
Zwischen Ökosystemdienst und Pflegeherausforderung
Seit dem 19. Jahrhundert durchziehen Gräben unsere Kulturlandschaft. Ursprünglich angelegt, um die Bewirtschaftung in Feuchtgebieten zu ermöglichen, sind sie heute ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems. Zugleich offenbaren sie eine komplexe Beziehung zwischen Landnutzung, Wasserwirtschaft und biologischer Vielfalt. Der Erhalt ökologisch wertvoller Gräben ist eng an eine umsichtige und naturverträgliche Pflege geknüpft. Doch gerade das erweist sich in der Praxis als schwierig.
von Veronika Rivera erschienen am 01.07.2024Ökologisch wertvolle Gräben sind wichtige Lebensräume für eine große Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Sie zeichnen sich durch geringe Fließgeschwindigkeit, moderate Wassertemperaturen, passende Besonnung sowie niedrige Nährstoff- und Basengehalte aus. Besonders bedeutend sind sie in ungedüngten Riedgebieten, wo sie als letzte Refugien für nährstoffarmes fließendes Wasser gelten. Gräben, die seltene Arten wie die Helm-Azurjungfern oder die vom Aussterben bedrohte Bachmuschel beherbergen, gelten als besonders wertvoll. Die Pflege solcher Gräben ist sehr aufwändig.
Die Bedeutung von „guten“ Gräben
„Gute“ Gräben konzentrieren sich nicht nur auf artenreiche Gräben mit seltenen Artenvorkommen. Der Bezug zum umliegenden Raum und der Nutzung ist entscheidend für die Bewertung eines Grabens. Wenn ein Graben durch ausgeräumte Ackerlandschaft verläuft und nur „Allerweltsarten“ beherbergt, stellt er oft den einzigen besiedelbaren Lebensraum dar und wird somit zur wichtigen Lebensader. In diesem Kontext ist auch ein solcher Graben von ökologischen Wert. Darüber hinaus hängt das Vorkommen bestimmter Arten nicht allein von der Pflege ab. Faktoren wie Nährstoff- und Sedimenteintrag sowie Erosion spielen eine entscheidende Rolle. Wenn Trophie und Wasserchemie nicht stimmen, können sich naturschutzfachlich wertvolle Arten trotz optimaler Pflege nicht etablieren. Maßnahmen wie Pufferstreifen und Sedimentfänge sind in solchen Fällen zielführend, erfordern jedoch zusätzliche Fläche und finanzielle Mittel.
1Eine ökologisch umsichtige Grabenpflege erfordert Zusammenarbeit Gräben zu erhalten bedarf individueller Pflegeansätze. „Früher bestand die Grabenunterhaltung zu einem großen Teil aus dem Ausmähen mit der Sense, um den Wasserabfluss zu ermöglichen. Das hat jeder Anlieger selbst gemacht, punktuell und abschnittweise – ein großer Unterschied zur heutigen Praxis. Daraus entstand eine artenreiche Vielfalt“, erklärt Andreas Ehlers vom Landschaftspflegeverband VöF e.V. in Kelheim. Durch die punktuelle Pflege konnte eine schnelle Wiederbesiedelung und somit eine Wiederherstellung des Artenreichtums gewährleistet werden. „Diese Vielfalt war nicht gewollt, sondern entstand zufällig als ‚Nebenprodukt‘. Heute herrschen ganz andere Rahmenbedingungen“, sagt Ehlers. Der Diplom-Ingenieur für Landespflege ist im niederbayerischen Landkreis Kelheim für Arten- und Biotopschutz zuständig. Die Pflege von Gräben ist eine der Aufgaben des VöF e.V., der 1985 als erster Landschaftspflege-verband in Bayern gegründet wurde, um ökologisch wertvolle Flächen zu sichern. Der Verband arbeitet dafür eng mit den Naturschutz-, Landwirtschafts- und Wasserwirtschaftsbehörden und Landwirten zusammen. Ziel ist es, die unterschiedlichen Interessen zu harmonisieren und Natur- und Umweltschutz effizient zu praktizieren.
„In Bayern gibt es das Konzept der Gewässernachbarschaften, wo Landwirte, Behörden und Naturschutzgruppen zusammenarbeiten, um Gräben zu pflegen und zu erhalten“, erklärt Ehlers. Regelmäßig angebotene Treffen dienen als Fortbildung und Austausch über optimale Pflegemethoden. Auch in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen und in Thüringen gibt es Gewässer-Nachbarschaftstage auf Landkreisebene. Diese bieten die Chance, fachübergreifend für den guten Zustand der kleineren Gewässer zu arbeiten.
Schließlich ist für eine ökologisch umsichtige Grabenunterhaltung eine gute Zusammenarbeit erforderlich. Diese ist jedoch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden: Viele Eigentümer haben unterschiedliche Vorstellungen, die ganzjährige Bewirtschaftung der angrenzenden Flächen erschwert die Erreichbarkeit, und es besteht der Wunsch nach schneller sowie kostengünstiger Pflege. Durch fehlendes Wissen, wie eine ökologisch-orientierte Unterhaltung aussehen müsste, werden Gräben in der Praxis oftmals zu einem Spannungsfeld zwischen wertvoller Ökosystemdienstleistung und pflegerischer Herausforderung.
Werkzeuge und Methoden für eine schonende Erhaltungspflege
Doch was darf eine ökologisch umsichtige Grabenunterhaltung und was muss sie beinhalten? Es wird zwischen drei zentralen Eingriffe der Grabenpflege unterschieden – die Böschungsmahd, die Sohlkrautung und die Sohlräumung. Diese Arbeiten müssen mit Bedacht und unter Einsatz der richtigen Geräte durchgeführt werden. Für die Böschungsmahd eignen sich Mähkorb, Motorsense, Messerbalken oder Handsense, die die Vegetation schonend entfernen, ohne die Grabensohle oder die dort lebenden Tiere zu beschädigen. Bei der Sohlkrautung wird der der Bewuchs an der Grabensohle entfernt, vorzugsweise mit einem Mähkorb oder einer Handsense. Die Sohlräumung, die der Entfernung eingetragener Sedimente dient, erfordert den Einsatz von Bagger mit Grabenlöffel. Wichtig ist hier, Fahrzeuge mit Kettenlaufwerk einzusetzen und Bodenverdichtungen zu vermeiden.
Ohne regelmäßige Pflege drohen Gräben zuzuwachsen und durch Beschattung von Gehölzen dunkel zu werden. Daher ist ein regelmäßiger Schnitt der Grabenvegetation notwendig. Die Röhrichte werden einige Zentimeter über dem Boden abgeschnitten, um die Bodenstruktur und somit die darin lebenden Organismen zu schützen. Diese Praxis gewährleistet, dass die für viele Arten wichtigen Lebensraumstrukturen erhalten bleiben. Der Abtransport und die fachgerechte Entsorgung des Mähguts ist dabei unerlässlich, um eine Nährstoffanreicherung im Gewässer zu verhindern. Verbleibendes Schnittgut könnte zu verstärkter Biomasseproduktion und beschleunigter Verlandung des Gewässers führen, was negative Auswirkungen auf die Wasserqualität und den Sauerstoffgehalt hätte.
Individuelle Pflegeansätze für Gräben notwendig
Nicht zu vernachlässigen ist die Anpassung der Pflegemaßnahmen an die spezifischen ökologischen Ziele des Gebietes. "Zusätzlich müssen besondere Arten und Pflanzen berücksichtigt werden, die spezielle Bedingungen benötigen.", betont Andreas Ehlers. Je nach Schutzziel muss unterschiedlich vorgegangen werden – etwa könnte in manchen Fällen die Verlandung von Gräben in einem Niedermoor durchaus erwünscht sein, während das Wasser in anderen Arealen abgeleitet werden muss, damit Landwirtschaft betrieben werden kann.
Der Zeitpunkt der Pflegeeingriffe ist ebenfalls entscheidend. Um Störungen zu minimieren und die biologische Vielfalt zu schützen, sollten die Eingriffe außerhalb der aktiven Phasen und Fortpflanzungszyklen der lokalen Tierwelt, idealerweise von Ende Sommer bis Oktober, durchgeführt werden. Zudem sollten Pflegeeingriffe wie oben bereits beschrieben grundsätzlich nur abschnittsweise vorgenommen werden. Indem jedes Jahr unterschiedliche Segmente – etwa 10 bis 30% der Gesamtlänge – unberührt bleiben, werden Refugien für Tier- und Pflanzenarten geschafft und die strukturelle Diversität innerhalb des Ökosystems gefördert. Dieses Vorgehen ermöglicht eine natürliche Erholung und sichert Lebensräume für verschiedene Entwicklungsstadien der Fauna und Flora. Eine gleichzeitige Räumung ganzer Grabensysteme kann dagegen fatale Auswirkungen haben, da sie die lokale Lebensgemeinschaft stark dezimiert. Langsame und wenig mobile Arten finden besonders schwer zurück, wodurch seltene Arten gefährdet werden können.
Fazit: Pflege ist der Schlüssel zur Wertsteigerung von Gräben
Es wird deutlich, dass der Einsatz bestimmter Geräte, der Zeitpunkt und die Art und Weise der Grabenpflege entscheidend für die Erhaltung der Artenvielfalt ist. Eine naturverträgliche Bewirtschaftung und die bewusste Auswahl der Pflegemethoden sind wesentliche Säulen, um das ökologisch wertvolle Potenzial von Gräben für den Naturschutz zu nutzen und zu erhalten. Der Wert von naturschutzfachlich wertvollen Gräben kann durch eine umsichtige Planung und Durchführung von Pflegemaßnahmen sogar gesteigert werden. „Die Grabenpflege sollte fachlich sinnvoll, und vom Zeit- und Kostenaufwand machbar sein. Da müssen auch wir als Landschaftspflegeverband eine Balance finden.“, sagt Ehlers. Die Verantwortung liegt deshalb in einem zielorientieren Management, das die Bedürfnisse des Artenschutzes mit den Anforderungen der Landschaftspflege unter einen Hut bringt, um die Biodiversität in der Kulturlandschaft nachhaltig zu fördern.
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