Mehr Schmetterlinge in Wald und Feld
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Zürich. Ich verband den Namen lange ausschließlich mit der größten Stadt der Schweiz: mit dem Großmünster, der attraktiven Altstadt, mit Banken und vielleicht einer Limmat-Bootstour. Doch Zürich ist mehr: ein ganzer Kanton nicht nur mit Städten, sondern auch mit den Landschaften des Schweizer Mittellands, voralpiner Prägung im Südosten und Jura-Ausläufern im Nordwesten. Eine dieser Landschaften ist das Tösstal. Seine Vielfalt zeigt mir heute Heinrich Schiess.
Er ist Projektleiter im Landschaftsprojekt Oberes Tösstal und Mitglied im Verein Schmetterlingsförderung im Kanton Zürich. Der Verein setzt sich professionell für den Schutz seltener Schmetterlingsarten und die Erhaltung und Aufwertung artenreicher Lebensräume ein. Der Grundgedanke des Projekts besteht darin, die allgemeine ökologische Qualität der Landschaft wieder zu heben – durch Wiederherstellung, Aufwertung, Anlage zahlreicher Trittsteine in jeder Größe.
Ausgangspunkt des Projekts war ein kantonsweiter Vergleich zwischen einer Inventarisierung von 1990-1992 und dem aktualisierten Wissensstand von 2011/12. Mehrere Kennerinnen und Kenner wiederholten das flächendeckende, objektweise Vorgehen der Erstkartierung. „Wir haben die Methodik allerdings ein bisschen getuned, damit wir nicht zu viele Tiere fangen mussten“, erzählt Schiess.
Der längerfristige Artenrückgang ist unbestreitbar – von den rund 130 Arten zum Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Artenliste trotz des Einwanderns einiger anpassungsfähiger Arten bis heute auf etwa 90 reduziert. Ergebnis des Kartierungsvergleichs 1990–1992 mit 2011/12: Gesamtartenzahl stabil, einige Zunahmen, viele Rückgänge. Und: Das Tösstal ist – als ländlichste und hügeligste Region des Kantons – ein Widerstandsgebiet gegen den Rückgang. „Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass es hier wegen der Topographie viele schwer intensivierbare Flächen gibt“, erklärt Heinrich Schiess. „Aber dafür zeigt sich hier das andere Gesicht der Rationalisierung: Viele artenreiche, aber für die Bewirtschaftung unlohnende Grünlandflächen werden aufgegeben und verbrachen.“ Doch noch gibt es extensiv bewirtschaftete, wertvolle Offenlandbereiche, vor allem natürlich in den behördlich gesicherten Naturschutzgebieten. Außerdem spielt im Tösstal noch ein weiteres Element eine wichtige Rolle: die Wälder. Früher – wie übrigens überall in Europa – stark und vielfältig genutzt, werden sie zurzeit immer holzreicher und dunkler, mit Ausnahme besonders steiler Hanglagen, die noch licht-, struktur- und artenreich geblieben sind.
Der Verein Schmetterlingsförderung erkannte insbesondere aufgrund der genannten Vergleichskartierungen den Handlungsbedarf für die Durchschnittslandschaft. Wenn die wertvollsten Schutzgebiete immer isolierter in einer sich verschlechternden Matrix liegen, sterben viele Arten weiterhin aus. „Und wenn nicht wir etwas tun, tut niemand etwas“, so lautete das Credo. Heinrich Schiess und seine Fachkolleginnen und -kollegen riefen daraufhin das „Landschaftsprojekt Oberes Tösstal“ ins Leben, suchten Geldgeber und stimmten sich mit den Behörden ab. Seit 2017 werden artenreiche und potenziell artenreiche Wiesen und Weiden wiederhergestellt und weiter aufgewertet, Wälder aufgelichtet und nachgepflegt, Waldränder und Feldgehölze ökologisch optimiert.
Im Fokus stehen dabei als Hauptzielarten drei der 14 Zielarten des Vereins: der Rundaugen-Mohrenfalter (Erebia medusa ), der Waldteufel (Erebia aethiops ) sowie der Frühlingsscheckenfalter (Hamearis lucina ). Die Wahl der drei Arten ergibt sich aus ihrem Vorkommen in den lichten Wäldern und auf den artenreichen Wiesen und Weiden sowie aus ihrer Eignung als Aushängeschilder, stellvertretend für viele andere Pflanzen- und Tierarten. Die drei sind derzeit landesweit nicht oder nur potenziell gefährdet, kantonal gesehen jedoch in raschem Rückgang begriffen.
Das Oberziel, die ökologische Qualität der Gesamtlandschaft wieder zu heben, wird mit sechs formell umschriebenen Maßnahmentypen angepeilt: Verbuschte und verwaldende Wiesen und Weiden werden wieder geöffnet (1), Bewirtschaftungsabläufe im Grünland werden auf verschiedene Weise optimiert (2) und Gehölzstrukturen im Offenland verbessert (in der Regel ausgelichtet, 3). Im Wald gelten die Arbeiten der Wiederherstellung offener Wälder (4), der Optimierung der Waldränder (5) und der Nachpflege von ausgelichteten Beständen (6).
Ziel der Maßnahmen ist immer die Aufwertung der Lebensräume – Wiederansiedlungen der Zielarten sind nicht vorgesehen. Allein im vergangenen Jahr konnten so auf 53 Teilflächen insgesamt 18,2 ha im Sinne der Projektziele optimiert werden. Die Teilprojekte sind denkbar unterschiedlich und die Maßnahmen gehen dabei vom Mähbarmachen bereits entbuschter Wiesenflächen über das Aufhaufen von Ästen nach Holzschlag und punktuelle Maßnahmen wie das Entfernen von Adlerfarn und Brombeeren bis zur flächenhaften Anpassung des Pflegeregimes auf Wiesen und Weiden.
All diese Aufwertungen können aber nur deshalb stattfinden, weil der Verein eng mit den Behörden und allen lokalen Akteuren zusammenarbeitet. Das sind Bewirtschafter, Grundeigentümer, ausführende Private und Unternehmen, aber – ganz wichtig – vor allem auch der Forstdienst. „Im Projektperimeter sind zum Glück super Förster unterwegs“, freut sich Heinrich Schiess. Sie sind offen für die Ideen der Tagfalterschützerinnen und -schützer und für die konstruktive Zusammenarbeit. „Eines unserer Projektziele ist ja, die Lichtstellen im Wald ausgedehnter und nachhaltiger auszubilden als nur durch den Holzeinschlag allein möglich. Dank der aufgeschlossenen Personen im Forst ist auch diese Art der Nachpflege vielenorts möglich“, führt Schiess weiter aus.
Das gesamte Projekt basiert vollständig auf Freiwilligkeit. Die Maßnahmenflächen im Grünland sollen nicht gedüngt werden, aber das ist auch schon die einzige bindende Vorgabe. Je nach Nährstoffverfügbarkeit erfolgt auf den Mähflächen eine einschürige Mahd, Mahd mit Herbstweide oder eine zweischürige Mahd. Das Projektteam ermutigt die Bewirtschafter dabei immer zur Staffelmahd – auf diese Weise sind ständig ein Blütenhorizont und Rückzugsstrukturen für die Tiere verfügbar. Weitergehende Vorgaben, etwa zu Pflegezeitpunkt oder verwendeten Geräten, macht der Verein aber nur selten. Heinrich Schiess erklärt das Konzept: „Wir sind zurückhaltend mit Vorschriften, weil wir im Sinne des gesamtlandschaftlichen Ziels lieber viele Leute ins Boot holen möchten.“ Das Projekt meldet jedoch durchaus seine Wünsche an, finanziert – bei Einverständnis von Bewirtschafter und Grundeigentümer – allfällige Mehraufwände und bietet zum Beispiel auch einen Heuhilfedienst an.
Schriftliche Verträge für die Flächensicherung gibt es im Projekt nicht: „Es basiert alles auf Handschlag, auf Vertrauen.“ Die Beteiligten sind sich im Klaren über die Ziele des Projekts und darüber, dass ihr Land bis auf Weiteres für die Förderung der Artenvielfalt zur Verfügung steht – das scheint vollauf zu reichen. Hie und da werden gegen diese Praxis Vorbehalte geäußert, zum Beispiel auch von Geldgebern. Schiess sieht aber große Vorteile: „Mit der Unterschrift verpflichtet man sich. Das schreckt ab. Wir versuchen lieber, die Leute da abzuholen, wo sie stehen und worauf sie bereit sind, einzugehen.“ Rückblickend war dieser Ansatz durchaus erfolgreich, findet er. „Wir hätten das Projekt sonst längst nicht so gut in Gang gebracht.“ Und die ökologischen Erfolge sind denn auch da: Transsekten-Erhebungen von 2018 und 2020 zeigen, dass die Artenzahl signifikant positiv mit der Eingriffsstärke korreliert. Und einige „Perlen“ haben sich auch auf Maßnahmenflächen eingestellt: neben allen drei Hauptzielarten beispielsweise der Märzveilchen-Perlmuttfalter, der Violette Silberfalter und der Trauermantel.
Der Erfolg zeigt sich auch noch auf eine andere Weise: Das Landschaftsprojekt wurde im Jahr 2020 mit dem Elisabeth und Oscar Beugger-Preis der Emanuel und Oscar Beugger-Stiftung ausgezeichnet. Das Preiskomitee unter der Ägide von Pro Natura Schweiz befand es für die auszeichnungswürdigste unter den 18 eingereichten Kandidaturen. Thema der Wettbewerbsausschreibung: „Maßnahmen gegen das Insektensterben“. Der zweijährlich ausgeschriebene Preis ist mit 50.000 CHF dotiert – für den Verein eine äußerst willkommene Entlastung des Tösstalbudgets.
Im Übrigen fußt das ganze Projekt auf der Finanzierung durch Spenden, vor allem von zielverwandten Stiftungen. Die Unabhängigkeit von behördlichen Geldmitteln schränkt zwar ein, gleichzeitig erweist sie sich aber auch als Pluspunkt: Wie die informelle Flächensicherung nimmt sie den Beteiligten die Bedenken bezüglich strenger Schutzbestimmungen. Dass die für alle geltenden offiziellen Regeln eingehalten werden, dafür sorgt die laufende Abstimmung mit Forstdienst und öffentlichem Naturschutz. Das Projekt ist somit in einer Nische aktiv – aber die ist überraschend weitläufig! Die beste Sicherung des Erreichten bietet natürlich eine Fortsetzung des Projekts: Ein Anschlussprojekt ist in Vorbereitung. Als Projektleiter wird dann allerdings nicht mehr Heinrich Schiess fungieren; er übergibt, altersbedingt, den Staffelstab an Andreas Hofstetter.
Projektdaten
- Projektgebiet: Oberes Tösstal, Kanton Zürich (Gemeinden Bauma, Wila, Bäretswil, Fischenthal)
- Laufzeit: 2017–2021 (Anschlussprojekt in Vorbereitung)
- Hauptzielarten: Rundaugen-Mohrenfalter (Erebia medusa ), Waldteufel (Erebia aethiops ), Frühlingsscheckenfalter (Hamearis lucina )
- Finanzierung: Fonds Landschaft Schweiz, Dr. Bertold Suhner-Stiftung, eine gemeinnützige Liechtensteinische Stiftung, zusammen mit vielen weiteren Stiftungen, Gemeinden und privaten Sponsoren
- Finanzierungsumfang: rund 1.3 Mio. CHF für die fünfjährige Projektdauer
Projekt-Philosophie
- Wiederaufwertung zahlreicher Potenzialflächen in allen Großlebensräumen der Gesamtlandschaft,
- Wiederknüpfen des dichten Netzes von artenreichen Trittsteinen und Wiederherstellen der Landschaftsmatrix, in der die behördlichen Naturschutzgebiete eingebettet sind,
- Beteiligung aller Akteure und Abstimmung mit landschaftsrelevanten Behörden,
- Angebot an bezahlter Arbeit in wirtschaftlich peripherer Region, Verbindung mit ökologischen Zielen.
Verein Schmetterlingsförderung im Kanton Zürich
Zwinglistrasse 34a
CH-8004 Zürich
Tel. (+41)44 240 00 78
E-Mail: info@schmetterlingsfoerderung.ch
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