Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Erfolgsfaktoren, Hemmnisse und Lösungsansätze

Erhalt und Weiterentwicklung des Streuobstbaus in Baden-Württemberg

Eingereicht am 20. 04. 2020, angenommen am 19. 08. 2020

Abstracts

Streuobstbestände erreichen eine potenziell so artenreiche Flora und Fauna wie kaum ein anderes Agrarökosystem in Deutschland. Baden-Württemberg als „Streuobst-Land“ ist besonders in der Verantwortung, diese Kulturlandschaft und den mit ihr verbundenen Artenreichtum zu bewahren. Über den Erhalt des Streuobstbaus wurde in den letzten Jahrzehnten viel diskutiert, und diverse Konzepte, Projekte und Initiativen wurden entwickelt und umgesetzt. Ein systematischer Überblick über diese Ansätze und ihre Wirkungen fehlt jedoch bislang. In Interviews mit Experten wurden deshalb Ansätze, Managementkonzepte und Konflikte in der Interessengemeinschaft für den Streuobsterhalt dahingehend erforscht, welche Faktoren erfolgsfördernd oder hemmend wirken. Die Ergebnisse zeigen, dass die Unwirtschaftlichkeit des Streuobstbaus für das größte Hemmnis gehalten wird. Wenn genügend motivierte Akteure vor Ort an der Umsetzung von Aktivitäten zum Streuobsterhalt beteiligt sind und einen sichtbaren Nutzen aus ihrer Arbeit ziehen, sind sie dennoch erfolgreich. Die große räumliche Ausdehnung der Streuobstflächen und ihre heterogenen Strukturen wirken, aufgrund des damit verbundenen hohen Organisationsaufwandes, hemmend auf Erhaltungsinitiativen. Für den Streuobsterhalt braucht es in Zukunft einerseits mehr Einzelpersonen, die sich in ihrer Freizeit mit den Flächen beschäftigen, und andererseits Lösungen, die einzelne Menschen befähigen, berufsmäßig und wirtschaftlich tragfähig Streuobstbau im großen Stil zu betreiben.

Maintenance and development of traditional orchards in Baden-Württemberg – Success factors, constraints, and solutions

Over the last 30 years, many discussions have taken place on the preservation of traditional orchards (Streuobst). Traditional orchards potentially achieve such a rich flora and fauna as hardly any other agroecosystem in Germany. Baden-Württemberg, as “federal state of Streuobst” with 50 % of German stocks, is particularly responsible for the maintenance and development of this cultural landscape and the related species richness. Many private initiatives have developed concepts for sustainable Streuobst cultivation and management; however, a systematic overview on these activities is lacking. A good understanding of Streuobst managers is essential for their successful management and development. Thus, for the present study we interviewed experts who have a deep insight into the community of Streuobst protagonists, to investigate approaches, management concepts, and conflicts in the community of interest, as well as inhibiting and promoting factors. Results show that the main inhibiting factor is the lack of economic profitability. However, when enough motivated people are involved and consider profit in a wider sense than just economics, initiatives are successful in maintaining Streuobst at a local scale. However, at a regional scale the stocks are too large to be managed by private initiatives. Thus, more people are needed to manage Streuobst as a leisure activity; but, in addition, professional structures must be established which enable individuals to manage Streuobst in an economically profitable way on a larger scale.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Abb. 1: Modell zu Gemeinschaftskapital-Formen und ihrer Wirkung auf das sozialökologische System
Abb. 1: Modell zu Gemeinschaftskapital-Formen und ihrer Wirkung auf das sozialökologische SystemMaier et al
Artikel teilen:

1 Einleitung

Streuobstbestände gehören zu den am stärksten gefährdeten Biotoptypen Deutschlands (Rieckenet al. 2006). Über ihre artenreiche Flora und Fauna gibt es zahlreiche Studien (unter anderem Deuschle 2000, Hölzinger 1997, Rieger 2008), und so wird seit mehr als 30 Jahren über den Erhalt dieser Agrarökosysteme gesprochen und geschrieben (unter anderem von F. Weller: Welleret. al 1986 bisWeller2014). In Baden-Württemberg stehen nach der Obstbaumerhebung 2018 noch etwa 7,1 Millionen Bäume, verbreitet auf ca. 89.000 ha (Borngräberet al. 2020). Die Fläche geht hier, wie in allen anderen Bundesländern, seit den 1950er Jahren dramatisch zurück – bisher um mehr als zwei Drittel (Borngräberet al. 2020). Über die Gründe hierfür wird ebenso viel diskutiert wie über die Notwendigkeit, die Streuobstbestände flächenmäßig und qualitativ zu erhalten. Die Argumente des Naturschutzes stehen dabei im Mittelpunkt (Rösler1996). Um den Erhalt zu sichern, reicht es jedoch nicht aus, die Bestände und die Folgen ihres Verlusts ökologisch zu beschreiben. Streuobstflächen sind Agrarökosysteme und damit darauf angewiesen, dass Menschen sie bewirtschaften. Es gibt jedoch kaum Veröffentlichungen, die Erkenntnisse darüber zusammentragen, wer die Menschen im Streuobstbau sind. Welche Ansätze, Interessen und Ziele verfolgen sie, was motiviert sie, was hemmt sie? Ob und wie verschiedene Ansätze erfolgreich zum Erhalt des Streuobstbaus beitragen und wie „Erfolg“ überhaupt zu definieren ist, ist unbekannt. Ziel des Aufsatzes ist es deshalb, die Ansätze sowie Erfolgsfaktoren und Hemmnisse zusammenzutragen und strukturiert darzustellen sowie Strategien zum erfolgreichen Erhalt und zur Entwicklung von Streuobstwiesen aufzuzeigen.

2 Streuobstbau: Definition und Bedeutung

Der Begriff Streuobst wurde von Ullrich (1975) aus der Sicht des Naturschutzes geprägt. Die Geschichte des (so nicht benannten) Streuobstbaus als Landnutzung reicht in Südwestdeutschland bis ins 18. Jahrhundert zurück (Adam 2002). Es ist wichtig zu verstehen, dass das heutige Kulturgut über die Jahre und je nach Standort unterschiedliche Funktionen hatte, also aus verschiedenen Motivationen heraus bewirtschaftet oder aufgegeben wurde (Adam 2002, Bielinget al. 2013, Plieninger 2012). Daher ist es heute nicht trivial, eine einheitliche Definition zu finden, denn die Bewirtschaftungsformen sind divers und eine allzu eng gefasste Definition schließt Akteure aus den Untersuchungen aus. Gerade die Unterschiede im Streuobst-Management können aber dazu dienen, Strategien für den Erhalt zu entwickeln, weshalb Streuobstbau hier als kleinster gemeinsamer Nenner aus Sicht der Bewirtschafter definiert wird: Streuobstbau ist der Anbau verschiedener Obstarten oder -sorten durch mehrheitlich großkronige Bäume verschiedener Stammhöhen, die bis in ein hohes Alter stabil und ertragsfähig sind und dabei keine regelmäßige intensive Behandlung mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln benötigen. Der Unterwuchs von einigen Flächen wird landwirtschaftlich veredelt (zum Beispiel durch Rinder oder Schafe), auf anderen Flächen wird das Gras gemulcht. Streuobstbau hat das Potenzial, Flächen von hohem ökologischem Wert hervorzubringen – sowohl durch artenreiche Wiesenvegetation als auch durch Kleinstrukturen, wie zum Beispiel Trockenmauern, Feldraine oder Totholz (Höll & Breunig 1995, S. 233f und 238).

Viele Tierarten besitzen ihren Verbreitungsschwerpunkt in Streuobstwiesen oder sind auf diese angewiesen, weil ihre ursprünglichen Lebensräume fehlen (Höll&Breunig1995, S. 238). Vor allem zu spezialisierten Vogelarten in Streuobstwiesen wird seit Jahrzehnten geforscht (Ullrich1975, 1987). Schmiederet al. (2015) führten umfangreiche Forschungsarbeiten zu den Habitatbedingungen unterschiedlich bewirtschafteter Streuobstwiesen für die ameisenfressenden Spechtvogelarten Wendehals und Grauspecht durch. Innerhalb des „LIFE+“-Projektes „Vogelschutz in Streuobstwiesen im IBA (Important Bird Area – UNESCO) BW 046 Vorland der Mittleren Schwäbisches Alb“ wurde ein Leitbild für spezifische Vogelarten der Streuobstwiesen entwickelt (LIFE+ 2014).

Einen weitreichenden Überblick über die Artenvielfalt in Streuobstwiesen geben Schuboth & Krummhaar (2019). Neben Tierarten sind die Streuobstwiesen auch Rückzugsorte für viele krautige Pflanzenarten, die in den überdüngten Grünlandflächen der konventionellen Landwirtschaft verschwunden sind. So sind die FFH-Lebensraumtypen Magere Flachlandmähwiesen und Magere Bergwiesen eng verknüpft mit Streuobstwiesen.

3 Management von Streuobst als sozialökologisches System

Einzelne landschaftsökologische Studien rekonstruieren den Wandel der Kulturlandschaft, die in Südwestdeutschland in den letzten beiden Jahrhunderten an vielen Orten maßgeblich durch Streuobstbau geprägt war (zum Beispiel Benderet al. 2005, Bielinget al. 2013, Plieninger 2012). Dabei werden meist historische und aktuelle Grundstückskataster und Landkarten verwendet, um Landnutzungsänderungen aufzuzeigen. In einer Verknüpfung mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen setzen diese Studien die Ergebnisse in Bezug zu sozioökonomischen Faktoren, um Mensch-Umwelt-Interaktionen in Agrarökosystemen aufzuzeigen. Hieraus ergeben sich Erkenntnisse zu Einflussfaktoren und Kausalzusammenhängen im Streuobsterhalt.

Ostrombezeichnete Ökosysteme, die in der Verbindung von Naturraum und menschlichem Handeln unter Einfluss sozioökonomischer Triebkräfte stehen, als „sozialökologische Systeme“ (Ostrom 2012). Die Wirkmechanismen in diesen Systemen sind komplex, denn die großräumigen sozioökonomischen Triebkräfte wirken sich auf lokaler Ebene divers aus, weil die Charakteristika der Naturräume und des individuellen menschlichen Handelns sie sozusagen in ein lokales Wirkungsspektrum zerlegen (Bielinget al. 2013, S. 201 f). Es scheint also für den Erhalt des Streuobstbaus nicht zielführend, allgemeingültige sozioökonomische Einflussfaktoren zu identifizieren. Daraus ergibt sich die Frage, wie überhaupt gezielt auf den Streuobsterhalt eingewirkt werden kann. Um dieses Dilemma zu lösen, wird im Folgenden auf ein Modell zu Formen von Gemeinschaftskapital zurückgegriffen (Flora 2001, Kapitel 1).

Flora (2001) verwendet den Begriff Kapital im Zusammenhang mit Landnutzung, um Interaktionen von Menschen mit ihrem Agrarökosystem zu analysieren. Dieser Ansatz kann auf den Streuobstbau angewandt werden. Kapital ist dann die Gesamtheit der Ressourcen, die investiert werden können, um Nutzen für den Streuobsterhalt – auch solchen ohne monetären Gegenwert – zu generieren. Streuobstbau wird also nicht als isolierte Landnutzungspraxis einzelner Bewirtschafter analysiert, sondern als umfassendes sozialökologisches System, das naturräumliche Faktoren genauso einschließt wie Akteure entlang der kompletten Wertschöpfungskette.

Abb. 1 verbildlicht das Modell. Die Symbole stehen für die verschiedenen Formen von Gemeinschaftskapital (Definitionen angelehnt an Emery & Flora 2006, Flora2001):

s Humankapital (Gehirn) umfasst Wissen und Fähigkeiten von Personen und ermöglicht ihnen, Ressourcen zu erschließen und das sozialökologische System proaktiv zu gestalten.

s Sozialkapital (Netzwerk) betrifft die Beziehungen von Personen und Organisationen sowie die Verteilung von Verantwortlichkeit. Dazu gehören Einsatz, „Wir-Gefühl“ und Kooperation, die gebraucht werden, um Pläne zu verwirklichen.

s Finanzkapital (Sparschwein) ist die Gesamtheit der finanziellen Ressourcen, die in der Gemeinschaft für die Landnutzung zur Verfügung stehen.

s Naturkapital (Baum) umfasst in diesem Zusammenhang weit mehr als die wirtschaftlich nutzbaren natürlichen Ressourcen. Es zählen die naturräumlichen und klimatischen Bedingungen ebenso dazu wie Biodiversität und Schönheit der Landschaft.

Alle Kapitalformen haben Einfluss auf die heutige Verfassung und die Zukunftsfähigkeit des Streuobstbaus. Einerseits sind die Formen des Kapitals eine Art Erbe aus der lokalen Vergangenheit. Andererseits beeinflussen die Menschen, die jetzt vor Ort leben – ihre Beziehungen untereinander, der Einsatz ihres Finanzkapitals und ihr Handeln in der natürlichen Umwelt – auf dynamische und sich wechselseitig beeinflussende Weise die Entwicklung des sozialökologischen Systems. Das Konzept eröffnet einen holistischen, integrativen Blick auf die Bilanzierung des aktuellen Zustandes des Streuobstbaus und erlaubt es gleichzeitig, Handlungsstrategien zu seiner Erhaltung aufzuzeigen. Obwohl die Wirkung von sozioökonomischen Triebkräften pfadabhängig und divers ist, ist anzunehmen, dass systematisch, aktiv und erfolgreich auf den Streuobsterhalt eingewirkt werden kann. Oder weniger kompliziert ausgedrückt: Erfolgreicher Streuobsterhalt ist kein Zufall.

Erfolgreich sind Aktivitäten immer dann, wenn sie für mindestens eine der vier Kapitalformen positive Wirkungen hervorrufen. Das bedeutet, dass nicht nur eine Ausweitung der Streuobstflächen (Naturkapital) oder eine Erhöhung der Fördermittel (Finanzkapital) als Erfolg gewertet wird. Auch eine Stärkung des „Wir-Gefühls“ unter den Akteuren (Sozialkapital) oder die Erhöhung der fachlichen Kompetenz der Bewirtschafter (Humankapital) zählt zum erfolgreichen Streuobsterhalt. Misserfolg bedeutet demnach, dass positive Wirkungen ausbleiben oder dass negative Wirkungen – auch unerwartete oder unbeabsichtigte – auftreten. So wird eine Aktivität, die beispielsweise zwar die finanziellen Mittel für den Streuobsterhalt vergrößert, dabei aber Konflikte unter den Akteuren hervorruft, als Misserfolg gewertet. Die Grundlage für dieses Verständnis von Erfolg stammt von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ 2008, S. 7 f).

4 Methoden

Wenn Erfahrungen über die Realität gesammelt und systematisiert werden sollen, eignen sich Leitfadeninterviews mit Experten (Scholl2015, S. 68 ff). In der Studie sollte durch die gezielte Auswahl auskunftsfähiger Personen die maximale Variation der Ansätze und Akteure abgebildet werden (ebendort). Dabei wurde folgenden Kriterien gefolgt: Befragte Personen sollen in Baden-Württemberg im Streuobsterhalt beruflich aktiv sein und einen Überblick über die Thematik haben. Sie sollen außerdem im regelmäßigen Kontakt mit (Gruppen aus) Bewirtschaftern stehen. Damit standen Vertreter von Organisationen, Behörden und Projekten im Mittelpunkt, während zum Beispiel Landwirte, die lediglich eine einzelbetriebliche Perspektive einbringen könnten, nicht angefragt wurden. Insgesamt wurden in zehn Interviews 13 Experten befragt – je ein Experte aus den Landesverbänden der beiden großen Naturschutzverbände, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) sowie aus dem Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg e.V. (LOGL). Außerdem wurden Vertreter aus den Beratungsstellen für Obst-, Gartenbau und Landespflege (Landratsämter), von Landschaftserhaltungsverbänden, vom Schwäbischen Streuobstparadies e.V. und Initiatoren von Erhaltungsinitiativen befragt. Eine Auflistung aller Experten steht im Online-Supplement unter Webcode NuL2231 zur Verfügung. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und dann mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2010) ausgewertet.

Begleitend zu den Expertenbefragungen wurden auch Materialien über Projekte und Initiativen für den Streuobsterhalt in Baden-Württemberg recherchiert. Informationen findet man häufig in Broschüren oder auf Internetseiten, beispielsweise von Streuobstinitiativen, Naturschutzverbänden oder der öffentlichen Hand, aber auch in Konzeptionen einzelner Landkreise oder des Landes Baden-Württemberg. Besonders informativ ist die Konzeption des Enzkreises, in der 57 Aktivitäten beschrieben sind, die in diesem Landkreis bereits umgesetzt wurden oder noch werden, sowie weitere 88 mögliche Ideen, die größtenteils auf Erfahrungen aus anderen Regionen beruhen (Enzkreis 2018).

5 Ergebnisse

Aus der umfangreichen Sammlung von Daten zu Initiativen im Streuobstbau, die aus der Recherche resultierte, kombiniert mit den Aussagen aus den Experteninterviews, ergeben sich verschiedene Aktivitäten für den Erhalt des Streuobstbaus, die in Tab. 1 aufgelistet sind. Sie sind dort anhand von Maßnahmentypen gruppiert, das heißt, die letzte Spalte gibt einen Hinweis darauf, was eine Aktivität erwirken soll. Allerdings ergaben die Nachforschungen, dass es bisher kaum wirkungsorientiertes Monitoring im Streuobsterhalt gibt, sodass über tatsächliche Wirkungen immer nur spekuliert werden kann. Die verschiedenen Maßnahmentypen tragen in unterschiedlichem Umfang zur Stärkung der verschiedenen Formen von Kapital bei (Abb. 2). Dabei ist von einer komplementären, teils auch synergetischen Wirkung auszugehen.

Es lohnt sich nicht nur ein systematischer Überblick über die Aktivitäten, sondern auch über die Menschen, die für den Streuobsterhalt aktiv sind. Die Aktivitäten werden von verschiedenen Personen/Personengruppen und Institutionen entwickelt und umgesetzt. Sie alle eint ihr Interesse am Streuobsterhalt in Baden-Württemberg, darum werden sie hier als Interessengemeinschaft bezeichnet – wohlwissend, dass sie durchaus verschiedene Bezüge zum Streuobsterhalt haben.

Tab. 2 macht deutlich, dass die Interessengemeinschaft politische, öffentliche, privatwirtschaftliche sowie gemeinnützige Institutionen umfasst. Dass in so vielen Fällen keine Daten dazu vorliegen, wie viele und welche Personen /-gruppen aktiv sind, stellt für den Streuobsterhalt ein Problem dar, insbesondere weil es sich hierbei meist um Bewirtschafter handelt. Gerade deren Anzahl und Effizienz ist ein Schlüsselfaktor im Streuobsterhalt.

Die Interessengemeinschaft für den Streuobsterhalt in Baden-Württemberg hat zum Teil sehr unterschiedliche Bezüge zum Streuobstbau. Das wird unter anderem deutlich an der Bandbreite der Praktiken, welche die einzelnen Gruppen umsetzen.

In Tab. 3 steht jede Zeile für einen Aspekt in der Erhaltungs- und Bewirtschaftungspraxis, doch dabei sind die praktizierten Ansätze nicht immer klar voneinander abzugrenzen und bewegen sich entlang eines Gradienten. Die gestrichelten Linien grenzen dabei den Bereich des Streuobstbaus von Brachflächen und Intensivobstbau ab.

Innerhalb eines gewissen Rahmens besteht bei den befragten Experten ein Konsens über das angemessene Management des Streuobstbaus. Die Experten sind sich einig, dass es in den Beständen Eingriffe geben muss (zum Beispiel Baumschnitt, Mahd), um das Kulturökosystem zu erhalten, und dass die Bestände deshalb einen landwirtschaftlichen Nutzen bringen müssen, weil den Menschen sonst der Anreiz zum Eingreifen fehlt. Auf der anderen Seite besteht Einigkeit darüber, dass Streuobstbau heutzutage nicht mit dem alleinigen Fokus auf Ertrag betrieben werden kann. Naturschutz- und Kulturwert sind feste Bestandteile. In diesem Rahmen der Einigkeit gibt es ein Spektrum an unterschiedlichen Praktiken, die auf sich überschneidenden oder auch konträren Meinungen beruhen. In acht von zehn Experteninterviews wurde berichtet, dass Diskussionen über das konkrete Management in den letzten Jahren zu ernsthaften Konflikten in der Interessengemeinschaft geführt hätten, was für den Streuobsterhalt ein Hemmnis darstellen würde.

Abb. 3 zeigt, dass die Unwirtschaftlichkeit des Streuobstbaus unter den Hemmnissen an erster Stelle steht. Aber auch ein anderer wichtiger Aspekt wird ersichtlich: Es fehlt an Menschen, die vor Ort den Streuobsterhalt umsetzen. In der Abbildung beziehen sich sowohl die Nennungen hinter „Ehrenamt/Personal fehlt“, als auch hinter der Aussage „Fläche zu groß“ auf diesen Umstand. Die geringe Anzahl der Akteure passt nicht zum flächenmäßigen Umfang des Streuobstbaus, selbst wenn man einbezieht, dass dieser so stark zurückgegangen ist.

Das unterstreichen auch die am häufigsten genannten Erfolgsfaktoren (Abb. 4). In den Interviews wurde deutlich, dass die Ansätze erfolgreich sind, wenn viele und vor allem motivierte Akteure vor Ort sind. Die Experten sind der Meinung, dass die Bewirtschafter den Streuobstbau erhalten, wenn ihnen das etwas nützt. Worin dieser Nutzen in der Praxis besteht, bleibt jedoch in der Regel Gegenstand von Mutmaßungen und anekdotischem Wissen; systematische Erkenntnisse zum Beispiel aus Befragungen sind nicht verfügbar.

6 Diskussion

Unsere Studie zeigt, dass eine Vielzahl von Akteuren zum Streuobsterhalt beiträgt und dabei verschiedene Maßnahmentypen einsetzt. Angesetzt wird über gesetzlichen Schutz, über die aktive Streuobstpflege, aber auch über Maßnahmen, die die Rentabilität erhöhen. Auch die Vernetzung und Befähigung von Akteuren stellt einen wichtigen Aspekt dar, ebenso wie das Schaffen von Bewusstsein. Damit werden alle Formen des Kapitals innerhalb dieses sozial-ökologischen Systems einbezogen. Die Ergebnisse unserer Studie weisen allerdings darauf hin, dass in der aktuellen Situation ein Ungleichgewicht zwischen dem Naturkapital der Streuobstwiesen und dem auf diese bezogenen Human- und Sozialkapital besteht, da altersbedingt viele Akteure aus dem Streuobstbau ausscheiden (Küpfero.J.) und der Generationswechsel nicht funktioniert, etwa weil die jüngere Generation beruflich nicht mehr ortsgebunden ist und die Bewirtschaftung nicht übernehmen kann. Gleichzeitig kommt es auch in anderer Hinsicht zu einem Auseinanderdriften von Human- und Sozialkapital einerseits und Naturkapital andererseits: Interessierte Neueinsteiger haben nicht unbedingt Zugang zu entsprechenden Flächen, da diese noch immer kaum außerhalb der Familie verkauft oder verpachtet werden. Floramacht klar, dass Human- und Sozialkapital zum Erhalt von Naturkapital nur mobilisiert werden können, wenn diese vorher gezielt entwickelt werden (Flora2001, S. 10). Demzufolge sollten sich die Aktivitäten zum Streuobsterhalt also zunächst darauf konzentrieren, junge Akteure für den Streuobstbau zu motivieren und mit dem nötigen Wissen auszustatten. Dazu ist es notwendig, besser zu verstehen, mit welchen Motivationen Menschen sich für Streuobstbau interessieren, um zielgruppenspezifische Angebote und Anreize zu entwickeln, die das Aktivwerden unterstützen. Hier liegt ein wichtiges offenes Forschungsfeld, das über den Streuobsterhalt in Baden-Württemberg hinausreicht – auch in anderen Bundesländern wird es das beschriebene Auseinanderdriften geben.

Obwohl die befragten Experten unterstreichen, dass gerade für viele „Newcomer“ wirtschaftliche Aspekte nicht unbedingt im Vordergrund stehen, sind diese doch gerade mit Blick auf die Erhaltung großer Flächen ein wesentlicher Faktor. So steht bei den Hemmnissen für den Streuobsterhalt die fehlende Wirtschaftlichkeit an erster Stelle der Nennungen. Diese bezieht sich hauptsächlich auf das etablierte System der Abgabe an Safthersteller an zentralen Sammelstellen. Deutlich wirtschaftlicher ist die eigene Saftherstellung über eine Lohnmosterei und die Eigenvermarktung der Produkte, gerade im Hinblick auf das Segment der Premiumproduktion (Miller 2010). Es ist daher angebracht, das bestehende Abgabesystem zu hinterfragen und auf innovative (Direkt-)Vermarktungsschienen zu setzen. Für einen professionell getragenen, rentablen und in der Fläche wirksamen Streuobstbau ist es darüber hinaus wichtig, entsprechende Fachkenntnisse bei den Bewirtschaftern zu fördern und gleichzeitig ein Bewusstsein bei politischen Entscheidungsträgern und Verbrauchern herauszubilden.

Wenn die Menschen vor Ort im sozialökologischen System Streuobstbau den zentralen Baustein bilden, erscheint die Forderung nach Unterschutzstellung von Beständen nicht unbedingt zielführend. Bisher wurde nicht systematisch untersucht, was gesetzlicher Schutz bewirkt, ob er die Bewirtschafter möglicherweise demotiviert und letztlich dazu bringt, den Streuobstbau ganz aufzugeben, wie einige befragte Experten vermuten. Dennoch wurde in einem weitgehend konsensual erarbeiteten Eckpunktepapier zum Volksbegehren Artenschutz „pro Biene“ in Baden-Württemberg ein Schutz von Streuobstbeständen verankert, indem die flächige Rodung von mehr als 1500 m² genehmigungspflichtig wird und auszugleichen ist (Volksbegehren Artenschutz 2020).

Streuobsterhalt wird oft mit der Zielrichtung diskutiert, ein allgemeingültiges Managementkonzept zu entwickeln, auch im Hinblick auf Produktgestaltung und Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Debatte stellt die „Hochstamm-Diskussion“ einen Hauptkonfliktpunkt dar, der neben der fehlenden Wirtschaftlichkeit als weiteres wichtiges Hemmnis für den Streuobsterhalt wirkt. Hochstämmige Obstbäume werden hauptsächlich unter Berufung auf ihre Bedeutung für den Vogelschutz gefordert und sind auch für die landwirtschaftliche Nutzung des Unterwuchses mit gängigen Maschinen sinnvoll. Doch einige Bewirtschafter wollen nicht auf niedere Obstbäume verzichten, weil Baumpflege und Ernte mit Leitern ein Unfallrisiko berge und sich aufwendiger gestalte. Diese Ansicht wird jedoch nicht von allen Akteuren geteilt, die beispielsweise auf mindestens ebenso große Risiken für die Arbeit mit großkronigen Halbstämmen und auf spezielle Kursangebote zum Arbeitsschutz und die Erhöhung der Effizienz hinweisen. Festzuhalten ist, dass ein einheitliches, starres Managementkonzept, das die Besorgnis und die Anliegen der Bewirtschafter nicht ernstnimmt und sich rein auf Hochstämme ausrichtet, sehr wahrscheinlich dazu führen wird, dass man Akteure verliert. Und gerade der Verlust von Akteuren sollte ja, wie oben beschrieben, umgekehrt werden. Eine Vereinheitlichung der Vielfalt, die es im Streuobstbau in Südwestdeutschland immer schon gab (siehe Abschnitt 2), würde aber auch dem Naturschutz nicht Rechnung tragen. Es wären daher mehr Förderprogramme wünschenswert, in denen Streuobstbestände im Biotopverbund betrachtet und gezielt ökologisch aufgewertet werden. Die richtige Planungsinstanz hierfür sind die Landschaftserhaltungsverbände – im Bodenseekreis werden solche spezifizierten Förderprogramme durch den LEV bereits umgesetzt.

Innerhalb von Baden-Württemberg existieren umfangreiche Streuobst-Förderprogramme auf verschiedenen Verwaltungsebenen (MLR 2015). Darüber, ob und wie sie wirken, konnten die befragten Experten nur Vermutungen anstellen. Insgesamt haben Förderprogramme den Trend zum Verlust von Streuobstbeständen jedenfalls nicht umkehren können (Borngräberet al. 2020). Hieraus wird entsprechender Forschungsbedarf deutlich, ebenso wie die Notwendigkeit der Implementierung einer Erfolgskontrolle der Förderprogramme.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis online unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.

Kontakt

M.Sc. Anika Maier studierte Agrarwissenschaften (B.Sc.) sowie Environmental Protection and Agricultural Food Production (M.Sc.) an der Universität Hohenheim. Ihre Masterarbeit im Jahr 2019 zum Thema „Streuobsterhalt in Baden-Württemberg – Ansätze, Erfolgsfaktoren und Hemmnisse“ war Ausgangspunkt für diesen Artikel.

> maieranika@icloud.com

 

 

Prof. Dr. Claudia Bieling ist seit 2015 Professorin für Gesellschaftliche Transformation und Landwirtschaft an der Universität Hohenheim. Studium der Diplom-Forstwissenschaften an den Universitäten Freiburg und Göttingen, Promotion und Habilitation mit Venia Legendi in Landscape Management an der Universität Freiburg.

> claudia.bieling@uni-hohenheim.de

 

 

Prof Dr. Klaus Schmieder ist seit 2009 außerplanmäßiger Professor am Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie der Universität Hohenheim. Studium Biologie Diplom an der Universität Konstanz, Promotion und Habilitation mit Venia Legendi in Landschaftsökologie und Limnologie an der Universität Hohenheim.

> klaus.schmieder@uni-hohenheim.de

Fazit für die Praxis

Aus unserer Studie lassen sich zwei erfolgversprechende Lösungsansätze ableiten, wie gezielt auf den Streuobsterhalt eingewirkt werden kann:

1. Akteure gewinnen (siehe auch Mühlmann 2013)

  • Modelle vorantreiben, die interessierte Menschen und Flächen zusammenbringen, zum Beispiel www.myStueckle.de, Stadt Mössingen
  • Trend nutzen, dass viele Menschen Ausgleich in der Natur suchen und wissen wollen, wo Lebensmittel herkommen, zum Beispiel über Genossenschaften oder solidarische Landwirtschaft
  • Humankapital-Ansätze forcieren: Wissenstransfer, Arbeitserleichterung, Befähigung
  • Nutzen jenseits monetärer Effekte für Akteure herausstellen: Erholung, gesunde Produkte, wertvolles Engagement
  • 2. Professionellen Streuobstbau vorantreiben, um einen Flächeneffekt zu erzielen:
  • Fachkundliche Ausbildung von Landnutzern stärken und wirtschaftlich tragfähige Lösungen aufzeigen (Kombination mit extensiver Tierhaltung, Vertragsnaturschutz, Vermarktung von Qualitätsprodukten und Erholungswert)
  • Bei Politikern (auch auf kommunaler Ebene) und Verbrauchern Bewusstsein schaffen, dass Landschaftspflege Dienstleistung für die Gesellschaft ist und finanziell entsprechend honoriert werden muss, zum Beispiel durch Direktzahlungen
  • Streuobstbestände im Biotopverbund betrachten und gezielt ökologisch aufwerten
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren