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Grünlandrenaturierung

Der Artenvielfalt Raum geben

Überall werden kleine "Wundertütchen" angepriesen, deren ausgesäter Inhalt den Gärten oder öffentliche Grünstreifen in vielfältige Blumenwiesen verwandeln soll. Und doch hinken viele Saatgutmischungen dem Ökologie-Gedanken ihrer Ausbringer hinterher. Madleen Herbold hat sich Gedanken gemacht, wie man der Artenvielfalt mehr Raum geben kann.

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Extensive gepflegte Wiese auf magerem Standort: Hier wachsen Hummel-Ragwurz, Klappertopf, Salbei und zahlreiche andere Arten.
Extensive gepflegte Wiese auf magerem Standort: Hier wachsen Hummel-Ragwurz, Klappertopf, Salbei und zahlreiche andere Arten.Julia Schenkenberger
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Der Gedanke, vielen Pflanzenarten Raum zu geben, wo sie längst keinen Platz mehr zu haben scheinen, mag sicherlich kein falscher sein. Doch begeben wir uns auf die Suche nach den Orten, an denen Gräser und Kräuter in Hülle und Fülle zu finden sein müssten. Suchen wir in der vermeintlichen Natur mehr oder weniger vergeblich nach artenreichen Wiesen und Weiden, zeigt sich deren Rückgang mit dem einhergehenden Verlust von Biodiversität. Und es zeigen sich die Wurzeln von dramatischen Problemen wie dem Insektensterben. Oder sollte man eher sagen: Es zeigen sich überwiegend Wurzeln von Intensivgräsern?

Die Bedeutung artenreichen Grünlands

Nicht nur Heidi braucht die grüne Wiese im Sonnenschein zum Glücklichsein. Extensiv genutztes, artenreiches Grünland erfüllt zahlreiche Funktionen im Naturhaushalt: Der Boden profitiert von Erosionssicherung und Wasserrückhalt. Im Hinblick auf den Klimawandel sind Kohlenstoffbindung, Sauerstoffproduktion und die Entstehung hygienisch unbelasteter Kaltluft hervorzuheben. Unterschiedliche Insekten brauchen die unterschiedlichsten Pflanzen, da sie als Spezialisten mit ihren Lebenszyklen an deren Phänologie (jahreszeitliche Entwicklung) und Besonderheiten angewiesen sind. Ein intakter Boden, Luft zum Atmen und die „Dienstleistungen“ von Insekten sind essenziell für das Leben.

Wir Menschen profitieren jedoch nicht nur von intakten Ökosystemen und Naturkreisläufen. Der Aufenthalt in vielfältigen Landschaften trägt positiv zu Lebensqualität und Gesundheit bei. Neben biologisch messbaren Belangen ist der kulturelle Wert von artenreichem Grünland zu beachten und schützen. In Verbindung mit Tourismus und Umweltbildung kann die Relevanz den Menschen nahegebracht werden.

Die Gründe für den Erhalt und die Entwicklung artenreichen Grünlandes sind offensichtlich nicht von der Hand zu weisen. Aus den Erkenntnissen heraus kann die Idee entwickelt werden, artenarmes Grünland zu renaturieren. Man spricht von artenarmem Grünland, wenn weniger als zwanzig Arten pro Quadratmeter zu finden sind. Diese Begrifflichkeit wäre damit geklärt – aber was genau hat es eigentlich mit einer „Renaturierung“ auf sich?

 „Renaturieren“ - Was heißt das eigentlich?

Der Begriff der Renaturierung wird häufig damit assoziiert, eine Fläche in ihre natürliche Ursprungsform zurückzuführen. Vor allem im Hinblick auf die Ziele der Grünlandrenaturierung wird jedoch deutlich, dass sich die Renaturierung von Ökosystemen oft an anderen Zuständen orientiert als an denen vor großräumigen Veränderungen durch den Menschen.

Um dies zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Geschichte unserer Kulturlandschaft. Abgesehen von natürlicherweise waldfreien Standorten wie solchen mit besonders trockenen oder nassen Böden sowie Standorten oberhalb der Baumgrenze, wäre Mitteleuropa bewaldet. Flächen, die uns bekanntem Grünland ähnelten, beschränkten sich auf von Pflanzenfressern, Naturkatastrophen und überalterten Wäldern geprägte Stellen. Erst durch die Kulturtätigkeit des Menschen sind weiträumige Offenlandschaften mit Wiesen und Weiden entstanden.

In Mitteleuropa erreichten diese Flächen ihre größte Ausdehnung vor etwa zweihundert Jahren. Aufgrund der damals besonders vielfältigen Vegetation dient der Zeitpunkt als Referenz für heutige Renaturierungsmaßnahmen.

Im Fokus steht folglich nicht die Wiederherstellung des Zustandes vor menschlicher Einflussnahme, sondern die Orientierung an einer Artenreichtum hervorbringenden Kulturlandschaft. Ein naturnäherer Zustand von Ökosystemen soll demnach nicht immer durch Brachfallen der Flächen erreicht werden. Vielmehr kann und soll die historische Nutzung einbezogen werden, um Artenvielfalt zu sichern und auch dem Kulturlandschaftsschutz gerecht zu werden. Einen hohen Stellenwert hat dabei stets das Prinzip der Nachhaltigkeit.

Neben der Antwort auf die Frage, auf welchen Zustand man sich bei der Renaturierung bezieht, gibt die Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte für die anschließende Planung und Umsetzung der Maßnahmen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den wichtigen Aspekt der Pflege. Denn: Nur mit der richtigen Pflege wird und bleibt das Grünland artenreich.

Bestandsaufnahme

Stehen sogenannte Spenderbiotope mit der betrachteten Fläche im Austausch, können natürliche Sukzessionsprozesse beobachtet und begleitet werden. Die von der Pflanze zur Verbreitung entwickelten Diasporen können beispielsweise von Wind oder (Überschwemmungs-)Wasser ihren Weg in andere Biotope finden. Aufgrund zerschnittener Landschaften und lediglich kleinflächigen Grünlandbestandes sind diese Vorgänge jedoch zunehmend gestört. Neben den unbelebten Ausbreitungsmedien kommen auch (Weide-)Tiere und der Mensch für die mehr oder weniger gerichtete Verteilung von Diasporen in Frage. Tiere spielen sowohl wegen äußerlicher Anhaftung von Samen im Fell als auch wegen ihres Fraßverhaltens eine Rolle. Der Mensch trägt zum Beispiel durch die bei der Heuernte eingesetzten Landmaschinen zur Verbreitung bei.

Ist hingegen kein natürlicher Sameneintrag von benachbarten Flächen zu erwarten, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, um Pflanzen auf Wiesen und Weiden zu etablieren und damit die Artenanzahl nachhaltig zu erhöhen. Die Frage nach der geeigneten Methode sollte in der Hauptsache die Standortbedingungen sowie das Ziel der Maßnahme berücksichtigen.

Besteht der Wunsch nach naturnäheren Beständen, plant man eine Pflegeextensivierung oder möchte den Boden aktiv schützen, sind diese Ideen oft der Ausgangspunkt für eine Renaturierung. Darüber hinaus kann die Renaturierung auch im Rahmen einer Kompensationsmaßnahme durchgeführt werden. Bevor man mit der Durchführung beginnt, sollte immer geprüft werden, ob für die Verfahren Genehmigungen oder Ähnliches nötig sind.

Fokus: Einsaat

Macht man sich darüber Gedanken, wie man eine Artenanreicherung durchführen kann, liegen vor allem Verfahren mit Saatgut auf der Hand. Einsaat ist jedoch nicht gleich Einsaat: Je nach Ausgangssituation können Flächenvorbereitung und Saatgutausbringung stark variieren. Generell unterscheidet man bei Einsaaten die Neueinsaat von der Nachsaat.

Neueinsaaten erfolgen in der Regel dann, wenn Grünland auf bisher als Acker genutzten Flächen etabliert werden soll. In speziellen Fällen werden Neueinsaaten zudem auf bisher intensiv bewirtschafteten Wiesen oder Weiden durchgeführt. Wird die zu renaturierende Fläche von wuchsstarken Gräsern dominiert oder ist ein problematisches Aufkommen von Gift- und Problempflanzen zu beobachten, ist eine Artenanreicherung mittels Nachsaat oder Ähnlichem nämlich nicht immer von Erfolg gekrönt.

Auch die Neueinsaat ist jedoch kein Garant für eine gelingende Renaturierungsmaßnahme und bedarf gewissenhafter Vorbereitung. Aufgrund der bisherigen Nutzungsintensität weist der Boden einen Nährstoffgehalt auf, welcher für die Etablierung eines artenreichen Grünlandes zu hoch ist. Folglich ist es nötig, den Boden auszuhagern. Dies kann beispielsweise durch Getreideanbau ohne Düngung oder den Einsatz eines Rigolpfluges geschehen. Da der Rigolpflug den Bodenhorizont durcheinanderbringt, indem Oberboden eingearbeitet und wenig fruchtbarer Boden an die Oberfläche geholt wird, müssen etwaige Verstöße gegen den Bodenschutz vorher geprüft werden.

Damit die Aussaat gelingen kann, ist das Augenmerk auf ein möglichst optimales Saatbett zu legen. Zur Erzielung ist eine intensive mechanische Bodenbearbeitung nötig. Dass diese nicht frei von negativen Folgen ist, erklärt, warum Neueinsaaten auf bereits bestehendem Grünland nur dann durchgeführt werden sollten, wenn andere Methoden nicht wirksam sind. Die Bodenbearbeitung kann die Krümelstruktur des Bodens verletzen. Durch den zur Luft hergestellten Kontakt tieferer Bodenporen kommt es zu einer Sauerstoffanreicherung und folglich zu starker Mineralisierung, also zur überhöhten Zersetzung von fruchtbarem Humus. Zudem werden Treibhausgase frei.

Kann eine Neueinsaat umgangen werden, sollte anderen Methoden wie Nachsaaten der Vortritt gelassen werden. Im Gegensatz zu Neueinsaaten geht es bei der Nachsaat darum, Arten im Bestand zu etablieren. Der erste Schritt besteht darin, die Grasnarbe zu öffnen und den Bestand so zu beeinträchtigen, dass neue Pflanzen die Chance haben, Fuß zu fassen. Dies kann auf unterschiedliche Arten erfolgen:

Die Durchsaat und die Übersaat stellen wenig tiefgreifende Verfahren dar. Bei der Durchsaat mittels Schlitz- oder Fräsdrille wird das Saatgut nach linearer Öffnung der Grasnarbe gezielt in die Schlitze eingesät.  Die Übersaat erfolgt weniger zielgerichtet. Nach oberflächlichem Aufreißen der Vegetation durch Striegeln oder Eggen bringt eine Sämaschine das Saatgut flächig aus.

Die stärkste Beeinträchtigung der vorhandenen Vegetation wird bei Vorgehen mit Fräse, Pflug oder Grubber erreicht. Dass eine starke Beeinträchtigung der Grasnarbe entscheidend für den Erfolg der Maßnahme ist, erklärt, warum fräsen und pflügen die gängigsten Methoden darstellen. Vor allem bei großen Flächen werden lediglich Streifen bearbeitet und eingesät, von welchen aus sich die Pflanzen auf die unbearbeiteten Bereiche ausbreiten.

Saatgut auswählen und ausbringen

Bei der Wahl des Saatgutes kommt es erneut darauf an, welches Ziel die Maßnahme verfolgt. Um die richtige Artenauswahl zu treffen, empfiehlt sich die Absprache mit Fachleuten. In der Regel wird auf gebietsheimisches Saatgut mit einem hohen Kräuteranteil zurückgegriffen. Die Saatgutmenge liegt in der Regel bei zwei bis fünf Gramm pro Quadratmeter.

Das Saatgut wird oberflächlich ausgebracht und nicht eingearbeitet, sodass es maximal einen Zentimeter tief im Boden liegt. Dies ist wichtig, weil die meisten Kräuter Lichtkeimer sind. Durch Anwalzen wird der nötige Bodenschluss erreicht. Der Samen schmiegt sich nun fest an die Erde und vertrocknet beim Auskeimen nicht.

Durchgeführt werden Einsaaten bestenfalls Ende August bis Anfang September oder im Frühjahr, sofern circa vier bis fünf Wochen ausreichend feuchter Witterung zu erwarten sind. Eine lichtdurchlässige Auflage von Mulchmaterial wie Mahdgut oder Stroh kann vor Austrocknung schützen und Vorgänge im Boden positiv beeinflussen.

Weitere Methoden – Mahdgutübertragung und Co.

Eine Artenanreicherung kann jedoch auch durch andere Methoden als der Ausbringung von Saatgut erfolgen. Eine solche ist die Mahdgutübertragung. Bei diesem Verfahren wird samenreiches Mahdgut eines als Spenderfläche bezeichneten Grünlandes auf der zu renaturierenden Empfängerfläche ausgebracht.

Abgesehen von Einsaaten und Mahdgutübertragung, kann die Verteilung von Saatgut auf einer Fläche auch dadurch erreicht werden, dass Oberboden mit viel enthaltenem Samen ausgebracht wird.

Eine gezielte Etablierung von Einzelarten hingegen ist durch deren Pflanzung möglich. Dieses arbeitsintensivere und kostspieligere Verfahren kann sich auszahlen, da die Pflanzen zum Zeitpunkt ihrer Ausbringung bereits weiter entwickelt sind und sich insbesondere auf schwierigen Standorten besser behaupten können.

Entwicklungspflege und Folgenutzung

Die gewissenhafteste Wahl einer Renaturierungsmaßnahme und ihre gründlichste Durchführung führt nicht per se zum Erfolg. Viel mehr spielen die Pflege und Flächennutzung im Nachgang eine entscheidende Rolle, wenn es um das Gelingen der Artenanreicherung geht. Die sensibelste Phase stellen hierbei die ersten beiden Jahre dar.

Im Anschluss an die Entwicklungspflege muss eine extensive Folgenutzung gewährleistet sein. Diese beginnt meist im zweiten, seltener im dritten Jahr.

Eine Möglichkeit kann sein, die Fläche zu mähen. Bei der Mahd ist die Heugewinnung ohne Düngung am zielführendsten für eine hohe Artenvielfalt. Durch die Abfuhr des Mahdguts wird der Standort zunehmend ausgehagert. Durch behutsam gewählte Schnittzeitpunkte kann das Erreichen des gewünschten Artenspektrums gezielt beeinflusst werden.

Vor allem auf Flächen, auf denen Maschinen an ihre Grenzen kommen, kann eine Beweidung in Betracht gezogen werden. Weidetiere können besser mit steilen Hanglagen, schwierigen Bodenverhältnissen und niedrigem Kronenansatz von Gehölzen umgehen und somit Flächen erreichen, für welche Traktoren nicht standfest, wendig oder klein genug sind.

Beweidung stellt eine nachhaltige Methode dar, um die Verbuschung des Grünlandes zu vermeiden und die Entstehung naturnaher Pflanzenbestände zu fördern. Zudem können Weiden charakteristische Elemente einer Kulturlandschaft sein.

Weidetiere wie Rinder und Schafe sorgen vor allem auf großen oder miteinander vernetzten Weideflächen für strukturelle Vielfalt und die Verbreitung von Pflanzen. Schafe weiden selektiver als Rinder. Ziegen sind dafür bekannt, den Aufwuchs von Gehölzen zu verhindern. Auch der Einsatz von Pferden und in speziellen Fällen ein Besatz mit Wasserbüffeln sind möglich.

Sind bei ausschließlicher Beweidung negative Folgen wie Trittschäden, eine starke Veränderung der Artenzusammensetzung oder eine Störung von Wiesenbrütern zu erwarten, kann die Beweidung mit der Mahd kombiniert werden.

An die Arbeit!

Artenvielfalt auf Wiesen und Weiden Raum zu geben ist aufwendig, wird bei Gelingen der Maßnahme aber belohnt. Ganz offensichtlich durch Blühaspekte und das Summen und Brummen der Insekten; nicht minder wichtig zudem durch ein intakteres Ökosystem mit all seinen bedeutsamen Funktionen.

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