
Gemeinschaftswerk Wacholderheide
Seit 15 Jahren engagiert sich Jürgen Zimmerer für die Wacholderheiden seiner Heimat – ganz konkret für einen kleinen Hangbereich am Steigberg im Kreis Reutlingen. Unter seiner Federführung und mit der Hilfe zahlreicher ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer ist dort aus einer waldartigen Gesellschaft wieder eine artenreiche Wacholderheide entstanden. Wir durften das Projekt kennenlernen.
von Julia Schenkenberger erschienen am 15.03.2024Es ist heiß am Steigberg. Nicht nur, weil es für die Jahreszeit eigentlich mal wieder viel zu warm ist, sondern weil die Hangfläche südexponiert und bis auf einige Wacholder und eine Buche gehölzfrei ist – ein ganz besonderes Klima. Schon im Februar blühte hier am Rand einer Hecke der Seidelbast. Jetzt gibt es noch mehr botanische Besonderheiten zu entdecken: Fliegen-Ragwurz und Bienen-Ragwurz blühen und auch ein knappes Dutzend Kreuz-Enziane wachsen hier. Sie werden ihre blauen Blüten in drei bis vier Wochen öffnen. Dazwischen Hornklee, einige Silberdisteln – kurz gesagt: ein Paradies für Wacholderheidenfans wie mich.
Dass es dieses Paradies gibt, ist Jürgen Zimmerer und Ulrich Tröster zu verdanken. Die beiden haben vor 15 Jahren die „Soko Steigbergsteigle“ ins Leben gerufen. „Ich bekam damals die Chance, hier eine Fläche zu kaufen“, erinnert sich Jürgen Zimmerer. Beim Arbeiten auf seinem neuen „Stückle“, wie die kleinen Streuobstparzellen in Baden-Württemberg genannt werden, fällt ihm die benachbarte Hangfläche ins Auge – in der letzten FFH-Kartierung als „sonstige Waldfläche“ erfasst. Als studierter Landschaftspfleger erkennt er auf Anhieb: Unter den Bäumen und Sträuchern steckt mehr als nur ein Wald! Einzelne Wacholder im Unterwuchs bestätigen seine Vermutung: Wo heute Buchen und Co. wachsen, gab es einst eine Wacholderheide. Als Naturschutzbeauftragter im Kreis und als Mitarbeiter des Landratsamts Sigmaringen weiß Zimmerer, was zu tun ist. Mit den zuständigen Behörden einigt er sich darauf, dass er die ehemalige Wacholderheide wieder freistellen darf.
Als Zweierteam legen Tröster und Zimmerer los. Tröster, seines Zeichens Ornithologe, weiß mit der Motorsäge umzugehen. Er fällt die aufgewachsenen Bäume. Zimmerer packt mit an und räumt das anfallende Material von der Fläche. Erste Erfolge zeichnen sich schnell ab: Entlang des schmalen Weges – dem Steigbergsteigle, der der Soko ihren Namen gibt – lichtet sich die dichte Gehölzstruktur schnell auf. Allerdings: Zu zweit einen Hektar Magerrasen in der Freizeit freizustellen grenzt an eine Mammutaufgabe. Außerdem, das erkennt Zimmerer schnell, ist die Entwicklung der Fläche die ideale Gelegenheit, Menschen Artenvielfalt näherzubringen.
Als ersten Schritt sucht Zimmerer deshalb den Kontakt zur örtlichen Schule. Am besten begeistert man schon die Jüngsten für die Natur! Bei Lehrer Gerhard Dwenger trifft er ins Schwarze: Er motiviert seine Schülerinnen und Schüler zum „Arbeitseinsatz“. Mit den Kindern sammelt Zimmerer Steine auf der Fläche und schichtet sie zu einem Steinriegel auf. Den gibt es übrigens heute noch, er ist einer der Lieblingsplätze der Zauneidechsen geworden.
1Doch für die Hauptarbeit – die gesamte Fläche zu entbuschen – braucht das Duo dennoch mehr Hilfe, auch über die Freiwilligen hinaus, die im Projekt aus eigenem Antrieb mit anpacken. Diese Unterstützung finden sie im Arbeitskreis Asyl Lichtenstein. Durch die Flüchtlingswelle 2015/2016 gibt es viele arbeitswillige Menschen in dem kleinen Ort. Doch eine reguläre Arbeit aufzunehmen ist den Geflüchteten oft nicht gestattet. Das Engagement für die Wacholderheide jedoch ist anders gelagert. „Die Arbeit hier ist ehrenamtlich“, erklärt Jürgen Zimmerer. „Wir können die Arbeit also auch über die Ehrenamtspauschale vergüten.“
Finanziert wird die Arbeit über Fördermittel – glücklicherweise ist das für Zimmerer, der es von Berufs wegen gewohnt ist, die dafür notwendigen Anträge zu stellen, keine Herausforderung. Durch die Ehrenamtslösung profitieren alle: die arbeitswilligen Geflüchteten, die Soko und vor allem die Wacholderheide.
Die Hilfe der meist fachfremden Freiwilligen ist dabei von unschätzbarem Wert. „Das Sägen und Freischneiden ist schnell gemacht“, erklärt Jürgen Zimmerer. „Das Aufräumen ist das Mühsame. Da braucht es viele Hände.“ An den Stubben, die heute noch auf der Fläche zu finden sind, wird deutlich, wie viel Äste und Stämme hier an den Fuß der Fläche getragen werden mussten – ein Aufwand, der nicht zu unterschätzen ist.
2Heute sind die Flächen bis auf einige Wacholder und eine freigestellte, abgängige Buche, die einmal als Habitat für den Alpenbock dienen soll, fast gehölzfrei. Das ist auch einem weiteren Wacholderheiden-Begeisterten zu verdanken: Seit 13 Jahren bringt Jörg Wiedemann sein Wissen hinsichtlich des Umgangs mit Maschinen und Arbeitssicherheit in das Projekt ein. Die Wacholderheide hat davon stark profitiert. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, dass mit der ersten Entbuschung die Arbeit längst nicht aufhört. Einige Gehölze wollen die Fläche schnellstmöglich zurückerobern – allen voran der Hartriegel. Zahlreiche Stockausschläge zeigen auch Jahre nach der Erstpflege, wie wichtig es ist, die Wacholderheide weiter zu pflegen.
3Die Soko arbeitet deshalb mit dem Schäfer, der fast alle Wacholderheiden der Gegend pflegt, zusammen. Seine Schafe und einige Ziegen dürfen zweimal jährlich auf die Fläche – das erste Mal möglichst früh, noch bevor der Kreuz-Enzian austreibt, und ein weiteres Mal im Herbst. Zusätzlich mäht die Soko einmal im Jahr mit dem Freischneider nach – nur so lassen sich die aufkommenden Gehölze in Schach halten. Die Artenvielfalt der Wacholderheide dankt es dem Team: Viele verschollen geglaubte Arten kehrten sehr schnell zurück. Jürgen Zimmerer führt das auch auf die Schafe zurück, die von einer artenreichen Fläche zur nächsten ziehen. Mit den Pflanzen kehren auch die Tiere zurück: „Wir hatten den Kreuz-Enzian-Ameisenbläuling ziemlich schnell auf der Fläche“, gibt Jürgen Zimmerer als Beispiel. Für ihn ist der kleine Falter und der Kreuz-Enzian selbst Herzstück des Projekts. Dazu fliegen hier verschiedenste Wildbienen, zahlreiche Falter, Heuschrecken springen und Zikaden zirpen ihr sommerliches Lied.
4Welche Arten noch dazukommen werden, ist offen – Jürgen Zimmerer hofft insgeheim noch auf die Küchenschelle. Als wichtiges Bindeglied im Biotopverbund der Lichtensteiner Wacholderheiden hat die Fläche auf jeden Fall – bei der passenden Pflege – die optimalen Voraussetzungen, um noch mehr seltenen Arten ein Zuhause zu bieten.
5Was Zimmerer und sein Team in den letzten 15 Jahren mit ihrer Soko erreicht haben, wird auch wahrgenommen – nicht nur in der Lokalpresse oder im neuen Managementplan des FFH-Gebiets „Albtrauf Pfullingen“, in den der wiederhergestellte Lebensraum inzwischen aufgenommen wurde. Ihr Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet – zuletzt mit dem 2. Platz beim Deutschen Landschaftspflegepreis 2023. „Das war schon etwas Besonderes“, freut sich Zimmerer. „Ohne dieses große Team, ohne diese zahlreichen Menschen, die hier mit angepackt haben, wäre das niemals möglich gewesen!“
Für ihn ist die Soko Steigbergsteigle mehr als nur ein Naturschutzprojekt – denn davon gibt es viele. Es ist vielmehr zu einem sozialen und einem Bildungsprojekt geworden. Dem Kernteam der Soko jedenfalls ist es gelungen, zahlreichen Menschen die Artenvielfalt ihrer Heimat ein wenig näherzubringen.
- Name: Soko Steigbergsteigle
- Projektleitung: Jürgen Zimmerer
- Ziel: Pflege und Entwicklung einer Wacholderheide im Kreis Reutlingen
- Zielarten: Kreuz-Enzian, Kreuzenzian-Ameisenbläuling
Jürgen Zimmerer
Nebelhöhlestr. 6
72805 Lichtenstein-Unterhausen
juergen.f.zimmerer@gmail.com
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