Ein Erfolgsbegehren für Bienen und mehr
Das Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ hat weit über die Grenzen des Freistaats hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Es ist das Volksbegehren mit der höchsten Beteiligung in der Geschichte Bayerns. LBV-Chef Dr. Norbert Schäffer hat uns die Hintergründe der Initiative erklärt.
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Ich war vor einigen Wochen in München. Es herrschten ziemlich eisige Temperaturen, zwei Tage zuvor waren gut 15 Zentimeter Schnee gefallen. Winter eben, für Anfang Februar nicht ungewöhnlich. Und wie ich da so die Treppe von der U-Bahn zum Marienplatz hochsteige, kommt sie mir entgegen: Eine riesengroße, lachende Biene, schwarz-gelb gestreift, mit einigen Flyern in der Hand und Fühlern auf dem Kopf.
Auf die erste Irritation folgt schnell die Auflösung: Die Dame im Kostüm wirbt für das Volksbegehren Artenvielfalt. Sie ist eine der zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), die sich nach Kräften für das Begehren „Rettet die Bienen!“ eingesetzt haben.
Dabei ist es gar nicht der LBV, der das Volksbegehren initiiert hat. Den Stein ins Rollen brachte nämlich die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). „Die ÖDP hat fast schon eine gewisse Tradition in Sachen Volksbegehren“, erklärte Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV. Der Landesbund selbst zögerte dagegen zuerst, sich zu beteiligen. Seine Kapazitäten waren zum Zeitpunkt, als die Idee zum Bürgervotum aufkam, noch in einem anderen – später vom Bayerische Verfassungsgerichtshof für nicht zulässig erklärten Begehren zum Flächenverbrauch in Bayern gebunden. Zudem war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, ob „Rettet die Bienen“ vom Innenministerium überhaupt genehmigt würde.
Die ÖDP war also in der ersten Projektphase auf sich allein gestellt, musste 25 000 Unterschriften sammeln, um die Genehmigung des Volksbegehrens zu beantragen. „Uns war klar, dass die ÖDP diese erste Hürde sehr leicht selbst nehmen kann“, begründete Schäffer die Zurückhaltung des LBV. „Deshalb haben wir uns entschieden, uns zu diesem Zeitpunkt noch zurückzunehmen.“ Und er behielt recht: Mit fast 100 000 Stimmen meisterte die Partei die erste Hürde mit Leichtigkeit. Schon wenig später wurde das Begehren dann vom bayerischen Innenministerium genehmigt.
Tatkräftige Unterstützung
Nachdem das Volksbegehren zum Flächenfraß abgelehnt war, konnte sich der LBV auf das Volksbegehren Artenvielfalt konzentrieren. Im ersten Schritt prüfte das Team die Inhalte des Gesetzesentwurfs auf die Übereinstimmungen der darin enthaltenen Forderungen mit den Zielen des LBVs. „Das Problem bei Volksbegehren ist, dass man den Gesetzestext nicht mehr ändern kann. Wenn er abgegeben ist, dann steht jedes Komma“, so Schäffer. Schnell zeigte sich, dass auch die Ziele des LBV im Entwurf gut abgebildet sind. Es geht darin beispielsweise um die Ausweisung von nicht ackerbaulich genutzten Gewässerrandstreifen, um die Schaffung eines Biotopverbundes, um die Förderung der ökologischen Landwirtschaft. „Wenn wir es selbst geschrieben hätten“, meint Schäffer, „wären wir in einigen Forderungen darüber hinausgegangen. Aber das hätte auch bedeuten können, dass es vom Innenministerium dann vielleicht abgelehnt worden wäre.“
Nach der Entscheidung, mit den anderen Trägern gemeinsam an der Durchführung des Volksbegehrens mitzuwirken, entstand schnell ein immenser Zeitdruck. Alle 30 Geschäftsstellen des LBV wurden eingebunden, mindestens die Hälfte der zirka 250 Mitarbeiter wirkte substanziell am Begehren mit. Dabei trat der LBV selbst in der Öffentlichkeit nur relativ wenig in Erscheinung, er arbeitete überwiegend unter dem Mantel der Trägergesellschaft.
Richtige Idee zum falschen Zeitpunkt
Leicht war die Aufgabe nicht, der sich die Mitarbeiter stellten: „Es war eine Riesenherausforderung, im Winter bei Eis und Schnee mit den Menschen über Bienen und Schmetterlinge zu reden. Das ist schon eine intellektuelle Transferleistung“, bekräftigt Schäffer.
Neben den Wetterkapriolen – von Regen über Schnee und Eis war alles dabei – waren auch die technischen Hürden nicht einfach zu bewältigen. Eine Briefwahl gab es nicht, die Wahlwilligen mussten mit ihrem Ausweis in das jeweilige Rathaus am Wohnort oder sie mussten erst eine Verlegung beantragen. Die Abläufe gestalteten sich wesentlich komplizierter als bei Bundes- oder Landtagswahlen.
Trotz dieser Widrigkeiten darf sich das Volksbegehren Artenvielfalt das erfolgreichste Begehren in der Geschichte Bayerns nennen. Mit 18,3 % der Wahlberechtigten (1,7 Mio. Stimmen) haben über 750 000 Menschen mehr ihre Unterschrift gegeben, als für die Erreichung des Ziels nötig gewesen wäre. Kurz vor dem Ende der Eintragungsfrist sickerten die vorläufigen Zahlen durch und der Trägerkreis bestätigte in einer Pressemitteilung, dass tatsächlich die 10-Prozent-Hürde bereits erreicht wurde. „Einen Moment, nachdem die Presseinfo rausging, konnte man auf der Webcam des Marienplatzes sehen, wie sich die Schlangen am Rathaus auflösten. Wir haben uns da verhalten wie ein 100-Meter-Sprinter, der nach 90 Metern austrabt, weil ihn keiner mehr einholen kann“, resümiert Schäffer nicht ohne Selbstironie. Er ist sich sicher, dass das Volksbegehren noch erfolgreicher hätte sein können.
Doch woher kommt die große Bereitschaft der bayerischen Bevölkerung, sich in so überragender Zahl für die Sache einzusetzen? Schäffer sieht die Ursache in der Krefelder Insektenstudie, die 2017 veröffentlicht wurde. „Wir wissen seit Jahrzehnten, dass wir gerade in der Agrarlandschaft an Artenvielfalt einbüßen. Aber erst auf die Studie haben die Medien und auch die Bevölkerung unglaublich stark reagiert“, stellt er fest. Inzwischen ist der Begriff Insektensterben im aktiven Sprachgebrauch verankert. „Ein großer Teil der Bevölkerung hat erkannt, was da draußen passiert, und ist nicht länger bereit, das hinzunehmen!“
Einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg dürften auch die sozialen Medien geleistet haben. Kein Volksbegehren zuvor war so präsent auf Facebook, Twitter und Co. und wurde so oft geteilt und retweetet.
Kritik der Landwirte
Trotz allen Erfolgs steht die Initiative auch in der Kritik, vor allem vonseiten des Bauernverbandes. Kritisiert wird vor allem die von den Bauern befürchtete Förderschädlichkeit, die der Gesetzesentwurf bewirke. „Dieser Vorwurf stimmt so nicht“, entgegnet Schäffer entschieden. „Wir zwingen nicht den einzelnen Landwirt, sondern das Land insgesamt. Also muss der Staat auf die Landwirte zugehen und Angebote machen. Das ist eigentlich eine gute Nachricht für die Landwirte.“
Auch Rahmendaten, die im Entwurf stehen, werden kritisiert, beispielsweise ein Verbot des Walzens von Wiesen nach dem 15. März. „Natürlich kann es sein, dass für dieses Datum je nach Höhenlage und Jahr Ausnahmen erforderlich sind“, gibt Schäffer zu. „Dafür müssen dann im Nachgang Ausführungsverordnungen entwickelt werden.“
Weiterhin prangert der Bauernverband auch den Fokus der Initiative auf die Agrarlandschaft an, schließlich könne auch im urbanen Raum, in Parks und Gärten, Wesentliches für die Artenvielfalt geleistet werden. Diese Fokussierung liegt im Umstand begründet, dass 47 % der Landesfläche Bayerns landwirtschaftlich genutzt sind. Die Flächenanteile von Gärten und Parks sind im Vergleich dazu marginal. „Grund dafür ist auch das Kopplungsverbot in Volksbegehren“, begründet Schäffer diese Entscheidung weiter. „Wir dürfen im Begehren nur ein Gesetz angehen. Daher konzentrieren wir uns auf den Raum, der derzeit die größten Verluste verzeichnet.“ Das bedeute aber nicht, dass später, sollte das Gesetz tatsächlich verändert werden, nicht noch weitere Inhalte aufgesattelt werden könnten.
Bis es dazu kommt, ist es aber noch ein langer Weg. Der erste Schritt, der runde Tisch, fand bereits statt. Nach einer Ansprache von Ministerpräsident Söder durften die geladenen Gäste in 25 Eingangsstatements ihre Sicht auf das Thema Artenvielfalt darlegen. Abschließend gab es eine Pressekonferenz, mehr passierte nicht. „Damit hat sich noch nichts bewegt“, findet Schäffer. Doch der Prozess ist angestoßen und das Verfahren folgt nun einem klar geregelten Ablauf. Nach der Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses am 14. März hat das Kabinett vier Wochen Zeit, über den Gesetzesentwurf abzustimmen, und kann dem Landtag dann vorschlagen, den Entwurf anzunehmen oder abzulehnen. Die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung muss anschließend innerhalb von drei Monaten im Landtag gefällt werden.
Bei Ablehnung des Antrags kommt es zu einem Volksentscheid. Zu diesem kann die Regierung dann einen eigenen Gesetzesentwurf vorlegen. Sollte es dazu kommen, wird der LBV diesen Antrag sorgfältig prüfen. „Natürlich befürchten wir, dass uns dann etwas Weichgespültes untergeschoben werden könnte“, gibt Schäffer zu. Dann wäre die Bevölkerung in der Zwickmühle, zu erkennen, welcher der Entwürfe der bessere ist und die Initiatoren müßten noch einmal die Werbetrommel rühren.
Weiter begeistern
Die nächste Aufgabe für den LBV besteht also darin, die bayerische Bevölkerung auch bis zu diesem Zeitpunkt weiter für das Projekt zu begeistern. „Jetzt ist die Aufmerksamkeit natürlich groß, aber bis zum möglichen Volksentscheid im Herbst kann sich noch viel ändern. Je länger das Verfahren dauert, desto schwieriger wird das“, warnt Schäffer. Seine Strategie ist, trotz geringen Budgets – der LBV hat kein Kampagnenbüro und auch nicht die Gelder – weiter direkt am Objekt zu zeigen, wie akut die Situation für Arten wie das Braunkehlchen oder den Schwalbenschwanz ist. Er möchte aber auch vermitteln, wie viel mit einzelnen Maßnahmen für die Artenvielfalt erreicht werden kann.
Das ist jedoch Zukunftsmusik und tritt erst im Falle einer Ablehnung ein. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Entwurf auch angenommen wird. Derzeit scheint das Volksbegehren auf jeden Fall höhere Wellen zu schlagen als zunächst von den Organisatoren angenommen. Schäffer durfte Anfragen aus Tschechien, Dänemark und Frankreich beantworten und sogar der Guardian in Großbritannien berichtete über das Volksbegehren. Zahlreiche Bundesländer schauen nach Bayern. Und während der Text entstand, plante auch in Baden-Württemberg eine Initiative, ein Volksbegehren zu starten. Wer weiß, vielleicht begegnet mir auch in Stuttgart auf dem Weg zur Redaktion bald eine Biene.
Projektdaten
Projektinitiator: ÖDP
Projektträger: ÖDP, Bündnis 90/ Die Grünen, Landesbund Vogelschutz
Finanzierung: LBV (2. Projektphase)
Finanzierungsumfang: ca. 0,25 Mio. €
Philosophie
In Bayern verschwinden immer mehr Tier- und Pflanzenarten, dies belegen wissenschaftliche Studien. Zwei Kernforderungen des Volksbegehrens sind daher eine bayernweite Vernetzung von Lebensräumen für Tiere und blühende Randstreifen an allen Bächen und Gräben. Weiter fordert das Volksbegehren, die Bio-Landwirtschaft massiv auszubauen.
Weitere Infos
... über das Volksbegehren Artenvielfalt finden Sie auf der Homepage des Projekts, die Sie über den QR-Code ansteuern können. Außerdem haben wir unter dem Webcode NuL4603 ein Dossier angelegt, in dem wir weitere Hintergrundinformationen zum Volksbegehren bündeln.
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