
Naturschutzrechtliche Duldungsverfügungen
Zur Durchführung von Naturschutzmaßnahmen bedarf es mitunter Duldungsanordnungen gegen den Grundstückseigentümer. Damit befassen sich einige aktuelle Entscheidungen.
von Dr. Dietrich Kratsch erschienen am 22.07.2024Bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist es häufig erforderlich, private Grundstücke einzubeziehen. In der Regel erfolgt dies im Konsens mit den Eigentümern und Nutzungsberechtigten; insbesondere bei land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken sollen diese selbst mit der Ausführung der Maßnahmen beauftragt werden (§ 3 Abs. 4 BNatSchG).
Immer wieder sind die Gerichte aber auch damit befasst, dass einvernehmliche Lösungen nicht zustande kommen und von Eigentümern und Nutzungsberechtigten verlangt wird, bestimmte Maßnahmen des Naturschutzes zu dulden. Dabei sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden; die Naturschutzbehörden haben darauf zu achten, dass die jeweils einschlägige Ermächtigungsgrundlage herangezogen wird.
1. Duldungsverfügung im Rahmen der Beseitigung eines illegalen Eingriffs
In einer Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz (Beschl. vom 09.02.2022 - 8 A 11313/21.OVG) ging es um die Wiederherstellung einer ca. 5.900 m großen illegal gerodeten und zu Acker umgewandelten Walnussbaumwiese, die als gesetzlich geschütztes Biotop erfasst und zudem im Landschaftsschutzgebiet gelegen war. Gegen den Pächter, der den Eingriff vorgenommen hatte, wurde eine Anordnung zur Wiederherstellung der Baumwiese, einschließlich der Pflanzung von 67 Walnussbäumen, erlassen, gegen die Eigentümer (Eltern des Pächters) eine Verfügung zur Duldung der angeordneten Maßnahmen auf ihrem Grundstück.
Das VG Mainz wies die Klage ab, das OVG hat mit seinem Beschluss das Urteil bestätigt. Die Gerichte haben darauf abgestellt, dass die Naturschutzbehörde zutreffend auf die naturschutzrechtliche Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG als Ermächtigungsgrundlage für die Duldungsverfügung zurückgegriffen hat. Auf diese Norm könnten neben Unterlassungs-, Beseitigungs- und Wiederherstellungsanordnungen auch Duldungsanordnungen gestützt werden, denn die Generalklausel umfasse aus Effektivitätsgründen auch die Folgenbeseitigung rechtswidriger Verhaltensweisen. § 65 Abs. 1 BNatSchG stelle insoweit keine speziellere Regelung dar, die die Anwendung der Generalklausel verdränge. § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, der allgemein eine Duldungspflicht unter anderem für Grundstückseigentümer hinsichtlich Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege begründet, sei gerade nicht auf den hier gegebenen Fall zugeschnitten, in welchem eine gegenüber dem Verursacher eines rechtswidrigen Eingriffs in Natur und Landschaft erlassene Wiederherstellungsanordnung zu ihrer Durchsetzung – mangels Eigentümerstellung des Adressaten der Anordnung – zusätzlich einer Duldungsverfügung gegenüber den Eigentümern des Eingriffsgrundstücks bedarf. Denn § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sei ersichtlich auf die Duldung von Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zugeschnitten, die von der zuständigen Naturschutzbehörde selbst oder durch von ihr Beauftragte auf einem Privatgrundstück durchgeführt werden sollen.
Auch das OVG Niedersachsen weist in einer Entscheidung (Beschl. v. 30.01.2024, Az.: 4 ME 84/23) darauf hin, dass bei Anordnungen zur Beseitigung eines Eingriffs gegenüber betroffenen Dritten (insbesondere können dies Eigentümer sein) Duldungsverfügungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG erforderlich sind. Es sei unzureichend, wenn die Behörde nur auf die gesetzliche Duldungspflicht des § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verweise. Die gesetzliche Duldungspflicht bestehe nur im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Maßnahmen einer Behörde, nicht aber in Bezug auf Maßnahmen Privater. Im konkreten Fall wurde daher die Anordnung aufgehoben.
2. Pflegemaßnahmen in einem Biotop
In einer Entscheidung des VG München (Beschl. v. 10.08.2021, M 19 S 21.3137) ging es u.a. um eine für sofort vollziehbar erklärte Duldungsanordnung zur Durchführung von staatlichen Pflegemaßnahmen auf einem in einem FFH-Gebiet und gesetzlich geschützten Biotop gelegenen Grundstück – einer artenreichen Feucht- oder Streuwiese. Nach Einschätzung der Naturschutzbehörde hatte die unterlassene Streumahd bzw. Biotoppflege zu einem qualitativ massiv verschlechterten Zustand der geschützten Fläche geführt, wodurch mehr oder weniger alle Arten der amtlichen Biotop- bzw. FFH-Kartierung betroffen seien, weil diese die Streumahd zum dauerhaften Überleben bräuchten. Der Eigentümer war vergebens auf die Erforderlichkeit einer regelmäßigen Streumahd aufmerksam gemacht worden.
Daraufhin wurde der Eigentümer durch eine Anordnung verpflichtet, die Durchführung von Pflegemaßnahmen durch einen vom Landratsamt beauftragten Dritten auf der Biotopfläche zu dulden und die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Verpflichtung zur Duldung von Pflegemaßnahmen wurde u.a. auf § 3 Abs. 2 und § 65 Abs. 1 BNatSchG i.V.m. Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG gestützt. Das VG München hat bestätigt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten vorlagen.
Der Begriff der „zu duldenden Maßnahmen“ sei weit zu verstehen und umfasse sämtliche grundstücksbezogenen Einwirkungen, die der Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne der §§ 1, 2 BNatSchG dienten. Sie umfassen eine breite Vielfalt von gebietsbezogenen Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen, wie etwa die Mahd von Streuwiesen, die Entbuschung von Brachflächen, die Anpflanzung von Hecken und Gehölzen, Wegesperrungen während der Brutzeit, etc.
Der Eigentümer dringe auch nicht mit dem Argument durch, er habe an den Pflegemaßnahmen beteiligt werden müssen. Die vorliegende Verschlechterung des Biotopzustands sei nicht durch direktes Zutun des Antragstellers erfolgt, sondern allein durch das Unterlassen von Pflegemaßnahmen. Sofern zur Erhaltung eines Schutzstatus Maßnahmen notwendig sind, könnten diese Pflichten nicht dem Eigentümer auferlegt werden. Gebote, die den Grundstückseigentümer beispielsweise verpflichten, seine Flächen in bestimmter Weise zu pflegen oder zu bewirtschaften, seien unzulässig. Daher könne auf der Grundlage von § 65 BNatSchG auch nicht mehr als eine bloße Hinnahme verlangt werden. Pflegemaßnahmen (Erstpflege und jährliche Pflegemahd) würden in den Verantwortungsbereich der Naturschutzbehörde fallen, sodass sich das Landratsamt im Bescheid richtigerweise bereit erklärt habe, die Maßnahmen in Eigenregie zu übernehmen.
Der begrenzte Pflichteninhalt führe dazu, dass der Duldungspflichtige auch nicht zur Tragung der Kosten der in Rede stehenden Maßnahmen herangezogen werden könne. Die Maßnahme sei zumutbar, da damit kein Nachteil für das Grundstück des Antragstellers verbunden sei, insbesondere schmälere sie nicht dessen wirtschaftlichen Wert. Den Antragsteller treffe eine reine Duldungspflicht, sodass er auch keine wirtschaftlichen Einbußen erleide, die eine Unzumutbarkeit begründen könnten.
3. Müssen Wisente geduldet werden?
Die naturschutzrechtliche Duldungspflicht beschäftigte auch die Zivilgerichte. Es ging um die Frage, ob ein privater Waldeigentümer einen Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB hat, wenn Wisente außerhalb des Projektgebietes der Wiederansiedlung Waldschäden anrichten. Der BGH (Urt. v. 19.7.2019, V ZU 177/17) hat zunächst eine Duldungspflicht aus §§ 1004 Abs. 2 BGB i.V. mit § 44 Abs. 1 BNatSchG (artenschutzrechtliches Zugriffsverbot) abgelehnt, da die Wisente noch nicht herrenlos und damit noch keine wild lebenden Exemplare der streng geschützten Art seien. Eine Duldungspflicht komme aber aus § 1004 Abs. 2 BGB i.V. mit § 65 Abs. 1 BNatSchG in Betracht, daher verwies der BGH den Fall zurück an das OVG Hamm. Dieses entschied, dass eine Pflicht des Klägers zur Duldung von naturschutzrechtlichen Maßnahmen aus § 65 Abs. 1 BNatSchG nicht (mehr) bestehe, weil durch die Maßnahmen die Nutzung des Forst-Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt werde (Urt. v. 15.07.2021 - 5 U 156/15).
In seinem Urteil ging der BGH davon aus, dass § 65 BNatSchG auch Anwendung finden kann, wenn die „Maßnahme des Naturschutzes“ durch einen privaten Verein auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrags vorgenommen wird und die zu duldenden Auswirkungen außerhalb der Maßnahmefläche eintreten (dazu kritisch Gellermann, NuR 2020, 34 ff.; ob die Verwaltungsgerichtsbarkeit diese Überlegungen aufgreift, bleibt abzuwarten).
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