
Ein „Bonne Année“ zum Start einer schwierigen Legislatur
Seit fast zehn Jahren bin ich nun in Brüssel, mehr als die Hälfte davon berichte ich in dieser Kolumne. Gefühlt überwiegen die negativen Schlagzeilen. Rückblickend muss ich aber sagen, dass die letzte Legislatur mit dem Europäischen Green Deal auch viel Positives enthält. Die ersten Wochen der neuen Legislatur in Brüssel zeigen nun, dass es wieder deutlich schwerer werden dürfte für den Umweltschutz. Kämpfen Sie bitte dennoch mit uns gemeinsam weiter!
von Dr. Raphael Weyland erschienen am 06.12.2024Die neue EU-Kommission steht, zu einem hohen Preis
Am 1. Dezember hat die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ihren Dienst angetreten. Die vorausgegangene Phase der „Anhörungen“ der Kommissarinnen und Kommissare im Europäischen Parlament haben offenbart, welche politischen Mehrheiten im Parlament bestehen beziehungsweise insbesondere von Manfred Webers Europäischer Volkspartei (EVP) gesucht werden. Verlierer ist dabei das Europäische Parlament selbst, als direkt gewählter Spruchkörper der Europäischen Demokratie. Und – weil es die progressiveren Kräfte der „von der Leyen-Koalition“ nicht geschafft haben, sich gegenseitig zu stärken – auch der Umweltschutz. Wenn Sie an Details interessiert sind, wie sich die einzelnen für den Natur- und Umweltbereich relevanten Kommissarinnen und Kommissare in den Anhörungen geschlagen haben, empfehle ich Ihnen meinen etwas ausführlicheren Blogbeitrag hierzu (gerne dort auch die Naturschätze.Retten-Beiträge abonnieren).
Kurz zu den erwartbaren Mehrheiten im Europäischen Parlament: In die Zeit der Anhörungen der neuen EU-Kommission fiel auch die von der EVP vorangetriebene erneute Abstimmung über das Gesetz der Entwaldungsfreien Lieferketten (EUDR). Die EUDR war von den EU-Gesetzgebern in der letzten Legislatur beschlossen worden und bereits in Kraft. Auf Druck verschiedener Akteure hatte die EU-Kommission dann zugesichert, die Anwendbarkeit um ein Jahr zu verschieben. In diesem Zusammenhang hatte die EVP erneut inhaltliche Änderungsanträge eingebracht, die darauf abzielten, die Anwendbarkeit des Gesetzes in EU-Mitgliedstaaten einzuschränken. In einer chaotischen Abstimmung setzte die EVP diese Änderungsanträge gemeinsam mit Rechtsaußen-Abgeordneten durch. Die progressiven Kräfte stimmten weitestgehend geeint gegen dieses Anliegen. Auch wenn die EVP dann gegenüber dem Ko-Gesetzgeber Rat im Trilog Anfang Dezember mit ihren Wünschen eine Niederlage erlitt: Manfred Webers Vorgehen hat nicht geholfen, das Vertrauen der „Von der Leyen-Koalition“ in die Verlässlichkeit der EVP und das Vertrauen der Bürger in bereits beschlossene Gesetze des Green Deals zu stärken (auch im Spiegel fand sich beispielsweise ein Appell mit dem Titel, Markus Söder und Friedrich Merz sollten ihren EVP-Mann in Brüssel bremsen). Manfred Weber dürfte aber nicht aufhören, bei Gesetzen, die ihm nicht passen, aus der Mitte auszuscheren, um so eigene Interessen mit dem Rechtsaußen-Spektrum durchzusetzen.
Ein paar Worte zum Personal der neuen EU-Kommission: Der von der italienischen Regierungschefin Meloni geschickte Raffaele Fitto ist nun Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für regionalpolitische Fragen (und hierbei auch für den Landwirtschafts- und für den Fischereikommissar). Die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera ist Vize-Präsidentin für die saubere und gerechte Transformation (sowie für Wettbewerbsrecht). Auch der ungarische Gesundheits-Kommissar Várhelyi wurde bestätigt, genauso wie die übrigen Kandidaten. Für die Umwelt unter Ribera zuständig ist die schwedische Juristin Jessika Roswall aus der EVP-Parteienfamilie, die bisher wenig Erfahrung im Umweltschutz hat. Für die Landwirtschaft ist der konservative Luxemburger Christophe Hansen, der zuvor Abgeordneter im Europäischen Parlament war und eng mit dem Agrarsektor verwoben ist, zuständig. Die genaue Besetzung der Kabinette ist aktuell noch nicht abgeschlossen. Die Generaldirektionen bleiben zunächst weitgehend unverändert.
NABU-Beschwerde erfolgreich: EuGH-Urteil zu Mähwiesen
Eine ansatzweise erfreulichere Sache: Am 14. November hat der EuGH sein Urteil in Sachen „Mähwiesen“ verkündet und damit einer Klage der EU-Kommission gegen Deutschland weitgehend stattgegeben (Aktenzeichen EuGH: C-47/23). Sie erinnern sich, ich hatte hier mehrfach über das Verfahren berichtet. Diese Klage geht zurück auf eine NABU-Beschwerde aus dem Jahr 2014.
Zum Verfahren: Anfang 2014 hatte der NABU eine auf einzelne Beispiele aus den Landesverbänden gestützte Beschwerde an die EU-Kommission geschickt. Mitte 2018 eröffnete die EU-Kommission als Vorstufe dann ein sogenanntes Pilotverfahren gegen Deutschland. Nicht überzeugt von der Antwort Deutschlands folgte Ende 2019 dann der erste Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens, das Mahnschreiben, und im Herbst 2020 die begründete Stellungnahme. Wieder genügte der EU-Kommission die Antwort Deutschlands nicht. Im Dezember 2021 kündigte sie an, vor den EuGH zu ziehen (die Klage ging dann leider erst im Februar 2023 beim EuGH ein).
Der EuGH folgt den Schlussanträgen und gibt der Klage statt, soweit ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geltend gemacht ist, nicht aber zum Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 4 FFH-RL (was aus Sicht des NABU in der Sache durchaus verkraftbar ist). Das Urteil bestätigt unter anderem, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Abwehrmaßnahmen gegen von Menschen gemachte Beeinträchtigungen erforderlich machen kann (Rn. 95). Im Urteil wird zwar auf die vorgetragenen Flächenverluste eingegangen. Maßgeblich ist aber, dass diese Verluste zur systematischen und signifikanten Rechtsverletzung führen (Rn 103). Das Urteil ist also nicht nur für bestimmte Gebiete bedeutsam. Außerdem stellt das Urteil fest, dass die in Deutschland durchgeführten Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend gebietsspezifisch, regelmäßig und konsequent sind, um sie als geeignet im Sinne von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ansehen zu können (Rn. 110).
Meines Erachtens mit das Beste kommt am Ende des Urteils in etwas holprigen Juristendeutsch. Bei drohender Verschlechterung braucht es verbindliche Maßnahmen, Vertragsnaturschutz ist nicht ausreichend: „Da der Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Gebiete [..] auf den Schutz dieser Gebiete vor Verschlechterungen abzielt, kann die Bundesrepublik Deutschland in Ermangelung einer rechtlich verbindlichen Bestimmung, die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in Gebieten, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen, untersagt, nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie genügen (Rn 112, 114). Somit hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie keine rechtlich verbindlichen Schutzmaßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in Gebieten, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen, getroffen hat.“
Was bedeutet das Urteil nun für Mähwiesen? Das Urteil ist unmittelbar rechtskräftig und anwendbar in den Ländern, die Aussagen gelten für die gesamte EU. Wie das Urteil umgesetzt wird, bleibt dem Mitgliedstaat überlassen (also Deutschland, der Bund muss effektive Umsetzung sicherstellen, nach der föderalen Ordnung sind aber v.a. die Länder für den Naturschutz in der Verantwortung). Aus NABU-Sicht braucht es jetzt (neben einem Ende des quantitativen Verlustes) konkrete Ge- und Verbote zur Beschränkung der Treiber des (qualitativen) Grünlandverlustes, also Regelungen zur Düngung und Mahd in den FFH-Gebieten (z.B. in den Schutzgebietsverordnungen, nicht nur in unverbindlichen Managementplänen). Soweit damit nicht nur unwesentliche Beschränkungen von landwirtschaftlichem Eigentum einhergehen, braucht es finanziellen Ausgleich sowie ausreichend Personal für die Umsetzung und Überwachung.
Und schließlich drängt sich die Frage auf, inwieweit die oben aufgezeigten Passagen des Urteils auch über Grünland-Habitate hinaus auf Erhaltungsmaßnahmen bzw. zumindest Maßnahmen zur Umsetzung des Verschlechterungsverbots für andere Lebensraumtypen in Natura 2000-Gebieten übertragbar sind. Nach meiner Lesart spricht Einiges dafür, dass uns hier weitreichende Nachbesserungspflichten bevorstehen, die insgesamt zu einer Effektivierung von Natura 2000 führen.
Erste Initiativen 2025 und der Wolf
Zuletzt noch kurz zu ein paar konkreten Ausblicken auf die nächsten Monate: Nicht allzu viele Worte verwenden möchte ich dieses Mal über den Wolf, über den ich bereits in der November-Ausgabe dieser Kolumne berichtet habe. Das Drama haben Sie also vermutlich verfolgt: am 5. Dezember hat der Ständige Ausschuss der Berner Konvention die von uns leider erwartete Entscheidung getroffen, den Schutzstatus abzusenken. In unserer Pressereaktion kritisieren wir, dass dies eine politisch motivierte Entscheidung ist. Diese wurde nicht auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen und setzt damit einen gefährlichen Präzedenzfall. In der Sache löst die Entscheidung leider keine der in der Praxis bestehenden Herausforderungen der Koexistenz von uns Menschen mit dem Wolf. Auf EU-Ebene befürchte ich stattdessen im Jahr 2025 eine erneute Schlacht um die FFH-Richtlinie, selbst wenn Ursula von der Leyen versprochen hat, dass in dieser Legislatur nur der Wolf vom Anhang IV in den Anhang V der Richtlinie verschoben wird.
Ein paar weitere vorläufige Daten sind bereits aus der Planung der EU-Kommission durchgesickert. Am 11. Februar könnte Ursula von der Leyen das Kommissions-Arbeitsprogramm für 2025 veröffentlichen. Dies ist insofern wichtig, als es zeigt, welche Gesetzesinitiativen konkret geplant sind. Am 19. Februar könnte Raffaele Fitto dann die sogenannte Vision für die Landwirtschaft vorstellen. Dieses Dokument soll Ideen des Strategiedialogs aufgreifen und den Weg in Richtung Kommissionsvorschläge der nächsten Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bereiten. Am 26. Februar, also noch vor der Bundestagswahl, ist eine Omnibus-Verordnung zur Rechtsvereinfachung angekündigt. Es wird genau zu beobachten sein, dass die Vorschläge nicht zur Aufgabe von Umweltstandards führen. Der wichtige Kommissionsvorschlag zum nächsten EU-Langfristhaushalt (MFR) dürfte indes nicht vor Sommer 2025 kommen, so zumindest meine Vermutung. In jedem Fall startet das Jahr 2025 mit vielen Initiativen, die aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes kritisch begleitet werden müssen.
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