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Ivo Niermann

Einsatz für die Wesen der Nacht

Ivo Niermann beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fledermäusen. Als Einzelunternehmer erstellt er Artengutachten und sucht nach individuellen Problemlösungen. Wir haben uns mit dem Landschaftsplaner in Göttingen getroffen.

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1  Im Büro wertet Niermann die Ergebnisse der nächtlichen Arbeit aus.
1 Im Büro wertet Niermann die Ergebnisse der nächtlichen Arbeit aus.Julia Schenkenberger
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Ivo Niermann entspricht nicht dem Bild, das ich mir nach unseren ersten Telefonaten von ihm gemacht hatte. Er erinnert mich eher an meinen Mathelehrer aus der zehnten Klasse. Als ich ihn treffe, trägt er ein Karohemd und dunkle Hosen; mit Brille und einem freundlichen Lächeln kommt er mir entgegen. Er würde wunderbar in ein Klassenzimmer oder einen Hörsaal passen. Bloß das robustere Schuhwerk lässt darauf schließen, dass sein Arbeitsplatz draußen ist.

Denn Niermann ist Fledermausgutachter, und das schon seit über 20 Jahren. Diese spezielle Artengruppe fand er schon als Schüler interessant, wenn nicht gar faszinierend. „Es sind ja Säugetiere und uns daher in manchem Verhalten näher als beispielsweise Schmetterlinge“, meint er. Niermann nutzte alle Gelegenheiten, nahm an Exkursionen teil, beobachtete die Tiere. Während seines Studiums vertiefte er dann – studienbegleitend – sein Wissen über die Tiergruppe in Fledermausdetektoren-Workshops. Nach seinem Abschluss arbeitete er schließlich mehrere Jahre als freier Mitarbeiter in verschiedenen Landschaftsplanungsbüros, immer mit dem Schwerpunkt der Fledermauskartierung. 2005 folgte dann der Schritt in die Selbstständigkeit.

Niermanns Biografie wirkt auf den ersten Blick stringent, das Interesse an den Flugsäugern zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Lebenslauf. Er selbst winkt dagegen bescheiden ab. „Ich bin relativ breit interessiert“, meint er. „Irgendwie hat mich der Weg dann eben zu den Fledermäusen geführt. Da war kein Plan dahinter.“

Die ganze Bandbreite rund um Fledermäuse

Das Interesse des Landschaftsplaners geht weit über das Feld der Fledermäuse hinaus. Aber auch auf dem begrenzten Feld hat er sich breit aufgestellt. „Es gibt Leute, die sind noch viel spezialisierter als ich“, erklärt er. „Die machen zum Beispiel fast ausschließlich Detektorarbeit. Die noch pointierter sind und noch fokussierter arbeiten, als ich es tue.“ Niermann dagegen schätzt die Bandbreite seiner Arbeit. „Ich liebe die Detektorarbeit, aber genauso schön ist es, die Tiere mal im Netz zu haben, sie in der Hand zu halten und sie zu besendern.“ Die Betreuung von Winterquartieren gehört ebenso zu seinem Portfolio wie das Verfolgen eines einzelnen Individuums, um beispielsweise Wochenstuben ausfindig zu machen. „Jeder dieser Bausteine vervollständigt das Bild, das man selber als Gutachter hat“, betont Niermann. Aus diesem Grund schätzt er auch Projekte besonders, bei denen er die Möglichkeit hat, selbst dazuzulernen. Oft sind das Aufträge, die ein Monitoring beinhalten, bei denen er den Erfolg von Maßnahmen überprüfen kann. Sonst komme man ja nie weiter, meint er.

Um die Arbeit in dieser Breite anzubieten, benötigt der Wahl-Niedersachse jede Menge Ausrüstung. Das beginnt bei feinmaschigen Netzen, die er für das Fangen der Tiere braucht. Noch wichtiger – und kostspieliger – sind allerdings die Detektoren. „Der Fledermausdetektor ist sozusagen der Schlüssel zu dieser Welt“, sagt er. „Ein sehr guter Detektor ist das A und O.“ Denn durch das bloße Beobachten der Tiere lässt sich eine Art noch nicht bestimmen; dazu braucht es ausgeklügelte Technik, um die Rufe der Tiere aufzuzeichnen, sie hör- und sichtbar zu machen. Allerdings reicht ein einzelner Detektor nicht aus – Niermann schätzt, dass er mittlerweile etwa 50 besitzt. Dabei braucht es – je nach Einsatzzweck – Geräte unterschiedlicher Bauart. Bei größeren Untersuchungen kommen dann auch mehrere Detektoren des gleichen Typs zum Einsatz. „Da beneide ich Schmetterlingskundler manchmal ein bisschen“, scherzt Niermann. „Die brauchen einen Strohhut und einen Kescher. Und wenn sie ganz tief in die Tasche greifen wollen, noch eine Lichtanlage für Nachtfalter.“ Er dagegen kann den Wert seines Autos verdoppeln, einfach indem er seine Ausrüstung in den Kofferraum packt.

Mit dieser Ausstattung ist Niermann bis zu 100 Nächte im Jahr bei Kartiereinsätzen unterwegs. Er stellt sich damit zum Beispiel entlang der Strukturen auf, an denen sich die Fledermäuse in der Landschaft orientieren. So kann er sich auf die Quartiere der Tiere zuarbeiten. Wichtig dafür ist das Verständnis über die Lebensweise der Arten: Wann verlassen sie ihre Quartiere, wo jagen sie, wann kehren sie zurück? „Als professioneller Fledermauskartierer ist man oft die ganze Nacht unterwegs“, erklärt der Gutachter. „Es ist einfach ein Nachtjob.“

Ungewöhnliche Treffen

Doch nicht nur Fledermäuse begegnen Niermann des Nachts im Wald. Er weiß zahlreiche Anekdoten zu erzählen. Begegnungen mit Jägern, die es gar nicht witzig finden, wenn der Gutachter das Wild aufscheucht. Begegnungen mit Liebespaaren, die sich heimlich treffen. Menschen, die nachts Dokumente im Wald verbrennen. Es gibt kaum etwas, das dem Fledermauskundler noch nicht untergekommen wäre.

Auch ein Aufeinandertreffen mit der Polizei ist für ihn keine Seltenheit. „Wenn man ein Tier unter Sender hat, es mit der Antenne verfolgt, dann kann es schon mal passieren, dass man stundenlang vor einem Haus oder einem Stall steht, wo das Tier gerade jagt“, erzählt Niermann schmunzelnd. Nicht selten rufen Anwohner dann die Polizei. „Die lassen sich aber meistens erklären, was man da macht. Die Geschichte ist dann wahrscheinlich einfach zu abgefahren, um einem das nicht zu glauben.“ In der Regel versucht er, solchen Einsätzen vorzubeugen. „Ich gehe schon aktiv auf die Leute zu, die mich sehen, und erkläre ihnen, was ich tue. Die schauen halt alle Krimis und geraten schon mal schnell auf abwegige Ideen, obwohl die Erklärung eigentlich ganz einfach ist.“

Doch nicht immer ist die Arbeit des Fledermausgutachters so spannend. Ein großer Teil der Arbeit findet im Büro statt. Dort wertet er die Ergebnisse seiner nächtlichen Aktivitäten aus. Ein leistungsstarker Rechner ist dazu Grundvoraussetzung, denn allein durch das Beobachten der Tiere ist noch nicht alles bestimmt. Es kommt auf die Frequenzen der Rufe an, auf ihren Rhythmus, auf die Lautstärke. „Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Tiere die Laute sehr flexibel anwenden“, erklärt Niermann. „Der Ultraschall ist für sie ein Mittel zum Zweck, um sich zu orientieren und Beute zu suchen. Unter bestimmten Umweltbedingungen verändern sie diese Lautstrukturen aber.“ Am Computer analysiert er dann die Daten, vermisst die Rufe, ordnet sie zu.

Oft unterstützen sich die Experten in schwierigen Fällen untereinander vor allem bei problematischen Arten. Denn hier äußert sich eine der größten Problematiken der Branche: Fledermauskartierung ist eine sehr junge Disziplin, man weiß noch lange nicht alles über diese Tiere. Durch ihre nachtaktive Lebensweise sind sie schwerer zu beobachten als andere Tiergruppen und die erforderliche Technik zum Bestimmen der Arten nach ihrer Lautstruktur hat dazu geführt, dass das Kartieren der Arten und das Erforschen ihrer Lebensweise erst seit wenigen Jahrzehnten durch die Weiterentwicklung der Detektortechnik möglich wurde.

Bescheidener Entdecker

Ivo Niermann hat zum Wissen über die Verbreitung der Tiere selbst einen wesentlichen Beitrag geleistet: Zusammen mit seinem Kollegen, Dr. Robert Brinkmann, gelang ihm 2005 der Erstnachweis der Nymphenfledermaus in Deutschland. Es gab Anhaltspunkte, dass die Art hier vorkommen könnte. Niermann gelang es schließlich, ein Individuum zu fangen und den erforderlichen DNA-Nachweis zu erbringen. Ob ihn das stolz macht? Niermann wirkt eher bescheiden, hätte das Thema wahrscheinlich selbst gar nicht zur Sprache gebracht. „Es ist vielleicht ein bisschen so wie ein Fußballer, der einmal ein Tor des Monats geschossen hat“, meint er. „Es gehört Glück dazu, zeigt aber auch, dass man Lebensräume einschätzen kann und seine Arten kennt.“

Unterstützung für seine exzellente Artenkenntnis sucht Niermann sich bei Kollegen und der Literatur. In Internetgruppen findet ein regelmäßiger Austausch statt und mit zahlreichen Experten pflegt der Gutachter intensiven Austausch, mit einigen von ihnen bearbeitet er regelmäßig Projekte. „Von vielen weiß man: Okay, der ist vielleicht methodisch besonders gut oder er hat besonders viel Erfahrung mit einer speziellen Art“, erklärt er. „Und andere, vor allem ausländische Experten, finde ich über Plattformen wie Research Gate.“ Dort bezieht er auch Hinweise zu aktuellen Veröffentlichungen, die er sorgfältig durcharbeitet, organisiert und zu seiner umfangreichen Literatursammlung hinzufügt. Die füllt eine komplette Wand seines Büros, ordentlich sortiert von A bis Z, mitsamt Stichwortverzeichnis und Querverweisen. Eine immense Wissenssammlung, aufgelockert mit einigen Buntstiftzeichnungen seines Sohnes. Die gegenüberliegende Wand füllt ein Schrank mit dem nötigen Equipment. Netze, Detektoren, Sender. Alles ordentlich sortiert und bereit für den nächsten Einsatz. Das Zentrum aber bildet der Schreibtisch mit drei Bildschirmen. Hier wertet Niermann die Dateien aus, schreibt die Gutachten.

Umgang mit der Datenflut

In einem Projekt kommen da schon mal 250 000 Aufzeichnungen zusammen, vielleicht auch mehr. Der Gutachter ist daher auf die Unterstützung der Softwarelösungen angewiesen, mit deren Hilfe er die Datenflut zumindest vorstrukturieren kann. „Einige Programme können einige Arten schon recht gut identifizieren, andere dafür gar nicht“, stellt er fest. Die Technik hat sich da in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt, bietet mehr Komfort. Niermann sieht die Entwicklung trotzdem kritisch. „Ich kenne noch die Zeiten, in denen man zusätzlich einen Rekorder dabeihatte und von fraglichen Rufen dann ein bis zwei Belegaufnahmen gemacht hat, um sie zu untersuchen. Heute machen das die Detektoren automatisch und zeichnen Hunderte von Rufen pro Nacht auf.“ So entsteht schnell eine Masse an Daten, die ohne Software nicht mehr zu bewältigen ist. „Das sehe ich persönlich kritisch, vor allem, wenn die Computerprogramme unreflektiert eingesetzt werden“, warnt er. „Oft habe ich den Eindruck, dass man mit weniger Aufwand eigentlich mehr und bessere Daten gewinnen könnte, wenn man anders arbeiten würde.“

Die Freiheit der Methodik besteht allerdings oft nicht. Stattdessen enthalten die Verträge klare Vorgaben über Art und Umfang der Kartierung. Bei seinen „Stammkunden“ kann Niermann beratend einwirken, bei anderen Projekten muss er sich den Wünschen des Auftraggebers beugen. „Die orientieren sich oft an Leitlinien und Empfehlungen. So rückt beispielsweise die Detektorarbeit oft zu stark in den Fokus.“ Dabei schätzt er gerade diejenigen Projekte, bei denen er nicht nach Schema F arbeiten, sondern eigene Lösungen entwickeln muss.

Individuelle Problemlösung

Ein Beispiel dafür sind Quartiere für die Wasserfledermaus, die er eigens für eine Umsiedlung einer Population an einer Brücke entwickelt hat. Bei dem Bauvorhaben stellte sich erst bei den laufenden Bauarbeiten heraus, dass eine Wochenstube in der Brücke siedelte. Das Projekt drohte zu kippen. Niermann wurde 2018 eingeschaltet. Er untersuchte die Verhaltensweisen der Tiere, vor allem ihre Flugrouten, und entwickelte Ersatzquartiere. „Dazu existierten noch keine Baupläne, ich habe das selbst skizziert“, erklärt er. Planer setzten seine Idee dann um.

Die drei kleinen Gebäude liegen im Aktionsraum der Kolonie, bieten ihnen Unterschlupf und Schutz vor Prädatoren. Die Öffnungen sind direkt auf das Jagdgebiet ausgerichtet, eine Wasserfläche, über der die Tiere frisch geschlüpfte Mücken jagen. Alles ist nach bestem Wissen und Gewissen auf die Ansprüche der Art ausgelegt. Durch Technik, die Sozialrufe und Aktivität simuliert, sollen die Wasserfledermäuse animiert werden, die neuen Quartiere anzunehmen.

Das Brückenprojekt gehört zu den größeren Projekten, die der Hannoveraner bearbeitet. Sein Auftragsspektrum erstreckt sich aber auch bis hin zu kleinsten Aufträgen, bei denen er nur einige wenige Baumhöhlen vor einer geplanten Fällung kontrolliert. Eigentlich nicht unbedingt lukrative Aufträge, vor allem, wenn er weite Strecken fahren muss. Aber die Artengruppe liegt Niermann am Herzen und deshalb bearbeitet er auch Kleinstaufträge. Dabei wäre er nicht darauf angewiesen, denn die Auftragslage für Fledermauskundler ist, wie auch für die gesamte Branche, mehr als gut. „Da ist es wichtig, den Terminkalender nicht zu vollzustopfen“, betont der Landschaftsplaner. Schließlich spielt das Wetter nicht immer mit wie geplant. Bei Regen und Wind fliegen auch die Fledermäuse nicht und eine Kartierung fällt dann schnell mal ins Wasser. Eine gewisse Flexibilität ist also unerlässlich, auch wenn dafür ein Auftrag nicht angenommen werden kann oder an einen Kollegen verwiesen wird.

Trotz der guten Arbeitssituation plant Niermann nicht, Mitarbeiter einzustellen. Die Verantwortung sei nichts für ihn. „Ich wundere mich jedes Jahr aufs Neue, dass das immer noch funktioniert“, meint er in seiner typisch bescheidenen Art. Mitarbeiter dagegen müsste er kontinuierlich mit Arbeit versorgen, und wenn sich die Wirtschaftslage ändere, hätte das auch Auswirkungen auf andere. Niermann bleibt eben bei seinen Leisten und sieht seine Situation pragmatisch. Wenn es irgendwann keine Aufträge mehr gibt, macht er eben etwas anderes. Betreut zum Beispiel Lehrveranstaltungen, wie er sie in Zusammenarbeit mit der Universität Hannover auch jetzt schon anbietet. Möglichkeiten gibt es genügend für den ruhigen, selbstreflektierten Fledermausexperten.

Onlinetipp

Weitere Informationen über Ivo Niermanns Arbeit sowie eine Audio-Datei eines Fledermausrufes finden Sie unter dem WebcodeNuL4637 .

Philosophie

Mich interessiert die Artengruppe der Fledermäuse in ihrer ganzen Bandbreite. Ihre Biologie, ihre Verhaltensweisen, ihre Funktion in der Landschaft. Durch meine Arbeit kann ich einen Beitrag zur Minimierung von vorhabensbedingten Beeinträchtigungen leisten.

Betriebsdaten

• Gründung: 2005

• Leistungen: Landschaftsplanung, Bauleitplanung, Verträglichkeitsstudien, Naturschutzplanungen

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