
Der zukünftige Haushalt der EU und gegrillte Kommissare
Während in Brüssel die Konsolidierung der neuen Kommission voranschreitet und sich die neuen Kommissare den Fragen des Parlamentes stellen müssen, läuft auch die wohl grundlegendste aller EU-Debatten warm – die Haushaltsdebatte. Dabei wird deutlich: mehr Geld wird nicht vom Himmel fallen.
von Lukas Traup erschienen am 19.11.2024Der EU-Haushalt – die Mutter aller Policy-Debatten
Schon vergangen November hat das europäische Nachrichtennetzwerk Euractiv vom Beginn „der Mutter aller EU-Policy Kämpfe“ gesprochen (siehe Link) – der Debatte rund um den siebenjährigen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) nach 2027. Ein Jahr und eine EU-Wahl später, ist diese Debatte auch inhaltlich deutlich weiter. Es wird eine radikale Reform des bisherigen Modells in den Raum gestellt. Schon zu Von der Leyens Wiederwahl im Sommer diesen Jahres und mit der Veröffentlichung der Mission Letters für die neuen Kommissare war die Rede von einem drastisch vereinfachten, policy- und performance-orientierten MFR. Im Oktober kamen dann erste Leaks aus dem Inneren der EU-Kommission ans Licht (siehe Link). Anstatt der stattlichen 530 Programme, die der bisherige Haushalt beinhaltet, soll es den ersten Überlegungen zufolge nach 2027 lediglich 27 nationale Töpfe geben, zuzüglich einem Wettbewerbsfonds und einer dritten, noch etwas unklaren Säule, unter anderem für EU-Erweiterung und externe Ausgaben. Die Mitgliedsstaaten müssen dann, um auf ihre Gelder zugreifen zu können, im Stile der Wiederherstellungspläne jeweils einen nationalen Plan für die Verwendung der Mittel schreiben, der wiederum von der Kommission abgesegnet werden muss.
In den Leaks und in der Kommunikation seitens der Kommission wurde hierbei deutlich, was sich im Kern ändern soll: Die Ausschüttung der Gelder an die Mitgliedsstaaten soll in den einzelnen Sektoren klar an die Umsetzung von Reformen geknüpft sein – sprich: keine sektorspezifische Reform, kein Geld. Im Agrarbereich könnte das laut der Leaks unter anderem heißen: eine Finanzierung der GAP-Direktzahlungen wird nur gewährleistet, wenn der Mitgliedsstaat auch in vorgegebenem Maße den Ökolandbau fördert. Die Macht der Kommission, EU-Prioritäten in den Mitgliedsstaaten voranzutreiben, würde sich durch den drohenden Rückhalt der Gelder somit deutlich erhöhen, während die Mitgliedsstaaten flexibler in der Verwendung der Mittel wären. Indirekt bedeutet das wohl auch, dass die Staaten nicht mehr allein die EU, beispielsweise für das Scheitern der GAP, verantwortlich machen können. Eine weitere zentrale Veränderung wäre, dass der Haushalt, anstatt wie bisher alle sieben Jahre, zukünftig jährlich angepasst werden kann. Dadurch kann schneller auf Krisen und politische Veränderungen reagiert werden.
Corona-Wiederaufbaufonds als Blaupause
Als Blaupause für den neuen Haushalt soll der Wiederaufbaufonds dienen, den die Kommission als Antwort auf die Covid-Pandemie ins Leben gerufen hat. Dies geschah extrem kurzfristig und hat dementsprechend deutliche Schwachstellen, insbesondere für den Naturschutz. Erst kürzlich haben das Bankwatch Netzwerk und Euronatur eine Untersuchung veröffentlicht, in der sie für die Natur schädliche Projekte porträtiert haben, die durch den Fond finanziert und nicht gestoppt wurden (siehe Link). Zudem sind Schätzungen zufolge bisher nur weniger als 1 % in Naturschutz und Naturwiederherstellung geflossen, obwohl 37 % des Fonds der green transition zugutekommen sollten. Auch der Europäische Rechnungshof bemängelte diese Probleme und kritisierte zudem den deutlichen Mangel an Transparenz. Die Kommission ließ daraufhin verlauten, dass sie sich der Probleme bewusst sei und der neue Haushalt nicht baugleich zum Wiederaufbaufonds sein würde.
Auch wenn die Pläne aktuell eine komplette Auflösung der bisherigen Haushaltsprogramme vorsehen, scheint es mir unwahrscheinlich, dass die bestehende Struktur wirklich so grundlegend reformiert wird. Insbesondere die Verteidiger der Gemeinsamen Agrarpolitik und des Kohäsionsfonds stehen einer so drastischen Reform skeptisch gegenüber und beharren auf ein Weiterbestehen der tradierten Elemente dieser Fonds. Die Kommission hat als Antwort darauf auch schon verlauten lassen, dass die Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik weiterhin zwei zentrale Pfeiler des Haushalts sein werden, wahrscheinlich jedoch in anderer Struktur.
Woher kommt das Geld für den Naturschutz?
Grundsätzlich lassen sich auf den ersten Blick mit der angestrebten Haushaltstruktur Chancen für den Naturschutz erahnen – sofern die Probleme des Wiederherstellungsfonds adressiert werden. Da die EU-Kommission oftmals progressiver als viele EU-Regierungen agiert, kann sich eine verbesserte Handhabe der Mittel durchaus positiv auswirken, beispielsweise auf die schleppende nationale Umsetzung der Biodiversitätsstrategie. Auch eine Abkehr von den GAP-Direktzahlungen scheint mit dem neuen Modell zumindest ansatzweise realistischer. Entscheidend ist, wie stark die Handhabe der EU-Kommission am Ende sein wird, denn bisher hat mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten im Agrarbereich eher zu Einschnitten im Naturschutz geführt. Grundlegend wird auch die notwendige Vorgabe der Kommission, dass die Pläne der Mitgliedsstaaten einen dezidierten Anteil für Naturschutz und Wiederherstellung enthalten müssen, inklusive eines Rückhaltes der Gelder, sofern das nicht erreicht wird. Dieser Anteil müsste sich deutlich über dem bisherigen Ziel von 10% für die Biodiversität bewegen.
Was leider schon lange absehbar ist: Die Konkurrenz um Haushaltsmittel steigt, während die Zahlungsbereitschaft der Mitgliedsstaaten sinkt. Hinzu kommt, dass die Kredite, über die der Corona-Wiederherstellungsfond finanziert wurde, zurückgezahlt werden müssen. Der zukünftige EU-Haushalt wird, wenn die Wahl Trumps die Geberländer nicht zum Umdenken bewegt, wohl eher kleiner werden. Die Ergebnisse der US-Wahl dürften in jedem Fall dazu führen, dass Gelder verstärkt auch in eine Verteidigungspolitik fließen. Ob dies den Druck erhöht, die verbleibenden Gelder effektiver zu nutzen, wird sich zeigen. Der Naturschutz droht aber, unter den anderen Prioritäten weiter zurückzufallen.
Biodiversitätszertifikate – Der Markt als Lösung?
Diese Verschiebung ist wohl einer der Gründe, weshalb Von der Leyen auf der Digital-Life-Design Messe in München erstmals auf die Idee eines EU-Marktes für „Nature Credits“ zu sprechen kam. Die Pläne, einen solchen Markt zu schaffen, wurden inzwischen mehrfach bestätigt und kamen insbesondere auch rund um die COP16 in Cali zur Sprache. Die Reaktionen der Brüsseler NGOs sind gemischt: während einzelne eine Monetarisierung der Natur grundlegend ablehnen, zeigen sich andere pragmatischer und erkennen neben den Risiken auch deutliche Chancen. NGOs betonen vor allem, dass ein solches System keinesfalls die Bereitstellung öffentlicher Gelder für den Naturschutz schmälern darf.
Konkrete Antworten darauf, wie ein solches System aussehen kann oder sollte, fehlen bisher weitgehend. Weder institutionelle Akteure noch andere Interessensgruppen sind bisher über einzelne Projekte hinaus konkret geworden, was das für einen staatlichen Rahmen bedeutet. Das Thema und die bestehenden Wissenslücken haben jedoch schon eine Art “Hype” ausgelöst. Während die NGOs verhindern wollen, dass ihnen das Thema entgleitet, stehen private Akteure und Think-Tanks aus der Privat- und Finanzwirtschaft schon in den Startlöchern. Einig sind sich die NGOs darüber, dass ein mögliches EU-Zertifikate-System nicht dem freiwilligen CO2 “Offsetting-Markt” gleichen darf, es einen deutlich strengeren regulatorischen Rahmen braucht und die Maßnahmen zudem ergänzend zu einer ordnungsrechtlichen “Baseline” erfolgen müssen.
Ob am Ende ein für Teilnehmer freiwilliger, aber gesetzlich geregelter EU-weiter Markt für Biodiversitätszertifikate entstehen soll oder eine Einbindung in bestehende Gesetzgebung erfolgt, ist noch völlig unklar. Mit Blick, beispielsweise auf das britische „Biodiversity Net Gain“-System (siehe Link), das Projektentwickler dazu zwingt, mit Zertifikaten ihren Flächenverbrauch zu überkompensieren, oder mit Blick auf den kürzlich gestarteten „Finnischen Biodiversitäts-Zertifikate-Markt” (siehe Link), der die Grundidee des freiwilligen CO2-Marktes übernimmt, ist vieles denkbar. Für NGOs wie unseren Dachverband BirdLife Europe oder auch den NABU ist klar: ein solches System wird kommen und es gilt, das Beste daraus zu machen. In Anbetracht der Risiken und Chancen, die hier für den Naturschutz bestehen, wird das Thema sicherlich auch in Zukunft Teil unserer Brüssel-Kolumne sein.
Die neuen Kommissare stellen sich dem Parlament
Anfang November mussten sich die nominierten Kommissare und Vizepräsidenten der 27 Mitgliedsstaaten den Fragen des EU-Parlamentes stellen. Valdis Dombrovskis, nominiert als Vizepräsident der Kommission für Wirtschaft, verglich das Parlament beim sogenannten „Grilling“ mit einem Rudel Löwen. Ganz so wild ging es in der Regel nicht zu, jedoch kamen einzelne Kommissare trotzdem sichtlich ins Schwitzen. Große Neuigkeiten, was die kommende Agenda der Kommission angeht, kamen jedoch nicht ans Licht. Vielmehr hangelten sich die nominierten Kommissare an den schon bekannten Elementen ihrer „Mission Letters” entlang. Spannender war der persönliche Eindruck, wie erfahren und ehrlich sie sich für ihre Themen stark machen würden.
Die Schwedin Jessica Rosswall, Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) und Nachfolgerin von Umweltkommissar Sinkevicius, gab eine relativ schwache Performance ab und wurde daher erst nach einer zweiten Beratung bestätigt. Ihre Antworten zeigten deutlich, dass sie bisher kaum zu Umwelt und Naturschutzthemen gearbeitet hat, insbesondere nicht auf EU-Ebene. Gleichzeitig verteidigte sie den Green Deal und Naturschutzinteressen gegen Abgeordnete ihrer eigenen Partei, die beispielsweise eine intensivere Abholzung schwedischer Wälder forderten.
Christophe Hansen, der luxemburgische Agrarkommissar, dessen Parteiheimat auch die EVP ist, konnte ein deutlich authentischeres Bild abgeben. Seine Erfahrung als Abgeordneter im EU-Parlament kam ihm zugute. Als Sohn und Bruder eines Landwirts, hatte er zum Gefallen der Abgeordneten zudem oftmals persönliche Anekdoten parat. Inhaltlich hat er sich vor allem für ein Erhalt des Agrarhaushaltes und ein besseres und faires Einkommen für Landwirte, inklusive einer Neuausrichtung der Direktzahlungen und Anreize für junge Landwirte stark gemacht. Hinsichtlich Natur- und Klimaschutz waren seine Antworten eher dürftig und konzentrierten sich vor allem auf Klima-Anpassung. Trotzdem hat er sich aktiv für die Orientierung an Empfehlungen des EU-Strategiedialoges ausgesprochen und beispielweise die Verordnung für Entwaldungsfreie Lieferketten verteidigt.
Deutlich wurde bei den Anhörungen, dass nicht nur der Agrarausschuss, sondern auch der Umweltausschuss inzwischen in großen Teilen aus Abgeordneten besteht, die vor allem Wirtschaftsinteressen und die Forderung nach Deregulierung repräsentieren. Selbst die vielfachen Verweise auf die unmittelbar vorausgegangenen Flut-Ereignisse in Valencia wurden in den seltensten Fällen mit Klima- und Naturschutz oder naturbasierten Lösungen in Verbindung gebracht.
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