Neue Pflege für Borstgrasrasen
Seit 2017 erprobt Dr. Nils Stanik von der Universität Kassel mit Kolleginnen und Kollegen verschiedene Varianten, um Borstgrasrasen im bayerischen Naturschutzgebiet Lange Rhön optimal zu pflegen. Zur Projekthalbzeit berichtet er gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Sebastian Vogel vom BIOZ über die ersten Erkenntnisse.
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Die Bergwiesen der Rhön sind etwas Besonderes. Der nährstoffarme, saure Boden in Kombination mit der jahrhundertelangen extensiven Nutzung hat hier artenreiche Pflanzengesellschaften entstehen lassen. Besonders typisch: das Borstgras, das mit den Bedingungen hier besonders gut zurechtkommt. Doch auch viele weitere Arten kommen hier vor: Arnika, Katzenpfötchen oder das Gewöhnliche Kreuzblümchen.
Bergwiesen haben es Nils Stanik schon lange angetan. Dass er mit seiner Arbeit schließlich in der Rhön gelandet ist, war dennoch eher ein Zufall: Für seine Masterarbeit an der Universität Kassel suchte Stanik 2016 nach Vegetationsaufnahmen von Berggrünland. In der Rhön wurde er fündig: Uwe von Borstel hat hier 1971/72 die Daten für seine Promotion erhoben und anschließend veröffentlicht. Stanik kontaktierte den damals bereits pensionierten Vegetationskundler, und siehe da: Er hatte tatsächlich noch alle Geländeunterlagen! Für Stanik die ideale Ausgangsbasis für seine eigene Arbeit. „So konnte ich sehr genau die Lage seiner Plots rekonstruieren“, erklärt er.
In der Masterarbeit verglich er die alten floristischen Daten – neben von Borstels Erhebungen auch Aufnahmen von Cord Peppler aus den Jahren 1986/87 mit eigenen Erhebungen und leitet so ab, wie sich die Vegetation seitdem verändert hat. Viele Flächen wurden aufgeforstet oder intensiviert, andere Flächen sind aber noch als Borstgrasrasen vorhanden. Doch auch sie unterscheiden sich: Besonders einige Flächen fallen ins Auge, die zur Zeit der Ausweisung des Naturschutzgebiets noch als artenreich kartiert wurden, heute jedoch artenärmer sind. Und deutlich wird auch, dass sich der Boden im Laufe der Jahrzehnte verändert habt. Der pH-Wert ist gestiegen, der Boden ist nährstoffreicher geworden und die Moosdeckung der Flächen hat stark zugenommen. Gleichzeitig sind Charakterarten wie die Arnika (Arnica montana) oder der Dreizahn (Danthonia decumbens) selten geworden.
„Für uns war dann die Frage, was wir aus den Erkenntnissen machen, um den Schutz und die Pflege der Bergwiesen zu verbessern“, blickt Stanik zurück. Eine Frage schwebt dabei dominant im Raum: Wie muss die Pflege aussehen, um die noch vorhandenen Borstgrasrasen optimal – und vor allem langfristig – zu erhalten und wieder aufzuwerten? Aus der Literatur lässt sich die Frage nicht beantworten, trotz der guten Datenlage in der Langen Rhön. Ein Praxisprojekt musste her.
13 Pflegevarianten
Zusammen mit der Wildland-Stiftung Bayern und dem Biosphärenreservat Rhön entwickelte Stanik Pflegevarianten, die für die Entwicklung der Borstgrasrasen besonders förderlich sein könnten: Verschiedene Mahdregimes mit Kreisel- und Balkenmäher, zum Teil mit Nachpflege durch Striegeln, Beweidungsregimes und Kontrolliertes Brennen. Auch Kombinationen von Mahd und Beweidung berücksichtigt das Team. Insgesamt 13 Varianten sollten vergleichend erprobt werden. In Zusammenarbeit mit den bayerischen Naturschutzbehörden sind schnell geeignete Flächen gefunden: je 300 m² große, streifenförmige Probeflächen an zwei Standorten – einer davon mit artenreichen, der andere mit artenarmen Borstgrasrasen.
Die Wahl von Streifen anstelle von Quadraten ist dabei einfach erklärt: „Die Rhön ist der kleinteilig gegliedert in zahlreiche Parzellen, oft gerade einmal 12 m breit“, führt Stanik aus. Für die Pflegeversuche bedeutet das aber keine Nachteile, denn negative Randeffekte der benachbarten Flächen sind nicht zu befürchten. „Wir haben das Glück, dass die Flächen hier seit Jahrzehnten gleich bewirtschaftet werden, das hat eine hohe Kontinuität.“
Seit 2017 werden die Streifen nun in den unterschiedlichen Pflegemanagements gepflegt. Regelmäßig wird die Vegetation in vier Probequadraten pro Fläche erfasst, zusätzlich nimmt das Team Bodenproben. Seit 2020 werden die Erhebungen außerdem um einen weiteren Schwerpunkt ergänzt: Als neuer Projektpartner ist das Biodiversitätszentrum Rhön (BIOZ) zuständig für die Faunistik. Pro Versuchsfläche gibt es zwei Fallenstandorte, an denen die Bodenarthropoden erfasst werden. „Besonders konzentrieren wir uns auf Spinnen und Laufkäfer“, erläutert Sebastian Vogel. „Das sind zwei Gruppen, über deren ökologischen Ansprüche sehr gut Bescheid wissen. So können wir den Einfluss der Pflegevarianten noch besser verstehen.“
Erste Tendenzen
Nach den ersten fünf Projektjahren können Stanik und Vogel noch keine finalen Ergebnisse liefern. Deutliche Tendenzen lassen sich aber sehr wohl ableiten. „Es zeigt sich, dass sich in den ersten Jahren vor allem die Vegetationsstruktur umstellt“, weiß Stanik. „In dieser Zeit sind noch keine großen Artengewinne und -verluste festzustellen.“ Die Abundanz von Arten in den Flächen verändert sich aber mittlerweile deutlich – bei der Balkenmahd sogar noch stärker als bei der Mahd mit dem Kreiselmähwerk. Und auch die Beweidung mit Rhönschafen verändert die Flächen enorm. „Hier haben wir ein enorm kleinteiliges Mosaik, auch auf nur 300 m², meint Stanik. „Hier finden wir Ansätze von Lägerfluren direkt neben intensiver beweideten und kaum beweideten Bereichen.“ Die unterschiedlichen Pflegevarianten haben also auch sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Borstgrasrasen – auch wenn sich an der Artenzusammensetzung erst einmal wenig ändert. Hier zahlt sich die lang veranschlagte Projektlaufzeit von 10 Jahren aus. „Hätten wir den Versuch nur über drei Jahre gemacht, hätten wir nur Veränderungen der Struktur feststellen können“, meint er weiter.
So aber beginnen erst nach über fünf Jahren zur Projekthalbzeit auch neue Arten allmählich, wieder in die Fläche einzuwandern. Eine davon ist der Dreizahn, der vom neuen Mahdregime profitiert. Als kleine, wenig konkurrenzstarke Art profitiert er davon, dass der Moosfilz durch die wirkungsvollere Mahd, besonders in Kombination mit Striegeln, reduziert wurde. „Für diese Arten braucht es meist zuerst eine wiederhergestellte Wuchsnische, damit sie sich wieder etablieren können“, erläutert Stanik. Allerdings: Dazu muss die Art im Umland oder in der Samenbank des Bodens noch vorhanden sein. Ist das Grünland bereits stark artenarm, behalten die konkurrenzstarken Gräser ihre Dominanz.
Für Arten wie den Dreizahn muss sich erst die Vegetationsstruktur verändern. Besonders stark wirkt sich das Kontrollierte Brennen auf diese Struktur aus. „Hier entsteht Asche mit einer sehr stabilen Struktur, vor allem durch den hohen Siliziumgehalt des Borstgrases“, erklärt Nils Stanik. Diese Asche bleibt über Wochen auf der Fläche liegen, bis sich in den artenreichen Beständen dann vor allem die Arten mit unterirdischen Überdauerungsorganen durch die Asche arbeiten – vor allem krautige Arten. „Je häufiger gebrannt wird, desto stärker werden die Rhizomkräuter gefördert“, schildert Stanik seine Beobachtungen. „Hier sind artenreiche Wiesen mit einem hohen Anteil solcher Hochstauden entstanden.“ Im artenarmen Grünland ist das allerdings nicht der Fall – hier fehlt bereits das Wiederbesiedelungspotenzial der Flora am Versuchsort.
Das Kontrollierte Brennen hat jedoch nicht nur starke Auswirkungen auf die Vegetationsstruktur: Auch die Artengesellschaften der Fauna passen sich deutlich an das neue Pflegeregime an. „Wir konnten beobachten, dass sich Waldeidechsen besonders gern auf den frisch abgebrannten Flächen aufhalten“, berichtet Sebastian Vogel. „Die Tiere profitieren von der dunklen Asche, da die Flächen deutlich wärmer sind als die Umgebung.“ Auch Feldlerche und Wiesenpieper bevorzugen nach Ankunft in ihrem Brutgebiet in der Langen Rhön die Flächen an kalten sonnigen Tagen zum Aufwärmen.
In den anderen Pflegeregimes sind die faunistischen Ergebnisse bislang weniger aussagekräftig – schließlich erstrecken sich die Messungen erst über zwei Vegetationsperioden. Hier dürften in den nächsten Jahren mehr Erkenntnisse entstehen. Eine Überraschung gab es jedoch bei dem Spinnen: In der Rhön kommt beispielsweise der Greisen-Laufwolf vor, eine Art, die sonst vor allem im alpinen Raum zu finden ist. „Das scheint eine Art Vorposten zu sein“, freut sich Vogel.
Nächste Ziele
In den nächsten Jahren wird das Team nun die Daten vervollständigen. Nils Stanik hofft, dass sich in dieser Zeit weitere verloren gegangene Zielarten wieder in den Flächen etablieren. Ein Beispiel dafür ist die Arnika: Hier wächst ein kleines Vorkommen in direkter Nachbarschaft zu einer der Versuchsparzellen. Stanik beobachtet die Pflanzen und ihre Entwicklung genau. Selbst nachhelfen will er aber nicht. „Wir wollen herausfinden, unter welchem Management sich die Flächen aus ihrer eigenen Dynamik heraus selbst regenerieren können“, erklärt er.
Aus diesen Erkenntnissen sollen dann nach Projektende Empfehlungen für das bayerische Vertragsnaturschutzprogramm abgeleitet werden. Doch sind die Ergebnisse aus der Rhön überhaupt auf andere Flächen übertragbar? Um das herauszufinden, arbeitet das Team um Stanik und Vogel gerade an einer Projekterweiterung: Ab 2023 wollen sie auch größere Flächen und Flächen mit anderen Ausgangsbedingungen und Standorten in Bayern – unter anderem im Bayerischen Wald und im Fichtelgebirge – unter den erprobten Pflegeregimes untersuchen.
Projektdaten:
- Laufzeit: 2017-2027 (Projekterweiterung 2023-2027)
- Projektleitung: Dr. Nils Stanik, Dr. Sebastian Vogel
- Projektpartner: Universität Kassel, Biosphärenreservat Rhön, Biodiversitätszentrum Rhön, Wildland Stiftung Bayern, Regierung von Unterfranken
- Schwerpunkt: Borstgrasrasen (Vegetationsentwicklung, Bodenwerte, Arthropodengemeinschaften)
- Finanzierung: Eigenmittel der beteiligten Institutionen
- Finanzierungsumfang: ca. 40.000 € (2017-2022)
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