Ganzheitlicher Ansatz für den Erhalt der Weidestrukturen
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Zu 150 stehen sie dicht zusammen, erwartungsvoll, aufgeregt. Vereinzeltes Blöken schneidet durch die kühle, feuchte Morgenluft. Wann geht es endlich los? Auch der Border Collie, der hier für den nötigen Benimm sorgen soll, steht bereits in den Startlöchern. Und da, das Signal! Ein kurzer Pfiff, und die Herde setzt sich in Bewegung: auf zu neuen Weidegründen.
Szenen wie diese sind Alltag der Schäfer und Schäferinnen. Regelmäßig müssen Hüte- und Koppelschafhalter die Tiere von einer Weide zur nächsten bringen. Häufig geschieht das, wie seit Jahrhunderten, zu Fuß. Doch die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Das Einkommen eines Schäfers reicht kaum zum Leben. Viele der Tierhalter sind auf die Gelder aus Förderprogrammen für die Landschaftspflege angewiesen – teilweise beziehen sie 70 % ihres Auskommens oder mehr aus verschiedenen Fördertöpfen. Schaffleisch ist wenig begehrt, die Wolle landet oft im Sondermüll. Gleichzeitig wird es schwerer, von einer Fläche zur nächsten zu gelangen: Hier zerschneidet eine Schnellstraße den Weg, dort ist man nicht gern gesehen, aus Angst, die Schafe könnten entlang ihres Weges alles kahlfressen.
Im Werra-Meißner-Kreis soll sich dies nun ändern: Ein Team der Universität aus den Fachgebieten Landschafts- und Vegetationsökologie und Betriebswirtschaft will gemeinsam mit dem Geo-Naturpark Frau-Holle-Land und dem Werra-Meißner-Kreis in diesem Hotspot der Artenvielfalt ein Modellprojekt mit Vorzeigecharakter umsetzen. In enger Zusammenarbeit mit den lokalen Schäfereien sollen hier die bestehenden Beweidungskonzepte optimiert und neue Vernetzungsstrukturen geschaffen werden, sodass die Pflege und Offenhaltung der artenreichen Flächen der Region langfristig sichergestellt ist.
Dies ist aber nur ein Aspekt. Zeitnah wollen Projektleiter Prof. Dr. Gert Rosenthal und sein Team, bestehend aus Anya Wichelhaus, Anne Hopf, Petra Möller, Vincent Aljes und Cindy Baierl, gemeinsam mit den Projektpartnern aber noch viel weitergehen: Es geht darum, regionale Wertschöpfungsketten für die Produkte der Schäferei zu etablieren. Neue Vermarktungsstrategien sollen aufgebaut und neue Bildungsangebote für die Bewohner der Region geschaffen werden.
Zwei Jahre Vorarbeit
Um diesen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, mussten alle Akteure an einen Tisch geholt werden. Schäfereibetriebe und Naturschutzbehörden, Landwirtschaftsamt, Kreisbauernverband, Naturschutzverbände, Schafzuchtverbände und viele mehr. Die Zahl der beteiligten Akteure steigt im Projektverlauf, bislang ist nicht absehbar, wie viele Kooperationspartner es bis zum Projektende sein werden. Allerdings ist die Kommunikation der unterschiedlichen Interessengruppen nicht immer ganz einfach. „Eigentlich wollen oft alle dasselbe“, stellt Anya Wichelhaus fest. „Aber oft kommunizieren sie auf unterschiedlichen Ebenen!“ Gert Rosenthal fügt hinzu: „Die Akteure arbeiten da schon seit Jahrzehnten, manchmal auch in funktionierenden Netzwerken. Aber es gibt oft eher eine Koexistenz statt einer Kooperation.“ Das aber ist das ausgemachte Projektziel: Bereits in der zweijährigen Phase der Antragstellung konnten neue Kommunikationswege getestet und etabliert werden. So entstand ein reger Austausch. Zahlreiche größere Treffen mit den Beteiligten, die im Vorfeld gut vorbereitet werden mussten, schufen das nötige Vertrauen.
„Trotzdem ist nach wie vor bei vielen Schäfern, was die Umsetzbarkeit und prognostizierten positiven Effekte anbelangt, noch eine gewisse Skepsis zu spüren“, gibt Hopf zu. Sie ist diejenige im Projekt, die den engen Kontakt zu den Schafhaltern pflegt, sie auf ihren Höfen besucht, sie begleitet. Wichtig dabei: Die Schäfer sind die Experten, mit denen das Projekt auf einer Augenhöhe kommuniziert. „Wir verstehen das als transdisziplinäres Projekt“, erläutert Projektleiter Gert Rosenthal. „Wir forschen nicht um der Forschung willen, sondern leiten unsere Fragen aus der Praxis ab und spiegeln die Antworten dorthin zurück.“
Günstige Ausgangsbedingungen
In der Werra-Meißner-Region haben die Wissenschaftler dafür ungewöhnlich gute Voraussetzungen: Hier helfen zum Beispiel die guten Kontakte des Geo-Naturparks Frau-Holle-Land. Dessen Geschäftsführer, Marco Lenarduzzi, setzt sich schon viele Jahre für die Belange der Schafhalter ein. Außerdem gibt es hier noch verhältnismäßig viele Schäfer, die gut vernetzt sind. „Die Schäfer hier haben einen Arbeitskreis, in dem sie sich regelmäßig austauschen und in Zusammenarbeit ihre Betriebe wirtschaftlich weiterentwickeln“, erzählt Anya Wichelhaus. „Im Laufe der Vorbereitungsphase hat dieser Arbeitskreis seine Arbeit intensiviert.“ Zur Verbesserung der Kommunikation wurde dafür ein „Schäfersprecher“ gewählt. Er ist sozusagen Mittels- und Vertrauensmann und arbeitet bei den Gremientreffen für die Schäfereien mit. „Das würden wir für jedes Projekt mit so unterschiedlichen Akteuren klar empfehlen!“, betont Anne Hopf, und erinnert sich kurz an einen der gemeinsamen Infoabende für die Schäfer. „Das ist ein ganz anderer Kommunikationsstil. Meinungen werden deutlich geäußert, Skepsis wird offen geäußert, und es geht einfach direkter zu“, erzählt sie. „Ein paar Tage später meinte dann einer der Schäfer: Das war doch richtig konstruktiv!“ Das Beispiel zeigt, wie wichtig es in diesem Projekt ist, eine gemeinsame Sprachebene zu finden.
So konnte der Projektantrag zu dem ganzheitlichen Ansatz entwickelt werden, den er heute verfolgt. Die beiden Wissenschaftlerinnen Hopf und Wichelhaus bekamen hier vom Projektleiter Rosenthal viele Freiheiten. „Das Projekt liegt uns einfach sehr am Herzen“, erzählt Wichelhaus. „Und mit dem Hotspot direkt vor der Haustür sind die Ausgangsbedingungen ideal.“ Da verstand es sich fast von selbst, dass auch so manche Stunde in der Freizeit in Telefonate und die Arbeit am Projektantrag investiert wurde.
Teilerfolge
Jetzt, ein gutes halbes Jahr nach Projektstart, profitieren die Wissenschaftlerinnen von dieser intensiven Vorarbeit: Die ersten Maßnahmen konnten bereits umgesetzt werden. Es wurden auch schon die ersten Flächen entbuscht. „Das war ein wichtiges Zeichen an die Schäfer, dass wir nicht nur in der Theorie planen, sondern die praktische Umsetzung von Beginn an wesentlicher Bestandteil ist“, merkt Hopf an. Parallel dazu sind auch alle anderen Arbeitspakete angelaufen. Momentan ist das viel Grundlagenarbeit: Weitere Instandsetzungs- und Pflegemaßnahmen werden geplant, das bestehende Triebwegenetz wird überarbeitet, die Einbindung von zusätzlichen Flächen zur Vernetzung in Erwägung gezogen.
Gleichzeitig stehen die Projektmitwirkenden in Kontakt mit Metzgereien und wollverarbeitenden Betrieben. „Das größte Problem dabei ist, dass Großhändler schlecht bezahlen und die Schäfer selbst vor allem aus Zeitmangel kaum Kapazitäten für die Einrichtung einer umfangreicheren Vermarktung haben“, erklärt Wichelhaus. Deshalb beinhaltet das Projekt auch den Aufbau einer betriebsübergreifenden Vermarktungsstrategie für möglichst alle Schafprodukte. Denkbar wäre beispielsweise der Aufbau einer regionalen Marke mit Wiedererkennungswert und die Entwicklung eines Onlineshops, der die Schafprodukte – Fleisch, aber auch Wollprodukte – und ebenso weitere regionale Produkte, die den Artenreichtum der Region zeigen, anbietet. Diese Produktvielfalt soll auch den roten Faden des Projekts, die Vielfalt zu fördern, widerspiegeln.
„Ideen haben wir ganz viele“, lacht Anya Wichelhaus. „Nun geht es darum, sie auch strukturiert zu entwickeln.“ Ihr Vorteil dabei: Beim Bundesprogramm Biologische Vielfalt besteht eine große Offenheit für die inhaltliche Weiterentwicklung des Projekts. Und die ist bereits jetzt schon deutlich fortgeschritten. „In der Antragsphase waren wir fast ausschließlich naturschutzfachlich orientiert“ erinnert sich Wichelhaus. „Aber in den Gesprächen mit den Schäfereibetrieben wurde klar, dass die Rahmenbedingungen für die Schäferei sich grundlegend ändern müssen.“ Neben der ökologischen Komponente rückte also auch eine ganz andere in den Fokus: die sozial-ökonomische.
Natürlich bewältigen die Wissenschaftler des Fachgebiets Landschafts- und Vegetationsökologie diese umfangreiche Arbeit nicht alleine. Zahlreiche Akteure sind beteiligt, die aktiv am Projekt mitarbeiten, allein schon 18 Schäfereibetriebe. Zur leichteren Koordination können spezifische Themenschwerpunkte in kleineren Fachgruppen bearbeitet werden. Manchmal sind dafür nur einzelne Treffen notwendig, manchmal sind die Arbeitspakete auch umfangreicher.
Neue Problemfelder
Einige Arbeitsfelder entstanden auch erst während der Projektlaufzeit: Inzwischen ist beispielsweise ein Wolf im Gebiet ansässig, und auch einige der im Projekt mitwirkenden Schäfer müssen erste Risse beklagen. Die Projektinhalte werden flexibel auf die neue Situation angepasst. Für die Ökologen kein einfaches Themenfeld. „Als Naturschützer schlagen zwei Herzen in unserer Brust: Auf der einen Seite freuen wir uns, dass der Wolf hier wieder heimisch wird, auf der anderen Seite möchten wir, dass die Schäfer die Landschaft mit ihren Schafen pflegen und erhalten“, erläutert Gert Rosenthal. „Diesem Konflikt müssen wir uns jetzt stellen“, ergänzt Wichelhaus. Übrigens sind auch die Schäfer und Schäferinnen nicht per se gegen den Wolf, denn auch sie sind in ihrer Arbeit Naturschützer. Bedrohen die Übergriffe jedoch die Existenz oder zerstören den Idealismus, den es für die schwere Arbeit braucht, müssen zeitnah konkrete und realistische Antworten für das Management gefunden werden, bevor Flächen, Gebiete oder gar Betriebe aufgegeben werden.
Auch zu diesem Aspekt des Projekts wurde daher eine eigene Fachgruppe eingerichtet. Ziel dabei ist, Lösungen für Problemstellungen zu entwickeln, die lokal funktionieren, dann aber auch auf andere Regionen in Deutschland anwendbar sind.
Dabei ist es wichtig, sämtliche regionalen Akteure ins Boot zu holen. Wichelhaus und Hopf planen daher, einen Beirat einzurichten, der Jäger, Forst, Landwirtschaft, Schäfer und Co. an einen Tisch bringt. Dieser Beirat soll sich halbjährlich treffen und eine Beratungsfunktion erfüllen – und die Akzeptanz fördern. „Eine regionale Zeitung titelte beim Projektstart, die Schäfer würden jetzt mit 5 Mio. € unterstützt.“, erzählt Hopf. „Das wurde teilweise so interpretiert, dass die Gelder unmittelbar an die Schäfer fließen. Dabei ist eine einzelbetriebliche Förderung im Projekt ausdrücklich untersagt.“ Auch solche Missverständnisse sollen im Beirat geklärt werden.
Geplant ist außerdem ein Schäfer-Newsletter, der erläutert, was gerade wo im Projekt passiert und was als nächstes ansteht. Die Prämisse Kommunikation auf Augenhöhe steht dabei immer im Fokus. Das zeigt auch schon erste Erfolge: Bislang war das Projekt auf die hessischen Teile der Hotspotregion beschränkt. Allerdings haben auch Niedersachsen und Thüringen Anteile an der Hotspotregion. Nun hat das Land Thüringen Interesse angemeldet, ebenfalls mit einbezogen zu werden – eine Projektausweitung ist derzeit in Arbeit.
- Projektträger: Universität Kassel, Fachgebiet Landschafts- und Vegetationsökologie (Prof. Dr. Gert Rosenthal), Fachgebiet Betriebswirtschaft (Prof. Dr. Detlev Möller)
- Projektpartner: Geo-Naturpark Frau-Holle-Land, Werra-Meißner-Kreis
- Kooperationspartner: ObNB, ONB, UNB, Heinz Sielmann Stiftung, Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner e. V., Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, Kreisbauernverband Werra-Meißner e. V., Bundesverband Berufsschäfer e. V. Naturschutzbeirat des Werra-Meißner-Kreises, Natura 2000-Station Unstrut-Hainich/Eichsfeld, Schäfereibetriebe aus dem hessischen und thüringischen Teil des Hotspots und angrenzender Gebiete (18 Betriebe)
- Flächengröße: 871,77 km²
- Laufzeit: Oktober 2019 – September 2025
- Finanzierung: Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) sowie Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft, Verbraucherschutz (HMUKLV), Heinz Sielmann Stiftung
- Finanzierungsumfang: ca. 5,7 Mio. €
- Biotoptypen: Ein zentrales Projektziel ist es, die biologische Vielfalt des Hotspots 17 nicht nur in isoliert liegenden Schutzgebieten, sondern auch in den sie verbindenden und umgebenden Korridor- und Weideflächen zu fördern. Wertvolle Bereiche außerhalb der Schutzgebiete, wie magere Wiesen, Weiden, Streuobstbestände und Wegränder, werden daher in gleichem Maße bedacht, wie Magerrasen und Wacholderheiden als die besonderen „Schatzkästen der Artenvielfalt“.
Ein Modellprojekt kann nicht die Welt verändern. Aber es kann regional etwas bewirken und so einen Vorzeigecharakter für andere Regionen haben. Wir möchten zeigen, dass durch einen transdisziplinären Ansatz Problemstellungen aus der Praxis wissenschaftlich strukturiert bearbeitet werden können und so Antworten zurück in die Praxis spiegelbar sind.
Für die transdisziplinär ausgerichtete Begleitforschung ist der Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis wichtig: Die beteiligten Akteure aus der Praxis (Schafbetriebe, Naturschutz) liefern nicht nur die in Hypothesen zu transferierenden und wissenschaftlich zu bearbeitenden Fragen, sondern sind gleichzeitig kritische Prüfgröße, vor deren Hintergrund wissenschaftliche Ergebnisse und neu entwickelte (naturschutzbezogene) Maßnahmen geprüft und modifiziert werden. Neben der Prozessoptimierung (Stichwort adaptives Management) gilt es aber auch, übertragbare Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zu generieren, die in anderen Projekten oder Hotspotregionen genutzt werden können. Im Fokus steht die Untersuchung der Naturschutzleistungen der extensiven Schafbeweidung für den Biodiversitäts-Hotspot. Durch die Erforschung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen sollen regulative Stellschrauben und Handlungsoptionen in Szenarien getestet und naturschutzfachliche und sozio-ökonomische Auswirkungen bewertet werden.
Zentrale Anlaufstelle beim Zweckverband Geo-Naturpark Frau-Holle-Land
Niederhoner Str. 54
37269 Eschwege
Telefon 05651 992336
Telefax 05651 99233-9
E-Mail info@SchafLand17.de
Website: www.SchafLand17.de
Prof. Dr. Gert Rosenthal ist Leiter des Fachgebiets Landschafts- und Vegetationsökologie an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Landschaftsökologie, Landnutzungsforschung, Renaturierungsökologie, Vegetationsdynamik, Ausbreitungsbiologie und Populationsbiologie.
Anya Wichelhaus hat Umweltplanung und Landschaftsmanagement studiert und ist derzeit in der Schlussphase ihrer Promotion zum endozoochoren Transport von Pflanzendiasporen durch den Rothirsch.
Anne Hopf ist in der Schlussphase ihrer Dissertation zu den Auswirkungen großflächiger Beweidung in der Oranienbaumer Heide. Daneben arbeitet sie auf Projektbasis an der Universität Kassel.
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