Samen gewinnen für die Grünlandrenaturierung
Artenreiches Grünland ist im Schwinden begriffen. Doch wie legt man artenreiche Wiesen neu an? Dazu braucht es vor allem das entsprechende Saatgut. Wie das gewonnen werden kann, erläutern unsere Expertenbrief-Partner Ernst und Johannes Rieger / Rieger-Hofmann GmbH.
- Veröffentlicht am

Wiesen und Weiden, übergreifend als Grünland bezeichnet, zählen zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Mehr als die Hälfte aller höheren Pflanzenarten in Deutschland leben auf Wiesen und Weiden, mehr als die Hälfte der Insekten sind direkt oder indirekt an Grünland gebunden. Auch Wiesenvögel wie Üferschnepfe und Brachvogel benötigen das Grünland als Lebensraum. Außerdem speichert Grünland deutlich mehr Kohlenstoff als Ackerland, filtert Wasser und schützt den Boden vor Erosion.
In den letzten 30 Jahren hat sich die Situation des Grünlandes deutlich verschlechtert. Zwischen 1991 und 2013 hat die Grünlandfläche durch Bebauung und Umwandlung in Ackerland um fast 600.000 ha abgenommen und stagniert seitdem auf diesem Niveau. Auch die ökologische Qualität des Grünlandes verschlechtert sich weiterhin. Das ist auf die Nutzungsintensivierung (häufige Mahd, intensive Düngung, Entwässerung, Pflanzenschutz, jährliche Nachsaat mit starkwüchsigen Zuchtgräsern) aber auch auf die völlige Aufgabe der Nutzung zurückzuführen.
Daher ist es wichtig, diesem Negativ-Trend entgegenzuwirken. Bestehendes artenreiches Grünland muss erhalten werden, es müssen aber auch neue artenreiche Wiesen angelegt werden.
Mischung Frisch-Fettwiese bei Neu-Ulm
Erhaltungsmischungen im Spannungsfeld von Naturschutz- und Saatgutverkehrsgesetz
Seit dem 2. März 2020 dürfen gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz Pflanzen oder Saatgut in der freien Landschaft nur noch innerhalb ihrer "Vorkommensgebiete" ausgebracht werden. Ansonsten bedarf es einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung durch die Naturschutzbehörden. Land- und forstwirtschaftliche Flächen sind davon ausgenommen. Durch diese gesetzlichen Vorgaben entsteht ein hoher Bedarf an Saatgut von gebietseigenen Wildpflanzen.
Das In-Verkehr bringen von regionalem Saatgut wird im Saatgutrecht in einer eigenen Richtlinie (EU 2010-60) geregelt. Mit dieser hat die EU im Jahr 2010 den Handel von Wildpflanzenmischungen innerhalb des gesetzlichen Rahmens des Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) ermöglicht. Ausgehend hiervon beschreibt die Erhaltungsmischungsverordnung (ErMiV) die rechtliche Umsetzung der Richtlinie in Deutschland.
Die Verordnung erlaubt das Inverkehrbringen von sogenannten "Erhaltungsmischungen", die auch Wildformen von Arten enthalten dürfen, von denen es angemeldete Zuchtformen ("geregelte Arten") gibt. Wer Erhaltungsmischungen in Verkehr bringen will, benötigt die einmalige Genehmigung der zuständigen Saatgutanerkennungsstelle. Die In-Verkehr gebrachten Mischungen müssen als zertifizierte Erhaltungsmischungen kenntlich gemacht sein, wodurch deren Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen an das Saatgut bestätigt wird.
Es gibt unterschiedliche Arten der Samengewinnung für Erhaltungsmischen: die "direkt geernteten Mischungen" (Wiesendruschverfahren, Ausbürsten von Samen, Frisches Mahdgut, Heu) und Mischungen aus landwirtschaftlich zwischenvermehrten gebietsheimischen Einzelarten, sogenannte "angebaute Mischungen".
"Direkt geerntete Mischungen" - Vorgaben und Verfahren
Bei Erhaltungsmischungen, die aus einer direkt geernteten Mischung bestehen, muss Folgendes angegeben werden: die Arten der Mischung, die für den Lebensraum am Entnahmeort typisch sind, das Ursprungsgebiet, der Entnahmeort, die Art des Lebensraumes am Entnahmeort, Gewicht und Menge sowie das Jahr der Entnahme. Sie können durch unterrschiedliche Verfahren beerntet werden.
Beim Wiesendruschverfahren wird die Spenderfläche direkt mit dem Mähdrescher gedroschen. Die Schnitttiefe des Mähdreschers ist variabel einstellbar und beeinflusst neben dem Schnittzeitpunkt die Artenzusammensetzung und die Samenausbeute.
Ein Direktdrusch sollte in gut abgetrockneten Beständen durchgeführt werden. Die Samenausbeute im Bezug zur Samenmenge auf der Spenderfläche beträgt 50-80% (Scotton et al. 2012).
Das Ausbürsten von Samen erfolgt ohne Schnitt im Wiesenbestand, somit kann dieser mehrfach beerntet werden. Dabei werden vorwiegend reife Samen abgestreift. Da dieses nur im komplett trockenen Zustand möglich ist, kommt es bei diesem Verfahren zu hohen Samenverlusten. Die Artenzusammensetzung ist stark vom Zeitpunkt der Beerntung, von der Bestandsstruktur und von der Vorgehensweise abhängig.
Mit Kleingeräten kann nur die obere Vegetationsschicht ausgebürstet werden, daher werden vorwiegend Grassamen geerntet. Die Samenausbeute im Bezug zur Samenmenge auf der Erntefläche beträgt bei hochwüchsigen Beständen 20-50% und bei niedrigwüchsigen Beständen 55-75%. Diese Zahlen wurden bei optimaler Durchführung mit wissenschaftlicher Begleitung erzielt, in der Praxis sind sie erfahrungsgemäß deutlich niedriger. Die Bedienung der Geräte ist sehr mühselig. Sie benötigt Erfahrung und viel Muskelkraft.
Bei der Übertragung von frischem Mahdgut wird eine samenreiche Spenderfläche zu einem Zeitpunkt gemäht, bei dem möglichst viele Zielarten fruchten. Auf gut zugänglichen Spenderflächen kann die Ernte des Mahdguts mittels Schlepper und Kreisel- bzw. Scheibenmähwerk sowie Ladewagen erfolgen. Am ertragreichsten ist die Mahd am frühen Morgen, da die Samen dann durch den Tau noch gut an der Pflanze haften. Das Mahdgut sollte im Anschluss direkt aufgenommen und sofort auf der Spenderfläche ausgebracht werden. Dann ist die Samenausbeute am größten. Die mittlere Übertragungsrate der auf der Spenderfläche vorhandenen Zielarten beträgt etwa 60% (Scotton et al. 2011).
Verschiedene Gründe schränken jedoch die Anwendung dieser Methode ein. So erfolgt die Ernte meist im Hochsommer, der wegen immer öfter fehlenden Niederschlägen i. d. R. kein geeigneter Zeitpunkt zur gleichzeitigen Aussaat ist. Ebenfalls bedarf es eines sehr hohen logistischen Aufwands da sehr viel Material von der Spenderfläche zur Empfängerfläche gebracht werden muss. Dort darf das frische Mahdgut nur als dünne Auflage ausgebracht werden, da es bei zu dicken Auflagen aufgrund der fehlenden Durchlüftung zu Fäulnisprozessen kommt.
Sofortige Mahdgutübertragung auf die Empfängerfläche
Alternativ zum frischen Mahdgut kann aus dem Schnitt auch Heu gewonnen werden. Das Heu kann dann auf der Empfängerfläche verteilt werden oder aber mit einem Standdrescher ausgedroschen und nur das Saatgut ausgebracht werden.
Bei der Heugewinnung sind die Samenverluste größer als bei der frischen Mahd. Die Samenausbeute im Bezug zur Samenmenge auf der Erntefläche beträgt hier nur noch 30-50% (Scotton et al. 2012). Wird der Samen ausgedroschen, liegt die Samenausbeute im Bezug zur Samenmenge auf der Erntefläche sogar nur bei 15-30% (Scotton et al. 2012).
Allen Direkterntemethoden ist gemein, dass diese, wenn sie fachlich korrekt ausgeführt werden sollen, an mindestens zwei bis drei Schnittzeitpunkten abschnittsweise durchgeführt werden müssen, um ein möglichst vollständiges Artenspektrum zu übertragen. Dennoch kann die prozentuale Zusammensetzung übertragener Arten oft nicht beeinflusst werden. Auch können oft nur höherwüchsige Arten übertragen werden. Das Risiko von sich monoton entwickelnden Empfängerflächen mit hohen Anteilen einzelner Arten wie z. B. Glatthafer oder Honiggras ist deshalb sehr hoch. Ebenso nicht zu unterschätzen ist die "Mit-Übertragung" von Problemunkräutern wie z. B. Ampfer von der Spenderfläche auf die Empfängerfläche, die sich dort ggf. rasch ausbreiten.
Gleichzeitig sollten die Spenderflächen nicht jedes Jahr beerntet werden, da die hochwertigen Flächen selbst Saat für Ihre Eigenentwicklung benötigen und das Mahdregime, das zur positiven Entwicklung der Spenderfläche geführt hat gestört wird. Dies kann auf der Fläche zu Artenverschiebungen oder -verlusten führen.
Da es in den meisten Regionen nur eine geringe Anzahl an geeigneten Spenderflächen gibt, kann es zwischen unterschiedlichen Naturschutzprojekten zu Konkurrenz um Spenderflächen kommen oder schlichtweg zu wenig beerntbare Flächen für den Bedarf von größeren zu begrünenden Projekten geben.
"Angebaute Mischngen" - Landwirtschaftliche Vermehrung von gebietseigenem Saatgut
Eine Alternative zur Samenernte aus bestehenden artenreichen Wiesen stellt die Vermehrung von Einzelarten auf landwirtschaftlichen Flächen dar. Diese werden erst nach deren Ernte gezielt zu sogenannten "angebauten Mischungen" zusammengeführt. Um eine Erhaltungsmischung handelt es sich, sobald "geregelte Arten", das heißt in der Regel Wildgräser und Wildformen von Leguminosen, in der angebauten Mischung enthalten sind.
Für die Regiosaatgutproduktion werden Samen von Kräutern, Leguminosen und Gräsern als Einzelarten mit Genehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde aus naturnahen, noch ursprünglichen Pflanzengesellschaften entnommen. Um eine hohe genetische Bandbreite zu erhalten, werden möglichst viele Individuen an unterschiedlichen Standorten zu unterschiedlichen Zeiten beerntet, jedoch auch vorgeschriebene Anteile der Samenstände an den Pflanzen belassen. Aus diesem Basissaatgut werden Jungpflanzen gezogen, die dann auf dem Acker ausgepflanzt werden. Das von diesen Mutterkulturen geerntete Saatugt (F1-Generation) reicht meist mengenmäßig noch nicht für den Handel aus und muss erneut auf einer größeren Fläche ausgebracht und beerntet werden. Durch dieses Vorgehen wird der Ausgangsbestand geschont und gleichzeitig dessen Potenzial vermehrt. So steht am Ende Saatgut für wesentlich größere Renaturierungsflächen zur Verfügung, als dies mit Direktübertragungsverfahren möglich wäre. Da der Ansaatzeitpunkt vom Erntezeitpunkt abgekoppelt ist, kann die Ansaat zum witterungstechnisch optimalen Zeitpunkt (unabhängig von der Samenreife einer Spenderfläche) erfolgen.
Margeritenernte mit dem Mähdrescher
Die Einzelarten-Kulturen werden im Schnitt drei Jahre beerntet und dürfen maximal bis zur 5. Generation angebaut werden. Um einer Einengung der genetischen Bandbreite durch den Anbau entgegenzuwirken, muss dann wieder neues Ausgangsmaterial in der Natur gesammelt werden.
Wildblumenanbau als Einzelarten in Niedersachsen
Die Einzelarten können bei kühlen Temperaturen oder - je nach Art - auch bei Minusgraden mehrere Jahre gelagert werden, ohne dass deren Keimfähigkeit zu sehr leidet.
Da die Einzelarten in Zusammensetzung und Anteilen individuell kombiniert werden können, kann für die gewünschte Zielgesellschaft eine optimale Mischung hergestellt werden, die spätere Standortbedingungen und Dominanzverhältnisse in den Mischungsanteilen berücksichtigt. So können ausgewogene Feuchtwiesen ebenso entstehen wie Magerrasen oder unterschiedlichste Säume. Auch können Mischungen mit speziellen Funktionen erstellt werden, wie z.B. Mischungen zur Böschungssicherung, die einen hohen Anteil an tiefwurzelnden Arten enthalten, oder Mischungen für Bankette, die Arten enthalten die salzverträglich sind. Ebenfalls können niedrige Mischungen zusammengestellt werden, die sich zur Ansaat unter Solarpaneelen eignen. Für Extremstandorte wie auf Dächern müssen die Arten einer Dachbegrünungsmischung mit wenig Substrat und einem sehr trockenen Standort zurechtkommen.
Nach Aufbau von Lagerbeständen ist das Saatgut in der Regel ständig und auch in großen Mengen verfügbar. Es gibt jedoch einige Ursprungsgebiete, in denen die Nachfrage an Saatgut so gering ist, dass sich der aufwändige Anbau nicht lohnt.
Es muss beachtet werden, dass ausgewogene Samenmischungen nicht nur eine ausreichend differenzierte Anzahl an Wildblumen unterschiedlicher Gattungen, sondern auch Wildgräser enthalten. Nur diese garantieren eine nachhaltige Entwicklung eines artenreichen Grünlands.
Methodenauswahl
Die Art der Methode, die gewählt wird, um artenreiches Grünland herzustellen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Ist die Empfängerfläche klein, nicht weit von einer geeigneten Spenderfläche entfernt und die Lokalität des Saatgutes von größter Bedeutung kann die Ausbringung von direkt übertragenem frischen Mahdgut sinnvoll sein.
Wiesendruschverfahren und die Übertragung von Heu kann durchgeführt werden, wenn die Möglichkeit besteht das Erntegut zu trocknen und hoher Wert auf Lokalität und weniger auf Artenvielfalt liegt. Das Verfahren ausgebürstete Samen empfiehlt sich nur auf kleinen Flächen da die Ernte sehr mühsam ist.
Sollen Flächen möglichst schnell mit hoher Artenvielfalt und ausgeglichener Artenzusammensetzung entstehen, empfiehlt sich die Ansaat von Samenmischungen aus gebietseigenem Anbau. Auch auf Sonderstandorten wie Böschungen, Banketten oder in Solarparks empfehlen sich diese Samenmischungen, da sie gezielt auf vorliegende Standortbedingungen und notwendige Funktionen der Empfängerfläche abgestimmt werden können.
Für großflächige Renaturierungsmaßnahmen oder Begrünungen von Projekten im Straßen- oder Deichbau stellen Erhaltungsmischungen aus landwirtschaftlicher Zwischenvermehrung aufgrund der benötigten Saatgutmengen oft die einzig praktikable und zielführende Lösung dar.
Quellen
Scotton, M., Kirmer, A., Krautzer, B. (Hrsg.) (2012) Practical handbook for seed harvest and ecological restoration of species-rich grasslands
Kirmer, A., Krautzer, B., Scotton, M., Tischew, S. (Hrsg.) (2012) Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland
Erhaltungsmischungsverordnung vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2641) Zuletzt geändert durch Art. 6 V v. 28.9.2021
Bundesnaturschutzgesetz § 40 Ausbringung von Pflanzen und Tieren
Kolligs, D. & A. (überar. Fass. 2020): Praxis-Leitfaden zur Wiederansiedlung des Goldenen Scheckenfalters (Euphydryas aurinia Rott., 1775) im Rahmen des Projektes LIFE-Aurinia
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.