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#miniwildnis

Aus Kleinem kann Großes entstehen

Eva Stengel engagiert sich für mehr Natur in der Stadt. Mit ihrer Kampagne #miniwildnis schafft sie kleinflächig Bereiche für Tiere und Pflanzen im urbanen Raum, beispielsweise an Bahnhöfen. Immer mit dabei: eine auffällige Beschilderung, um die Menschen aufmerksam zu machen. Wir haben Eva Stengel getroffen und uns das Projekt vorstellen lassen.
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 1 #miniwildnis-Fläche an einer Bahnlinie.
1 #miniwildnis-Fläche an einer Bahnlinie. Eva Stengel
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Mit welchen Begriffen assoziieren Sie Wildnis? Manch einer wird vielleicht sagen „unberührt“, „sich selbst überlassen“, aber auch „verwelkt“, nicht unbedingt schön. Unter Umständen fällt sogar das Wort „beängstigend“. Diese Erfahrungen hat Eva Stengel in Gesprächen gemacht. Sie selbst nimmt Wildnis völlig anders wahr: „Für mich persönlich ist unberührte Natur etwas Wunderschönes. Wilde Natur setze ich gleich mit Freiheit!“

Doch wer hat nun Recht? Ist Wildnis schön? Ist sie gefährlich? Die Fragestellung erinnert mich an ein Seminar, das ich seinerzeit im Masterstudium an der Universität Kassel belegt hatte. Dort diskutierten wir den Begriff „Wildnis“ lange und ausführlich, studierten die Literatur. Das Ergebnis, wie so häufig: Es kommt auf die Perspektive an. Als Gegenbegriff zu Ordnung mag Wildnis regellos erscheinen, in der vorästhetischen Wildnisauffassung sogar physisch bedrohlich sein. Gleichzeitig kann Wildnis ein Sehnsuchtsort sein, etwas Urtümliches, vielleicht beinahe Göttliches.

Eva Stengels Auffassung von Wildnis liegt irgendwo dazwischen. Das mag an den Menschen liegen, die sie von klein auf geprägt haben: ihre Eltern - beide engagierte Naturschützer und Tierfreunde. Und der Freund der Familie, Peter Berthold, einer der führenden Ornithologen und Ökologen Deutschlands. Stengel begeistert sich für alle Lebewesen, für die Vielfalt. Dafür braucht es für sie allerdings nicht gleich ein großflächiges Prozessschutzgebiet: Eva Stengel plädiert für kleine Wildnis, die überall einen Platz haben darf.

Hilfe für Wildbienen

Begonnen hat sie mit Trittsteinbiotopen, mit „Rettungsinseln“ für Wildbienen und andere Insekten. Diese hat sie gemeinsam mit Wildbienenexperten der Heinz Sielmann Stiftung entwickelt – zum einen „Nahrungs-Hochbeete“, bepflanzt mit bio-zertifizierten, regionalen Wildpflanzen und ausgestattet mit verschiedenen Nisthilfen-Angeboten für Wildbienen, zum anderen „Lebensraum-Hochbeete“ für diejenigen Arten, die ihre Brutzellen in Totholz oder im Boden ablegen. Diese „DAS TUN WIR Archen“, gebaut in einer Werkstatt von Menschen mit Einschränkung, waren Stengels erster Schritt, naturnahe Elemente in den versiegelten Raum zu bringen. Immer mit dabei: prägnante Informationstafeln in kräftigem Gelb. „Die Farbe zeigt: Da passiert etwas, da muss man hingucken“, erklärt Eva Stengel. „Gleichzeitig ist die Farbe ein Symbol für Lebensfreude, Motivation und Hoffnung.“

Das Konzept überzeugt: Die Deutsche Bahn, Lidl und die Stadt Aalen haben bereits Archen aufgestellt, und das Projekt wurde 2020 mit dem #beebetter-Award der Hubert Burda Stiftung ausgezeichnet. Für Eva Stengel das Signal, sich noch mehr für ihre Herzensangelegenheit zu engagieren: „Ich wollte das Preisgeld eins zu eins an den Naturschutz zurückgeben.“ Ihre neue Idee: mehr natürliche Flächen, und zwar an so vielen Orten wie möglich. „Ich möchte den Tieren und Pflanzen, die dort existieren, eine Stimme geben“, erklärt sie. „Wir dürfen das Leben um uns herum nicht nur auf den Nutzen für uns reduzieren.“ Eva Stengel verfolgt aber noch ein zweites Ziel. Sie möchte Menschen dazu animieren, sich Zeit zu nehmen, selbst die Schönheit dieser Lebewesen zu entdecken.

Es wird wild

Im November 2020 steht schließlich das Konzept: Entstehen oder erhalten werden sollen nicht kultivierte, quasi „verwilderte“ Flächen entlang von Straßen, auf Baustellen, in Parks und Gärten. Jeder Quadratmeter, der so naturnah wie möglich sein kann, zählt. In Stengels Miniwildnisbegriff zählen aber auch extensiv gepflegte, ungedüngte Wiesenbereiche, Biotope und Blühflächen – all jene Flächen also, auf der sich heimische Tier- und Pflanzenarten ansiedeln können.

Die Flächen sollen aber nicht einfach „dahinvegetieren“ – Eva Stengel ist sich durchaus bewusst, dass es natürlich auch dort einer gewissen Pflege bedarf. Aber eben in viel geringerem Umfang als gewohnt. Und dass viele Menschen die Vielfalt einer solchen Miniwildnis nicht als solche erkennen und eher die „Ungepflegtheit“ und die „Unordnung“ wahrnehmen. Genau hier wollte sie ansetzen: An diesen Flächen sollten Schilder aufgestellt werden – stets verknüpft mit digitalen Inhalten. Diese sollten nicht belehrend wirken, sondern vor allem Interesse wecken, informieren und zum Mitmachen anregen. Eva Stengel war es von Anfang an ein Anliegen, dabei vor allem auch junge Menschen mit einzubeziehen. Sie beauftragte kurzerhand ihren Sohn, der International Business studiert, gemeinsam mit Bekannten und Freunden in einem professionellen Workshop die Triggerpunkte junger Menschen herauszuarbeiten. Schnell stellte sich heraus: Weniger ist oft mehr. Gewünscht sind kurze, prägnante Inhalte, die die Botschaft schnell deutlich machen – entsprechend den modernen Sehgewohnheiten. Und haefelinger design, die Kommunikationsagentur aus München, die im Auftrag von Eva Stengel dann die Idee in ein visuelles Konzept umsetzte, befand: Eine Prise Humor sollte nicht fehlen, denn ein Schmunzeln bleibt besser in Erinnerung als der mahnend erhobene Zeigefinger.

Klare Botschaften

So ziert ein Plakat eine Zeichnung im für die Kampagne typischen Vintage-Stil einer Mauereidechse. Daneben prangt der Slogan „Keine Steinwüste. Sondern meine Sonnenbank.“ Ein anderes Plakat zeigt eine Dunkle Erdhummel. Die Abbildung wird ebenfalls von einer Botschaft begleitet: „Nur Gestrüpp? Hier bin ich Königin.“ Fünfzehn solche Motive gibt es derzeit, und sie bekommen stetig Zuwachs.

Was für die Plakate gilt, ist auch auf den Social-Media-Auftritt übertragbar. Auch hier funktionieren die Hingucker-Bilder mit den knackigen, kurzen Botschaften. Eva Stengel hat aber noch mehr vor: Sie will die Menschen motivieren, selbst Teil der Kampagne zu werden und unter #miniwildnis ihre eigenen kleinen Naturbeobachtungen zu zeigen.

Die Bahn kommt

Das kräftige Gelb der Schilder soll dabei die Blicke auf sich ziehen. „Ich möchte das Hinschauen erleichtern“, meint Eva Stengel. „Und damit auch das Sich-selbst-reflektieren. Wildnis zuzulassen erfordert ein Umschalten im Kopf!“

Die ersten Menschen konnte sie schon für die Kampagne begeistern. Ganz vorn mit dabei: Die Deutsche Bahn. Dem Stuttgarter Bahnhofsmanager Nikolaus Hebding gefiel das neue Konzept auf Anhieb. Zufällig plante er just zu diesem Zeitpunkt den Aufbau naturnaher Flächen in seinem Einflussbereich.

Inzwischen wurden an den Bahnhöfen Weiler und Waiblingen drei Miniwildnisse geschaffen. Hier dürfen ungenutzte Flächen gepflegt verwildern – und werden mit großformatigen Miniwildnis-Plakaten in den Fokus der Reisenden gestellt. Eine weitere Firma in Ellwangen hat nun ebenfalls schon eine große Wiese in eine Wildwiese umgewandelt und diese durch ein Miniwildnis-Schild als solche gekennzeichnet.

Und wie geht es weiter?

Pläne hat die Marketing-Fachfrau viele. Sie will weitere Unternehmen erreichen, kleine ebenso wie große. Die größte Herausforderung dabei ist und bleibt allerdings die Finanzierung. Bislang ist die Kampagne eigenfinanziert. Kosten entstehen vor allem bei der Entwicklung und Produktion der Beschilderung und durch die kampagnenbegleitende Homepage. Es ist angestrebt, Sponsoren zu gewinnen und die Schilder über einen Onlineshop den Mitmachern und Mitmacherinnen anzubieten.

Wildnis für Haubenlerchen

Derzeit erarbeitet sie ein weiteres Element, das direkt mit der Kampagne verknüpft ist: Sie möchte erreichen, dass neuer Lebensraum für die Haubenlerche geschaffen wird. Diese Vogelart, einst gerade auch in der Umgebung von Bahnhöfen und Industriegebieten anzutreffen, ist heute vom Aussterben bedroht. Grund dafür ist der Rückgang ihres Lebensraums – nämlich genau der „öden“, verwilderten Flächen, die Eva Stengel am Herzen liegen. „Die Haubenlerche ist eine hervorragende Botschafterin für die Malaise, die die Menschen mit diesen Lebensräumen, sogenannten Ruderalflächen, haben“, findet sie. „Wir haben einen noch vor 30 Jahren weit verbreiteten Vogel durch unsere Aufräum-, Ordnungs- und Versiegelungswut inzwischen fast ausgerottet!“

Eva Stengel will dazu beitragen, die Haubenlerche wieder anzusiedeln. Inspiriert dazu hat sie der Wegbegleiter ihrer Kindheit: Peter Berthold. Und sie hat Mitstreiter gefunden: Im Artenschutzprogramm des Karlsruher Zoos wird ein Team um Dr. Reinschmidt und Dr. Becker ein tragfähiges Konzept ausarbeiten, das eine Wiederansiedlung in verschiedenen Gebieten ermöglichen soll.

Aufgabe von Eva Stengel ist es dann, dieses Projekt in die Miniwildnis Kampagne einzubinden und Fördermöglichkeiten auszuloten. Denn die Haubenlerche soll langfristig wieder Heimat finden. „Die Haubenlerche steht für all das, wofür #miniwildnis steht!“, sagt sie und spannt damit den Bogen zu ihrem Herzensprojekt.


Philosophie

Die Lebewesen um uns herum verdienen allesamt unsere Aufmerksamkeit, unsere Liebe und unseren Respekt. Sie leben inzwischen weitgehend in Abhängigkeit von uns - aber genauso leben wir in Abhängigkeit von ihnen! Nur noch 0,6 % der Fläche Deutschlands ist unberührte Wildnis. „Wir wollen wild“ würden uns Tiere und Pflanzen zurufen, hätten sie eine Stimme. Um ihnen auch in unserer Umgebung eine Chance zu geben, muss man sie zunächst kennen- und verstehenlernen und ihnen, wo immer möglich, Lebensraum bieten. Dazu will „sinnvoll handeln DAS TUN WIR“ mit der Kampagne Miniwildnis einen kleinen Beitrag leisten.

Eva Stengel hat 2019 ihre Initiative „sinnvoll handeln DAS TUN WIR“ mit Angeboten im Bereich Naturschutz für Kommunen und Unternehmen aufgebaut – ausgehend von ihrem Beratungsbüro für Marketing-Kommunikation. Sie ist mit einem Netzwerk von Experten und Expertinnen verbunden. Mit der Kampagne Miniwildnis möchte sie auf Sehgewohnheiten einwirken und Verständnis für die Wichtigkeit von Artenvielfalt wecken.


Kontakt

Eva Stengel
sinnvoll handeln DAS TUN WIR

Karl-Stirner-Str. 6
73479 Ellwangen

Email: info@eva-stengel.de

www.dastunwir.de
www.miniwildnis.de
https://sinnvoll-handeln.org/arche

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