Die Verjüngung der Rotbuche durch Absenker
Abstracts
Die Niederwaldwirtschaft und ihre Wiederbelebung aus Gründen des Naturschutzes sind Gegenstand verschiedener aktueller Studien. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die künftige Entwicklung durchgewachsener Niederwälder gelegt, die seit Langem nicht mehr auf traditionelle Art und Weise genutzt wurden. Im Bereich der nordwestdeutschen Höhenzüge Teutoburger Wald und Wiehengebirge finden sich durchgewachsene Rotbuchen-Niederwälder, die aufgrund ihres Reichtums an Habitatstrukturen (z. B. Stamm- und Mulmhöhlen, Rindentaschen, Wurzelhöhlen, Dendrotelme) einen wertvollen Lebensraum darstellen. Die Verjüngung dieser Rotbuchen-Niederwälder erfolgte einst über das Absenken von Buchengerten. Dieses fast vergessene Verjüngungsverfahren wird näher vorgestellt, sowohl in waldbaulicher als auch in forstgeschichtlicher und naturschutzfachlicher Hinsicht. Die Absenkerverjüngung der Rotbuche ist eine Methode, die den Wirtschaftsverhältnissen im bäuerlichen Kleinprivatwald des 19. Jahrhunderts sehr gut entsprach. Vereinzelt wurde sie bis ins späte 20. Jahrhundert hinein angewendet. Da sich die Buche in der heutigen Zeit auf den meisten Standorten problemlos natürlich verjüngt, erscheint eine Wiederbelebung der Absenkerverjüngung nur aus kulturhistorischen und naturschutzfachlichen Gründen gerechtfertigt. Im Erfolgsfall würde ein sehr bemerkenswertes waldbauliches Verfahren vor dem Vergessen bewahrt werden. Zugleich könnten regionaltypische Bestandesstrukturen für die Nachwelt und den Naturschutz erhalten bleiben sowie auch neu entwickelt werden.
The regeneration of European beech by layering: Silvicultural methods, history, and importance for nature conservation
Coppice forestry and its reactivation for reasons of nature conservation has been the subject of several recent studies. Particular attention has been given to the future management of overaged coppice stands that have not been used in the traditional way for a long time. Within the region of the northwest German hill ranges of Teutoburg Forest and Wiehengebirge, overaged European beech (Fagus sylvatica ) coppice stands occur that are characterized by diverse stand structures and valuable habitats (e.g., trunk and mould cavities, bark pockets, root hollows, dendrotelms). In the past, the regeneration of these stands was done by the layering of young beech trees or stems. This almost forgotten regeneration technique is presented in detail and discussed in the view of silviculture, forest history, and nature conservation. The layering of beech is a method that was well-adapted to the economic conditions of small private woodlands in the 19th century. Occasionally, this technique was used until the late 20th century. Nowadays, the natural regeneration of beech is possible without any difficulties at most sites. Therefore, the reactivation of the layering method seems reasonable only for reasons of nature conservation and cultural history. If successful, not only would a very remarkable silvicultural technique be kept from being forgotten, but typical forest stand structures would also be maintained and newly developed.
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1 Einleitung
Die Niederwaldwirtschaft und ihre Wiederbelebung aus Gründen des Naturschutzes sind Gegenstand verschiedener aktueller Studien. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die künftige Entwicklung durchgewachsener Niederwälder gelegt, die seit Langem nicht mehr auf traditionelle Art und Weise genutzt wurden (Doleket al. 2018,Helfrich&Konold2010,Made raet al. 2017,Müllerováet al. 2015,šipošet al. 2017,Suchomelet al. 2011,Unrauet al. 2018). Rotbuchen-Niederwälder stellen dabei eine forstliche und naturschutzfachliche Besonderheit dar, deren Vorkommen insbesondere an atlantische und niederschlagsreiche Klimaverhältnisse sowie an bäuerliche Waldnutzungsformen gebunden ist (Hoffmannet al. 2014,Manz1993,Pott1981,Schmithüsen1934,Suchomelet al. 2013). Vor allem im Bereich der nordwestdeutschen Höhenzüge Teutoburger Wald und Wiehengebirge finden sich noch zahlreiche durchgewachsene Rotbuchen-Niederwälder mit ihren vielfältigen Bestandesstrukturen (Abb. 1 bis 3). Sie kommen dort ausschließlich im Kleinprivatwald vor. Die Verjüngung dieser Rotbuchen-Niederwälder erfolgte vielfach über das Absenken von Buchengerten (Burckhardt1857,Dücker1870,IGTeuto 2012,Pott1985,Tiemeyeret al. 2012). Dieses fast vergessene Verjüngungsverfahren soll hier näher vorgestellt werden, sowohl aus waldbaulicher als auch aus geschichtlicher und naturschutzfachlicher Perspektive.
Die Höhenzüge von Teutoburger Wald und Wiehengebirge gehören zu den nordwestlichen Ausläufern des Weserberglands (Abb. 4), dort herrschen lösslehmbeeinflusste Standorte auf basenarmen bis basenreichen Grundgesteinen aus Jura und Kreide vor (Hesmer1958, NIBIS-Kartenserver 2014,Pollmann2000). Das atlantische Klima mit Jahresniederschlägen um 800 mm ermöglicht eine Bewirtschaftung der Rotbuche im Niederwaldbetrieb, die nur bei ausreichender Ozeanität des Klimas und einer Umtriebszeit von 30 Jahren und mehr für diese Betriebsart geeignet ist (Cotta1817, LANUV 2007,Pott1981,Suchomelet al. 2013). Durchgewachsene Rotbuchen-Niederwälder finden sich hier schwerpunktmäßig im südlichen Osnabrücker Land (Niedersachsen, Abb. 4), im westlich angrenzenden Tecklenburger Land sowie im östlich gelegenen Ravensberger Land (beide Nordrhein-Westfalen) (Hesmer1958,Mölder2016,Müller-Wille1980,Pott1985,Schnieders2002). In diesen westfälischen Gebietsteilen belief sich die Niederwaldfläche um das Jahr 1985 auf 7 000 bis 17 000 ha (Pott1985), aufgrund fehlender Inventuren im Kleinprivatwald können keine genaueren Angaben gemacht werden.
Das Ablegen von Buchengerten als regionale Technik zur Erziehung neuer Niederwaldstöcke mit ihren typischen Strukturen wurde jedoch seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet (Pott1981,Schniederbernd2010). Daher erscheint es sinnvoll zu diskutieren, ob und wie diese Technik zumindest auf Teilflächen wiederbelebt werden könnte.
2 Historische Entwicklung der Absenkerverjüngung
Seit der Zeit Alexanders der Großen (356–323 v. Chr.) kann die gezielte Verjüngung verschiedener Baum- und Staucharten durch Absenker belegt werden; hier sind insbesondere Feigen, Ölbäume, Granatapfel, Linden, Eichen, Erlen und Ahorne zu nennen (Cotta1817,Denso1765, Fuchs1824,Jacobi1770, Ostmann von der Leye1818). Mit Verweis aufPeterken (1981)undRackham (1976) betontPott(1985), dass das Verfahren offenbar verbreiteter war, als man bisher weiß. Die Absenkervermehrung nutzt die natürliche Befähigung vieler Baumarten zur Wurzelbildung bei vitalen Absenkern (Koop1987,Meyeret al. 2006), die auch bei der Rotbuche beobachtet werden kann (Vacek & Hejcman2012,Wedekind1838) (Abb. 5). Im Hinblick auf die gezielte Verjüngung der Buche durch Absenker finden sich neben dem hier vorgestellten Verfahren aus Teutoburger Wald und Wiehengebirge auch Belege von der dänischen Insel Fünen (Clauswitz1821), aus dem Weserbergland bei Polle (Anonymus1845), aus dem hessischen Hinterland (Wedekind1838) sowie aus dem heutigen Zollernalbkreis in Baden-Württemberg (Fischbach1887).
Im Bereich des Osnabrücker Landes scheint die Absenkervermehrung der Rotbuche um das Jahr 1760 eingeführt worden zu sein, namentlich von Jesuiten in der Nähe des Herrenhauses Gartlage bei Osnabrück (Ostmann von der Leye1818). In den Folgejahren breitete sich das Verfahren rasch aus und fand nicht nur im durch Markenteilungen entstandenen Kleinprivatwald, sondern auch in Gutswäldern und im Landeswald Anwendung. Hier ging es insbesondere darum, neu erworbene Waldbestände zügig in Hochwaldstrukturen zu überführen, was auch durch die Verpflanzung von Buchenabsenkern geschah. Im Kleinprivatwald wurde das Verfahren angewendet, um zur Brennholzgewinnung plenterartig genutzte Niederwaldbestände zu verjüngen (Burckhardt1857,Müller1835,Ostmann von der Leye1818). Neben der Rotbuche wurden auch Hainbuchen, Birken und Erlen durch Absenker verjüngt, sowohl im Wald als auch auf Landwehren (Grenzbefestigungen meist kleinerer Gebiete aus Wällen, Gräben und Buschwerk;Kneppe2014) und Wallhecken (Anonymus1845,Müller1835,Sprengel1834).
Vor allem im späten 18. Jahrhundert wurden zuvor markgenossenschaftlich genutzte Wälder privatisiert und aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit in Hunderte von kleinen Waldparzellen aufgeteilt, deren Ausformung und Größe für eine rationelle Waldbewirtschaftung bis heute sehr hinderlich sind. Angesichts dieser „aufs Äußerste getriebenen Waldzersplitterung“ spricht Heinrich Burckhardt (1811–1879) 1876 in drastischen Worten von einer „Missgeburt von Forsten“. Daneben war es dem Staat im Zuge der Markenteilungen allerdings möglich, seinen Waldbesitz zu vergrößern und sinnvoll zu arrondieren (Burckhardt1876,Dücker1870,Klöntrup1783,Mölder2016).
Jeder Bauer, der bei den Markenteilungen mit Forstgrund abgefunden worden war, nannte im frühen 19. Jahrhundert verstreut liegende Waldparzellen sein Eigen (Burckhardt1876,Dücker1870). Nun bestand die Notwendigkeit, aus diesen Beständen dauerhaft Brennholz beziehen zu können, zugleich für Baumnachwuchs zu sorgen sowie die Waldweide bis zu deren Ablösung zu gestatten. Das regelmäßig wiederkehrende „Ausplentern von Stangen in Beständen von niederwaldartigem Charakter“ (Burckhardt1857) wurde, wie auch die Absenkervermehrung der Rotbuche, populär. In Teutoburger Wald und Wiehengebirge bildete sich eine unregelmäßige Niederwaldwirtschaft heraus, die mit übergehaltenen Eichen zur Bauholzerzeugung mitunter Mittelwaldcharakter aufwies (Burckhardt1857,Hesmer1958,Müller1835,Müller-Wille1980,Ostmann von der Leye1818,Pott1985).
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es zur Ausprägung sehr verschiedener Strukturen sowohl in der Waldbewirtschaftung als auch in den Waldbeständen selbst: Während im Staatswald die moderne und planmäßige Hochwaldwirtschaft Einzug hielt, entstand im bäuerlichen Kleinprivatwald eine dauerhaft hohe Vielfalt an Betriebsarten, Bewirtschaftungsintensitäten und Baumarten (Herzog1938, Mölder2016, Mölder & Tiemeyer2017). Noch in den 1920er Jahren standen im südlichen Osnabrücker Land bis zu 30 % der Waldfläche im Niederwaldbetrieb (Hesmer1937). Nach dem Zweiten Weltkrieg, als preisgünstige fossile Energieträger die Brennholznutzung verdrängten, wurden viele Niederwälder in Richtung eines Laubholz-Hochwaldes entwickelt oder in Nadelholzbestände umgewandelt. Dennoch haben etliche ehemals im Niederwaldbetrieb bewirtschaftete Bestände mit ihren markanten Strukturen bis heute überdauert (IG Teuto 2012, Mölder & Tiemeyer2017,Tiemeyeret al. 2012).Pott(1985) konnte zuletzt 1980 am Kleinen Berg, der im südlichen Osnabrücker Land dem Hauptzug des Teutoburger Waldes vorgelagert ist, die Verjüngung der Rotbuche durch Absenker beobachten (Abb. 6).
3 Waldbauliches Verfahren
Sowohl Florenz Conrad Ostmann von der Leye (1766–1831) als auch Heinrich Burckhardt (Burckhardt1857, Ostmann von der Leye1818) berichten detailliert über das im Osnabrücker Raum praktizierte Verfahren bei der Absenkervermehrung der Rotbuche. Burckhardt bezieht sich auf das praktische Wissen des Forstmeisters Carl Friedrich Wilhelm Wehrkamp, dem damaligen Leiter der Forstinspektion Palsterkamp, und gibt diese Verfahrenshinweise:
1. Die Streuschicht wird entfernt, so dass die oberste Humusschicht zutage liegt.
2. Eine Buchengerte (Durchmesser ca. 2,5 bis max. 7 cm) mit kräftigen Seiten- und Höhentrieben wird ausgewählt, vorzugsweise aus Kernwuchs, alternativ aus Stockausschlag oder früheren Absenkern.
3. Die Gerte wird niedergebogen und so nahe wie möglich an den Erdboden gedrückt. Es erfolgt eine Fixierung durch Grassoden o. Ä. oder hölzerne Haken (etwa 45–70 cm lang und 2,5–5 cm dick).
4. Dickere und schwer zu biegende Gerten werden durch einen ca. 2,5–3,5 cm tiefen Einhieb an der oberen Seite der Biegestelle zum Niederbiegen gezwungen. Diese Stelle wird mit Grassoden belegt, um sie vor Nässe und Luftzutritt zu schützen.
5. Die umgebogenen Gerten werden dort, wo sie den Boden berühren, mit ca. 15 cm dicken Grassoden o. Ä. belegt. Die Zweige werden auf dem Waldboden gleichmäßig ausgebreitet, störende Zeige dabei entfernt.
6. Die ausgebreiteten Zweige werden mit einer ca. 15 cm dicken Schicht aus Erde und Grassoden bedeckt, wobei die Zweigspitzen nach oben gebogen und mittels auf- und untergelegter Soden in dieser Lage fixiert werden.
7. Die ca. 45–60 cm langen letztjährigen Triebe sind die besten Ableger, diese sollten ca. 30–45 cm frei aus der Bedeckung herausragen.
Es ist sehr wichtig, dass die Biegestellen der Zweige in frischem Erdreich liegen, da dort die Wurzelbildung stattfindet. Die Niederlegung der Zweige in kleine Gräben ist nicht ratsam, weil der dort Oberboden weniger humos ist. Die besten Jahreszeiten für das Ablegen von Buchen sind Frühling und Herbst, grundsätzlich kann jedoch auch im Sommer und an frostfreien Wintertagen abgelegt werden. Nicht ratsam ist ein Ablegen in der Zeit um den Johannistag (24. Juni), da junge Buchentriebe zu dieser Zeit stark im Saft stehen, besonders empfindlich gegen Beschädigung sind und zu einer Ablösung der Rinde an der Biegestelle neigen, was die Wurzelbildung beeinträchtigt.
Schon bald nach dem Ablegen bilden sich an der Biegestelle der aufgerichteten Zweige erste Wurzeln, die bereits im ersten Jahr eine Länge von ca. 7–12 cm erreichen können. Humusreicher Boden und feuchte Witterung sind hier sehr förderlich. Im zweiten Jahr vermehrt sich die Wurzelbildung beträchtlich, die Absenkergerte mit ihren Zweigen darf in ihrer Lage allerdings nicht gestört werden und Verbiss muss verhindert werden. Oft schon im dritten, normalerweise aber im vierten Jahr ist die Wurzelbildung so weit fortgeschritten, dass die Absenker als Rameten (selbstständig lebensfähige „Klongeschwister“) durch einen Spatenstich von der Muttergerte getrennt und auch verpflanzt werden können (Abb. 7).
Gemäß dieser Verfahrensbeschreibung inBurckhardt(1857) wurde im Juli 2018 eine Buchengerte aus Kernwuchs zu Versuchs- und Anschauungszwecken abgesenkt (Abb. 8). Verortet ist dieses Experiment am Großen Kellenberg im Wiehengebirge bei Melle-Markendorf, wo im Kleinprivatwald ein Buchen-Eschen-Mischbestand auf einer Braunerde aus tiefgründigem Lösslehm stockt (NIBIS-Kartenserver 2014). Die Waldgesellschaft ist als Waldmeister-Buchenwald anzusprechen. NachOstman von der Leye(1818) eignen sich die Standorte am Kellenberg sehr gut für die Absenkervermehrung der Rotbuche, da sie dort hervorragend gedeiht. Das Niederbiegen der Buchengerte war problemlos möglich, an keiner Biegestelle kam es zur Ablösung der Rinde. Die weitere Entwicklung sowohl der abgesenkten Buchengerte als auch der potenziellen Ableger soll in den kommenden Jahren beobachtet werden. Die Anlage eines größeren Versuchs zur Absenkervermehrung der Rotbuche wird angestrebt.
4 Waldbauliche Bewertung
SowohlOstmann von der Leye(1818) als auchBurckhardt(1857) bewerten die Absenkerverjüngung der Rotbuche in einem sozioökonomischen Kontext, der die Wirtschaftsverhältnisse der Landbevölkerung im Osnabrücker Land und im angrenzenden Westfalen berücksichtigt. Beide Autoren stellen die Möglichkeit heraus, in Beständen mit intensiver Brennholzgewinnung und Streunutzung für eine rasche und vor allem kostengünstige Verjüngung der Rotbuche zu sorgen. So konnte das Ablegen der Buchengerten in solchen Zeiten des Jahres durchgeführt werden, die in der Landwirtschaft weniger arbeitsintensiv waren. Auch waren die aus Absenkern entstandenen Jungbäume relativ schnell den Mäulern des Weideviehs entwachsen, das ein Aufkommen von Kernwüchsen nahezu unmöglich machte. Zudem waren keine Geldmittel für den Ankauf von verschulten Heistern oder die Anlage von Pflanzkämpen vonnöten. Dem Anbau solcher Baumarten, die für den Niederwaldbetrieb besser geeignet sind, stand die Macht der Tradition (vgl.Szabó & Hédl2013) entgegen – die Bauern waren nur sehr schwer davon zu überzeugen, ihre Gewohnheiten bei der Waldbewirtschaftung zu ändern (Ostmann von der Leye1818). Der ansonsten kritischeBurckhardt(1857) resümiert schließlich, dass die Absenkerverjüngung der Rotbuche an vielen Orten der regionalen Waldwirtschaft genützt und viel zur Erhaltung dieser Baumart beigetragen habe.
Bei vergleichenden Untersuchungen zum Holzertrag kommtBurckhardt(1857) zu dem Ergebnis, dass Absenker und Stockausschläge in einem mittleren Baumalter von etwa 50 Jahren im Vergleich zu Kernwüchsen merklich im Dickenwachstum nachlassen, wenn auch keine Unterschiede im Höhenwachstum feststellbar sind. Bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass Buchen-Absenkerstämme, obwohl sie im Vergleich zu Kernwüchsen häufiger blühen und Samenkapseln tragen, zumeist nur tauben Samen hervorbringen. Bei einer Nutzung von jüngeren Buchen als Brennholz fallen diese Effekte zwar nicht ins Gewicht, doch aus Sicht der modernen Forstwirtschaft erscheint der verstärkte Übergang zur Pflanzung von Kernwüchsen verständlich.Burckhardt(1857) betont, dass zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Verfügbarkeit von geeignetem Pflanzmaterial zunehmend besser wurde, auch für Besitzer von Kleinprivatwald. Zudem sei der Anwuchserfolg von verpflanzten Kernwüchsen besser als derjenige von versetzten Absenkerpflanzen. Dies kann insbesondere mit dem unvollkommenen Wurzelbau der Absenkerpflanzen erklärt werden, denn statt einer Herzwurzel bilden sie eher seitlich ansitzende Wurzelstränge (Abb. 7). Darüber hinaus haben Absenkerpflanzen im Hinblick auf den Niederwaldbetrieb ein deutlich geringeres Ausschlagvermögen als Kernwüchse (Burckhardt1857).
5 Naturschutzfachliche Bewertung
Aus Naturschutzsicht stellen die von Rotbuchen dominierten, heute durchgewachsenen Niederwälder in Teutoburger Wald und Wiehengebirge aufgrund ihres Reichtums an Habitatstrukturen und ihrer langen Lebensraumkontinuität einen besonders wertvollen Lebensraum dar. Dabei reicht die Bewirtschaftungsintensität von Beständen mit regelmäßigen Hauungen bis hin zu Beständen, in denen seit Jahrzehnten keine Holznutzung mehr stattgefunden hat (IG Teuto 2012, Mölder & Tiemeyer2017, Tiemeyeret al. 2012). Auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands sind im Hinblick auf die westlichen Mittelgebirge sowohl traditionell genutzte als auch durchwachsende Niederwälder als stark gefährdet eingestuft, und zwar mit einer abnehmenden aktuellen Entwicklungstendenz (Fincket al. 2017).
Die Niederwaldstöcke, aus denen mitunter schon mehrere Generationen an Stockausschlägen entwachsen sind, können Alter von vermutlich mehr als 200 Jahren erreichen und sind damit Zeiger einer langen Lebensraumkontinuität. Insbesondere die Absenkervermehrung der Buche führte zur Entwicklung von langgestreckten, strukturreichen und mitunter sehr langlebigen Wurzelstöcken (Pott1981,1985; Tiemeyeret al. 2012) (Abb. 3). In Verbindung mit Habitatbäumen, die aus Stockausschlägen hervorgegangen sind, weisen diese strukturreichen Niederwaldstöcke eine Vielfalt an Mikrohabitaten wie Mulmhöhlen, Rindentaschen, Wurzelhöhlen und Dendrotelme („Wassertöpfe“) auf (Abb. 2, 3, 9). Diese können einer großen Zahl von Tieren und Pflanzen als Lebensraum dienen, insbesondere Käfern, Schnecken, Moosen und Pilzen mit einer Spezialisierung auf Alt- und Totholz (Fuller & Warren1993,Lassauceet al. 2012,Made raet al. 2017,Martens-Escher & Wehr2017). Als beispielhafte sapropyhtische Pilzart, die im Teutoburger Wald an durchgewachsene Niederwälder gebunden ist, kann der Buchen-Schleimrübling ( Oudemansiella mucida ) gelten.Martens-Escher & Wehr(2017) führen an, dass durchgewachsene Niederwälder mit ihrem mehrschichtigen und strukturreichen Bestandesaufbau ein bevorzugtes Jagdgebiet der Bechsteinfledermaus ( Myotis bechsteinii ) darstellen. Darüber hinaus zeichnen sich die Niederwälder durch eine typische und artenreiche Krautschichtvegetation aus, vor allem auf solchen Standorten im Teutoburger Wald, die von Kalkstein mit überlagerndem Lösslehm geprägt sind (Pollmann2000, Pott1981). Als Besonderheit können einige Niederwälder dem Kalkbuchenwald trockener Standorte (Carici-Fagetum) zugeordnet werden, typische Pflanzenarten sind Weißes Waldvöglein ( Cephalanthera damasonium ), Raues Veilchen ( Viola hirta ), Echte Schlüsselblume ( Primula veris ) und Vogel-Nestwurz ( Neottia nidus-avis ) (Pollmann2000).Insgesamt besteht in Teutoburger Wald und Wiehengebirge jedoch noch Forschungsbedarf im Hinblick auf die genaue Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften in durchgewachsenen Niederwäldern.
Heute sind die meisten Niederwaldstöcke überaltert und haben die Fähigkeit zur Bildung vitaler Stockausschläge und Absenker verloren. Zudem ist die Waldverjüngung durch Pflanzung und Naturverjüngung in allen Waldbesitzarten fest etabliert. Angesichts dieser Entwicklungen ist davon auszugehen, dass die letzten noch verbliebenen durchgewachsenen Niederwälder künftig ebenfalls zu Hochwäldern umgebaut werden, auch angesichts einer steigenden Energieholznachfrage (IG Teuto 2012, Mölder & Tiemeyer2017, Pott1981). Aktuell sind sogar vollständige Abtriebe von durchgewachsenem Buchen-Niederwald mit anschließender Bestandesneubegründung zu beobachten, beispielsweise am Großen Kellenberg im Wiehengebirge. Allerdings sollten im Zuge der kleinflächigen Privatwaldwirtschaft Niederwaldstrukturen zumindest auf Teilflächen erhalten und neu entwickelt werden (Mölder & Tiemeyer2017) – so auch in den FFH-Gebieten des Teutoburger Waldes, die große Waldbereiche mit alten Niederwäldern umfassen. Im Hinblick auf das FFH-Gebiet 69 „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ im südlichen Osnabrücker Land sehen Schutzzweck und Erhaltungsziele die Erhaltung, Förderung und Entwicklung der historischen Niederwaldnutzung vor (Landkreis Osnabrück 2017,Martens-Escher & Wehr2017). Auch für den Naturtourismus haben die Niederwaldbestände mit ihren abwechslungsreichen und oft bizarr wirkenden Wuchsformen eine große Bedeutung. Beispielsweise wirbt der Natur- und Geopark TERRA.vita gezielt für Wanderungen durch die „verwunschen wirkenden“ Niederwaldgebiete des Teutoburger Waldes, denen „die häufig bizarr geformten Rotbuchen“ ein „urtümliches Aussehen“ verleihen (Schnieders2002).
Da die erfolgreiche Naturverjüngung der Buche in der heutigen Zeit auf den allermeisten Standorten problemlos möglich ist, erscheint die Wiederbelebung der Absenkerverjüngung nur aus kulturhistorischen und naturschutzfachlichen Gründen gerechtfertigt. Die Anwendung des Vertragsnaturschutzes als finanzielles Förderinstrument kann hier zielführend sein, wenn mittel- (10–30 Jahre) bis langfristige (> 30 Jahre) Vertragslaufzeiten vereinbart werden (Demant2018). Im Erfolgsfall würde einerseits ein sehr bemerkenswertes waldbauliches Verfahren vor dem Vergessen bewahrt werden. Andererseits könnten regionaltypische Bestandesstrukturen für die Nachwelt und den Naturschutz erhalten bleiben sowie auch neu entwickelt werden. Hier sind insbesondere die ausgedehnten und langlebigen sowie struktur- und totholzreichen Niederwaldstöcke zu nennen, die aus den oben genannten Gründen eine hohe naturschutzfachliche Bedeutung besitzen. Aus forstgenetischer Sicht wäre in diesem Zusammenhang die Beantwortung der Frage interessant, wie sich die genetische Struktur von durchgewachsenen Buchen-Niederwäldern darstellt und ob das Absenkerverfahren zur genetischen Vereinheitlichung einzelner Bestände geführt hat. Auch die Kenntnis des tatsächlichen Alters einzelner Rameten (Absenkerpflanzen) wäre von großem Interesse (vgl.Cook1983,Valbuena-Carabañaet al. 2008). Im Hinblick auf die Habitatkontinuität kann davon ausgegangen werden, dass Waldbereiche mit durchgewachsenem Buchen-Niederwald eine jahrhundertelange Buchenwaldtradition aufweisen (Hesmer & Schroeder1963).
Dass die Reaktivierung der historischen Niederwaldnutzung unter den heutigen sozioökonomischen und natürlichen Rahmenbedingungen jedoch sehr schwierig ist, zeigen entsprechende Untersuchungen im Teutoburger Wald bei Lengerich (Westf.). Insbesondere die Überalterung der verbliebenen Niederwaldbestände lässt die Neubildung vitaler Stockausschläge als unwahrscheinlich erscheinen (Schniederbernd2010) und schließt die Absenkerverjüngung gänzlich aus. Im Zuge einer möglichen Reaktivierung der Niederwaldnutzung auf ausgewählten Flächen erscheint es daher sinnvoll, neue Niederwaldstöcke vor allem aus kräftigen Kernwüchsen zu erziehen. Zur Neubegründung von Buchen-Niederwäldern in Nordhessen regenHoffmannet al. (2014) Büschelpflanzungen an, bei denen mehrere Buchenheister in ein Pflanzloch gesetzt werden. Um die Lebensraumkontinuität zu sichern, sollten sich diese Verjüngungsflächen im unmittelbaren Umfeld bestehender Niederwaldbestände befinden, deren Strukturen entsprechend lange erhalten werden sollten (Hoffmannet al. 2014). Darüber hinaus wäre es aus den genannten Gründen sinnvoll, einzelne Kernwüchse nach dem beschriebenen Verfahren abzusenken und zu vermehren.
Unter den heutigen Umweltbedingungen erscheint der Erfolg dieser Maßnahmen im Hinblick auf die Wiederherstellung der typischen Waldlebensgemeinschaften in Niederwäldern jedoch unsicher (Schniederbernd2010). Insbesondere die südlichen Kammlagen des Teutoburger Waldes sind einer starken Stickstoffdeposition (bis zu 33 kg N pro Jahr und Hektar, UBA 2015) ausgesetzt, vor allem aus der Intensivlandwirtschaft im westfälisch-südoldenburgischen Raum (Lethmate2005,Lorzet al. 2010). Die für Wälder kritische Belastungsgrenze („critical load“) von ca. 10 bis 20 kg N-Eintrag pro Jahr und Hektar (Bobbink & Hettelingh2011) wird hier bei Weitem überschritten, hinzu kommen Stäube aus der Kalkstein verarbeitenden Industrie. Diese Eutrophierung vormals ärmerer Standorte führt zu Artverschiebungen in der Krautschicht (Lethmate2005, Mölder & Schmidt2006) und bei einer Auflockerung des Kronendaches zur raschen Entwicklung von Nitrophyten-Dominanzbeständen mit Himbeere ( Rubus idaeus ), Weidenröschen ( Epilobium angustifolium ), Brennnessel ( Urtica dioica ), Knoblauchsrauke ( Alliaria petiolata ) oder auch Drüsigem Springkraut ( Impatiens glandulifera ). Auf den Versuchsflächen zur Niederwaldreaktivierung bei Lengerich (Westf.) kam es zu einer starken Ausbreitung von Landreitgras ( Calamagrostis epigejos ) und Waldrebe ( Clematis vitalba ) (Schniederbernd2010). Weitere wissenschaftliche Forschungsarbeiten sollten sich daher dieser Probleme annehmen, um Lösungen für die Praxis zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Frage nach erfolgversprechenden Standorten für die Reaktivierung der Niederwaldwirtschaft. Ob sich diesbezüglich beispielsweise die Verhältnisse im Wiehengebirge besser eignen, sollte Gegenstand von Untersuchungen sein, wobei aber auch dort Stickstoffdepositionen von bis zu 28 kg N pro Jahr und Hektar (UBA 2015) zu verzeichnen sind.
Dank
Wir danken Dr. Marcus Schmidt (Göttingen) für die Durchsicht einer früheren Version des Manuskripts und Prof. Dr. Richard Pott (Hannover) für die Bereitstellung eines Diascans.
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.
Fazit für die Praxis
- Durchgewachsene Rotbuchen-Niederwälder stellen aufgrund ihres Reichtums an Habitatstrukturen einen wertvollen Lebensraum dar.
- Die Absenkerverjüngung der Rotbuche war einst regional bedeutsam und entsprach sehr gut den Wirtschaftsverhältnissen im bäuerlichen Kleinprivatwald. Ihre Wiederbelebung erscheint aus kulturhistorischen und naturschutzfachlichen Gründen gerechtfertigt.
- Regionaltypische und vielfältige Bestandesstrukturen sollten durch die Wiederbelebung der Absenkerverjüngung für die Nachwelt und den Naturschutz erhalten bleiben und neu entwickelt werden.
- Die heutigen Umweltbedingungen, insbesondere starke Stickstoffeinträge, erschweren die Wiederbelebung der Niederwaldwirtschaft. Daher ist die Konzentration entsprechender Maßnahmen und Mittel auf die Sicherung der Lebensraumkontinuität im Bereich naturschutzfachlich herausragender Niederwaldbestände zielführend.
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