Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Ergebnisse der Käfer- und Flechtenbestimmungen an einer Allee bei Potsdam

Bedeutung von Alleen mit heimischen Baumarten für den besonderen Artenschutz

Abstracts

In einer straßenbegleitenden Linden- und Eichenallee bei Fahrland (Potsdam) erfolgte die Erfassung von Käfern und Flechten. Insgesamt wurden im Jahr 2019 Käfer aus 57 Familien in 341 Arten und 6.137 Individuen nachgewiesen. Es fanden sich 71 Rote-Liste-Arten. Davon sind 26 Arten nach Bundesartenschutzverordnung „Besonders geschützt“. Hinzu kommt der Heldbock (Cerambyx cerdo), der nach FFH-Richtlinie, Anhang II und IV besonderem und strengem Schutz unterliegt. Unter den nachgewiesenen 129 Totholzkäferarten aus 36 Familien in 1.072 Individuen befanden sich 20 Indikatorarten für historisch alte Bestände und alte Faunentradition sowie sechs sogenannte Urwaldreliktarten.

Der Erhalt der derzeit bekannten Höhlenbäume und Brutstätten für totholzbewohnende Käfer im Gebiet ist wichtig. Nicht nur die Brutstätten der gesetzlich geschützten Arten spielen eine Rolle, sondern auch die der bedrohten Totholzkäfer. Dabei sind langsam absterbende Baumpartien für die Tiere besser nutzbar als schnell abgestorbene Äste und Stammteile, die ihrerseits jedoch auch Lebensraum gesetzlich geschützter Bock- und Prachtkäferarten sind.

An fünf von zehn untersuchten Bäumen wurden ferner besonders geschützte Flechten (Parmelia saxatilis undParmelia sulcata ) nachgewiesen.

Das Vorkommen seltener und geschützter Käfer- und Flechtenarten muss durch den Erhalt alter Bäume und Alleen sowie eine gezielte Förderung gesichert werden. Maßnahmen stellen beispielsweise die Erhaltung absterbender und toter Bäume als ökologische Nische dar. Konkret sind Nachpflanzungen notwendig, um Habitatkontinuität zu gewährleisten und eine günstigere Altersklassenverteilung der Allee zu erreichen.

The importance of avenues of native trees for special species protection –

Results of beetle and lichen sampling on a tree avenue near Potsdam

Beetles and lichens were recorded in an avenue of lime and oak trees along a road near Fahrland (Potsdam) in 2019. In total, 6,137 beetles were recorded, numbering 341 species from 57 families. There were 71 Red List species, of which 26 are “specially protected” according to the Federal Species Protection Regulations.

In addition, there is the great capricorn beetle (Cerambyx cerdo ), which is subject to special and strict protection under the Habitats Directive, Annex II and IV. Among the 1,072 deadwood beetles detected (from 129 species and 36 families), 20 were indicator species for historically old populations and old faunal traditions, as well as six so-called ancient woodland relic species.

Preserving the currently known hollow trees and breeding grounds is important for deadwood beetles in the area. It is not only the breeding sites of the legally protected species which play a role, but also those of the endangered saproxylic beetles.

Slowly dying parts of a tree are more important for these animals than branches and parts of the trunk which die quickly; these in turn are also the habitat of legally protected longhorn and jewel beetle species.

Specially protected lichens (Parmelia saxatilis andParmelia sulcata ) were found on five out of ten trees examined.

The occurrence of rare and protected beetle and lichen species must be ensured by conservation and targeted work on old trees and avenues. Measures include the preservation of dying and dead trees as an ecological niche. In particular, replanting is necessary to guarantee habitat continuity and to achieve more favourable age distribution in the avenue.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
 Abb. 1: L92 westlich von Fahrland, Standorte der untersuchten Bäume (Linden)
Abb. 1: L92 westlich von Fahrland, Standorte der untersuchten Bäume (Linden) Hans-Peter Reike, Luftbild: Google Earth
Artikel teilen:

Von Hans-Peter Reike und Ingo Lembcke

Eingereicht am 14. 03. 2021, angenommen am 21. 05. 2021

1 Einleitung

Alleen sind schutzwürdige Elemente in unserer Landschaft. Mit über 2.000 km Gesamtlänge ist Brandenburg das alleenreichste Bundesland (Alleenkonzept Brandenburg 2007). Ihr heutiger Wert wird auch in der Luftreinhaltung (Filterwirkung), der Verminderung der Windgeschwindigkeit und der Kühlung durch Verdunstung erkannt. Alleen bieten einer großen Zahl von Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Bäume am Straßenrand bedürfen einer regelmäßigen Pflege. Das Belassen toter Äste und absterbender Bäume widerspricht der Verkehrssicherungspflicht. Allerdings zählen zu den gesetzlichen Aufgaben des Straßenbaulastträgers nicht nur die naheliegenden Erfordernisse des Straßenverkehrs. Es sollen auch die gesetzlichen Vorgaben des Naturschutzes berücksichtigt werden. Insbesondere die Vorgaben des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 3 des Bundesnaturschutzgesetzes stehen regelmäßig im Konflikt zur Verkehrssicherungspflicht.

Ohne Überprägung durch den Menschen wäre Mitteleuropa fast vollständig bewaldet. Heute sind zwei Drittel der Landesfläche kein Wald und die verbliebenen Wälder in Forsten umgewandelt, die überwiegend nicht mit naturnahen Baumarten bestockt sind. Aus der geschichtlichen Entwicklung und der Kontinuität des Vorhandenseins heimischer Baumarten im Lebensraum Allee kann die These abgeleitet werden, dass sich hier Arten erhielten, die auch dem besonderen Artenschutz unterliegen. Insbesondere, wenn es sich um alte Bäume mit Schäden, Höhlen und Mulm handelt.

Im Stadtgebiet der Landeshauptstadt Potsdam befindet sich ein Abschnitt der Landstraße L92. Diese wird östlich von Fahrland durch Reste einer Eichenallee und westlich von Fahrland durch eine fast vollständig geschlossene Lindenallee begleitet. Die Eichen sind deutlich über 100 Jahre alt, die Linden werden auf ein Alter um 100 Jahre geschätzt. Der zunehmende Schädigungsgrad erfordert immer öfter die Fällung dieser Bäume. So mussten in der Lindenallee auf einer Länge von 2,3 km in der Zeit von 2016 bis 2019 aus Sicherheitsgründen bereits 70 Linden gefällt werden. Dadurch wurde erkennbar, dass diese Allee im Absterben begriffen und umzubauen ist. Es stellte sich die Frage, wie dies zu erfolgen hat: durch einzelbaumweise Lückenbepflanzung oder abschnittsweise Fällung und Neupflanzung. Als Entscheidungsgrundlage sollten nicht nur verkehrstechnische Ansprüche und der in Brandenburg gesetzliche Auftrag des Alleenschutzes berücksichtigt werden. Auch die Anforderungen des besonderen Artenschutzes sollten durch eine Untersuchung besonders geschützter Flechten und Käfer Berücksichtigung finden. Weil zu den Artengruppen der Käfer und Flechten Untersuchungen an Bäumen standardmäßig nicht erfolgen, sollten hier mit gründlichen Methoden diese Wissenslücken geschlossen werden. Deshalb wurde das Sachverständigenbüro Brehm durch die Landeshauptstadt Potsdam beauftragt, die Allee hinsichtlich der Flechten und Käfer zu untersuchen.

2 Material und Methoden

2.1 Untersuchungsgebiet

Das Untersuchungsgebiet befindet sich in einem ländlich geprägten Raum. Die Straße ist asphaltiert und mit Leitplanken gesäumt. Begleitet wird sie von landwirtschaftlich genutzten Flächen (Obst- und Getreideanbau, Weideflächen) sowie Siedlungsstrukturen.

Südlich der Allee schließt sich auf zwei kurzen Abschnitten ein lichter Mischwald mit wenigen alten Bäumen, hauptsächlich vor gut 50 Jahren gepflanzten Kiefern und Pappeln, an.

2.2. Käfererfassung

Als Fallenstandorte dienten sieben Alleebäume (fünf Linden und zwei Eichen, Abb. 1 und 2).

Es kamen von Mai bis September 2019 Gelbschalen und Lufteklektoren zum Einsatz (Abb. 3 und 4). Als Gelbschalen wurden gelbe Baueimer verwendet (20-l-Eimer mit einer Öffnung von 37,5 cm). Die Lufteklektoren bestehen aus kreuzweise verbundenen Plexiglasscheiben mit Dach und Auffangtrichter. Letzterer mündet in eine Fangflasche.

Als Konservierungsflüssigkeit diente konzentrierte Salzwasserlösung mit Zusatz von Spülmittel als Detergens. Der Einsatz der Fallen erfolgte im freien Kronenraum in einer Höhe von etwa 4–10 m. Mittels eines stahlverstärkten Seils mit Plastikummantelung konnten die Fallen herabgelassen, geleert und neu befüllt werden (Abb. 3 und 4).

Zusätzlich erfolgten Handaufsammlungen zu den Terminen der Fallenleerung an den erfolgversprechendsten Strukturen im Bereich der L92 westlich und östlich von Fahrland.

Die Handaufsammlungen erfolgten über Gesiebe, Kescher- und Klopffänge sowie gezielte Suche (unter Rinde etc.) innerhalb von jeweils etwa zwei Stunden (Abb. 5).

Die Bestimmung erfolgte nach Assing & Schülke (2011), Freude et al. (1965–1983), Klausnitzer et al. (2018 a, b), Laibner (2000), Lohse & Lucht (1989, 1992, 1994), Lucht & Klausnitzer (1998), Müller-Motzfeld (2004) und Rheinheimer & Hassler (2010, 2018). Nur wenige Individuen der nachgewiesenen Staphylinidae wurden determiniert, um den zeitlichen Rahmen der Studie nicht zu sprengen. Die Zuordnung als „Erstfund für Brandenburg“ oder „Wiederfund nach 1950 bzw. 1900“ richtet sich nach Bleich et al. (2019). Die Einordnung als Urwaldreliktarten erfolgte nach der durch Lorenz (2010) erweiterten Liste von Müller et al. (2005). Der Rote-Liste-Status der Arten richtet sich nach der Roten Liste Deutschlands (RLD; Binot et al. 1998), der Roten Liste holzbewohnender Käfer (Büche & Möller 2005) und Laufkäfer von Brandenburg (Kielhorn 2005; RL-BB). Die Zuordnung der Arten nach Bundesartenschutzverordnung (BArtschV) erfolgte nach Anonymus (2000).

Die Zuordnung der nachgewiesenen Holzkäferarten zu ökologischen Gilden richtet sich nach Schmidl & Bussler (2004). Die Angaben zur Ökologie entstammen Koch (1989 a, b, 1992). Das Belegmaterial wertgebender Arten befindet sich in der Sammlung Reike.

2.3 Flechtenerfassung

Die Erfassung der Flechtenzönose erfolgte im Mai 2019 auf zehn für Flechten geeigneten Bäumen der Allee. Die Begutachtung der Flechtenzönose erfolgte per Hubsteiger durch Frau Dr. Zibulski. Für die Untersuchung vor Ort wurde ein Untersuchungsgitter mit fünf aufeinanderfolgenden 10×10cm-Patches (Abb. 6) an vier verschiedenen Abschnitten am Baum befestigt (je zwei am Stamm und zwei an verschiedenen Stämmlingen). Zur Erstbestimmung kam eine 30×-LED-Lupe (mit UV-Licht) zum Einsatz. Die Determination erfolgte unter Verwendung eines Stereomikroskops (Zeiss Stemi 1000), eines Durchlichtmikroskops (Zeiss KF2), anhand des Buches von Otte & Rätzel (2004) sowie Chemikalien (Tüpfeltest mit Kaliumlauge und Natriumhypochlorit).

3 Ergebnisse

3.1 Käfer

3.1.1 Gesamtfang

Insgesamt wurden 2019 mit der angewandten Methodik Käfer aus 57 Familien in 341 Arten und 6.137 Individuen nachgewiesen. Mittels Gelbschalen gelang der Nachweis von 197 Arten mit 1.801 Individuen, mittels Lufteklektoren wurden 221 Arten mit 4.208 Individuen, per Handfang 57 Arten mit 126 Individuen erfasst. Per Sichtbeobachtung wurden zwei weitere Arten festgestellt. Ausschließlich per Gelbschale fingen sich 81 Arten, per Lufteklektor 94 Arten und per Handfang 36 Arten. Diese Zahlen belegen die Effizienz der kombinierten Fangmethoden. 130 Arten wurden durch Anwendung mehrerer Fangmethoden nachgewiesen.

Die Fallen an den Linden (Bäume 1–5) wiesen durchschnittlich ein höheres Artenspektrum sowie wesentlich höhere Aktivitätsdichten als die der Eichen (Bäume 6–7) auf (Tab. 1). Hinsichtlich der Zahl der Rote-Liste-Arten sind die Unterschiede weniger deutlich. Die meisten Rote-Liste-Arten fanden sich in den Fallen der Bäume 2 und 7.

Insgesamt fanden sich im Untersuchungsgebiet 71 Rote-Liste-Arten; 26 Arten sind nach Bundesartenschutzverordnung „Besonders geschützt“ (Tab. A1 im Onlineanhang zu diesem Beitrag unter Webcode NuL2231 ). Hinzu kommt noch der Heldbock (Cerambyx cerdo ), der nach FFH-Richtlinie, Anhang II und IV besonderem und strengem Schutz unterliegt. Von ihm fanden sich an vier Eichen alte Fraßspuren.

An vielen Alleebäumen der L92 westlich der Ortschaft Fahrland wurden gesetzlich geschützte Lindenprachtkäfer festgestellt. Dies betrifft nahezu alle Linden der Allee. Einige Bäume sind zudem Brutbaum von geschützten Rosenkäfern.

3.1.2 Bemerkenswerte Arten

Zopheridae, Synchita separanda (Reitter, 1882) (RLD „0“, RL-BB „2“; Abb. 7 a)

Die Art wird von Koch (1989 b) als stenotop, silvicol, xylodetriticol und mycetophag eingestuft. Sie ist eine Art urständiger Laubwälder und findet sich vor allem in morschen starken Ästen von Linden. Der Erhalt der Art ist eng verbunden mit dem Erhalt morscher Kronenäste der Linden bei Fahrland (diese Äste könnten auch stehend auf einem Totholzlagerplatz gelagert werden). Im Untersuchungsgebiet gelang der Fund lediglich in Gelbschale und Lufteklektor an Baum 1 westlich von Fahrland.

Cerambycidae, Cerambyx cerdo Linnaeus, 1758 (RLD „1“, RL-BB „2“, geschützt nach FFH-Richtlinie, Anhang II und IV sowie BArtschV)

Der ursprüngliche Lebensraum des Heldbocks waren wärmegetönte Mittel-, Hute- und Auewälder (Stegner 2014). Heute findet man die Art vor allem an einzeln stehenden Alteichen in besonnter Lage in Parks und Alleen (Stegner 2014). Existenzbedrohend ist der Verlust der Lebensräume durch Baumpflegemaßnahmen, Fällung und falsches Management der Brutbaumbestände (etwa im Hinblick auf Kontinuität des Vorhandenseins bruttauglicher Alteichen).

Staphylinidae, Thoracophorus corticinus Motschulsky, 1837 (RLD „1“, RL-BB „2“; Abb. 7 b)

Die Art wird von Koch (1989 a) als stenotop, mycetophil, silvicol, corticol und xylodetriticol eingestuft. Sie besiedelt Laubwälder, Parks und Flussauen und ist im morschen, faulenden Holz von Laubbäumen zu finden. In Böhmen und der Slowakei fand sich die Art stets bei Ameisen der ArtLasius brunneus . Im Untersuchungsgebiet gelang der Fund lediglich in der Gelbschale an Baum 2 westlich von Fahrland.

Tenebrionidae, Neatus picipes (Herbst, 1787) (RLD „1“, RL-BB „3“; Abb. 7 c)

Die Art wird von Koch (1989 b) als stenotop, silvicol, corticol und xylodetriticol eingestuft. Sie lebt in Alleen und Parks, alten Obstgärten, Flussauen, Laubgehölzen und an Waldrändern. Sie findet sich vor allem im Mulm und unter morscher Rinde von isoliert stehenden alten Eichen, oft auch in Höhlungen anderer alter Laubbäume. Im Untersuchungsgebiet gelang der Nachweis vonN. picipes per Handfang am 19.09.2019 westlich von Fahrland in einem alten Pappelstamm.

Colydiidae, Pycnomerus terebrans (Olivier, 1790) (RLD „1“; Abb. 7 d)

Die Art wird von Koch (1989 b) als stenotop, myrmecophil, silvicol und xylodetriticol eingestuft. Sie ist eine Art urständiger Laubwälder und alter Parkanlagen und findet sich vor allem an besonnten Stellen in rotfaulem Holz oder im Mulm alter Laubbäume, das vonLasius brunneus bewohnt wird. Im Untersuchungsgebiet gelang der Nachweis der Art östlich von Fahrland in der Gelbschale an Baum 6 (Eiche).

Scolytidae, Kissophagus vicinus (Schmitt, 1843) (RL-BB „0“; Abb. 7 e)

Die Art wird von Koch (1992) als stenotop, thermophil, corticol und phloeophag eingestuft. Sie findet sich in alten Gemäuern, Weinbergen, Parks und Gärten monophag unter der Rinde großer Stängel und Äste von absterbendem Efeu (Hedera helix ). Im Untersuchungsgebiet gelang der Nachweis der Art östlich von Fahrland im Lufteklektor an den Bäumen 6 und 7 (Eichen).

Mycetophagidae, Berginus tamarisci Wollaston, 1854 (Erstfund für Brandenburg; Abb. 7 f)

Die Art wird von Koch (1989 b) als stenotop, mitFlores cacti grandiflori eingeschleppt, charakterisiert. Mittlerweile wurde sie mehrfach in Deutschland gefunden (Matern 2004). Der Nachweis erfolgte an Linden- und Clematisblüten sowie an morschen Ästen (Matern 2004). Im Untersuchungsgebiet gelang ein Nachweis der Art in der Gelbschale an Baum 4 westlich von Fahrland.

Im Zuge der Untersuchungen fanden sich weitere seltene Arten: 1 ExemplarMyrmecophilus acervorum (Panzer, 1799) (Ameisengrille – RLD „G“) per Handfang am 19.09.2019 westlich von Fahrland in einem alten Pappelstamm; mehrere Exemplare vonDolichoderus quadripunctatus (Linnaeus, 1771) (Vierpunktameise – RLD „2“) in den Fallen der Bäume 1, 4, 5, 6 und 7 sowohl östlich als auch westlich von Fahrland.

3.1.3 Totholzkäfer

Insgesamt konnten im Untersuchungsgebiet 129 Totholzkäferarten aus 36 Familien in 1.072 Individuen nachgewiesen werden. Altholz- und Frischholzbesiedler sind fast mit denselben Artenzahlen vertreten, häufig waren auch Holzpilzbesiedler (Abb. 8). Hinsichtlich der nachgewiesenen Individuendichte überwogen deutlich die Frischholzbesiedler (Abb. 9).

Als Indikatorarten für historisch alte Bestände und alte Faunentradition (nach Schmidl & Bussler 2004) gelten 20 der gefundenen Arten (Tab. 2).

Insgesamt konnten sechs sogenannte „Urwaldreliktarten“ im Gebiet nachgewiesen werden: Alleculidae:Allecula rhenana Bach, 1856,Mycetochara flavipes (Fabricius, 1792); Cerambycidae:Cerambyx cerdo Linnaeus, 1758; Elateridae:Elater ferrugineus Linnaeus, 1758; Tenebrionidae:Neatus picipes (Herbst, 1787) und Zopheridae:Synchita separanda (Reitter, 1882).

3.2 Flechten

Die vorgefundenen Flechtenarten (Tab. 3) entsprechen dem typischen Spektrum an Straßenbäumen und können dem VerbandXanthorion parietinae Ochsner 1928 zugeordnet werden. Dominant sind Arten der Blatt- und Krustenflechten, wobei sich die Blattflechten vor allem im Kronenbereich und die Krustenflechten (Lecanora spp., Lecidella sp., Candelariella spp.) vornehmlich an den Stämmen fanden. Krustenflechten werden im Kronenbereich durch die größeren Blattflechten überwuchert und verdrängt.

Allgemein ist die Datengrundlage zur Verbreitung von Flechten gering. Eine Rote Liste für Brandenburg fehlt. Kenntnisse zur Verbreitung der Arten in Brandenburg können lediglich mit Otte & Rätzel (2004) verglichen werden, wobei hier fast alle Arten als „durch das gesamte Gebiet verbreitet“ angegeben sind.

Die kartierten euryöken Arten sind vor allem an frei stehenden, staubimprägnierten, nährstoffreichen Standorten, wie Straßen- und Feldbäumen, zu finden (Wirth 1987). Der Rinden-pH-Wert der Linde ist schwach sauer bis alkalisch. In diesem Bereich liegt der Vorzugsbereich der Arten. So ist zum Beispiel die nach Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) besonders geschützte Furchige Schlüsselflechte (Parmelia sulcata) eine der häufigsten und toxitolerantesten epiphytischen Blattflechten, während die ebenfalls besonders geschützte Felsenschlüsselflechte (Parmelia saxatilis) eine eher Düngung meidende Art ist. Die angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen sind überwiegend extensiv genutzt (Pferdekoppeln). Nur im westlichen Untersuchungsgebiet befinden sich Anbauflächen (Obst, Getreide). Die Belastung scheint sich durch die dazwischenliegenden Waldflächen in Grenzen zu halten, undParmelia saxatilis kommt vor allem in diesem Bereich vor. Die meisten Arten sind jedoch Eutrophiezeiger mit Nährstoffzeigerwerten für Stickstoff zwischen „mäßig N-reiche Standorte anzeigend“ (Krustenflechten) und „an übermäßig N-reichen Standorten konzentriert“ (Phaeophyscia orbicularis ) (Wirth 2010).

4 Diskussion

Insgesamt konnten im Untersuchungsgebiet 129 Totholzkäferarten aus 36 Familien mit 1.072 Individuen nachgewiesen werden. Darunter befanden sich 20 Indikatorarten für historisch alte Bestände und alte Faunentradition sowie sechs sogenannte Urwaldreliktarten. Diese Funde unterstreichen den naturschutzfachlich wertvollen Charakter einer Allee.

Vergleicht man den Artenreichtum mit anderen Gebieten, so entspricht die Zahl der nachgewiesenen Holzkäferarten der von bestimmten wertvollen Naturdenkmälern im Naturpark Nossentiner/Schwinzer Heide (Mecklenburg-Vorpommern, Erfassung 2013). Lediglich eine alte Rotbuche wies dort mit 144 Arten mehr xylobionte Käferarten auf. Die anderen Naturdenkmäler stellten den Lebensraum von jeweils durchschnittlich 114 xylobionten Arten dar. In wertvollen Waldgebieten finden sich durchschnittlich rund 200 Totholzkäferarten. Die im Untersuchungsgebiet festgestellten 129 Arten sind somit für den Lebensraum „Straßenallee“ eine beachtliche Zahl an xylobionten Käferarten.

Bei Fahrland erfolgte der Nachweis von 20 Indikatorarten für historisch alte Bestände und alte Faunentradition (nach Schmidl & Bussler 2004). An den im Naturpark Nossentiner/Schwinzer Heide (Mecklenburg-Vorpommern, Erfassung 2013) untersuchten Naturdenkmälern fanden sich im Mittel lediglich vier dieser Indikatorarten, bei allen acht Naturdenkmälern waren es insgesamt 24 Arten. Die 20 im Untersuchungsgebiet bei Fahrland gefundenen Arten sind im Vergleich dazu ein hohes Qualitätsmerkmal der Linden- und Eichenallee.

Die nachgewiesenen sechs Urwaldreliktarten unterstreichen den wertvollen Charakter des Untersuchungsgebiets. In einem der wichtigsten urständigen Waldbestände Deutschlands, im Naturwaldreservat „Rohrberg“ im Spessart mit seinen 600-jährigen Eichen, wurden lediglich zwei rezente Urwaldreliktarten mehr als im Untersuchungsgebiet bei Fahrland nachgewiesen (Müller et al. 2005). In Naturwaldzellen in Mecklenburg-Vorpommern fanden sich rezent zwischen einer und 14 Urwaldreliktarten (Gürlich 2016). Die Habitattradition darf demnach keineswegs durch falsche Pflege der Allee unterbrochen werden. Es muss stets ein Augenmerk auf eine nachhaltig gute Mischung der Altersklassen der Alleebäume gerichtet sein.

Handfang und Fallenfang ergänzten sich hervorragend, um ein gutes Bild der vorhandenen Totholzkäferzönose zu erhalten. Natürlich ist der Erhalt der derzeit bekannten Höhlenbäume und Brutstätten für totholzbewohnende Käfer im Gebiet wichtig. Nicht nur die Brutstätten der gesetzlich geschützten Arten spielen eine Rolle, sondern auch die der seltenen und bedrohten Totholzkäfer. Dabei sind langsam absterbende Baumpartien für die Tiere langfristig besser nutzbar als schnell abgestorbene Äste und Stammteile, die ihrerseits jedoch auch Lebensraum einer Zoozönose gesetzlich geschützter Bock- und Prachtkäferarten sind. Sollten aus Verkehrssicherungs- oder anderen Gründen Schnittmaßnahmen an den Bäumen notwendig werden, ist vor allem auf eine Lagerung des Ast- und Stammmaterials auf einem Totholzlagerplatz zu achten, damit sich dort möglichst noch lange Totholzkäferarten entwickeln können.

Der Fortbestand bestimmter xylobionter Käfer ist stark gefährdet. Deren Vorkommen muss durch den Erhalt alter Bäume und Alleen sowie eine gezielte Förderung gesichert werden. Geeignete Maßnahmen stellen beispielsweise die Erhaltung absterbender und toter Bäume als Lebensraum sowie die Planung künftiger Habitatstrukturen für bestimmte holzbewohnende Tiere und Pilze dar. Konkret sind Nachpflanzungen von Winterlinden und Eichen in der Nähe anbrüchiger Altbäume notwendig , um Habitatkontinuität zu gewährleisten und eine günstigere Altersklassenverteilung der Allee zu erreichen. Dabei erscheinen einzelbaumweise Fällungen und zeitnahe Nachpflanzungen aus Sicht des Artenschutzes sinnvoller als eine abschnittsweise Erneuerung der Allee. Werden Alleen in einem Arbeitsschritt ersetzt, gibt es für Arten, die bestimmte Altersstadien von Bäumen bevorzugen, einen Schnitt in der Kontinuität des Angebots einer bestimmten Lebensraumqualität, die für ihr Überleben am Standort wesentlich ist. Hier sind wirtschaftliche Gesichtspunkte und ein Ordnungssinn, der symmetrische, einaltrige Alleen bevorzugt, destruktiv. Das kontinuierliche Vorkommen verschiedener Alters- und Zerfallsstadien der Bäume gibt den Organismen dauerhaft Lebensraum. Historisch alte Alleen, wie die in der vorliegenden Studie betrachtete, weisen ein Arteninventar auf, das trotz hohem Verkehrsaufkommen seltene und für alte Bäume typische Arten in hoher Individuenzahl birgt.

Die Zerstörung dieses Lebensraums bedingt den Verlust Tausender gefährdeter Tiere. Dies ist auch durch die stehende Lagerung von Stämmen nur teilweise zu vermeiden. Vor allem Besiedler von Astmaterial werden beim Schreddern in hoher Zahl vernichtet. Lorenz (2018) fand bei einer Eiche in Astmaterial von etwa 0,2 Raummeter Volumen insgesamt 18 Käferarten mit fast 400 Individuen. Sieben der gefundenen Arten waren nach BArtSchV besonders geschützt. Es besteht gesetzlich das Verbot der Zerstörung des Lebensraums und der Tötung besonders geschützter Tiere und ihrer Entwicklungsstadien. Deutschlandweit üblich ist jedoch das Schreddern von Kronenteilen bei Baumpflegearbeiten und damit auch die Tötung von gesetzlich geschützten Käferarten.

Für die Entnahme geschützter Arten benötigen Kinder, Biologielehrer und Forscher in Deutschland eine Fanggenehmigung, während wesentlich mehr Individuen bei gedankenlosen Arbeitseinsätzen nicht nur in der Baumpflege sterben (Segerer 2019). Hier ist bei den Verantwortlichen eine Neuorientierung erforderlich, einerseits das Fangen im Rahmen von Untersuchungen (Fallenfang) und für Bildungsangebote zu erleichtern und andererseits nachhaltiger die Lebensräume der Tiere zu schützen. Entnahmen von Einzelindividuen zur Dokumentation von Vorkommen, zur Durchführung bestimmter Studien oder für Lehr- und Vergleichssammlungen erscheinen bedeutungslos im Vergleich zur derzeit üblichen großflächigen Zerstörung der Lebensräume.

Auf Fledermäuse und Vögel wird regelmäßig vor der Fällung von Bäumen geachtet, Käfer und Flechten hingegen geraten häufig aus dem Blick. Auch die fehlenden Daten zum Vorkommen und zur Häufigkeit besonders geschützter Arten in Bäumen behindern einen rechtssicheren Standard zum Umgang. Wie oben erläutert, ist das Aufstellen gefällter Stammabschnitte lediglich die letzte Option zur Abmilderung der Eingriffsfolgen. Sinnvoller ist das zeitnahe Nachpflanzen. Der besondere Artenschutz in Alleen und Baumreihen muss über Jahrzehnte geplant werden. Die Ansprüche der Verkehrssicherheit werden immer die Fällung einzelner Bäume in einer Allee erzwingen, unabhängig davon, welche artenschutzrechtlichen Vorgaben bestehen. Zur nachhaltigen Sicherung des geschützten Lebensraums und als denkbare Ausgleichsmaßnahme ist die zeitnahe Nachpflanzung gebietsheimischer und gleichartiger Bäume zu sehen.

Dank

Die Autoren danken den unbekannten Gutachtern für kritische Anmerkungen zum Manuskript.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.


Fazit für die Praxis

  • Alleen sind Lebensraum und Ausbreitungslinien für viele Insektenarten.
  • Insbesondere alte Alleen können in einer Kulturlandschaft letzte Refugien für seltene Arten sein.
  • Zum Erhalt dieses Lebensraums und der Ausbreitungslinien sollten Fällungen in Alleen lediglich einzelbaumweise erfolgen. Zeitnah ist eine Nachpflanzung der entsprechenden Baumart am Standort erforderlich.
  • Bei Fällungen alter Bäume sind auch besonders geschützte Insekten- und Flechtenarten zu beachten.
  • Die Lagerung von Astmaterial aus Baumpflegemaßnahmen für mindestens zwei Jahre ermöglicht vielen geschützten Insektenindividuen, der Vernichtung durch Schreddern zu entgehen.

Kontakt

Dr. Hans-Peter Reike ist seit 2004 als freiberuflicher Dozent und Gutachter zu entomologischen Fragestellungen tätig. Besonderer Fokus seiner Arbeit sind die Käfer (Coleoptera). Studium der Forstwissenschaften an der TU Dresden und Promotion zum Thema „Untersuchungen zum Raum-Zeit-Muster epigäischer Carabidae an der WaldOffenland-Grenze“.
> h.p.reike@gmx.de
 
 
 
 
 
Ingo Lembcke, Dipl-Forsting. (FH) und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, arbeitet an der unteren Naturschutzbehörde der Landeshauptstadt Potsdam mit dem Schwerpunkt Baum- und Artenschutz.
> Ingo.lembcke@rathaus.potsdam.de
 
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren