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Neues Wasser im Moorquartett

Hannoversche Moorgeest

Seit 2012 arbeitet Susanne Brosch mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern dafür, vier Moore im Umland Hannovers zu renaturieren. Seit 2021 rollen die Bagger. Uns hat sie einen Einblick in ihr Projekt gegeben.
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1) Lattenpegel im Bissendorfer Moor: Hier sind die Erfolge der Wiedervernässung deutlich zu sehen.
1) Lattenpegel im Bissendorfer Moor: Hier sind die Erfolge der Wiedervernässung deutlich zu sehen.S. Brosch 
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Die knorrige Kiefer ist älter, als sie scheint. Der saure Boden hat ihr nur wenige Nährstoffe zum Wachsen gegeben. Hier auf dem alten Torfdamm ist der Moorboden trocken – wenige Meter weiter im alten Handtorfstich wäre das nicht der Fall. Wo noch vor gut 70 Jahren Menschen Torf gestochen haben, steht heute Wasser. Am Rand wachsen Torfmoose und die Samenstände des Wollgrases wiegen sanft im leichten Wind.

Es ist diese Vielfalt der Lebensräume, die das Otternhagener Moor ausmachen: trockene und nasse Lebensräume dicht beieinander. Mensch und Natur haben hier eine vielfältige Landschaft entstehen lassen. Für die Landschaftsplanerin Susanne Brosch ist es das liebste der vier Moore, die sie seit 2012 im Projekt „Hannoversche Moorgeest“ betreut.

Schon vor 2012 waren die Moore nordwestlich von Hannover Gegenstand eines Projekts. 2006 startete die Region Hannover ein GR-Projekt, um die Moore und eine große Pufferzone um die Feuchtgebiete zu schützen und zu renaturieren. Über 5.000 ha Fläche umfasste die ursprüngliche Projektkulisse. Die Idee stieß allerdings auf heftigen Widerstand, vor allem aus der Landwirtschaft. Letztlich wurde das Vorhaben nach der Planungsphase 2010 abgebrochen.

Der Wunsch, die Moore zu renaturieren, blieb. Schließlich sind die Ausgangsbedingungen ideal. Nordwestlich von Hannover wurde der Torf nie industriell abgebaut, die Menschen hatten immer nur kleine Handtorfstiche angelegt. Natürlich wurde auch hier, wie in so vielen Mooren, der Boden durch unzählige Gräben stark entwässert. Trotzdem sind noch viele moortypische Arten vorhanden – allein mehr als 25 Sphagnum-Moosarten, Sonnentau, Moosbeere, Wollgräser und über 30 Libellenarten sind hier heimisch, genauso wie der Moorfrosch, die Schlingnatter und der Kranich. Alle vier Moore sind sowohl Naturschutz- als auch FFH-Gebiet und gehören zu den wertvollsten Hochmooren in Niedersachsen.

Jedes der Moore hat einen eigenen Charakter. Das Bissendorfer Moor ist das älteste. „Es ist ein aufgewölbtes Hochmoor, wie es im Lehrbuch steht“, meint Susanne Brosch. Bis zu 8 m dick ist der Torf hier, und dank ehrenamtlichem Engagement ist die unzerstochene „Heile Haut“ im Zentrum frei von Gehölzen. Im Otternhagener Moor prägt vor allem Abwechslungsreichtum das Gebiet: Handtorfstiche und Dämme, offene Bereiche und Wälder aus Moorbirke und Kiefer wechseln sich ab. Botanisch am interessantesten ist wohl das Helstorfer Moor, das im Gegensatz zu seinen drei Nachbarn auch vom Grundwasser geprägt ist und damit eher als Übergangsmoor einzustufen ist. Das Letzte im Bunde ist das Schwarze Moor – das kleinste im Quartett mit gerade einmal 140 ha. Die Dämme zwischen seinen Torfstichen sind dicht mit Bäumen bewachsen. Trotzdem finden hier viele moortypische Vogelarten den passenden Lebensraum.

Eines jedoch ist ihnen gemein: Die vier Teilgebiete sind zwar vor allem durch die Entwässerung anthropogen verändert, aber verhältnismäßig naturnah und noch mit Erfolg zu renaturieren – die Voraussetzung für ein EU LIFE+-gefördertes Projekt. Das Land Niedersachsen übernimmt Verantwortung für den Erhalt der Moore und der NLWKN wird vom Niedersächsischen Umweltministerium beauftragt, den Projektantrag zu erstellen. Susanne Brosch wirkt maßgeblich daran mit. Sie hat bereits Erfahrung in der Projektarbeit und weiß, worauf sie achten muss. Ein wesentlicher Unterschied des LIFE-Projektantrags im Vergleich zum Vorgänger ist sofort erkennbar: Die Gebietskulisse ist deutlich kleiner. Die landwirtschaftlich genutzten Pufferzonen sind weggefallen, das Projekt konzentriert sich nun auf die FFH-relevanten Lebensräume. Dadurch sind die Umsetzungsvoraussetzungen jedoch deutlich besser. 2012 genehmigt die EU den Projektantrag und der NLWKN setzt das Projekt gemeinsam mit der Projektpartnerin Region Hannover um.

Was erst mal nach weniger Arbeit durch weniger zu bearbeitende Fläche klingt, ist aber keinesfalls zu unterschätzen: Die notwendige Flurbereinigung – eines der drei wesentlichen Arbeitspakete im Projekt – ist denkbar aufwändig. Durch die jahrhundertelange bäuerliche Nutzung der Moore sind die Flurstücke äußerst kleinteilig. Die 2.243 ha, mit denen sich das Projekt beschäftigt, sind in fast ebenso viele Flurstücke unterteilt. Insgesamt sind 900 private Eigentümer oder Eigentümergemeinschaften beteiligt – zwei Drittel der Flächen sind 2012 in privater Hand. Für Susanne Brosch und das zuständige Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser bedeutet das: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. „Wir haben viele Gespräche geführt und Hemmnisse abgebaut“, meint sie zurückblickend. Das klappte nicht immer. Es gab zahlreiche Widersprüche gegen das Verfahren, sogar einige Klagen. „Das hat uns Zeit und Energie gekostet“, meint Brosch rückblickend. Doch die Arbeit zahlte sich aus. Inzwischen sind 94 % der Flächen für das Projekt verfügbar – wenn auch zu deutlich höheren Kosten als ursprünglich kalkuliert. Die Preissteigerungen der vergangenen Jahre mit der Niedrigzinsphase machten sich auch hier bemerkbar. Die Mehrkosten übernimmt vor allem das Land Niedersachsen als Projektträger.

Schon zum Projektstart zeichnet sich ab, welch zeitlichen Aufwand dieses erste Arbeitspaket mit sich bringt. Deshalb beginnt Susanne Brosch mit ihrem Team und vier Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Wasserbau schon parallel zum Flurneuordnungsverfahren mit der Maßnahmenplanung. Der Vorteil im LIFE+-Projekt: Aus dem Vorgängerprojekt sind schon gute Ansätze vorhanden, die es nun zu prüfen, zu verfeinern und zu optimieren gilt. So muss das Team nicht bei null anfangen. Allerdings bringt das Vorgängerprojekt auch eine „Hypothek“ mit: eine 12-Punkte-Vereinbarung mit allen Akteuren, die es zu beachten gilt und die vor allem das Flurbereinigungsverfahren erschwert und erheblich verlängert hat.

Schließlich entsteht ein Maßnahmenkonzept, das die Belange aller Beteiligten berücksichtigt, ohne dass die Ziele des Naturschutzes zu kurz kommen. Susanne Brosch kann für alle vier Moore Anträge zum Planfeststellungsverfahren stellen. Der Genehmigungsprozess verläuft jedoch nicht ohne Hindernisse. Einige regionale Akteure blockieren die Planfeststellungsprozesse durch Klagen. Auch hierdurch verzögert sich die Maßnahmenumsetzung erneut. An den planmäßigen Beginn der Baumaßnahmen ist deshalb nicht zu denken, genauso wenig wie an den pünktlichen Projektabschluss im Herbst 2023 – eine Projektverlängerung bis 2027 muss her.

Im Sommer 2021 dann der Durchbruch: Alle Widersprüche und Klagen im Flurbereinigungs- und in den Planfeststellungsverfahren sind vom Tisch. Im Schwarzen und im Otternhagener Moor können die geplanten Baumaßnahmen bereits im August 2021 beginnen. Der Maßnahmenumfang ist gewaltig und die Umsetzung erstreckt sich über mehrere Jahre. In den vier Mooren sollen 38 km Entwässerungsgräben verschlossen und 63 km Torfdämme zum Regenwasserrückhalt errichtet werden. 2022 beginnen die beauftragten Baufirmen auch im Bissendorfer Moor. Ihr Zeitfenster ist eng: Sie dürfen nur jeweils von August bis Februar im Moor arbeiten, anschließend müssen die Arbeiten zum Schutz der dort lebenden Arten ruhen.

Doch nicht nur die engen Zeitfenster und der nasse Baugrund sind ein Problem. In den Mooren liegen auch Kampfmittel aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg – überwiegend Übungsmunition. Zwar wurden die Verdachtsflächen vorab identifiziert und als kampfmittelbedingte „Tabubereiche“ für die Baufirmen gesperrt – spontane Granatenfunde treten aber trotzdem auf. Das Moor konserviert die Kampfmittel. „Die sehen aus wie neu“, stellt Brosch staunend fest. Wird ein Sprengkörper gefunden, müssen die Arbeiten ruhen, bis der Kampfmittelräumdienst angerückt ist. Das verzögert den Baufortschritt.

Nach den ersten beiden Baufenstern ist etwa ein Drittel der Gesamtmaßnahmen abgeschlossen. Erste Erfolge zeichnen sich bereits ab: „Man sieht, dass es deutlich nasser ist!“, freut sich Susanne Brosch. Dass das nicht nur die subjektive Wahrnehmung der Projektleiterin ist, zeigen 120 Messstellen, die über die Gebiete verteilt sind – sowohl Pegel als auch Datalogger. Teilweise sind schon Wasserstandserhöhungen von 20 bis 30 cm zu verzeichnen. Den Erfolg spiegelt auch die Fauna wider. „Die nassen Flächen werden von der Vogelwelt gesehen und angenommen“, stellt Brosch fest. Inzwischen nisten deutlich mehr Kraniche in Hannovers Mooren, und auch ein Seeadler war schon Gast im Gebiet.

Die Pflanzenwelt der Moore passt sich deutlich langsamer an. Doch auch sie wird sich mit den neuen Wasserständen sukzessive verändern. Viele der Bäume werden – teilweise auch mithilfe des Projektteams und der Ehrenamtlichen – durch höhere Wasserstände absterben und den Platz für neues Moorwachstum freimachen. Hier greift das Projektteam bewusst ein, schließlich wirken die Bäume wie eine zusätzliche Wasserpumpe, die dem Moor Wasser entzieht. Wie die Flora sich konkret entwickelt, soll ein Monitoring zeigen: Insgesamt drei Inventarisierungen finden im Projektverlauf statt. Zusätzlich gibt es FFH-Dauerbeobachtungsflächen, um die Entwicklung der Lebensraumtypen der Hochmoore zu dokumentieren.

Weiter beeinflussen – neben dem Entkusseln und Ringeln von Gehölzen – wird das Team allerdings künftig nicht. Die Zielarten sollen sich von selbst wieder ausbreiten, schließlich bietet das vorhandene Artinventar der vier Moore der Hannoverschen Moorgeest beste Voraussetzungen dafür. Die umfangreichen Maßnahmen zum Regenwasserrückhalt schaffen die wichtige Basis dafür, möglichst ganzjährig hohe Wasserstände zu erreichen, damit im Nordwesten Hannovers bald wieder der Torf wächst und der Ausstoß klimarelevanter Gase deutlich reduziert wird.

 

Kontakt

Projektdaten

  • Projekttitel: Wiedervernässung der Hochmoore Helstorfer, Otternhagener, Schwarzes und Bissendorfer Moor in der Hannoverschen Moorgeest
  • Projektträger: Land Niedersachsen
  • Projektpartnerin: Region Hannover
  • Projektleitung: Susanne Brosch Projektdauer: September 2012 – August 2027
  • Projektfläche: 2.243 ha
  • Finanzierung: EU: 47 %, Land Niedersachsen: 47 %, Region Hannover: 6 %
  • Finanzierungsumfang: 17,5 Mio. €

Susanne Brosch hat Landschafts- und Freiraumplanung studiert, ist Assessorin der Landespflege und arbeitet beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft-, Küsten- und Naturschutz als Aufgabenbereichs- und Projektleiterin im Regionalen Naturschutz.

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