Botanischer Artenschutz: Prozesse schützen allein reicht nicht mehr!
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Arten sammeln, katalogisieren und aufpflanzen? Ja. Aber heimische Pflanzen vermehren und wieder ausbringen? Wahrscheinlich verbinden das die Wenigsten mit den Tätigkeitsfeldern eines botanischen Gartens. Moderne botanische Gärten haben aber eine breite Palette von Aufgaben und der Naturschutz ist ein Teil davon. Denn der Schwund an Biodiversität weltweit stellt uns alle vor eine große Herausforderung und macht die Erhaltung unserer Natur weltweit wie regional zu einer wichtigen Aufgabe. Derzeit umfasst das Netzwerk an Institutionen und Personen, die in Deutschland Erhaltungskulturen führen, fast 60 Mitglieder. Nach dem Sammeln von Saatgut aus Wildbeständen und dem Anlegen von Erhaltungskulturen zur dauerhaften Sicherung ist die Wiederausbringung von Pflanzen die terminale Phase, aber nicht das Ende der Bemühung, eine lokal verschollene Art wieder anzusiedeln. Derzeit erreichen nur circa 25 % der Arten, die im Botanischen Garten der Universität Potsdam in Erhaltungskultur sind, diese Phase. Und bei Weitem nicht alle Arten lassen sich am neuen Standort etablieren, dafür sind die Hürden zu vielfältig.
Seltene Arten in den Garten!
Laut Bundesamt für Naturschutz sind fast 30 % der Farn- und Blütenpflanzenarten Deutschlands gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Neben dem Verlust an Arten ist auch die Verringerung an Lebensräumen ein bekanntes Problem. So fehlt den gefährdeten Pflanzenarten zum einen schlicht Raum zum Wachsen, zum andern werden vorhandene Populationen räumlich voneinander isoliert, was negative Folgen für ihre Vitalität und Fortpflanzung haben kann. Besonders bei sehr seltenen und vom Aussterben bedrohten Arten hilft daher der herkömmliche Schutz des Lebensraums oft nicht mehr und der Schritt hin zu aktiven, artspezifischen Maßnahmen ist notwendig. Eine Verbindung von traditionellem Artenschutz und Landschaftspflege mit der Kultivierung und Ausbringung von Arten wird erforderlich. Dabei wird das Saatgut nach strengen Kriterien in der Region gesammelt, die Projekte werden wissenschaftlich begleitet und in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Naturschutzbehörden durchgeführt.
Im Botanischen Garten Potsdam sind derzeit circa 25 Arten in Wiederansiedlungsprojekten. In der Regel werden hierfür stark gefährdete Arten (Rote-Liste-Kategorie 1 oder 2) und mit hoher Verantwortung des Landes Brandenburg gewählt. Oft sind es Mitarbeiter des Landesamts für Umwelt und lokale Botaniker, die rare Funde machen und den Botanischen Garten informieren. Wenn möglich wird dann Saatgut gesammelt.
Von Gärtnern
Für das Aufbewahren von Saatgut gibt es inzwischen eine gute Infrastruktur mit professionellen Saatgutbanken für Wildsaatgut, wie die Dahlemer Saatgutbank des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin, die Loki Schmidt Genbank der Universität Osnabrück und entsprechende Einrichtungen in Mainz und Regensburg. Sie alle sind Teil des Projekts „Wildpflanzenschutz Deutschland“ (WIPs-De). Das Führen von Kulturen und das Vermehren ist für die meisten Botanischen Gärten eine wichtige und bekannte Aufgabe. Gleichzeitig ist es die Grundlage für eine Wiederauswilderung zur Auffrischung einer Population oder zur Wiederansiedlung einer Art. Darüber hinaus können die Erhaltungskulturen auch für wissenschaftliche Studien und Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden, was die Wildpopulationen entlastet.
Langlebige Arten können in Mutterquartiere aufgepflanzt werden, wo sie der Vermehrung dienen. Kurzlebige Arten werden meist nicht über einen längeren Zeitraum in den Gärten kultiviert, da sich ihr Genpool oft schon nach wenigen Generationen in Kultur verändert. Diese werden deswegen nur in Vorbereitung auf eine Wiederansiedlung vermehrt. Gepflanzt wird dann ganz klassisch mit Pflanzkelle per Hand. Dabei werden die Pflanzen in Reihen gesetzt, um die Entwicklung der Population besser überwachen zu können. So lassen sich später Individuen der neuen Generationen leicht identifizieren, da sie das regelmäßige Muster verlassen.
Eine Direktansaat in der Natur hat sich in der Regel als weniger erfolgreich erwiesen, da die Keimungs- und Etablierungsrate des wertvollen Saatguts unter natürlichen Bedingungen meist sehr niedrig ist. Direktansaaten sind darum nur sinnvoll, wenn man vorher sehr viel Saatgut produzieren kann.
Es ist eine besondere Herausforderung für viele Wiederansiedlungen, passende Lebensräume zu finden. Durch den Wandel der Landnutzung und den Eintrag von Nährstoffen hat die Anzahl geeigneter Standorte für die gefährdeten Arten sehr stark abgenommen. Selbst bei scheinbar passenden Standorten liegt die Überlebensrate im Durchschnitt nur bei 30 %. Dabei ist dies stark artenabhängig. Manche Arten können schon nach drei bis vier Jahren eine neue Generation bilden, bei anderen dauert es viel länger oder klappt gar nicht.
Arten, die bisher erfolgreich durch den Botanischen Garten der Universität Potsdam angesiedelt wurden, sind zum Beispiel:
- Die Graue Skabiose (Scabiosa canescens ) – die Trockenrasenart ist nur über kurze Distanzen ausbreitungsfähig, kann auf geeigneten Standorten aber schon nach wenigen Jahren stabile Populationen aufbauen.
- Die Pfingstnelke (Dianthus gratianopolitanus ) – die in Brandenburg sehr seltene Art besiedelt extreme Standorte, hier ist die Konkurrenz aufgrund von Trockenheit gering und die Art ließ sich erfolgreich wiederansiedeln.
Bisher noch nicht erfolgreich wiederangesiedelt werden konnten:
- Der Sumpf-Kranzenzian (Gentianella uliginosa ) – für diese Art fehlen geeignete Flächen zur Wiederansiedlung, nämlich kalkreiche, nährstoffarme, wechselfeuchte und extensiv genutzte Moorwiesen.
- Für die Arnika (Arnica montana ) gibt es in Brandenburg kaum noch geeignete Standorte, die Flächen sind oft entwässert und zu nährstoffreich. Daher hat ein Teil der ausgebrachten Pflanzen auf den potenziell am besten geeigneten Flächen zwar überlebt, aber eine Vermehrung hat bisher kaum stattgefunden.
- Beim seltenen Sumpf-Bärlapp (Lycopodiella inundata ) ist es bisher nicht gelungen, Sporen zum Keimen zu bringen, trotz über zweijähriger Versuche.
Von Partnern vor Ort
Das Sammeln, Kultivieren und Pflanzen der seltenen Arten lässt sich mehr oder weniger gut durch die Projekte steuern. Für eine langfristige Betreuung und Dokumentation der Entwicklung der Pflanzen im neuen Lebensraum braucht es aber einen starken Partner vor Ort. Dies können zum Beispiel Verwaltungen von Großschutzgebieten sein, wie Natur- und Nationalparke mit ihren Rangern. Hier sind Kompetenzen und der Kontakt zu Flächeneigentümern, Flächennutzern und Ehrenamtlichen vorhanden. Außerdem sorgen sie auch für die langfristige Pflege.
Auch in der Arbeit mit Freiwilligen steckt viel Potenzial für Wiederansiedlungsprojekte. So gibt es zum Beispiel das Projekt „Urbanität & Vielfalt“, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit der Hilfe von Bürgern Lebensräume im urbanen Raum mit einheimischen Arten zu bereichern. Hier wird mit seltenen, aber nicht vom Aussterben bedrohten Arten gearbeitet. Den Bürgern die Möglichkeit zu geben, selbst ganz praktisch etwas für den Naturschutz zu tun, steht hierbei im Vordergrund. Neben Pflanzaktionen in Biotopen werden auch Jungpflanzen an die derzeit fast 2.000 Teilnehmer in drei Regionen Deutschlands ausgehändigt. Das Saatgut dieser Jungpflanzen wird dann wieder zurück in die botanischen Gärten geführt und dort zur Vermehrung verwendet, oder die Teilnehmer tauschen es untereinander. Diese Maßnahmen vermitteln ein Verständnis für die Pflanzen und für die Ökosysteme, in denen sie von Natur aus vorkommen. Das Projekt hat also auch eine starke Bildungskomponente. Durch die Vernetzung der Teilnehmer untereinander ist es außerdem langfristig über die Förderperiode hinaus angelegt.
Vor Herausforderungen
Die Finanzierung von Wiederansiedlungsvorhaben erfolgt derzeit überwiegend aus Projektmitteln des Bundes, der EU, der Bundesländer und von Stiftungen. Es sind jedoch grundsätzlich Daueraufgaben, die auch eine entsprechend dauerhafte Finanzierung benötigen. Die Mittel dafür sind im föderal organisierten staatlichen Naturschutz in Deutschland aber fast nirgends vorhanden. Weil die Projekte zeitlich begrenzt sind, ist schon die längerfristige Beobachtung von Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen, wie sie für eine fundierte Beurteilung nötig wäre, ein Problem. Des Weiteren wenden sich die Mitarbeiter in den Projekten, die über die Jahre erhebliche Kompetenz für das spezielle Arbeitsgebiet aufgebaut haben, nach Projektende anderen Tätigkeiten zu, womit ihre Erfahrung verloren geht. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf von staatlicher Seite, um eine dauerhafte Finanzierung bereitzustellen.
Darüber hinaus sind die Projektmittel in der Regel nur für die unmittelbare Umsetzung vorgesehen. In vielen Fällen wäre aber eine begleitende Forschung wichtig. Damit könnten zum Beispiel Fragen zur Genetik in einer Population vor und nach der Wiederausbringung untersucht werden. Auch der Umgang mit Saatgut aus verschiedenen Herkünften wird derzeit aus Vorsicht meist sehr restriktiv gehandhabt. Wann ein großzügigerer Umgang sinnvoll wäre, lässt sich mangels gezielter Forschung kaum sicher sagen. Solche Forschungsfragen sind für die gängigen wissenschaftlichen Förderprogramme zu anwendungsbezogen, und von der Anwendungsseite gibt es kein passendes Förderinstrument. Eine anwendungsbezogene Forschungsförderung würde helfen und sollte deswegen von staatlicher Seite dauerhaft eingerichtet werden.
Bei der Wiederansiedlung geht es nicht nur darum, eine Art wieder in der Natur auszupflanzen, sondern sie dort langfristig zu erhalten und einen gesunden Genpool aufzubauen. Konservativer Naturschutz getreu dem Motto: „Prozesse schützen, Biotope pflegen und den Rest wird die Natur schon machen“, ist dazu längst nicht mehr ausreichend. Dafür ist die Landnutzung großflächig zu intensiv, die Stickstoffeinträge sind zu hoch, und der Klimawandel tut ein Übriges. Die Zerstörung der naturnahen Kulturlandschaft und ihre Verarmung an Biodiversität lässt kaum eine selbstständige Wiederansiedlung von Arten zu. Wir sind damit im Zeitalter der Gärtnerei angekommen, wenn hochgefährdeten Pflanzenarten geholfen werden soll. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie wird derzeit vor allem durch Projekte erfüllt; ihre dauerhafte Finanzierung ist bisher nicht gesichert.
Unberührt bleibt der Grundsatz, dass der Schutz einer Art in der Natur immer Vorrang haben muss.
Autoren
David Zimmerling ist GaLaBau-Techniker und B.Eng. Landschaftsarchitektur. Derzeit ist er freier Autor und Lehrbeauftragter an der Beuth Hochschule Berlin und der HfWU Nürtingen.
Dr. Michael Burkart ist Landschaftsgärtner und promovierter Botaniker. Seit 2002 ist er Kustos des Botanischen Gartens der Universität Potsdam. Zudem ist er Sprecher der Arbeitsgruppe „Erhaltungskulturen“ im Verband Botanischer Gärten (VBG). Seit einigen Jahren engagiert er sich auch für die Wiederinbetriebnahme des Botanischen Gartens in Sansibar.
Dr. Daniel Lauterbachpromovierte am Botanischen Garten und Botanischen Museum der Freien Universität Berlin. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in botanischen Artenschutzprojekten am Botanischen Garten der Universität Potsdam.
Weitere Infos:
Weiterführende Literatur und Links zu Projekten sowie zum Botanischen Garten der Universität Potsdam finden Sie unter Webcode NuL5183 .
- User_MTQxODg2OA 11.05.2020 15:52Die Verinselung von Populationen hat inzwischen dramatische Ausmaße angenommen, selbst in Schutzgebieten. "Nachhilfe" ist wohl vielerortens notwendig; siehe auch: www.stromtalwiesen.infoAntworten
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