
Vermehrung von Wildpflanzensaatgut zur naturnahen Begrünung und Renaturierung in Luxemburg
Renaturierungen von artenreichem Grünland sowie die Anlage von Blumenwiesen und Blühstreifen sind notwendiger denn je; die Verfahren zur Wiederherstellung vielfältig und gut erprobt. Um den europäischen und nationalen Herausforderungen zur Grünlandrenaturierung zu entsprechen, ist neben der Mahdgutübertragung und der Ansaat mit direkt geernteten Wiesenmischungen auch die Ansaat mittels vermehrtem Wildpflanzensaatgut eine geeignete Methode. Hierzu wurde nun – wie dies in Deutschland bereits seit über 40 Jahren praktiziert wird – unter dem Qualitätssiegel „Wëllplanzesom Lëtzebuerg“ (Abb. 1, 2) auch in Luxemburg eine Produktion von Wildpflanzensaatgut aufgebaut.

Renaturierungsziele im Grünland
Fast alle Grünlandbiotope in Luxemburg sind trotz gesetzlicher Schutz- und Sicherungsinstrumente in einem ungünstigen Erhaltungszustand und der Rückgang schreitet weiter voran (MECDD 2023a, b). Aus diesem Grund müssen Maßnahmen zur Erhaltung sowie zur Wiederherstellung des artenreichen Grünlandes möglichst schnell und zielstrebig umgesetzt werden. Den übergeordneten Rahmen dafür bildet der Nationale Naturschutzplan. Darin sind die Ziele zum Erreichen eines günstigen Erhaltungszustandes sowie zur Wiederherstellung und Neuanlage gefährdeter Biotope mit konkreten Flächenangaben verankert. Bis 2030 sollen über 4.000 ha artenreiches Grünland aufgewertet und wiederhergestellt werden (MECDD 2023a).
Aufbau einer Produktion von gebietseigenem Wildpflanzensaatgut
Um die Renaturierungsziele gemäß den Zielsetzungen des Naturschutzplanes und der „Strategie zum Erhalt und Wiederherstellung des artenreichen Grünlandes in Luxemburg 2020–2030“ (MECDD 2020, 2023a) zu erreichen, wurde 2018 mit dem Aufbau einer Saatgutproduktion von Wildpflanzen begonnen. Dabei erfolgt die Vermehrung von Einzelarten auf landwirtschaftlichen Flächen. Neben den bewährten Renaturierungsverfahren wie der Mahdgutübertragung und der Ansaat mit direkt geernteten Wiesenmischungen mittels Seedharvester können so in Luxemburg seit kurzem auch Ansaaten mit autochthonem Wildpflanzensaatgut erfolgen. Dieses dient ebenso zur Anlage von Blumenwiesen (Abb. 3), Blühflächen und bunten Säumen im Siedlungsraum. Zur naturnahen Begrünung und Anlage von artenreichen Wiesen muss unbedingt auf autochthones Wildpflanzensaatgut mit einer gesicherten Herkunft zurückgegriffen werden (z. B. Kirmer et al. 2012, Durka et al. 2019). Dies ist vor allem in der freien Landschaft bei Renaturierungen besonders wichtig, um Florenverfälschungen durch langfristige Einkreuzungen von nicht heimischen Arten und Sippen einzudämmen (Kirmer et al. 2012).
Nach dem luxemburgischen Naturschutzgesetz ist jede absichtliche, ungerechtfertigte Zerstörung oder Schädigung wildwachsender einheimischer Pflanzenarten verboten und nichteinheimische Arten dürfen nicht in die freie Natur eingebracht werden. Hierbei ist der Begriff „Arten“ jedoch nicht so weit gefasst wie in der deutschen Gesetzgebung und bezieht sich somit ausschließlich auf Neophyten. In Luxemburg gibt es daher keine Regelungen zur Verwendung von autochthonen Pflanzen und somit keine gesetzlichen, orts- oder herkunftsgebundenen Vorgaben zum Einsatz des Pflanzenmaterials (Mémorial 2018). Diesbezüglich wurde über eine mögliche Anpassung der betroffenen Gesetzesartikel vom zuständigen Ministerium nachgedacht, was die Autoren sehr begrüßen.
Über die Verordnung der Beihilfen zur Verbesserung der natürlichen Umwelt werden Fördermittel für Maßnahmen gewährt, die darauf abzielen, geschützte Biotope und Lebensräume für geschützte Arten zu schaffen, zu pflegen und zu unterhalten sowie zu renaturieren. Wird bei diesen Arbeiten autochthones Wildpflanzensaatgut verwendet, werden zusätzliche 10 % der Kosten übernommen (Mémorial 2019).
Schritt für Schritt
Mittlerweile sind bereits fünf Jahre vergangen, seitdem das Naturschutzsyndikat SICONA in Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum für Naturgeschichte und weiteren Partnern den Anbau von Wildpflanzen initiiert hat, um die steigende Nachfrage nach hochwertigem Wildpflanzensaatgut zu bedienen. „Wëllplanzesom Lëtzebuerg“ wird vom Umweltministerium finanziert und ist unter der Aufsicht der Saatgutanerkennungsstelle der Verwaltung für technische Dienste der Landwirtschaft.
Inzwischen werden über 70 einheimische Kräuter und Gräser – vorwiegend typische und weit verbreitete Grünlandarten sowie auch in Luxemburg seltener werdende oder gefährdete Arten – auf etwa 20 landwirtschaftlichen Betrieben in Luxemburg angebaut (Abb. 4). Das Ausgangsmaterial wird in den verschiedenen Naturräumen Luxemburgs entsprechend den Empfehlungen der ENSCONET-Anleitung zum Sammeln von Wildpflanzensamen (ENSCONET 2009) per Hand gesammelt, in Gärtnereien zu Jungpflanzen angezogen (Abb. 5) und anschließend von den Landwirten auf ihren Feldern angebaut. Die Wildpflanzen werden dabei nach ökologischen Richtlinien angebaut – ohne den Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln. Die Beikräuter müssen dabei gut im Auge behalten werden, deren Regulierung erfolgt mechanisch (Abb. 6). Die individuellen Ansprüche jeder Art müssen beim Anbau beachtet werden. So erfolgt beispielsweise die Ernte des reifen Wildpflanzensaatgutes je nach Fruchtform mit unterschiedlichen Verfahren: maschinell mit Schneidlader, Mähdrescher, Sauger oder händisch (Abb. 7). Nach der Ernte muss das Saatgut hinreichend getrocknet und vorgereinigt werden. Anschließend wird es von der Firma Rieger-Hofmann GmbH in Blaufelden endgereinigt und steht dann zur Herstellung von Mischungen zur Verfügung. Es werden damit speziell für Luxemburg angepasste Mischungen mit Wildpflanzen zusammengestellt, die für die naturnahe Gestaltung von Grünflächen, für Renaturierungen artenreicher Wiesen oder auch zur Anlage von Blühflächen Anwendung finden.



Der gesamte Wildpflanzenanbau und die Produktion des Saatgutes in Luxemburg sind kontrolliert und zertifiziert – die Qualitätskriterien sind in Anlehnung an „VWW Regiosaaten®“ (Mainz & Wieden 2018) festgelegt worden. Das Qualitätssiegel (Abb. 8) bestätigt die regionale Herkunftsqualität für angebautes Saatgut von Wildarten, gestaltet die Produktion und den Vertrieb von Saatgut heimischer Wildpflanzen transparent und schafft so einen Standard zur Qualitätssicherung für den Einsatz von gebietseigenem Saatgut heimischer Wildpflanzen.

Wildpflanzensaatgutmischungen
Die Artenzusammensetzungen der LUX-Mischungen orientieren sich am natürlichen Verbreitungsgebiet der Pflanzen. Sie wurden an die verschiedenen Standorte angepasst und unterscheiden sich neben der Artenzusammensetzung auch in den Anwendungsbereichen, vor allem durch eine unterschiedliche Lebensdauer der Bestände sowie durch die spätere Nutzung und Pflege. Im Angebot stehen einerseits Mischungen für den Siedlungsraum, die bei über 25 Verkaufsstellen in Luxemburg sowie im Webshop der Firma Rieger-Hofmann GmbH erhältlich sind. Andererseits gibt es Mischungen für landwirtschaftliche Nutzflächen, die zur Anlage von artenreichem Grünland und Blühflächen dienen (Abb. 9). Wissenswertes zur Verwendung von Mischungen gebietsheimischer Wildarten gibt es beispielsweise in Feucht et al. (2012).

Förderung des Wildpflanzenanbaus
Saatgut von Arten, die derzeit noch nicht oder nur in unzureichenden Mengen in Luxemburg erzeugt werden, wird zwischenzeitlich noch durch Saatgut zertifizierter Herkunft aus zugelassenen angrenzenden Gebieten Deutschlands ergänzt. Ziel ist es aber, dass das Saatgut aller Arten in ausreichender Menge in Luxemburg produziert wird. Um dies möglichst rasch umzusetzen, wurde das Programm „Bestäubergärten“ auf den Weg gebracht, bei dem die Landwirte für den ökologischen Anbau von Wildpflanzen eine finanzielle Förderung erhalten. Dies schafft weiteren Anreiz für Betriebe, sich auf den Wildpflanzenanbau nach ökologischen Kriterien zu spezialisieren. Die Wildpflanzenfelder dienen nicht nur dem botanischen Artenschutz, sondern schaffen auch wertvolle Nahrungs- und Lebensräume für Bestäuber (Weimann et al., subm.; Abb. 10), womit das Förderprogramm seinem Namen gerecht wird. Zudem ist die Produktion von Wildpflanzensaatgut sehr zeit- und arbeitsintensiv und erfordert viel Erfahrung. Jede Art hat ihre speziellen Ansprüche. Auch wenn es den Wildpflanzenanbau bereits seit einigen Jahrzehnten in zahlreichen Ländern gibt (Kirmer et al. 2012, HBLFA 2015, De Vitis 2017, Mainz & Wieden 2018), handelt es sich um einen noch stärker auszubauenden Bereich (Pedrini et al. 2020). Umso wichtiger ist hier ein guter Fachaustausch, um den Anbau von Wildpflanzen voranzutreiben und rentabel zu machen (Mainz & Wieden 2018), wie er seit einigen Jahren auf internationaler Ebene durch ENSPA – European native seed producers association – stattfindet. Um die Renaturierungsziele im Grünland zu erreichen, muss die Produktion von Wildpflanzensaatgut weiter gesteigert werden. Denn die Nachfrage nach Wildpflanzensaatgut ist derzeit größer als die Produktionsmenge und wird weiter ansteigen (Jedicke et al. 2022).
Mehr Informationen zur Wildpflanzensaatgutproduktion sowie zum Regelwerk „Wëllplanzesom Lëtzebuerg” mit den Qualitätsanforderungen:
Literatur
De Vitis, M., Abbandonato, H., Dixon, K., Laverack, G., Bonomi, C. & Pedrini, S. (2017): The European native seed industry: Characterization and perspectives in grassland restoration. Sustainability. 9 (10): 1682. https://doi.org/10.3390/su9101682
Durka, W., Bossdorf, O., Bucharova, A., Frenzel, M., Hermann, J.-M., Hölzel, N., Kollmann, J. & Michalski, S. G. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. – Natur und Landschaft 94 (4): 146–153.
ENSCONET (2009): ENSCONET Seed Collecting Manual for Wild Species: 32 S. – URL: https://www.publicgardens.org/resources/ensconet-seed-collecting-manual-wild-species [Zugriff am: 01.03.2023].
Feucht, B., Rieger E. & Stolle, M. (2012): Landwirtschaftliche Produktion von Samen aus regionalen Herkünften. In: Kirmer, A., Krautzer, B., Scotton, M., Tischew, S. (Hrsg.): Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. – Hochschule Anhalt, Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein. Irdning: 58–63.
HBLFA (Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein, Hrsg.) (2015): Bericht über die Tagung zum Thema Begrünung mit Wildpflanzensaatgut - Önorm B 2241 Werkvertrag Önorm L 1113 Technische Richtlinie aus Sicht: des Produzenten, der Behörde, des Planers, des Anwenders, des Erhalters sowie praktische Beispiele 17.-18. Juni 2015, 74 S. https://raumberg-gumpenstein.at/jdownloads/sonst_Tagung/2015_Wildpflanzentagung/2wp_2015_tagungsband_gesamt.pdf [Zugriff am 11.12.2023]
Jedicke, E., Aufderheide, U., Bergmeier, E., Betz, O., Brunzel, S., Eckerter, P., Kirmer, A., Klatt, M., Kraft, M., Lukas, A., Mann, S., Mody, K., Schenkenberger, J., Schwenninger, H., Settele, J., Steidle, J., Tischew, S., Welk, E., Wolters, V. & Worm, R. (2022): Gebietseigenes Saatgut – Chance oder Risiko für den Biodiversitätsschutz? - Ein Thesenpapier zur Umsetzung des § 40 BNatSchG. Naturschutz und Landschaftsplanung (NuL): 54(4): 12–21. https://dx.doi.org/10.1399/NuL.2022.04.01
Kirmer, A., Krautzer, B., Scotton, M. & Tischew, S. (Hrsg.) (2012): Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. – Hochschule Anhalt, Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein. Irdning: 221 S.
Mainz, A. K. & Wieden, M. (2018): Ten years of native seed certification in Germany – a summary. Plant Biology 21: 383–388. https://doi.org/10.1111/plb.12866
MECDD (Ministère de l’Environnement, du Climat et du Développement durable, Hrsg.) (2020): Strategie zum Erhalt und Wiederherstellung des artenreichen Grünlandes in Luxemburg 2020–2030. Luxemburg: 25 S. https://environnement.public.lu/dam-assets/documents/natur/plan_action_especes/Strategie-zum-Erhalt-und-Wiederherstellung-des-artenreichen-Grunlandes-in-Luxemburg-VsDef.pdf [Zugriff am 20.03.2023].
MECDD (Ministère de l’Environnement, du Climat et du Développement durable, Hrsg.) (2023a): Plan National concernant la Protection de la Nature - 3e plan - à l’horizon 2030. Luxemburg: 83 S. – URL: https://environnement.public.lu/content/dam/environnement/documents/natur/biodiversite/pnpn/pnpn-version-3.pdf [Zugriff am 29.03.2023].
MECDD (Ministère de l’Environnement, du Climat et du Développement durable, Hrsg.) (2023b): Document d’information relatif au 3e Plan National concernant la Protection de la Nature. Luxemburg: 60 S. – URL: https://environnement.public.lu/content/dam/environnement/documents/natur/biodiversite/pnpn/pnpn3-documentdinformation.pdf [Zugriff am 21.11.2023].
Mémorial (2018): Loi modifiée du 18 juillet 2018 concernant la protection de la nature et des ressources naturelles et modifiant 1° la loi modifiée du 31 mai 1999 portant institution d’un fonds pour la protection de l’environnement; 2° la loi modifiée du 5 juin 2009 portant création de l’Administration de la nature et des forêts; 3° la loi modifiée du 3 août 2005 concernant le partenariat entre les syndicats de communes et l’État et la restructuration de la démarche scientifique en matière de protection de la nature et des ressources naturelles. Mémorial A, Recueil de législation du Journal officiel du Grand-Duché de Luxembourg N° 771: 1–48.
Mémorial (2019): Règlement grand-ducal du 30 septembre 2019 concernant les aides pour l’amélioration de l’environnement naturel. Mémorial A, Recueil de législation du Journal officiel du Grand-Duché de Luxembourg N° 667 du 7 octobre 2019: 1–18.
Pedrini, S., Gibson-Roy, P., Trivedi, C., Galvez-Ramírez, C., Hardwick, K., Shaw, N., Frischie, S., Laverack, G. & Dixon, K. (2020): Collection and production of native seeds for ecological restoration. In: Restoration Ecology Vol. 28 (S3): 228-238. https://doi.org/10.1111/rec.13190
Weimann, E., Hochkirch, A. & Schneider, S. (subm.): Blütenbesuchende Insekten in Wildpflanzenfeldern.
simone.schneider@sicona.lu, vanessa.duprez@sicona.lu, thierry.helminger@mnhn.lu
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