
Neue Kommission in den Startlöchern
Liebe Leserinnen und Leser, wie Sie an diesem Beitrag sehen, bin ich nach meiner dreimonatigen Auszeit wieder „de retour“ in Brüssel. Auf meiner Fahrradtour um die Ostsee (eine Eurovelo-Route übrigens) habe ich die Geschichte der Europäischen Union oft unmittelbar zu spüren bekommen. Dies gilt vor allem für die baltischen Staaten, in denen die Menschen großen Einsatz zeigten für Demokratie und EU-Beitritt. Zur rechten Zeit bin ich nun zurück, denn die neue EU-Kommission formiert sich gerade, wichtige Weichenstellungen stehen an. Von mir werden Sie daher gleich einen kleinen Rundum-Schlag bekommen. Doch zuvor folgender Dank: Ende September haben mein Kollege Lukas Traup und ich beim Deutschen Naturschutztag in Saarbrücken mehrere positive Rückmeldungen zu unserer Brüssel-Kolumne erhalten. Das freut uns und zeigt, dass unsere Informationen auch gelesen werden. Bleiben Sie uns und der EU-Politik weiterhin treu, viel Spaß beim Lesen!
von Dr. Raphael Weyland erschienen am 18.10.2024Erste Fehltritte bevor es losgeht
Die neue EU-Kommission muss durch das Europäische Parlament erst noch bestätigt werden. Doch zuvor leistet sich die EU-Exekutive unter Ursula von der Leyen auf Druck der EU-Mitgliedstaaten gleich mehrere Fehltritte. Hierzu zählt die jüngste Entscheidung zu den Entwaldungsfreien Lieferketten. Druck kam von der Industrielobby, der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und zuletzt angeblich auch von Bundeskanzler Olaf Scholz. Am 2. Oktober gab die Kommission nun bekannt, dass sie das längst verhandelte Gesetz erst 1 Jahr später in Kraft treten lassen möchte. Egal wie man zu dem Gesetz im Detail steht – es war ein von den EU-Institutionen ausgehandelter Kompromiss zum Natur- und Klimaschutz. Die Kommissionspräsidentin entschied sich aber, der Nutzerlobby nachzugeben. Die Brüsseler Greenpeace-Kollegen weisen zurecht darauf hin, dass innerhalb dieses Jahres weitere Wälder in einer Größe von Portugal abgeholzt werden könnten, die ansonsten geschützt worden wären (siehe Pressemitteilung von Greenpeace). In diese Reihe von Entscheidungen reiht sich auch die Causa „Wolf“. Hier soll Ursula von der Leyen nochmals persönlich auf die Mitgliedstaaten eingewirkt haben, um ihrer politisch motivierten Wolfs-Entscheidung zum Erfolg zu verhelfen. Dazu weiter unten mehr.
Große Linien und das anstehende „Grilling“ der EU-Kommission
So, jetzt aber erstmal zu den großen Linien, die sich für die neue Legislatur abzeichnen. Sie haben mitbekommen, dass Ursula von der Leyen im Juli ihre Politischen Leitlinien vorstellte und sodann von einer Mitte-Mehrheit einschließlich der Grünen ohne die Rechtsaußen-Fraktionen gewählt wurde. Das war insofern wichtig, als dies zunächst ihre „Hausmacht“ sein sollte, die ihren Gesetzesvorschlägen zur Mehrheit verhilft. Zu befürchten ist aber leider, dass Manfred Weber die demokratische Brandmauer ignoriert und weiter versucht, der Umwelt schadende Positionen mit Rechtsaußen eine Mehrheit zu verschaffen.
Im September stellte Ursula von der Leyen dann vor, welche Rolle sie für die von den Mitgliedstaaten benannten Kandidatinnen und Kandidaten vorsieht und welche Aufgaben sie ihnen in den Mandatsbriefen zuweist. Dem vorausgegangen war ein mit Knall inszenierter Abschied des französischen Kommissars Thierry Breton, der sich mehrfach mit von der Leyen angelegt hatte. Beobachter sind sich einig, dass von der Leyen durch Überlappung von Kompetenzen und unklaren Aufgabenbeschreibungen die Macht weiter auf sich selbst konzentrierte.
Relevant werden dürften für Nachhaltigkeit gleich mehrere Personen. So ist für die Umwelt zunächst die Schwedin Jessika Roswall zuständig, für Fischerei der aus Zypern stammende Costas Kadis. Beide arbeiten, genau wie der niederländische Klima-Kommissar Wopke Hoekstra, unter der Exekutiv-Vizepräsidentin Teresa Ribera aus Spanien, die eine saubere Transformation überwachen soll. Wackelkandidat ist der ungarische Olivér Várhelyi, der für Gesundheit und somit auch für Pestizide zuständig ist. Der konservative Agrarkommissar Christophe Hansen stammt aus Luxemburg und war zuvor Abgeordneter im Europäischen Parlament. Er ist dem rechtskonservativen Italiener Raffaele Fitto zugewiesen, der als Exekutiv-Vize über das Thema Kohäsion wachen soll. Äußerst wichtig wegen des EU-Langfristhaushalts ist der polnische Haushaltskommissar Piotr Serafin, er berichtet direkt an Ursula von der Leyen. Argwöhnisch beäugt von uns Umweltexperten wird Valdis Dombrovskis, dem u.a. die Rolle der Umsetzung und Rechtsvereinfachung zukommen soll.
Alles in allem finden sich in den Mandatsbriefen keine direkten Angriffe auf bestehendes Umweltrecht. Mittelbar drohen sie aber, Folge der Vereinfachung zu werden, denn vielfach wird Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund gestellt. Das Mandat zu progressiven Vorschlägen, etwa zur Pestizidreduktion, sucht man ebenfalls vergebens. Es wird also in vielen Fällen auf die konkrete Umsetzung ankommen. Aus Umweltverbands-Sicht bräuchte es endlich eine vernünftige Umsetzungsagenda für das bereits Erreichte des Europäischen Green Deals, einschließlich der Effektivierung von Vertragsverletzungsverfahren. Hierzu hat auch das Recherche-Netzwerk „Investigate Europe“ vor Kurzem einen schonungslosen Beitrag veröffentlicht.
Progressive Kräfte zeigen Ursula von der Leyen und ihrem designierten Team hoffentlich nötige Grenzen auf. Eine Möglichkeit hierfür bietet sich bei den Anhörungen im Europäischen Parlament, die inoffiziell auch als „Grilling“ bezeichnet werden. Diese finden vom 4. bis 11. November statt. Manfred Weber’s EVP konnte sich zwar nicht durchsetzen, die Anhörungen noch im Oktober erfolgen zu lassen, was auf Kosten der Vorbereitungszeit gegangen wäre. Dafür verhinderte die EVP gemeinsam mit Rechtsaußen-Fraktionen, dass der Umweltausschuss auch den Agrar- und den Fischereikommissar befragen darf.
Naturschutz im kommenden EU-Langfristhaushalt
Die kommende Legislatur wird unter anderem im Zeichen von Investitionen stehen. Allein schon deswegen, weil die EU-Kommission bereits nach ihrem offiziellen Start – wenn alles gut geht am 1. Dezember – damit beginnen dürfte, den Entwurf für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) zu erstellen. Dieser Vorschlag ist insofern wichtig, als er Steuergelder auf verschiedene EU-Fonds verteilt. Neu dürften ein Wettbewerbsfonds und eventuell auch ein Klima-Anpassungsfonds sein.
Auch die Grundlinien der künftigen GAP werden in dem ab 2028 geltenden MFR festgehalten. Schafft es die EU-Kommission, unabhängig von der (vermutlich gleichbleibenden) Größe des Topfes die Vorgaben des Strategiedialogs zur Zukunft der Landwirtschaft umzusetzen, die Direktzahlungen abzubauen und auf zielgerichtete Förderung zu setzen (die Details zum Strategiedialog haben Sie in der letzten Brüssel-Kolumne lesen können)? Druck auf die GAP-Direktzahlungen kam jüngst übrigens erneut vom Europäischen Rechnungshof. Dieser zeigt auf, dass die Flexibilität von den Mitgliedstaaten nicht für die vereinbarte Zielerreichung genutzt wird. Aus meiner Sicht ist dies systemimminent und daher nicht heilbar.
Zwar im Bericht des Strategiedialogs Landwirtschaft auch von der Bauernlobby und bei Verabschiedung der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur von mehreren Mitgliedstaaten im Umweltrat gefordert, aber von Ursula von der Leyen nicht angesprochen wurde ein Fonds zur Wiederherstellung der Natur. Stattdessen setzte sie im Mandatsbrief an Jessika Roswall das Thema private Finanzierung durch Biodiversitätskredite auf die Liste. Aus meiner Sicht ist klar, dass ein entsprechender Rechtsrahmen – unabhängig von der Gefahr des Greenwashings und fehlender Komplementarität zu Sowieso-Maßnahmen – eine gründliche Ausarbeitung braucht. Zeitlich und auch hinsichtlich des bei Beginn zu erzielenden begrenzten Umfangs dürften Biodiversitätskredite daher die drängende Finanzierungslücke im Naturschutz allein nicht füllen können. Solche Maßnahmen können die staatliche Finanzierung nur ergänzen.
Weitere Fragen der EU-Naturschutzpolitik
Die Diskussionen auf dem Deutschen Naturschutztag in Saarbrücken stimmten mich zumindest ansatzweise positiv, dass erste Schritte zu einer Umsetzungs-„Governance“ für die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur zwischen Bund und Ländern angegangen wurden. Auch hier war aber deutlich, dass eine große Hürde nicht nur der Personalmangel fürs Erstellen des Wiederherstellungsplans, sondern vor allem die Finanzierung der Wiederherstellungsmaßnahmen sein wird.
Bei anderen EU-Versprechen, die wir aus der EU-Biodiversitätsstrategie und auch aus dem Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal schulden, bin ich bisher skeptischer. Dies gilt zum Beispiel für die Verpflichtung, Pestizide um 50% zu reduzieren. Nach dem politischen Angriff der konservativen EVP auf die Verordnung zur Pestizidreduktion in der letzten Legislatur ist unklar, was nun folgen soll. Erst recht, da die Politik keine passende Antwort auf die Bauernproteste gefunden hat – außer der Aufgabe von Umweltauflagen.
Auch das Versprechen, bis 2030 auf 30% der EU-Land- und Meerfläche (gut gemanagte) Schutzgebiete errichtet zu haben, wird meines Erachtens bisher nicht mit ausreichend Nachdruck verfolgt, auch von der EU-Kommission nicht. Tatsächlich wurde von Deutschland bisher überwiegend das bereits bestehende Schutzgebiete-Netz rund um Natura 2000 gemeldet, also weniger als 20% der terrestrischen Fläche. Fast fünf Jahre sind seit der Verabschiedung der EU-Biodiversitätsstrategie vergangen, nur gut fünf Jahre verbleiben bis 2030. Doch die ersten fünf Jahre wurden nicht genutzt, um linear die bestehende Lücke zu füllen, die Herausforderungen bis 2030 sind also riesig.
Der Wolf und Schadensbegrenzung für die FFH-Richtlinie
Abschließen möchte ich mit dem unschönen Thema Wolfs-Schutz. Sie haben es vermutlich verfolgt: Am 25. September trat das die Ratsentscheidung vorbereitende Gremium (AStV) zusammen. Lange sah es so aus, als ob sich Deutschland enthalten würde. Doch nach Verhandlungen des Umweltministeriums mit der EU-Kommission erfolgte nun Weisung aus Berlin, dem Kommissionsvorschlag zuzustimmen. Deutschlands Stimme war, wenn man sich die vorher von anderen Mitgliedstaaten mitgeteilten Positionierungen anschaut, entscheidend, der Kommissionsvorschlag hatte nun plötzlich die qualifizierte Mehrheit. Der offizielle Ratsbeschluss, der am Folgetag getroffen wurde, war dann nur noch eine Formsache. Deutschland will im Austausch mit der Kommission dafür erreicht haben, dass mögliche Änderungen am EU-Artenschutzrecht nur den Wolf betreffen, eine generelle Öffnung aber vermieden wird.
Der Beschluss wurde nun dem Sekretariat der Berner Konvention übermittelt. Deren ständiger Ausschuss tagt im Dezember. Mit dem vorliegenden Beschluss wird die EU-Kommission dort für alle EU-Mitgliedstaaten als Block abstimmen und dem Ansinnen somit eine Mehrheit verschaffen. Im Anschluss daran – oder vorbereitend bereits parallel – dürfte die EU-Kommission sich dran machen, die Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie abzuändern. Hier gilt es, über die Zusage von Ursula von der Leyen zu wachen, wonach sich Änderungen an der FFH-Richtlinie höchstens auf den Wolf beziehen dürfen. Rechtstechnisch dürfte es dafür verschiedene Wege geben. Allen gemein ist, dass die Kommission klar hinter dieser Vereinbarung stehen muss. Sie hat nämlich dann die Möglichkeit, einen Gesetzesvorschlag zurückzuziehen, sollte über das Ziel hinausgeschossen werden. Dies ist unter anderem deswegen wichtig, weil wir uns keine jahrelangen Debatten über die FFH-Richtlinie leisten können. Deren Ziele sind bei Weitem noch nicht erreicht.
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