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Perspektiven aus der Sicht von Akteuren

Wiedereinführung der Waldweide in den Alpen?

Abstracts

Mit dem Ziel des Arten- und Biotopschutzes und zur Belebung der Regionalentwicklung sowie mit Blick auf den Kulturlandschaftsschutz kann die Waldweide heute eine mögliche Option der Landnutzung darstellen. Die Waldweide gehört zu den ursprünglichsten landwirtschaftlichen Nutzungsformen in Mitteleuropa. Im Naturpark Trudner Horn in der in den Südalpen gelegenen Provinz Südtirol (Norditalien) wurden semi-strukturierte Interviews mit der lokalen Bevölkerung bzw. mit Vertretern von betroffenen Institutionen durchgeführt, um die Grenzen und Möglichkeiten einer Wiedereinführung der Waldweide zu ermitteln. Es zeigt sich eine prinzipiell positive Einstellung gegenüber einer solchen Wiedereinführung sowohl bei den Landnutzern selbst als auch bei den institutionellen Vertretern, insbesondere den zuständigen Forstbehörden. Als positive Aspekte werden das Anknüpfen an Nutzungstraditionen und die Bedeutung für den Naturschutz und den Tourismus hervorgehoben. Allerdings ist eine der wichtigsten Limitierungen dieser Nutzungsoption das Fehlen der Landnutzer aufgrund von Abwanderung aus dem Gebiet und damit der Mangel an entsprechenden Weidetieren.

Reintroduction of forest pasture in the Alps? Perspectives from the stakeholders

Forest pasture is currently seen as a land use option for the aims of species and habitat conservation, revitalization of regional development, and preservation of cultural landscapes. Forest pasture is one of the oldest agricultural land-use types in Central Europe. Using Trudner Horn Nature Park as a case study (in the Province of South Tyrol (N Italy) in the Southern Alps), we conducted semi-structured interviews with local farmers and with institutional representatives to investigate the potentials as well as limitations of forest pasture. We found a positive attitude towards the re-introduction of forest pasture among both the land users and the institutional representatives, in particular the concerned forest authorities. Positive aspects revealed are the relation to traditional land use as well as the support of nature conservation and tourism. However, one of the most important limitations of this land-use option is the lack of farmers due to migration, and thus the lack of grazing animals in our study area.

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Abb. 1: Wacholderbüsche als Zeugen ehemaliger Beweidung in einer Kiefernaufforstung der Gottesheide in Nordostdeutschland. © S. Zerbe, Juni 2006
Abb. 1: Wacholderbüsche als Zeugen ehemaliger Beweidung in einer Kiefernaufforstung der Gottesheide in Nordostdeutschland. © S. Zerbe, Juni 2006S. Zerbe, Juni 2006
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1 Einleitung

Mit dem Ziel des Arten- und Biotopschutzes und zur Belebung der Regionalentwicklung sowie mit Blick auf den Kulturlandschaftsschutz kann die Waldweide heute eine mögliche Option der Landnutzung darstellen. Die Waldweide gehört zu den ursprünglichsten landwirtschaftlichen Nutzungsformen in Mitteleuropa und wurde bereits im Neolithikum praktiziert (Ellenberg & Leuschner2010, Körber-Grohne1994, Poschlod2015,Pott1988). Im Mittelalter wurden sowohl Laub- als auch Nadelwälder im Frühjahr und Sommer als Weide genutzt, da damals die Möglichkeiten zur Futtererzeugung im Vergleich zu heutigen Bedingungen stark eingeschränkt waren (Suchantet al. 1998). Vor der flächenmäßigen und rechtlichen Trennung von Wald und Weide wurden, neben anderen historischen Waldnutzungen wie beispielsweise Streunutzung, Köhlerei und Waldglashüttenwirtschaft, die Weidetiere in die Wälder zur Weide getrieben (Küster1998, Plieningeret al. 2015,Stuber & Bürgi2001). Der Einfluss der Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine und anderen Weidetiere führte zu einer starken Auflichtung der Wälder durch die Verhinderung der Naturverjüngung, zur selektiven Zurückdrängung der Weidegräser und -kräuter, zur Förderung von Weideunkräutern (giftige, dornige oder für die Weidetiere ungenießbare Pflanzen), zu Bodenverwundung durch den Viehtritt und regional zu charakteristischen Wuchsformen bestimmter Baumarten wie beispielsweise den „Weidbuchen“ im Schwarzwald (Schwabe & Kratochwil1987) oder Altbäumen mit weit ausladender Krone und tiefer Beastung. Unterschiedliche Beweidungsformen haben die Ausbildung charakteristischer Biotoptypen bzw. Vegetationskomplexe zur Folge (Bergmeieret al. 2010). Bei großflächiger Waldweide entstanden Hutelandschaften mit einem Mosaik aus Offenland, Einzelbäumen sowie Baum- und Gebüschgruppen. Solche Hutelandschaften werden heute mit dem Ziel des Arten- und Biotopschutzes bzw. des Kulturlandschaftsschutzes bewahrt und mit einem entsprechenden Management gepflegt (Assmann & Falke1997,Fincket al. 2002,Glaser & Hauke2004, Küster2014,Pott & Hüppe1991).

In vielen Ländern Mitteleuropas wurde im 19. Jahrhundert die Trennung von Wald und Weide vollzogen und daher ist die Nutzungsform der Waldweide vielerorts verschwunden. Dennoch ist die Waldweide, vor allem in den Ländern Südeuropas als traditioneller Nutzungstyp noch weit verbreitet.Plieningeret al. (2015) stellen fest, dass im Gebiet der Europäischen Union heute noch auf ca. 203 000 km2Waldweide betrieben wird, vornehmlich im Mittelmeergebiet und in den osteuropäischen Ländern. Dagegen ist in Mitteleuropa die historische Landnutzungspraxis häufig nur noch an Zeugen im Waldbestand abzulesen, wie etwa dem Vorkommen von Wacholderbüschen (Abb. 1).

Aus Gründen des Arten- und Biotopschutzes, des Kulturlandschaftsschutzes oder der Landschaftsästhetik sowie zur Belebung der sozioökonomischen Regionalentwicklung in peripheren, von Nutzungsauflassung betroffenen Gebieten kann eine Wiedereinführung der Waldweide auf ausgewählten Beispielsflächen eine Option sein (Bürgi & Wohlgemuth2002, Hartel & Plieninger2014,Mayeret al. 2004,Pykälä2000, Rösch1992, Schmidet al. 2002). Insbesondere in den Tropen sind beweidete Agroforstsysteme, sogenannte silvo-pastorale Landnutzungssysteme, verbreitet und deren positive sozioökonomische Auswirkungen werden in entsprechenden Studien hervorgehoben (Benavideset al. 2009,Brownlowet al. 2005). Mit Blick auf die Ökosystemleistungen kann der Nutzungstyp Waldweide zur Gewinnung von land- und forstwirtschaftlichen Produkten (u. a. Brennholz, Fleisch, Milch, Wolle) beitragen, sowie die Biodiversität positiv beeinflussen und kulturelle Leistungen für z. B. Erholung, Tourismus, Umweltbildung und den Erhalt des Kulturerbes erbringen (Mc Adamet al. 2008). Europaweit werden solche traditionellen land- bzw. forstwirtschaftlichen Nutzungssysteme heute punktuell durch entsprechende Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum gefördert. So werden hierzu beispielsweise auf ehemaligen militärischen Übungsplätzen die herkömmlichen Weidetiere der aktuellen Landwirtschaft bzw. alte Tierrassen eingesetzt (Anderset al. 2004).

Eine Wiederherstellung dieser traditionellen Nutzungsform erfolgt hier ähnlich wie auf extensivem Grünland sowie auf Heiden oder Sandmagerrasen mit dem Einsatz von Weidetieren (zu entsprechenden Beispielen s.Zerbe2019). Durch die Wiedereinführung der Beweidung können auch alte Tierrassen bewahrt bzw. gefördert (z. B.Zimmermannet al. 1998) und die positiven Auswirkungen der Weidetiere auf das Wald-Offenland-Ökosystem im Hinblick auf die biologische Vielfalt genutzt werden. Dies betrifft die hohe Arten- und Strukturvielfalt durch das Neben- und Miteinander von Offenland-, Wald- und Saumarten, die Schaffung von safe sites (Schutzstellen) für die Keimung konkurrenzschwacher Arten (vgl.Urbanska2000) und die zoogene Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten durch die Weidetiere im Rahmen eines funktionellen Biotopverbunds (vgl. Tab. 15-2 inZerbe2019).

Insbesondere in traditionell gewachsenen Kulturlandschaften, die einen hohen Wert für den Arten- und Biotopschutz sowie für Erholung und Tourismus aufweisen, heute aber aufgrund der Abwanderung der Bewohner bzw. der ehemaligen und potenziellen Landnutzer von Auflassung betroffen sind, kann die Wiedereinführung der Waldweide eine Chance bieten, sowohl die Vielfalt der Kulturlandschaft zu erhalten als auch die regionale Wirtschaft zu stützen. Erfolgreiche Beispiele einer Erhaltung bzw. Wiederbelebung traditioneller Landnutzungstypen liegen aus Mitteleuropa vor, so z. B. zu Streuobstwiesen in SW-Deutschland (Mayer2014), Lärchenwiesen in den Alpen (Zerbe2019) und artenreichen Bergwiesen in der Rhön (Jedickeet al. 2010).

Die montanen und subalpinen Hochlagen der Alpen unterliegen heute in vielen Regionen einer Nutzungsauflassung (Tasseret al. 2007), da sich die Almwirtschaft ökonomisch nicht mehr rentiert bzw. sich gebietsweise ein sozioökonomischer Wandel vollzieht. Um solche über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaften in ihrer Eigenart zu erhalten, sind neue Ansätze erforderlich, die traditionelles Wissen in das heutige Landschaftsmanagement integrieren. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, am Beispiel des „Naturparks Trudner Horn“ in Südtirol (Norditalien) mithilfe von Interviews mit Akteuren bzw. Beteiligten (Stakeholdern) deren Meinung bezüglich einer möglichen Wiedereinführung der Waldweide zu erfassen. Damit soll geprüft werden, ob diese Nutzung auf Akzeptanz stoßen würde, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Naturschutz- wie auch Renaturierungsziele nachhaltig umzusetzen (Zerbe2019). Wir folgen der Grundhypothese, dass eine lokale Wiedereinführung der Waldweide Leistungen erbringt, die sich in dieser Region positiv auf das sozioökonomische Gefüge auswirken (vgl.Gomez-Gutierrezet al. 1998). Dies bedarf einer Einbindung der lokal-regionalen Akteure (van der Ploeget al. 2000,Schermeret al. 2010).

2 Untersuchungsgebiet

Das Untersuchungsgebiet liegt im Naturpark Trudner Horn im Süden Südtirols (Abb. 2). Die höchste Bergerhebung dort ist das gleichnamige Trudner Horn mit 1781 m ü. NN. Die Habitatsabfolge von den Tallagen der Etsch mit einem submediterranen Klimaeinfluss bis zu den hochmontanen Lagen mit einem typischen Bergklima gibt dem Gebiet die charakteristische naturräumliche Vielfalt mit den entsprechenden Waldgesellschaften (vgl.Peer1980). Geologisch befindet sich der Naturpark im Übergangsbereich des bodensauer verwitternden Bozner Quarzporphyrs zu den kalkhaltigen Dolomiten. In den Hochlagen treten, neben den noch bestehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen und verschiedenen Feuchtbiotopen wie beispielsweise Mooren, zudem ausgedehnte Mischwälder aus Buche, Fichte und Tanne und die für viele Berglagen Südtirols typischen Lärchenwiesen und -weiden als traditionelles Agroforstsystem auf.

Das Gebiet wurde bereits seit dem Hochmittelalter als Allmende genutzt (Pernter2005), was bedeutete, dass es gemeinschaftlich bewirtschaftet wurde, d. h., von den anliegenden Gemeinden wurden Tiere zur Weide in den Wald getrieben (Abb. 3) und man sammelte dort Brennholz. Die gemeinschaftliche Nutzung erfolgte aber nicht willkürlich, sondern durch Weiderechte und Weidezeiten geregelt, um einen zu hohen Beweidungsdruck zu verhindern (Bergmann2017). Neben Holznutzung sowie Beweidung auf den Bergwiesen und in den offenen Wäldern wurde auch Getreidebau betrieben, was zur Ausbildung einer multifunktionalen Kulturlandschaft mit vielfältigen Öko- bzw. Nutzungssystemen führte.

Aufgrund der stetig anwachsenden Zahl der Weidetiere und der Missachtung von Weideregelungen kam es allerdings im 19. Jahrhundert zu flächenhaften Schäden und einer Degradation der Weideflächen, verbunden mit Bodenerosion (Tiroler Forstverein 1997). Insbesondere die Beweidung mit Ziegen wirkte sich negativ auf die noch vorhandenen Wälder aus, wie dies auch aus anderen Regionen seit dem ausgehenden Mittelalter bekannt ist (Poschlod2015). Dies leitete eine Trennung von Wald- und Weidenutzung ein.

In den Gemeinden Truden, Altrei und Gfrill sind während der vergangenen Jahrzehnte viele Bauernhöfe stillgelegt worden. Damit ist heute das gesamte Gebiet von einer Auflassung der landwirtschaftlichen Nutzflächen betroffen. Auf den Lärchenwiesen und -weiden zeigt sich dies an der Ausbreitung von Fichte ( Picea abies ) und Zirbe ( Pinus cembra ), die die natürliche Sukzession zum Bergwald einleiten. Zudem breitet sich der Adlerfarn ( Pteridium aquilinum ) aus.

Bereits im Jahre 1993 wurde im Untersuchungsgebiet ein Bürgerkomitee gegründet, um die traditionelle Kulturlandschaft zu erhalten und das Dorfleben zu reaktivieren. Hierzu gehörten beispielsweise auch Veranstaltungen wie das Erntedankfest und ein Bauernmarkt. Das Engagement von Akteuren vor Ort führte u. a. in der Gemeinde Gfrill 2014 zur Teilnahme an dem von der EU geförderten LEADER-Projekt „Südtiroler Grenzland“. Damit sollten

  • Investitionen in die Verarbeitung getätigt,
  • die Vermarktung und/oder Entwicklung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen gefördert bzw. landwirtschaftliche Betriebe unterstützt,
  • zukunftsfähige Pläne für die Entwicklung der Gemeinden und Dörfer in ländlichen Gebieten ausgearbeitet und
  • die horizontale und vertikale Zusammenarbeit zwischen Akteuren zur Schaffung und Entwicklung kurzer Versorgungsketten und lokaler Märkte gefördert werden.

Diese Initiative gab auch Anlass für die vorliegende Studie, um den Aspekt der Wiedereinführung der Waldweide mit in den Diskussionsprozess einzubringen.

3 Methoden

Die methodische Herangehensweise bedient sich qualitativer Interviews, wobei die Auswahl der Interviewpartner einer zunächst durchgeführten Analyse der Akteure und Stakeholder folgt (vgl. Tab. 1). Deshalb wurden in einem ersten Schritt die von einer potenziellen Wiedereinführung der Waldweide betroffenen Akteure bzw. Betroffene (Stakeholder) identifiziert (vgl.Reed2009) und auf dieser Grundlage eine optimale Stichprobe ausgewählt. Die Auswahl erfolgte nach einer Experteneinschätzung, welche Akteure bzw. Stakeholder eine tragende Rolle bei der Wiedereinführung der Waldweide spielen würden (vgl. Tab. 1). Nach vorbereitenden Gesprächen mit Forstverwaltung und Landwirten wurde ein ca. 200 ha großes Weidegebiet in der Gemeinde Halseck exemplarisch als Grundlage für die Interviews festgelegt. Der Vorgehensweise vonMayring(2003) undMayer(2012) folgend, wurden zehn semi-strukturierte Interviews mit Vertretern verschiedener Verwaltungen und mit Landwirten durchgeführt und ausgewertet. Folgende Fragenkomplexe wurden in den Interviews angesprochen:

  • Landschaftswandel in den vergangenen Jahrzehnten und Einschätzung der Ursachen;
  • gegenwärtige Nutzung im Gemeindegebiet Halseck und sozioökonomische Bedingungen der Bauernhöfe (z. B. Verfügbarkeit von Weidetieren, Arbeitskräften, Besitzstrukturen und demografische Entwicklung);
  • generelle Perspektiven für die zukünftige Landnutzung und die Landschaftsentwicklung;
  • ökologische bzw. naturschutzfachliche Aspekte (z. B. Einschätzung der Biodiversität);
  • Potenziale und Risiken einer Wiedereinführung der Waldweide.

Zur Differenzierung verschiedener Szenarien der Landschaftsentwicklung wurden den interviewten Personen drei Bilder mit verschiedenen Landschaftsstrukturen vorgelegt, und zwar (1) mit einer Lärchenwiese, (2) mit einem Mosaik aus Bergwiesen und geschlossenen Waldflächen ohne Weidetiere und (3) mit einer offenen Waldweidelandschaft mit Weidetieren (Rinder und Ziegen). Die Interviews wurden hinsichtlich der Kernaussagen ausgewertet, die eine Einschätzung der Potenziale, Hürden sowie Umsetzungsmöglichkeiten einer Wiedereinführung der Waldweide zulassen, partizipative Prozesse in der Landschaftsentwicklung unterstützen und damit für die Planungspraxis relevant sind.

4 Ergebnisse

4.1 Akteure bzw. Betroffene

In Tab. 1 werden die ermittelten Akteure bzw. Stakeholder im Überblick dargestellt. Die verschiedenen Akteursrollen kann dabei ein und dieselbe Person einnehmen, wie z. B. ein Landwirt, der auch Waldbesitzer sein und sich zudem im Naturschutz engagieren kann. Die Akteure reichen von Einzelpersonen bzw. Familien im Gemeindegebiet über die lokal-regionalen Behörden bis zur Ebene der Südtiroler Landespolitik. Indirekt werden auch Akteure bzw. Stakeholder auf internationaler Ebene wirksam, die allerdings in der vorliegenden Studie nicht durch Interviews erfasst wurden. Dies betrifft beispielsweise Regionalförderungen seitens der Europäischen Union.

4.2 Meinungen und Perspektiven der Befragten

Im Folgenden werden einige wichtige Kernaussagen aus den Interviews zusammengefasst, die einerseits für das Verständnis der Einschätzungen seitens der Akteure bzw. Stakeholder von Bedeutung sind und andererseits Entscheidungsträger im Hinblick auf das zukünftige Landschaftsmanagement auf politischer sowie operationaler Ebene unterstützen können. Diese Kernaussagen betreffen

  • die traditionelle Landnutzung im Naturpark Trudner Horn,
  • den historischen und aktuellen Landschaftswandel,
  • die Abwanderung der Bevölkerung und damit die Auflassung der vormals landwirtschaftlich genutzten Flächen,
  • die damit verbundene Wiederbewaldung im Zuge einer natürlichen Sukzession und
  • die Synergien, die sich aus der Waldweide und neuen Nutzungsformen ergeben können.

Viele Aussagen in den Interviews, insbesondere mit der älteren Bevölkerung, die die historische Entwicklung des Gemeindegebietes selbst miterlebt hat, weisen auf den grundlegenden Landschaftswandel und dessen Perzeption durch die lokale Bevölkerung hin. Dies wird besonders deutlich mit der Aussage einer 80-jährigen Bäuerin, die konstatiert, dass sie mit ihrem Vater im Sommer einen Monat auf den Wiesen war, um Heu zu machen; zudem gab es auf den ebenen Flächen in Dorfnähe Äcker. Nach den Erinnerungen dieser Bäuerin hat die Familie „in provisorischen Hütten gehaust, den selbst angebauten Mais zu Plent [Polenta] verkocht und Beeren geerntet, […] das Eschenlaub wurde geerntet als Tierfutter, es gab viele Arbeiter für wenig Geld“. Der Hinweis auf das Sammeln von Beeren wird auch von anderen Bauern bestätigt. Aufgrund der Offenheit der Landschaft gab es mehr Beerensträucher (vor allem „Schwarzbeere“ – Vaccinium myrtillus und „Granten“ – V. vitis-idaea ), die für den Eigenbedarf zur Herstellung von beispielsweise Marmelade geerntet wurden.

Der Landschaftswandel im Gemeindegebiet Gfrill wurde in hohem Maße auch durch den Bau einer neuen Straße in den 1960er Jahren ausgelöst. Dies führte zu einer höheren Mobilität und damit zum Erschließen neuer Einkommensquellen außerhalb des Gebietes. Die Einwohnerzahl sank von ehemals ca. 300 auf heute 70 und von den ehemals elf Tierzuchtbetrieben sind heute nur noch drei vorhanden. Von den ehemals ca. 120 ha Weideland werden heute nur noch ca. 20 ha genutzt. Die damit verbundene Nutzungsauflassung hat zur Wiederbewaldung vornehmlich mit Fichte geführt. Auffällig ist die häufig konstatierte negative Wahrnehmung des Landschaftswandels seitens der Dorfbewohner und Landnutzer vom Offen- bzw. Halboffenland zum Wald. Einige Initiativen zur Weiterführung bzw. Wiederbelebung der Waldweide in den 1980er Jahren wurden aufgrund der gesetzlichen Trennung von Forst- und Landwirtschaftsflächen verhindert.

Als ein Indikator für den in den Interviews genannten Rückgang der biologischen Vielfalt aufgrund des Landschaftswandels und der damit verbundenen Wiederbewaldung wurde der Rückgang des Auerwilds genannt. Die im Zuge eines EU-Projekts zur Stabilisierung der Auerhahnpopulation durchgeführten Auflichtungsmaßnahmen im Naturpark Trudner Horn wurden positiv bewertet. Dies zeigt sich auch daran, dass die Auflichtung von den noch vorhandenen Landnutzern synergistisch auch zur Wiederbelebung der Beweidung genutzt wird. So wurde die von der Forstbehörde geförderte Habitatverbesserung für das Auerwild mit der Neuschaffung einer ca. 20 ha großen Schafweide verknüpft. Die positive Wahrnehmung der biologischen Vielfalt drückt sich in praktischen Sachverhalten aus. So haben die Landwirte und Bewohner darauf hingewiesen, dass sich das Vorhandensein von offenen Feuchtbiotopen mit deren Amphibienpopulationen (z. B. Feuersalamander; Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2011a) positiv gegen die „lästigen“ Fliegen am Weidevieh auswirkte.

Da der Tourismus mittlerweile als einer der wichtigsten Zukunftsperspektiven in der Region wahrgenommen wird, steht die Mehrheit der Befragten auch gerade deshalb einer Öffnung des Landschaftsbildes positiv gegenüber, um damit die Landschaft attraktiver zu machen. Allerdings werden auch Bedenken insbesondere seitens der ansässigen Bevölkerung und Landnutzer geäußert, z. B. wegen des „Abfalls“, den die Touristen hinterlassen oder deren Inanspruchnahme von privaten Flächen. Zudem wurden mögliche Synergien zwischen der Wiederbelebung der Waldweide und der Regionalentwicklung am Beispiel der Anlage eines Waldkindergartens und auch des Einsatzes von Tieren für besondere Therapieformen (z. B. Pferdetherapie) hervorgehoben. Auch die Wiedereinführung lokaler Tierrassen wie beispielsweise das Südtiroler Grauvieh (Abb. 4), das Tiroler Bergschaf oder das Alpenschwein wurde als Option einer Wiedereinführung der Waldweide angesprochen, wenn dies durch entsprechende Fördermittel unterstützt würde.

Konsens bestand darüber, dass eine Wiederbelebung der Waldweide mit den in den Interviews genannten positiven Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, den Erhalt lokaler Tierrassen, das Landschaftsbild und die Regionalwirtschaft mit entsprechenden lokalen landwirtschaftlichen Produkten nur durch den Zusammenschluss zu Interessentengemeinschaften machbar ist. Damit ließen sich die Nutzung von Landmaschinen und die landwirtschaftliche Produktion, die Produktverarbeitung und Vermarktung effizienter und kostengünstiger organisieren als dies durch Einzelinitiativen möglich ist. Diese Interessentengemeinschaften im Naturpark sollten in ein gut funktionierendes Akteursnetz von Landnutzern, Behörden bzw. Verwaltungen eingebunden sein. Die Forstbehörden wären hierbei für eine schonende Waldbewirtschaftung verantwortlich. Allerdings wird als einer der wesentlichen Limitierungen für die Wiedereinführung der Waldweide am Trudner Horn die derzeit bestehende mangelnde Kooperation genannt.

5 Diskussion

5.1 Diversifizierung und Multifunktionalität der Landschaft

Die Ergebnisse der Interviews mit Akteuren bzw. Stakeholdern zur Option der Wiedereinführung der Waldweide reflektieren eine grundsätzlich positive Haltung hierzu, sowohl auf der Ebene der Landnutzer als auch der Ebene der befragten institutionellen Vertreter. Auch wurde deutlich, dass es ein hohes Maß an Verständnis von Ökosystemleistungen unter den Befragten gibt, auch wenn diese nicht explizit als solche angesprochen wurden. So wurden sowohl die Ökosystemleistungen Produktion (z. B. Holz, Fleisch, Milch, Wolle, Nichtholzprodukte) als auch kulturelle Leistungen für Erholung, Tourismus, Umweltbildung und Gesundheit sowie die biologische Vielfalt angesprochen (vgl.Grunewald & Bastian2012), die durch eine Wiedereinführung der Waldweide generiert würden. Als silvo-pastorales Agroforstsystem kann die Waldweide im Vergleich zu „reinen“ land- oder forstwirtschaftlichen Nutzungssystemen zusätzliche Leistungen erbringen (vgl.Zerbe2019).

Besonders augenfällig ist auch die Palette der Nutzungs- und Entwicklungsoptionen, die mit der Wiedereinführung der Waldweide verknüpft werden. Diese reichen von der traditionellen Landwirtschaft und den Synergien mit dem Tourismus bis hin zur Umwelterziehung und besondere Therapieformen im Rahmen der lokal-regionalen Gesundheitsversorgung. Mit der Einbindung von sozialen Gruppen wie Kindern und Rentnern oder auch therapiebedürftigen Menschen wird damit die Brücke zur sozialen Landwirtschaft geschlagen, die neben der Herstellung und Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten in einen pädagogischen, therapeutischen oder gesundheitsfördernden Kontext eingebunden ist. Im weitesten Sinne umfasst die soziale Landwirtschaft auch die Konzepte Green Care , Farming for Health oder Care Farming (Andres2010, Limbrunner & van Elsen2013, Wiesingeret al. 2018,Wydler & Picard2010,).

Auch wenn Aspekte des Biodiversitätsverlusts aufgrund des Landschaftswandels nur sehr selektiv (Bsp. Auerhuhn) oder nur indirekt geäußert werden, besteht doch eine generelle Wahrnehmung dieser Umweltproblematik. Die Interviewergebnisse zu den ökologischen bzw. naturschutzfachlichen Fragen spiegeln die von wissenschaftlicher Seite vielfach belegte Tatsache wider, dass sich das Habitatmosaik in Weidelandschaften (z. B.Anderset al. 2004,Redeckeret al. 2002) und der Nutzungseinfluss einer Beweidung (z. B.Hartel & Plieninger2014) fördernd auf die biologische Vielfalt der Arten, Lebensgemeinschaften und Landschaften auswirkt. Dies findet mit der Unterschutzstellung von traditionellen Hutelandschaften (z. B.Pott & Hüppe1991) und der Wiedereinführung alter bzw. lokaler Tierrassen, die in einer intensiven, leistungs- und produktionsorientierten Landwirtschaft keinen Platz mehr finden, seinen naturschutzfachlichen Ausdruck. Bestimmte Habitattypen, die sehr empfindlich auf eine Beweidung reagieren, wie beispielsweise Hochmoore, sind von einer Beweidung auszuschließen. Eine nachhaltige Beweidung, die den dauerhaften Schutz solcher Flächen gewährleistet, ist mit einer Herdenführung durch Hirten oder mit einer Zäunung realisierbar.

5.2 Finanzielle Förderung, rechtliche Aspekte und Kooperationsplattformen

Zweifelsohne hat die seit dem Mittelalter zunehmende Beweidung der Wälder in der Vergangenheit zur Übernutzung und Degradation der Nutzungssysteme und Landschaften beigetragen, wie dies z. B.Behre(2008) für die Entwicklung der Heidelandschaften in Norddeutschland zeigt. Es kann also nicht Ziel einer nachhaltigen Landnutzung sein, diese wieder auf großer Fläche und mit hoher Besatzdichte einzuführen. Dennoch kann die Waldweide mit einer maximalen Besatzdichte von 0,4 Großvieheinheiten/ha und daraus entstehende Vegetationsstrukturen, ebenso wie andere traditionelle Landnutzungssysteme bzw. Nutzungstypen wie z. B. Feuchtwiesen, Magerrasen, Heiden, Streuobstwiesen, Nieder- und Mittelwälder als eine Option angesehen werden, die biologische Vielfalt lokal zu fördern und die Regionalentwicklung in strukturschwachen Gebieten zu beleben. Dies muss durch entsprechende Förderprogramme für den ländlichen Raum zumindest angeschoben werden, was immer wieder Gegenstand der Interviewgespräche war. Auf europäischer Ebene geschieht dies durch Programme wie LIFE oder LEADER. So wurde beispielsweise die Wiederbelebung der Streuobstwiesen am Fuß der Schwäbischen Alb und im mittleren Remstal durch Mittel der Europäischen Union gefördert, verbunden mit einer dauerhaften Einbindung der Landnutzer (Seehoferet al. 2014). Die hohe Bedeutung der Lärchenwiesen für den Natur- und Kulturlandschaftsschutz sowie für Tourismus und Erholung berücksichtigte das Land Südtirol (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2017) und das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL 2015) mit der Einführung einer Landschaftspflegeprämie zum Erhalt und zur Wiederherstellung dieser traditionellen Nutzung, womit der höhere Arbeitsaufwand und direkte Einkommenseinbußen der Landwirte kompensiert werden. Auch Förderprogramme, die primär auf den Arten- und Biotopschutz zielen, wie dies am Beispiel der Stabilisierung der Auerwildpopulation im Untersuchungsgebiet gezeigt wurde (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2014), können eine Wiederbelebung traditioneller Nutzungen stimulieren.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Wiedereinführung der Waldweide sind gegeben. In Südtirol ist die Waldweide durch den Artikel 23 des Landesforstgesetzes (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2011b) geregelt. Dort heißt es, dass „in Wäldern und auf degradierten Flächen mit eingeschränkter Nutzung […] die Weide im allgemeinen […] ausgeübt werden“ darf. Die Forstbehörde muss diese Nutzung allerdings vorher genehmigen und es bedarf zwingend eines Hirten für das Vieh, wenn nicht entsprechende Zäune errichtet werden.

Auch die Österreichische Forstgesetzgebung lässt mit dem Paragraph 37 die Waldweide zu, wenn „die Erhaltung des Waldes und seiner Wirkungen […] nicht gefährdet werden“ (BMNT 2019). Vor dem Hintergrund dieser förderungspolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen können Beispielprojekte initiiert werden, die bei erfolgreicher und nachhaltiger Umsetzung als Best Practice eine Vorbildfunktion auch für andere Regionen haben können.

Als wesentliche Limitierungen für die Wiedereinführung der Waldweide am Trudner Horn wurden, neben einer finanziellen Unterstützung entsprechender Initiativen, die gegenwärtig geringe Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben und damit das Fehlen der Weidetiere sowie die mangelnde Kooperation genannt. Hier können Kooperations- bzw. Kommunikationsplattformen, sogenannte Interessentengemeinschaften, zielführend sein, die die Akteure bzw. Stakeholder zusammenbringen (Abb. 5) und in einem partizipativen Bottom-up-Prozess Landnutzungsalternativen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökologischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen entwickeln (vgl.Magnani & Struffi2009,Schermeret al. 2011). Hierfür, wie z. B. für die Direktvermarktung lokaler Produkte, stehen vielfältige Erfahrungen aus ganz Europa zur Verfügung. Solche Kooperations- bzw. Kommunikationsplattformen tragen zur Erhöhung des sozialen Kapitals bei (Bourdieu1986, Ray1999, Schermer2009).

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (WebcodeNuL2231 ) zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

  • Die Landnutzer und institutionellen Vertreter (z. B. der Forstbehörden) stehen einer Wiedereinführung der Waldweide positiv gegenüber.
  • Für die Umsetzung bedarf es Förderungen der Landnutzer und einer Kooperationsplattform der Stakeholder. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Wiedereinführung der Waldweide sind in Südtirol und Österreich gegeben.
  • Eine der wichtigsten Limitierungen für die Wiedereinführung der Waldweide ist der Mangel an Weidetieren aufgrund des Rückgangs der Bauernhöfe in der Vergangenheit. Hier können neue Konzepte einer Verknüpfung der Landwirtschaft mit sozialen (z. B. soziale Landwirtschaft, Waldkindergärten) und umweltfachlichen Zielsetzungen (z. B. Umweltbildung) Impulse geben.
  • Da die Weidetiere unterschiedliches Weideverhalten zeigen, muss eine Beweidung mit Rindern, Pferden, Schafen, Ziegen bzw. der entsprechenden lokal-regionalen Tierrassen sorgfältig an die naturschutzfachlichen Landschaftsentwicklungsziele angepasst werden. Ein Management kann durch eine Zäunung erfolgen. Um die Ziele des Arten- und Biotopschutzes nicht zu konterkarieren, bedarf es einer extensiven Beweidung mit niedrigen Besatzdichten.

Kontakt

Prof. Dr. Stefan Zerbe leitet die Arbeitsgruppe Interdisziplinäre Landschaftsökologie an der Freien Universität Bozen in Südtirol. Lehr- und Forschungsschwerpunkt in der Renaturierungsökologie, dabei Beschäftigung mit konzeptionellen Grundlagen wie auch mit praktischen Renaturierungsproblemen verschiedener Lebensräume. Verfasser von mehr als 250 wissenschaftlichen Publikationen und einem interdisziplinären Fachbuch zur Ökosystemrenaturierung. Gründung zweier internationaler Master-Studiengänge zur Landschaftsökologie und zum Umweltmanagement.

> stefan.zerbe@unibz.it

Andreas Bergmann (M. Sc.) studierte Agrarwissenschaften und Umweltmanagement an der Freien Universität Bozen und der Universität Innsbruck und ist Lehrer an der Fachoberschule für Landwirtschaft in Auer (Südtirol) für die Fachgebiete Nutztierhaltung, Forstwirtschaft und Landschaftspflege.

> berand1@outlook.com

Univ.-Prof. Dr. Markus Schermer leitet die Arbeitsgruppe „Ländliche Entwicklungen“ am Institut für Soziologie an der Leopold Franzens Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte gesellschaftliche Entwicklungen in Lebensmittelproduktion und -konsum, territoriale Ansätze der Regionalentwicklung, Stellung von Bäuerinnen und Bauern in der Gesellschaft und Wandel der Kulturlandschaft im Berggebiet. Beteiligt an einer Reihe internationaler Forschungsprojekte, u. a. dem Projekt KULAWI zur Kulturlandschaftsentwicklung in Tirol und Südtirol.

> markus.schermer@uibk.ac.at

Jun.-Prof. Dr. Camilla Wellstein leitet die Arbeitsgruppe Vegetationsökologie mit Lehre und Forschung an der Freien Universität Bozen in Südtirol.

> camilla.wellstein@unibz.it

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