltung inklusive. Um ein Kompetenzgerangel schon im Vorfeld zu vermeiden, schlossen sich die beiden Städte deshalb im Jahr 2000 zum Zweckverband Neue Harth zusammen. Vier Jahre danach stand der Masterplan des Büros DENK-Architekten: Das neue Konzept aus Wald, Heideflächen und Strandbereichen stand fest.

Nach der ersten Rekultivierung des Geländes wurde das Konzept 2013 mit einem städtebaulich-landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb weiter geschärft. Hier setzte sich das Labor „4plus“ durch. Die Planer rückten die enge Verzahnung von Erholung, Freizeit, Sport, Tourismus und Natur in den Vordergrund – ein Ansatz, der in jedem Bereich der Seenlandschaft heute klar ablesbar ist.

Intensive Vorbereitung

Bevor aber 2007 das erste Wasser in die Tagebaurestlöcher fließen durfte, mussten erst umfangreiche Sanierungen durchgeführt werden: Es galt, die Ufer zu stabilisieren, um Rutschungen zu verhindern. „Unser Vorteil liegt hier in der Bodenart“, führt Heinrich Neu, Geschäftsführer des Zweckverbands Neue Harth, aus. „Es reichte in der Regel aus, die Ufer abzuflachen, da sich der Boden hier durch sein Korngefüge sehr gut selbst verdichtet. Bei sandigen Böden mit gleichförmiger Körnung ist das wesentlich aufwendiger.“

Die Flutung erfolgte schrittweise, zum einen aus dem Grundwasser, das aus noch aktiven Tagebauen in der Umgebung eingeleitet wird, zum anderen wird Wasser aus der Weißen Elster abgezweigt. Außerdem steigt das Grundwasser nach der jahrelangen abbaubedingten Absenkung wieder an und speist ebenfalls die Seen. So konnte 2015 der Zwenkauer See als letzter in der Seelandschaft in Nutzung gegeben werden. Seinen finalen Einstaustand hat er allerdings noch nicht erreicht: Das ist erst möglich, wenn der letzte Schritt in der Rekultivierung, der Bau des Harthkanals zwischen dem Zwenkauer und dem Cospudener See, vollendet ist.

Regelwerk als Kostentreiber

Dieser Harthkanal jedoch stellt die Planer vor eine Herausforderung. Eigentlich hätte sein Bau längst vollendet werden sollen, dann jedoch änderte sich die Regelwerksvorgabe. „Nun müssen wir die eigentlich recht flachen Seen mit den kleinen Stauwerken am Kanal als Stauseen beplanen“, erklärt Neu. „Das bedeutet, dass nun alles doppelt so groß dimensioniert sein muss.“ Dadurch steigen Materialaufwand und Kosten enorm. Mit einer Fertigstellung vor 2030 rechnet Neu deshalb nicht.

Der Harthkanal allein ist aber nicht die einzige Herausforderung. Das Wasser selbst sorgt auch für die ein oder andere Überraschung – namentlich das Grundwasser. Dessen Anstieg ist in einigen Bereichen so stark, dass Flächen vernässen. Deshalb sind Teile der neuen Harth, des Waldes, der den alten Harthwald ersetzt, wieder abgestorben. Nachpflanzungen mit Arten, die besser an einen hohen Grundwasserstand angepasst sind, wurden nötig.

Wald und Offenland

Inzwischen ist wieder ein dichter Wald entstanden. Aus der Vogelperspektive zeigt sich deutlich die forstliche Anpflanzung: Wer die Stufen des Aussichtsturms auf der Bistumshöhe zwischen den Seen erklimmt, sieht die Grenzen der abschnittsweisen Wiederaufforstung.

Die ersten Bäume, vor allem Hybrid- und Balsampappeln sowie Trauben- und Stieleichen, wurden im östlichen Teil schon 1968 gepflanzt, die letzten folgten schließlich nach der Jahrtausendwende. In den älteren Waldbeständen brüten inzwischen Pirol, Singdrossel und Gelbspötter.

Andere Bereiche in Seenähe werden durch Pflege offengehalten. Beweidung, unter anderem mit Yaks, und Mahd verhindern, dass sich Sanddorn und Co. allzu sehr ausbreiten. Neuntöter und Brachpieper, Schwarz- und Braunkehlchen haben so ein neues Zuhause abseits der Touristenströme gefunden. Gemäht wird hier selten, und die Pflegerhythmen sind auf die Vögel angepasst, und auch zahlreiche Insekten, Spinnen und Schnecken profitieren von der extensiven Pflege.

Im Offenland finden auch viele Pflanzenarten einen neuen Lebensraum, die durch den Tagebau fast verschwunden waren. Inzwischen kann man im mageren Grünland das Echte Tausendgüldenkraut, Schlangen-Lauch und die Steife Rauke finden. An vegetationsarmen offenen Sanierungsböschungen haben sich Sandtrockenrasen entwickelt, mit charakteristischen Arten wie dem Silbergras, dem Quendelblättrigen Sandkraut und dem Zwerg-Filzkraut, und auf Rohbodenflächen tummeln sich Spezialisten wie die Blauflügelige Ödlandschrecke. Sie werden, wie die Vertreter der Sandtrockenrasen, voraussichtlich nur Gäste im Neuseenland sein, und verschwinden, wenn die Sukzession fortschreitet.

Besucherlenkung

Die Trennung zwischen Besucherhotspots und Brutvogelhabitat funktioniert erstaunlich gut. Grund dafür ist das System der Wegeführung: Rund um den Cospudener See führt ein 3,5 m breiter, asphaltierter Rundweg. Ergänzt wird er durch unbefestigte Wege und Strandwege aus WPC hin zu den Badestellen. Außerhalb dieser Hotspots führen nur einige schmale Pfade durch die Fläche. „So erreichen wir, dass sich die meisten Menschen im direkten Umfeld der Seen bewegen“, erklärt Heinrich Neu. „Vor allem Radfahrer und Skater bevorzugen den flachen, asphaltierten Rundweg.“

Auch die Pflegestufen der Flächen tragen ihren Teil dazu bei: Die Liegewiesen am See werden regelmäßig kurzgehalten. Das restliche Grün dagegen wird nur extensiv gepflegt und ein- bis zweimal jährlich gemäht oder beweidet, auf diesen Flächen hat der Arten- und Landschaftsschutz Vorrang.

Hochwasservorsorge

Die neu entstandene Landschaft um den See erfüllt noch eine weitere wichtige Funktion: Der Zwenkauer See dient auch als Hochwasserreservoir der Stadt Leipzig. Im Hochwasserfall kann er 2,30 m über den Normalwasserstand eingestaut werden. So können fast 20 Mio. l Wasser aus der Weißen Elster kontrolliert umgeleitet werden. Anschließend wird das Wasser langsam und zeitverzögert in den Fluss eingeleitet.

Das Hochwasserbauwerk selbst ist zu trockeneren Zeiten, wenn kein Wasser darin steht, bei Schmetterlingen und anderen Insekten beliebt: Durch die regelmäßige Beweidung mit Schafen und Ziegen entsteht hier eine artenreiche Offenlandfläche, die ihnen ein Nahrungshabitat bietet. So teilen sich letztlich viele – Menschen, Tiere, Pflanzen – einen Lebensraum, der vor gar nicht allzu langer Zeit ein Bild der Zerstörung bot.

Heinrich Neu ist Stadtplaner. Im Zweckverband Neue Harth ist er Geschäftsführer und koordiniert sämtliche Maßnahmen und Planungen zum Projektgebiet.

Projektdaten
  • Projektträger: Gründung Zweckverband, gegründet am 11. April 2000
  • Flächengröße: 11,3 km²
  • Finanzierung: Verbandsumlage der Städte Leipzig und Zwenkau
  • Finanzierungsumfang: ca. 500.000 € im Jahr
Philosophie

Natur, Naherholung, Tourismus und Sport mit verlässlichen Partnern im Leipziger Neuseenland planen und realisieren!“

Kontakt

Zweckverband Neue Harth

Neues Rathaus

Martin-Luther-Ring 4–6

04109 Leipzig

Tel. 0341 123 4908

Fax 0341 123 4930

E-Mail: neueharth@leipzig.de

Website: www.neue-harth.leipzig.de

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