
Mit vollem Elan für Wildbienen, Schmetterlinge, Käfer & Co.
In Hannover tut sich etwas für Insekten: Ende 2020 wurde das Insektenbündnis Hannover gegründet. In einer Deklaration wurden die wesentlichen Eckpunkte und Maßnahmen festgehalten. Birte Bredemeier und Karola Herrmann zeigen, was seither passiert ist.
von Julia Schenkenberger erschienen am 30.10.2024Die eine ist studierte Umweltwissenschaftlerin und Umweltplanerin, die andere Sozialpädagogin: Birte Bredemeier und Karola Herrmann haben auf den ersten Blick wenig gemein. Zwei Dinge verbinden die beiden Frauen aber: die Begeisterung für ganzheitlichen Naturschutz und die Motivation, die Menschen mit dieser Begeisterung anzustecken.
Ihr gemeinsames Ziel: in Hannover ihren Beitrag zum ganzheitlichen Naturschutz leisten – angefangen beim Schutz der Kleinsten, der Insekten. Der Bedarf dafür ist spätestens seit der Krefelder Studie auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die Problematik des Insektensterbens ist bekannt. Die Gründe für den Rückgang von Artenvielfalt und Populationsgrößen sind vielfältig und komplex. Klar ist: Insekten brauchen Vielfalt. Nicht nur im Hinblick auf das Lebensraummosaik, auf das sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Entwicklungsstadien angewiesen sind, sondern auch im Hinblick auf die Akteurinnen und Akteure, die sich um ihren Schutz bemühen. Insektenschutz muss in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert sein. Hier setzt das Insektenbündnis Hannover an.
Inspiriert hat Karola Herrmann eine Projektvorstellung des Bienenbündnisses Osnabrück. Sie ist sofort überzeugt. „Das brauchen wir auch“, findet sie – und aktiviert ihre Kontakte, die sie als langjährige ehrenamtliche Naturschutzbeauftragte der Region Hannover und Vorsitzende des NABU Hannover hat. Drei Jahre führt sie intensive Gespräche mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren. Ihre Ausdauer zahlt sich aus: 2020 gründet sich auf Initiative von NABU Hannover, BUND Region Hannover, Deutsche Umwelthilfe und Umweltzentrum Hannover das „Insektenbündnis Hannover“, um den Insektenschutz in der Stadt mit gemeinsamer Kraft voranzutreiben. Auch die Landeshauptstadt Hannover tritt mit einstimmigem Ratsbeschluss dem Bündnis bei. Sie übernimmt sogar die Koordination des Bündnisses und stellt Personal und weitere Haushaltsmittel für die Umsetzung von Maßnahmen zur Verfügung.
Das Besondere am Insektenbündnis Hannover ist, dass es sich nicht um ein befristetes Projekt handelt. Stattdessen arbeiten die Akteurinnen und Akteure langfristig an mehr Insektenfreundlichkeit auf geeigneten privaten und öffentlichen Flächen. „Wir haben uns auf einen gemeinsamen Weg begeben. Der Bewusstseinswandel in der Gesellschaft hin zu naturnahem Grün ist ein unbefristeter Prozess“, betont Herrmann.
Die Gründungsmitglieder des Bündnisses lassen 2020 direkt Taten folgen: Sie formulieren eine Deklaration mit den sukzessive zu erreichenden Zielen und den hierfür erforderlichen Maßnahmen. Diese sind denkbar vielfältig und reichen von der Entwicklung gebietsheimischer Saatgutmischungen über die Verwendung überwiegend heimischer Pflanzen im öffentlichen Grün und ein angepasstes ökologisches Grünflächenmanagement bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung. Alle Bündnismitglieder arbeiten auf Augenhöhe gemeinsam daran, diese Maßnahmen umzusetzen und weiterzuentwickeln.
1Derzeit setzt sich das Insektenbündnis Hannover aus 23 Institutionen der Stadtgesellschaft aus verschiedensten Disziplinen zusammen. Hierzu zählen neben der Landeshauptstadt Hannover und den initiierenden Natur- und Umweltschutzorganisationen Kleingarten- und Imkervereine, weitere Umweltverbände sowie Wohnungsbaugesellschaften, städtische Verkehrsbetriebe, die Leibniz Universität Hannover und die Region Hannover.
Die Landeshauptstadt Hannover übernimmt eine Vorreiterrolle bei Maßnahmenplanung und -umsetzung dank des Engagements der Mitarbeitenden, beispielsweise in den städtischen Werkhöfen und Forstrevieren, der städtischen Baumschule und Stadtgärtnerei und vielen anderen Bereichen. Bredemeier und Herrmann sind hier die erste Anlaufstelle, sie koordinieren das Bündnis seit Oktober 2023, vernetzen und organisieren. Ihre Kompetenzen ergänzen sich dabei hervorragend.
Die positiven Effekte des Bündnisses sind schon an vielen Orten in Hannover zu entdecken. Die Veränderungen können groß sein oder eher klein. So wurde beispielsweise das Pflegekonzept für die Grünflächen im Eigentum der Landeshauptstadt Hannover naturnäher gestaltet. Statt einheitlicher und intensiver Mahd werden nun örtlich angepasste Pflegepraktiken eingesetzt, je nach Entwicklungszielen und Bedarf der Flächen. Mit eigens im Insektenbündnis entwickelten regio-zertifizierten Saatgutmischungen, der „Hannovermischung“, werden Blühflächen angelegt. Bisher gibt es acht verschiedene standortspezifische Saatgutmischungen, von „Blühenden Gärten“ über „Blumenkräuterrasen“ bis hin zu „Blühenden Baumscheiben“. Insgesamt wird auf den öffentlichen Grünflächen mehr Durchwuchs zugelassen, Mosaik- und Streifenmahd kommen zum Einsatz und es werden spezielle Insektenhabitate wie Sandarien und Nisthügel angelegt, um geeignete Rückzugsorte für Insekten zu erhalten und neu zu schaffen. Mit diesem Ansatz wurden bisher etwa 14% der innerstädtischen Grünflächen naturnah umgestaltet. Langfristig sollen alle geeigneten städtischen Liegenschaften sukzessive umgestaltet werden.
2Aber auch private Gärten und Balkone sind wichtige Orte für den Insektenschutz – als Trittsteine im städtischen Biotopverbund. Auch auf kleinen Flächen kann Naturnähe erreicht werden. Die Bündnismitglieder verstehen sich dabei als Vorbilder, die den Wandel vorleben. Ihnen geht es nicht nur um die Förderung von Bienen, sondern um alle Insektenartengruppen – von Schmetterling über Käfer, Heuschrecke, Wanze, Zikade, Fliege und Wespe bis hin zur Libelle. Dafür arbeitet das Bündnis auch an der Veränderung von Wahrnehmungsgewohnheiten. Wer versteht, dass das, was wir als „sauber“ und „ordentlich“ empfinden, für Insekten eine lebensfeindliche Wüste ist, und dass vermeintlich ungepflegte Ecken mit Brennnesseln und anderen heimischen Pflanzen im Garten für Raupen und Co. lebenswichtige Nahrung und Lebensraum bieten, kann allmählich seine Sichtweise wandeln. „Wir müssen uns bewusst dafür entscheiden, eine gewisse ‚Unordnung‘ zuzulassen“, meint Herrmann.
Der Perspektivwechsel betrifft dabei nicht nur die veränderte Wahrnehmung von „Schönheit“ oder „Ordnung“. Es geht auch um eine Veränderung der Pflegegewohnheiten. Bredemeier und Herrmann erklären: „Die Flächen machen auch Arbeit. Sie machen aber andere Arbeit und zu anderen Zeitpunkten.“ Sich daran zu gewöhnen, ist ein längerfristiger Prozess – sowohl für die Ausführenden als auch für Bürgerinnen und Bürger. Die Bündnismitglieder gehen deshalb aktiv auf die Menschen zu und informieren mit Infoständen auf verschiedensten Veranstaltungen und mit übersichtlichen Broschüren zur naturnäheren Pflege und insektenfreundlichen Pflanzen. Innerbetriebliche Fortbildungen sind kein schnöder Frontalunterricht, sondern interaktive Workshops, bei denen der gegenseitige Austausch und das Voneinanderlernen im Vordergrund stehen.
Auf diesen Prinzipien ist auch das gesamte Bündnis aufgebaut. In verschiedenen Arbeitsgruppen werden konkrete Maßnahmen erarbeitet. Einzelne umgestaltete Flächen werden bereits durch ein Monitoring begleitet. So können die Bündnispartner aus Erfahrungen lernen und Maßnahmen optimieren. Dies soll zukünftig systematisiert werden. Eine Steuerungsgruppe, der sog. Innere Kreis, ist Dreh- und Angelpunkt, priorisiert, trifft Entscheidungen und – auch das zeichnet das Insektenbündnis aus – erste Veränderungen werden direkt umgesetzt. Die Steuerungsgruppe erhält Rückendeckung durch den Äußeren Kreis aus allen Mitgliedern des Bündnisses, der einmal jährlich tagt und das höchste Entscheidungsgremium darstellt.
Es werden auch eigene Projekte entwickelt, für die Fördermittel eingeworben werden. Der Vorteil, wenn solche Projekte innerhalb des Insektenbündnisses entstehen, liegt auf der Hand: Sie erleichtern die Finanzierung und sind neben den Haushaltsmitteln der Landeshauptstadt und der Region Hannover sowie der Drittmittelförderung der anderen Bündnismitglieder eine wichtige Säule für die Umsetzung der Maßnahmen aus der Deklaration. Die unterschiedlichen Finanzierungsquellen regen die Bündnismitglieder zu kreativen Einzelprojekten an.
3Karola Herrmann ist auch nach vier Jahren ansteckend begeistert von dem Bündnis. Bei allem Enthusiasmus bleiben Herrmann und Bredemeier aber auch realistisch: Es kann nicht alles auf Anhieb erfolgreich sein. „Es wird sicher auch Durststrecken geben. Das Projekt ist ein Marathon und wir haben erst 100 m geschafft – das hat unser Vorgänger Ulrich Schmersow immer betont. Aber: Der Weg ist das Ziel!“
- Name: Insektenbündnis Hannover
- Mitglieder: 23 Institutionen
- Ziel: Erhalt und Erhöhung der Artenvielfalt (Diversität) und Größe der Populationen (Abundanz) von Insekten in Hannover durch Verbesserung ihrer Lebensräume (Habitate)
- Finanzierung: Stadt und Region Hannover, Mitglieder, Drittmittel
Insektenbündnis Hannover Landeshauptstadt Hannover Fachbereich Umwelt und Stadtgrün Arndtstraße 1 30167 Hannover +49 511 168-40171 und +49 511 168-44659 insektenbuendnis@hannover-stadt.de
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