
Gemeinsam Natur wiederherstellen
2016 entstand in Freising die Idee, diejenigen Menschen zu vernetzen, die sich für die Renaturierung von Lebensräumen einsetzen: die Geburtsstunde des Netzwerks Renaturierung. Prof. Dr. Sabine Tischew und Dr. Simone Schneider berichten, was seit dieser ersten Idee passiert ist.
von Julia Schenkenberger erschienen am 13.01.2025Alle zwei Jahre veranstaltet die Gesellschaft für Renaturierungsökologie (SER Europe) eine europäische Konferenz. Dort treffen sich Menschen aus der Praxis, aus Büros, aus der Wissenschaft und aus Behörden. Man tauscht sich aus – zu neuesten Erkenntnissen, zu Methoden und mehr. So auch 2016 in Freising. Sabine Tischew ist eine der Teilnehmerinnen – sie beschäftigt sich schon lange intensiv mit der Renaturierungsökologie, lehrt und forscht auf diesem Feld und ist Buchautorin. Bereits im Vorfeld wurde der Wunsch nach einem Praktikertag diskutiert. Gemeinsam mit Johannes Kollmann, Spezialist für die Renaturierung anthropogen gestörter Ökosysteme, von der TU München, dem Hauptveranstalter der Konferenz organisiert sie einen Tag voller spannender Vorträge zur Umsetzung von Renaturierungsmaßnahmen.
An diesem Tag wird deutlich, dass ein großer Bedarf an einem organisierten Netzwerk mit intensivem Austausch von Wissenschaft und Praxis besteht. Kurzerhand wird noch während der Konferenz eine Mailingliste erstellt. 60 Mailadressen sollen der Grundstein sein für ein Netzwerk, das bald den gesamten deutschsprachigen Raum umfasst.
Bei der Liste bleibt es nicht. Bereits 2017 findet das erste Netzwerktreffen in Jänschwalde statt. Organisiert haben es Sabine Tischew und Kathrin Kiehl von der Hochschule Osnabrück, gemeinsam mit Akteuren vor Ort wie die Wildpflanzenvermehrerin und Expertin für naturnahe Begrünungen Christina Grätz von Nagola Re. Thema der ersten Veranstaltung sind die Rohbodenbegrünung und Wildpflanzenverwendung. Der Ort der Tagung ist dabei klug gewählt: Den Großteil der Gemeindefläche Jänschwaldes nimmt ein Braunkohletagebau ein. Wo wäre das Thema des Rohbodens besser greifbar?
Das Besondere beim Treffen: Es gibt nur kurze Impulsvorträge, der Fokus liegt auf der Praxis. „Uns ist wichtig, den Großteil der Zeit auf Renaturierungsflächen zu verbringen und zu diskutieren“, betont Sabine Tischew. Auf den Treffen werden Projekt- und Umsetzungsgebiete besichtigt sowie konkrete Fragestellungen diskutiert, die sich bei der Durchführung von Renaturierungen ergeben. Außerdem wurde ein wertvoller Austausch von Erfahrungen ermöglicht. Auch die Bereitstellung von Kontakten und Expertisen für nachhaltige Lösungen in der Renaturierungsökologie ist durch das Netzwerk möglich.
In Jänschwalde entsteht schließlich auch der Strategieplan für das Netzwerk Renaturierung: Ziel ist eine lockere Arbeitsgruppe, die sich mit allen Themen der Renaturierung beschäftigt. Es soll Wissenstransfer entstehen: von der Wissenschaft in die Praxis, aber unbedingt auch von der Praxis in die Wissenschaft. Der zweite Aspekt scheint Sabine Tischew fast noch wichtiger. „Da entstehen so viele neue und spannende Forschungsfragen!“, schwärmt sie. „Ich habe große Ehrfurcht vor Menschen, die Maßnahmen in der Praxis umsetzen!“ Und damit wird auch ein weiteres Ziel des Netzwerks offenkundig: Die Menschen, die sich hier engagieren, wollen die Renaturierungsökologie voranbringen – und zwar gemeinsam mit allen Akteuren.
Mit dabei sind Menschen aus der Wissenschaft ebenso wie Praktikerinnen und Praktiker und Personen aus Naturschutzverwaltungen – eine perfekte Mischung, finden Tischew und Schneider. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die Kontakte langfristig auch auf Projekte einzahlen – und sei es nur, weil ein gewisses Vertrauen in die Kompetenzen des jeweils anderen gewachsen ist.
1Sie alle investieren ehrenamtlich in das Netzwerk – vor allem das Organisationsteam. Neben Sabine Tischew sind das inzwischen sechs weitere Personen, die die Fäden in der Hand halten. Das ist auch nötig, denn man ist bereits gewachsen: Rund 300 Leute sind im Mailingverteiler, bis zu drei Treffen finden pro Jahr statt. Das Team teilt sich die Arbeit auf – Simone Schneider beispielsweise hat viel Zeit investiert, um mit der technischen Unterstützung durch Albin Blaschka die Website auf den neuesten Stand zu bringen. Annika Schmidt von der Hochschule Anhalt koordiniert die Mailingliste und die Netzwerktreffen. Kathrin Kiehl, Johannes Kollmann und Vicky Temperton von der Universität Lüneburg unterstützen die fachliche Organisation der Treffen.
Mit Simone Schneider wurde das Netzwerk auch noch internationaler: Sie arbeitet für das Naturschutzsyndikat SICONA in Luxemburg und bringt ihre Expertise vor allem im Bereich der Grünlandrenaturierung ein.
Die Renaturierung vorantreiben, auch über die Grenzen hinweg – das hat für Schneider oberste Priorität. „Die Methoden sind klar und mit dem Restoration Law haben wir auch die entsprechende Zielsetzung“, betont sie. „Wir müssen einfach loslegen!“
Das Netzwerk stellt dafür eine wertvolle Basis dar. Wer möchte, findet hier kollegialen Austausch auf Augenhöhe. „So können wir Erfahrungen und Kompetenzen bündeln“, fasst Sabine Tischew zusammen. Auch und gerade junge Leute profitieren davon. Sie können sich bei den Treffen nicht nur fachlich weiterbilden, sondern auch wertvolle Kontakte knüpfen – und das ohne Tagungsgebühren: Bei den Veranstaltungen trägt jeder seine Kosten selbst – sowohl das Organisationsteam als auch die Teilnehmenden.

Der Grund für diese Entscheidung ist einfach: Das Team will das Netzwerk allen zugänglich machen, keine Zugangshürden aufstellen. „Nur so kommen wir voran“, ist Simone Schneider überzeugt. Das Netzwerk soll eine offene Austauschplattform sein. Deshalb sieht das Team bislang auch von einer Vereinsgründung ab. „Wir wollen nicht zu viel Zeit in eine Vereinsverwaltung stecken“, meint Sabine Tischew. „Manche schreckt das auch eher ab.“
Das Netzwerk ist auch über die Grenzen der deutschsprachigen Länder hinaus aktiv: Als Mitglied der SER Europe (European Chapter of the Society for Ecological Restoration) fördert es mit entsprechenden Vereinigungen anderer europäischer Länder die Interessen der Renaturierungsökologie und viele der Mitglieder tauschen sich auch auf den europäischen Konferenzen zu aktuellen Entwicklungen aus.
Das Netzwerk Renaturierung mag ein lockerer Zusammenschluss aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung sein. Dennoch ist es eine professionelle Plattform, in der viel Wissen zusammengetragen wird. „Man spürt bei allen den großen Willen, das, was man über Renaturierung weiß, einzubringen“, meint Simone Schneider und bezieht sich dabei nicht nur auf die Teilnehmenden, sondern auch auf die Veranstalter der Treffen, die oft an die Abschlussveranstaltung eines Projektes geknüpft sind. „Diese Treffen sind damit für alle Akteure gewinnbringend.“
2Die Weitergabe von Erlerntem muss dabei nicht immer bedeuten, über Projekterfolge zu berichten. „Wir fordern auch immer auf, zu berichten, was nicht funktioniert. Daraus lernen wir!“, betont Sabine Tischew. „Im geschützten Raum der Treffen geht das besser.“
Tischew und Schneider sind überzeugt vom Konzept des Netzwerks. Sie schätzen die Themenvielfalt, den kollegialen Umgang und das „unkomplizierte Miteinander“. Deshalb hoffen die beiden, dass der Zusammenschluss auch in Zukunft wachsen wird. Ganz einfach wird das allerdings nicht. „Die Herausforderung liegt darin, dass alles on top ist“, meint Sabine Tischew. „Wir machen alles ehrenamtlich. Es ist nicht leicht, die zeitlichen Kapazitäten zu finden für das, was uns am Herzen liegt.“
Man bleibt trotzdem optimistisch: Wenn die Arbeit auf zuverlässige Schultern verteilt wird, ist der Aufwand zu bewältigen – und der Output für alle Beteiligten und nicht zuletzt für die Natur rechtfertigt die zeitliche und fachliche Investition allemal.
10. Netzwerktreffen Renaturierung in Potsdam, 04.–06. Juni 2025: Erhalt und Wiederherstellung von Trockenlebensräumen. Organisation vor Ort: Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg
11. Netzwerktreffen Renaturierung in Laufen, 27.-29. Juni 2025: Wasser- und Nährstoffmanagement im feuchten Grünland im rezenten Klimawandel. Organisation vor Ort: Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege & Technische Universität München
12. Netzwerktreffen Renaturierung in Lenzen, September 2025: Deichrückverlegung. Organisation vor Ort: BUND Auenzentrum, Trägerverbund Burg Lenzen, Planungsbüro Feldulme
Wenn Sie Mitglied werden und über die Aktivitäten informiert werden wollen, dann können Sie sich auf der Webseite des Netzwerkes registrieren oder eine Mail mit Ihrem vollständigen Namen, einer Mailadresse und einer Postanschrift an annika.schmidt@hs-anhalt.de schicken. Die Mitgliedschaft im Netzwerk ist kostenfrei.
Mehr Infos: https://renaweb.standortsanalyse.net/
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