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Originalarbeit

Zeit zu handeln: Naturschutz im neuen Jahrzehnt

Memorandum für einen zukunftsfähigen Naturschutz aus der Perspektive der Berufspraxis

Eingereicht am 30.04.2020, angenommen am 22.06.2020

Abstracts

Die Herausforderungen für den Naturschutz im neuen Jahrzehnt wachsen immens. Natur und Landschaft stehen unter einem immer stärker zunehmenden Veränderungsdruck, der ganz erhebliche Konsequenzen und substanzielle Verluste nach sich ziehen wird, werden nicht einschneidende Maßnahmen durchgesetzt. An politischen Zielen und Analysen hierzu mangelt es nicht. Die Umsetzung eines effizienten und effektiven Naturschutzes in der Fläche erfolgt nur zögerlich und zurückhaltend gemessen an den Erfordernissen. Nach Auffassung des Bundesverbandes Beruflicher Naturschutz (BBN) müssen hier eine Trendwende eingeleitet und neue Maßstäbe für die Naturschutzpolitik in Deutschland gelegt werden. Im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl hat der BBN hierzu ein Memorandumpapier vorgelegt, in dem neben einer allgemeinen Analyse und Situationsbeschreibung in 13 Fachkapiteln die maßgeblichen Erfordernisse und die jeweils notwendigen Handlungsempfehlungen aufgezeigt werden. In einem Schlussteil werden die notwendigen Schritte zusammenfassend dargestellt. Die Aussagen wenden sich an die Politik und an alle im Naturschutz handelnden Akteure.

Time to act: nature conservation in the new decade. Memorandum for sustainable nature conservation from the professional perspective

The challenges for nature conservation in the new decade are growing immensely. Nature and the landscape are under ever increasing pressure to change, which will result in very significant consequences and substantial losses unless drastic measures are implemented. There is no shortage of policy objectives and analyses. The implementation of efficient and effective nature conservation in the area is only hesitant and restrained in terms of requirements. In the opinion of the Federal Association for Professional Nature Conservation (BBN), a turnaround must be initiated and new standards for nature conservation policy in Germany must be set. In the run-up to the next Bundestag election, the BBN has presented a memorandum paper, in which, in addition to a general analysis and description of the situation in 13 specialist chapters, the relevant requirements and the necessary recommendations for action are presented. In the concluding section, the necessary steps are summarized. The statements are addressed to politicians and to all actors involved in nature conservation.

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Artenreiche, blühende Wiesen verschwinden – und mit ihnen die Biodiversität.
Artenreiche, blühende Wiesen verschwinden – und mit ihnen die Biodiversität.Julia Schenkenberger
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Einleitung – eine Situationsbeschreibung

Natur und Landschaft unterliegen einem immer größer werdenden Druck. Die klimatischen Veränderungen und der dramatische Rückgang der Biodiversität sind Tatbestände, die wissenschaftlich erwiesen sind und zunehmend sichtbar und spürbar werden. Die letzten Berichte des Weltklimarates (IPCC 2014, 2018) und des Weltbiodiversitätsrates (IPBES 2019) führen eindrücklich vor Augen, wie tiefgreifend und schnell sich das Klima wandelt und wie dramatisch sich die Erhaltungszustände vieler wildlebender Tier- und Pflanzenarten und der Lebensräume verschlechtern. Auch der aktuelle Bericht zur Lage der Natur in Deutschland zeigt, dass sich rund zwei Drittel der Arten und Lebensräume, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt sind, in ungünstig-unzureichendem oder schlechtem Zustand befinden (BMU & BfN 2020). Die maßgeblichen Gründe für diese Entwicklungen sind gut bekannt: Durch Veränderungen der Land- und Meeresnutzung, die direkte Übernutzung von natürlichen Ressourcen und Organismen, massive Stoffeinträge, den Ausstoß von Treibhausgasen und das Auftreten invasiver Arten werden sowohl global als auch regional viele Ökosysteme, Gewässer, Böden und die Luft erheblich belastet (IPBES 2019). Dies ist mittlerweile keine auf Metropolregionen und Agrarlandschaften beschränkte Entwicklung mehr, sondern betrifft selbst entlegene Gebiete und die Ozeane.

Ambitionierte politische Ziele für den Klima- und Biodiversitätsschutz werden weit verfehlt

Auf internationaler und nationaler Ebene mangelt es nicht an politischen Zielsetzungen, um den Zustand der Natur zu verbessern. In vielen Fällen sind diese sogar rechtlich verbindlich. Abgesehen von einigen wenigen positiven Entwicklungen wird ein Großteil der Umweltziele, die sich die EU und die Bundesregierung für das Jahr 2020 gesetzt haben, allerdings nicht erreicht:

  • So befindet sich der Zustand der Biodiversität global und national fernab der Zielvorgaben, die durch die Biodiversitätskonvention (CBD) und die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt gesetzt wurden.
  • Die Reduktionsziele für Treibhausgase des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 werden in Deutschland nicht erreicht (UBA 2020), ähnliches gilt für einen Großteil der Umweltziele der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. So wurde beispielsweise das Flächensparziel, die tägliche Flächenneuinanspruchnahme bis 2020 auf 30 ha zu begrenzen, bei Weitem nicht erreicht und quasi unverändert auf 2030 verschoben.
  • Ziele jahrzehntealter europäischer Rechtsakte, wie der Wasserrahmenrichtlinie oder der FFH- und Vogelschutzrichtlinie, werden auch in Deutschland mehrheitlich verfehlt. Die Gründe hierfür liegen maßgeblich in einer unzureichenden Umsetzung (Europäische Kommission 2019; Milieu, IEEP, ICF 2016; SRU 2020).
  • Die durch die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren sind ein offenkundiges, wenn auch nur exemplarisches Indiz für allgegenwärtige Defizite bei der Umsetzung von Zielvorgaben im Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. So drohen Strafzahlungen wegen unzureichender Unterschutzstellung der FFH-Gebiete (Nr. 2014/2262) und des unzureichenden Schutzes von Grünland-Lebensraumtypen (Nr. 2019/ 2145). Dieses markiert nur die Spitze eines Eisbergs an Vollzugsdefiziten.

Dabei ist die ökologische Krise akut. Die vorhandenen Ziele und Richtlinien sind umfassend und eigentlich dafür geeignet, dieser Krise zu begegnen. Sie müssen allerdings deutlich ambitionierter umgesetzt werden, als dies bislang der Fall ist, und der Vollzug von Verordnungen und Gesetzen muss konsequenter erfolgen (Milieu, IEEP, ICF 2016; Europäische Kommission 2019). Die Zeit drängt. Wird weiter so verfahren wie bisher, wird sich die Auflistung verfehlter oder verschobener Ziele unvermindert fortsetzen und damit die Gesamtsituation gravierend weiter verschlechtern.

Die Coronakrise hinterlässt tiefe Spuren

Mit der Coronapandemie wurde die gesamte Welt innerhalb kürzester Zeit vor eine Herausforderung ungeahnten Ausmaßes gestellt, die tiefe gesellschaftliche Spuren hinterlässt und tragische Verluste menschlichen Lebens mit sich bringt. In einem offenen Brief des Club of Rome verweisen viele internationale Wissenschaftler auf einen engen Zusammenhang zwischen Infektionskrankheiten wie Ebola, Vogelgrippe, SARS, dem Coronavirus und der drastischen Übernutzung natürlicher Ressourcen, dem massiven Verlust der Lebensräume von Wildtieren und dem Handel mit Wildtieren. Viren, die diese Krankheiten hervorrufen, haben ihren Ursprung im Tierreich und könnten sich durch das zu tiefe Eindringen des Menschen in die Natur und einen zu engen Kontakt zwischen Mensch und Tier zu gefährlichen Epidemien entwickeln (Club of Rome 2020). Die Verletzlichkeit unseres Lebens und die Abhängigkeit des Menschen von einer intakten Natur werden durch diese Pandemie erschreckend anschaulich. Auch während das öffentliche Leben langsam zurückkehrt, gehen die Zwillingskrisen von Biodiversitätsverlust und Klimawandel unvermindert weiter – mancherorts beobachtete Erholungseffekte der Natur werden nicht von Dauer sein.

Seit vielen Jahren weist die Wissenschaft auf den schlechten Zustand der Natur hin und ruft in Anbetracht bald erreichter oder bereits überschrittener planetarer Belastungsgrenzen zunehmend zum unverzüglichen Handeln auf (Steffenet al. 2018). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) mahnt in seinem neuesten Gutachten an, dass „die Appelle der Wissenschaft, die natürlichen Lebensgrundlagen besser zu schützen und zu bewahren, […] zu einem bedrückenden Ritual [zu werden drohen]“ (SRU 2020: S. 9), und fordert eine entschlossene Umweltpolitik für Deutschland und Europa (SRU 2020). Eine ambitionierte Umweltpolitik ist jetzt mehr denn je nötig, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen langfristig zu schützen, die Ökosysteme zu erhalten und ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Kleine Schritte werden dafür nicht ausreichen – vielmehr bedarf es umgehend einer auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit ausgerichteten Transformation sämtlicher Politikfelder, der Wirtschaft und gesellschaftlicher Bereiche (Club of Rome 2020). Neben der Steigerung von Effizienz muss es dabei auch um Suffizienz gehen. Es darf nicht vergessen werden, dass eine intakte Natur, abgesehen von ihrem Eigenwert, langfristig die Grundlage jeglichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns, unseres Wohlstandes und nicht zuletzt unserer Gesundheit ist.

2020 als Wendepunkt begreifen und den European Green Deal als Chance dafür nutzen

Das Jahr 2020 ist ein besonders wichtiges Jahr für den internationalen und nationalen Naturschutz – trotz oder auch gerade wegen der Coronakrise muss der Schutz des Klimas und der Biodiversität einen hohen Stellenwert auf der politischen Tagesordnung einnehmen. Auf nationaler wie auf internationaler Ebene werden nun neue Strategien aufgestellt, die das Handeln im Naturschutz in den kommenden Jahren bestimmen: Jetzt werden die Weichen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte gestellt. Deutschland übernimmt Mitte 2020 die EU-Ratspräsidentschaft und sollte dies nutzen, das Handeln in der EU verstärkt auf Nachhaltigkeit auszurichten. Der kürzlich von der EU-Kommissionspräsidentin vorgestellte European Green Deal sollte als große Chance und erster Schritt begriffen werden, den Schutz der Umwelt, des Klimas und der Biodiversität nun ernsthaft anzugehen und proaktiv zu wirken. Auch wenn das Konzept in Bezug auf Naturschutz weiterer Konkretisierung bedarf und wichtige Themen wie die Finanzierung oder der Beitrag der Landwirtschaft unterbeleuchtet bleiben, wird doch erkennbar, dass die Kommission die Bedeutung einer intakten Umwelt und eines möglichst wenig veränderten Klimas erkannt hat. Trotz und gerade wegen der weitreichenden Konsequenzen der Coronakrise darf der Green Deal nicht aufgeweicht werden. Sonst verkäme er, wie andere Konzepte und Strategien vor ihm, zu einem weitestgehend wirkungslosen Papier. Ebenso sind die mittlerweile vorgelegte EU-Biodiversitätsstrategie 2030 und die Landnutzungs- und Lebensmittelstrategie „Farm to Fork“ wichtige und ambitionierte Strategien, die große Chancen für die Natur und eine zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringen; die sich damit stellenden Chancen müssen jetzt ergriffen werden.

Umweltschutz sektorenübergreifend angehen

Nun kommt es auf die Mitgliedsstaaten an, die Richtlinien und nationale Gesetzgebungen ambitioniert umzusetzen, um für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Umwelt-, Klima- und Naturschutz sind dabei als miteinander in Wechselwirkung stehende wie auch als übergreifende Handlungsfelder zu verstehen: Die sich stellenden Probleme und Herausforderungen werden von nahezu allen Sektoren mitverursacht. Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Ressourcen und des Klimas sowie der Klimaanpassung fallen damit nicht allein in den Aufgabenbereich des Umwelt- oder Naturschutzes, sondern müssen ebenso von der Steuer- und Wirtschaftspolitik, der Energie- und Verkehrspolitik und insbesondere der Agrarpolitik aktiv angegangen werden.

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass den Umweltzielen von EU und Bundesregierung andere sektorale Ziele und Subventionen nicht entgegenstehen oder gar aktiv zuwiderlaufen dürfen. Um die erforderlichen Handlungsspielräume zu vergrößern, müssen Natur-, Klima- und Umweltschutz eine deutliche gesetzliche Stärkung erfahren.

Ziele des Memorandums des BBN

Vor diesem Hintergrund richtet sich der Bundesverband Beruflicher Naturschutz e. V. (BBN) mit seinem Memorandum an die politisch Verantwortlichen aus Bund und Ländern sowie entsprechende Bundes- und Landesverbände, um auf die zunehmenden und teilweise neuen Herausforderungen für den Klima- und Naturschutz in 13 Handlungsfeldern aufmerksam zu machen (Abb. 1). Diese Herausforderungen reichen von bekannten, aber nach wie vor ungelösten Themen, wie Landnutzungen, die der Biodiversität und dem Klima schaden, bis hin zu neuen Fragen wie den Auswirkungen (aber auch Chancen) der Digitalisierung oder des Genome Editing auf den Naturschutz. Nach Meinung des BBN müssen diese Themen größere Aufmerksamkeit und Berücksichtigung erlangen – nicht nur im Natur-, Umwelt- und Klimaschutz. Der Naturschutz und alle anderen Politikbereiche müssen auf die aktuellen Problemdimensionen und die zunehmenden Herausforderungen angemessen und zügig reagieren. Der BBN spricht zu jedem dieser Handlungsfelder Empfehlungen aus. In vielen Fällen kommt es hierbei zu Überschneidungen, da die Bereiche oftmals in Beziehung zueinander stehen. Übergeordnete Empfehlungen, die grundlegend für den gesamten Naturschutz gelten, werden im Resümee aufgeführt.

1 Effektiver und sofortiger Schutz der Biodiversität

Wie der IPBES in seinem 2019 veröffentlichten Bericht „Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services“ eindrücklich ausführt, ist mittlerweile eine Million Arten weltweit akut vom Aussterben bedroht (IPBES 2019). Auch hierzulande verschlechtert sich der Erhaltungszustand vieler Arten und Lebensräume oder stagniert auf niedrigem Niveau. Die Sicherung der wildlebenden Tiere und Pflanzen sowie die Wahrung ihrer Lebensräume sind dabei Verfassungsauftrag und Kernaufgabe des Naturschutzes in Deutschland.

Die Bundesregierung hat sich mehrfach zum Erhalt und Schutz der Biodiversität verpflichtet: Sowohl mit der Unterzeichnung des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (CBD) als auch mit dessen nationaler Umsetzung in Form der Nationalen Biodiversitätsstrategie erklärt sie ihren Willen, Arten und Lebensräume zu schützen und zu bewahren. Rechtlich verankert ist dies auch in den Sustainable Development Goals (SDGs) und im Bundesnaturschutzgesetz, als Vorsorgeprinzip im Grundgesetz wie auch in den Artikeln 11 und 114(3) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) (WBBGR 2018). Trotz ambitionierter Zielsetzungen ist der Rückgang der Arten und Lebensräume in Deutschland seit Jahren in Ausmaß und Geschwindigkeit dramatisch. Er erstreckt sich mittlerweile über alle Artengruppen und betrifft sogar weit verbreitete Generalisten.

Notwendigkeit eines flächendeckenden Biodiversitätsschutzes

Eine enge Fokussierung auf geschützte Arten ist demnach nicht mehr ausreichend, vielmehr muss der Schutz für die Lebensräume und Lebensstätten aller wildlebenden Arten einschließlich der Insekten erweitert und präzisiert werden. So sind auch etwa Dreiviertel der Biotoptypen Deutschlands auf der Roten Liste als gefährdet eingestuft und der Erhaltungszustand der meisten FFH-Lebensraumtypen verschlechtert sich von Bericht zu Bericht oder bleibt auf ungünstigem Niveau (WBBGR 2018). Die Sicherung der biologischen Vielfalt muss zu einem zentralen Pfeiler der deutschen Umweltpolitik ausgebaut werden und einen deutlich höheren Stellenwert in der Förderpolitik bekommen.

Besonders betroffen sind die Arten und die Biotop- und Lebensraumtypen der Agrarlandschaft, was auf intensive Bewirtschaftungsweisen der Landwirtschaft und Veränderungen der Landschaftsstruktur zurückzuführen ist (BMU & BfN 2020). Da es sich hierbei um ein flächendeckendes Problem handelt, kann die Biodiversitätskrise mit alleinigen Artenschutzmaßnahmen oder einem Fokus auf Schutzgebiete nicht aufgehalten werden.

Stattdessen müssen Maßnahmen breit angelegt sein und in der ganzen Fläche wirken, wofür eine an ökologischen Kriterien ausgerichtete Landwirtschaft eine grundlegende Voraussetzung ist (siehe Punkt 6). Zudem gilt es, die Lebensräume wildlebender Arten zu erhalten und gezielt miteinander zu verbinden. Die Umsetzung des Biotopverbunds muss hierfür forciert werden.

Gutes Management gewährleisten

Für besonders bedrohte Artengruppen sind zusätzlich spezielle Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierbei sind nicht ausschließlich die europäisch geschützten Arten in den Fokus zu nehmen, sondern insbesondere national bedeutsame Arten der Roten Listen (einschließlich Verantwortungsarten). Darüber hinaus bedarf es speziell für Schutzgebiete eines ambitionierten nationalen Aktionsplans, der klare Managementaufgaben enthält. Das Aktionsprogramm Insektenschutz enthält zielführende Ansätze und sollte konsequent umgesetzt werden. Dringend notwendig sind in diesem Zusammenhang auch der Ausbau von Rangerstellen in allen Schutzgebieten und Projektgebieten sowie die Sensibilisierung der Bevölkerung für die Notwendigkeit des Schutzes der Biodiversität. Die Kampagne „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ sollte daher stärker dazu genutzt werden, das Naturverständnis und ein entsprechendes Naturverhalten zu fördern.

2 Klimaschutz und Klimaanpassung im Zusammenhang mit Naturschutz denken

Die klimatischen Veränderungen führen zu weitreichenden Problemen nicht nur im Naturschutz. Die Ursachen der bereits heute spürbaren Auswirkungen sind bekannt (IPCC 2014, 2018). Unverzügliches und ambitioniertes Handeln ist dringend geboten, um die Risiken des Klimawandels für Ökosysteme, Tiere und Pflanzen und nicht zuletzt auch für den Menschen so gering wie möglich zu halten.

Der Klimawandel verändert das Gleichgewicht vieler Ökosysteme, die als Lebensräume und als CO2-Senken essenziell sind. Die Folgen sind der Verlust und die Degradation von Habitaten zahlreicher Tier- und Pflanzenarten sowie die Freisetzung von Treibhausgasen. Das treibt den Klimawandel weiter an, selbstverstärkende Prozesse werden in Gang gesetzt. Klimaschutz ist damit Naturschutz und gleichzeitig wird Naturschutz in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger. Denn qualitativ hochwertige, resiliente Ökosysteme sind am ehesten gegen die Herausforderungen eines sich ändernden Klimas gewappnet und können gleichzeitig auch eine CO2-Senkenfunktion erfüllen. Diese engen Zusammenhänge zwischen Klima-, Natur- und Bodenschutz wurden jedoch zu lange vernachlässigt und als separate Themenfelder behandelt. Der Schutz von Arten und Lebensräumen muss unweigerlich mit dem Schutz des Klimas einhergehen (WWF 2019).

Synergien zwischen Natur- und Klimaschutz und Klimaanpassung nutzen, Zielkonflikte vermeiden

Manche Maßnahmen zum Schutz des Klimas haben jedoch negative Auswirkungen auf die Natur: Zwar kann ein Wald mit Monokulturen einer schnellwachsenden Baumart (zum Beispiel Douglasie) der Atmosphäre vergleichsweise viel COinnerhalb eines kurzen Zeitraums entziehen. Jedoch bietet er in Bezug auf Habitatqualität und Nahrung für heimische Tierarten keine Vorteile beziehungsweise sogar erhebliche Nachteile. Ein weiteres offensichtliches Beispiel ist der Biomasseanbau zur Erzeugung erneuerbarer Energie, der durch die intensive Bewirtschaftung in Monokulturen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Beeinträchtigungen für wildlebende Arten und ihre Lebensräume sowie für Gewässer und Böden hervorruft. Bei der aus Klimaschutz- und Klimaanpassungsgründen notwendigen Gebäudedämmung muss jeweils Sorge getragen werden, dass sich dies nicht nachteilig auf Gebäudebrüter wie den Hausrotschwanz oder den Mauersegler auswirkt, die durch die Dämmung ihre Quartiere verlieren können.

Gleichzeitig gibt es viele Beispiele, wie Naturschutz, Klimaschutz und Klimaanpassung Hand in Hand gehen und immanente Synergien für alle drei Bereiche zum Tragen kommen. Denn insbesondere Zielsetzungen zur Klimaanpassung können durch Maßnahmen des Naturschutzes erreicht werden. Das betrifft vor allem die Förderung und Sicherung von Feuchtgebieten und dem extensiv genutzten Grünland, mitsamt einem effektiven Bodenschutz. Maßgeblich sind zudem die deutliche Erhöhung der Säume und Feldgehölze in der Feldflur, der Schutz alter Wälder und eine naturnahe Waldbewirtschaftung mit langen Umtriebszeiten und der ökologisch wirksamen Nutzungsfreistellung im Sinne der Biodiversitätsstrategie.

Durch diese Maßnahmen werden sowohl die Funktionen dieser Ökosysteme als Kohlenstoffsenke gefördert, ihr Wasserhaushalt und ihre Böden geschützt sowie ihre Qualität als Lebensraum für unterschiedliche Arten und als Biotopverbund gesteigert. Auch der Renaturierung von Gewässern und der Reaktivierung ihrer Ufer und Auen kommt eine wesentliche Bedeutung zu, da renaturierte Gewässer Überschwemmungen etwa infolge von Starkregenereignissen abmildern. Gleichzeitig kann in Phasen mit wenig Niederschlag das Wasser besser in der Fläche gehalten werden und kleinere Gewässer fallen weniger schnell trocken. Ein grenzüberschreitender Biotopverbund ist ein elementares Bindeglied zwischen den einzelnen Habitaten und muss auch hinsichtlich der Anpassungsstrategien der wildlebenden Arten an den Klimawandel ausgebaut und langfristig gesichert werden (siehe unten).

Dynamik erlauben, um Anpassung zu ermöglichen

Derzeit sind viele Instrumente des Naturschutzes statisch ausgelegt. Allerdings muss sich der Naturschutz, insbesondere mit Blick auf die raschen Veränderungen durch den Klimawandel, auf dynamische Prozesse einstellen und sich häufig flexibel und schnell anpassen können. Beispielsweise ist die Zusammensetzung wertgebender Arten für einen „günstigen Erhaltungszustand“ von FFH-Gebieten den sich ändernden klimatischen Bedingungen und resultierenden Arealverschiebungen unterworfen. Es muss daher geprüft werden, ob und gegebenenfalls wie naturschutzrechtliche Ziele, Strategien und Instrumente für einen „bewahrend-dynamischen Naturschutz“ (Heiland & Kowarik2008) angepasst werden müssen. Eine grundlegende Stellschraube hierfür sind Maßnahmen zur Wiederherstellung und Vernetzung von Ökosystemen im Biotopverbund. Biotopverbünde sind insbesondere in einem sich ändernden Klima und einer zunehmend fragmentierten Landschaft von immenser Bedeutung. Ein ambitionierter, mit naturschutzfachlichen Qualitätskriterien unterlegter Ausbau des Biotopverbunds ist daher ein essenzielles Fundament, um für Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein.

3 Bodenschutz stärken, auch für das Klima

Bei der Sicherung und Entwicklung ökologisch und klimatisch wirksamer Ökosysteme und Flächen kommt dem Boden eine kaum beachtete Schlüsselrolle zu: Neben der CO2-Speicherung in Ozeanen und in pflanzlicher Biomasse stellen insbesondere die Böden von intakten Wäldern, Dauergrünland, Feuchtgebieten und Mooren wichtige CO2-Senken dar. Gleichzeitig beherbergen Böden eine immense, kaum bezifferbare biologische Vielfalt an Mikroorganismen und sind grundlegende Voraussetzung für das Leben, das sich auf ihnen entwickeln kann. Die CO2-Speicherkapazität wie auch die zahlreichen weiteren Ökosystemfunktionen müssen durch eine wirkungsvolle Begrenzung der Bodenneuversiegelung, eine Förderung der Entsiegelung und eine nachhaltige Bodennutzung erhalten bleiben und durch gezielte Maßnahmen entwickelt werden.

Die landwirtschaftliche Bodennutzung bleibt von Maßgaben des Naturschutzrechts und des Bodenrechts bislang jedoch weitgehend unberührt. Sie wird von Vorgaben zum Schutz der Biodiversität, des Wasserhaushalts, des Klimas und des Bodens überwiegend freigestellt, sofern die jeweilige Fläche nicht Auflagen von Schutzgebietsverordnungen unterliegt. Insbesondere durch intensive Bewirtschaftungsweisen und den Eintrag von Pflanzenschutz- und Düngemitteln kommt es auf dem Gros der landwirtschaftlichen Nutzfläche zu Problemen für die Biodiversität, das Bodengefüge (Verdichtung und Erosion) und oftmals für das Grundwasser. Zudem wird Humus in erheblicher Menge abgebaut. Durch die nachlassende CO2-Speicherkapazität, insbesondere von entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Moorböden und umgebrochenem Grünland, sind die Auswirkungen auf das Klima besonders groß. Schadstofffreie, humusreiche Böden sind jedoch unabdingbare Voraussetzungen für qualitativ hochwertige Ökosystemleistungen, wie sauberes Trink- und Grundwasser und die Produktion gesunder Nahrungsmittel. Die Biodiversität des Bodenlebens ist enorm hoch und prägt maßgeblich die Lebensstätten. Deshalb müssen alle naturnahen Böden, einschließlich der landwirtschaftlich genutzten, vor zu intensiver Inanspruchnahme und Beeinträchtigung geschützt werden. Dies betrifft auch ihre fortschreitende Versiegelung aufgrund der anhaltend hohen Bautätigkeit.

Die im Bundesnaturschutz- und Bodenschutzgesetz formulierten Grundsätze werden den neuen Herausforderungen im Klimaschutz, der Klimaanpassung und zur Sicherung der Biodiversität nicht mehr gerecht. Der Bodenschutz fristet in Deutschland nach wie vor ein Dasein am Rande und ist nur marginal mit Ausnahme des Altlastenbereichs im Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) instrumentiert. Es sollte geprüft werden, den vorsorgenden Bodenschutz aus dem rechtlichen Kontext der Altlastensanierung herauszulösen, um ihn administrativ zu stärken. Die im Gesetz bereits verankerten Vorgaben etwa zum Schutz des Humusgehalts und die engen Querverbindungen zum Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) müssen kombiniert und gestärkt werden. Es bedarf klarer Standards und Maßstäbe für die Bodennutzung, die als Grundpflichten mit Vollzugsregularien ausgestaltet werden müssen. Umfassende Interventionen, Anreize zur Umsteuerung und Neuregelungen sind dringend geboten. Dies ist Grundlage für einen effektiven Naturschutz.

4 Binnengewässer und Meere schützen

Binnengewässer und ihre Auen erfüllen eine Vielzahl wichtiger ökologischer Funktionen und bilden ein Rückgrat für die landschaftliche Biotopvernetzung. Sie sind Hotspots der Biodiversität in Mitteleuropa, befinden sich jedoch zum überwiegenden Teil in schlechtem Zustand (BMU & BfN 2009, SRU 2020). Dies zeigt sich auch am derzeitigen Umsetzungsstand der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Da sich derzeit nur etwa 8 % der deutschen Oberflächengewässer in gutem oder sehr gutem ökologischem Zustand befinden, ist absehbar, dass bis zur verlängerten Frist im Jahr 2027 ein guter Gesamtzustand nicht erreicht wird (BMUB & UBA 2017, SRU 2020). Der Handlungsbedarf bleibt somit, trotz einiger positiver Beispiele umgesetzter Maßnahmen an Gewässern, unvermindert hoch. Synergien, die sich bei der Renaturierung von Fließgewässern und dem Schutz von Auen mit dem Naturschutz und dem Hochwasserschutz bieten, sollten frühzeitig in der Planung erkannt und genutzt werden (SRU 2020).

Desolat ist auch der Zustand der Meere. Dabei sind intakte marine Ökosysteme und ihre Ökosystemleistungen eine existenzielle Lebensgrundlage für den Menschen und Lebensraum zahlloser mariner Tier- und Pflanzenarten. Auch die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) bleibt in ihrer Umsetzung jedoch weit hinter ihrem Ziel artenreicher, sauberer und produktiver Meere bis 2020 zurück. Natura-2000-Meeresschutzgebiete werden, obwohl Schutzgebietsverordnungen existieren, weiterhin massiv übernutzt. Ein effektiver Schutz findet nicht statt. Neben intensiver Fischerei wird die Meeresumwelt weiterhin durch Nähr- und Schadstoffeinträge, Munitionsaltlasten, Abbau von Kiesen und Sanden und die Förderung von Öl geschädigt.

Eine integrierte und stringente Umsetzung der MSRL und der Natura-2000-Richtlinien böte die Chance, den Zustand der Meeresschutzgebiete deutlich zu verbessern. Erst kürzlich wurde die WRRL im Refit-Verfahren der EU als für ihren Zweck geeignet und effektiv bewertet (Europäische Kommission 2019). Die Richtlinien setzen mit den richtigen Zielsetzungen und Maßnahmen an, die rechtlichen Voraussetzungen sind sowohl für den Schutz der deutschen Meeresgebiete als auch der Binnengewässer vorhanden. Allerdings mangelt es an einer angemessenen Umsetzung der Richtlinien. In der „Kieler Erklärung“, der Abschlusserklärung der Teilnehmenden des Deutschen Naturschutztages 2018 (DNT 2018), werden die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Europäische Union dazu aufgefordert, ihrer Verpflichtung zum Schutz der Meere durch gezielte Maßnahmen nachzukommen. Die dort gestellten Forderungen sind weiterhin gültig.

5 Der Landschaft einen gebührenden Stellenwert einräumen

Die deutschen und europäischen Kulturlandschaften unterliegen einem sehr hohen Veränderungsdruck. Es droht ein zunehmender Verlust ihrer Eigenartmerkmale und besonderen Qualitäten, Landschaftsfunktionen und Ökosystemleistungen für die Gesellschaft. Maßgeblichen Anteil hieran haben insbesondere die Intensivierungen in der Landnutzung, die Inanspruchnahme von Landschaft und Freiraum durch bauliche Nutzungen und für Infrastrukturprojekte, die fehlende Pflege insbesondere von historisch geprägten Kulturlandschaften und zunehmend auch der Klimawandel. Die Beeinflussungen sind mannigfach und multifunktional. Daher muss der nachhaltigen Sicherung regional und historisch bedeutsamer Kulturlandschaften und der verbliebenen Naturlandschaften große Aufmerksamkeit gewidmet werden. In diesem Sinne geht es um nichts weniger als um die Sicherung des natürlichen und kulturellen Erbes in landschaftlicher Dimension und Multifunktionalität.

Gleichzeitig sind diese spezifischen Landschaften auch von herausragender Bedeutung für die Erlebnisvielfalt und die landschaftsgebundene Erholung. Das bewusste Erleben und Wahrnehmen von Natur und Landschaft ist allerdings nicht nur im Kontext besonders hochwertiger Landschaften und Landschaftsbestandteile relevant, sondern auch als Teil der Alltagserfahrung und der räumlichen Identität sowie als Beitrag für Rekreation und Erholung. Landschaft und Freiraum sind für die Zukunft von Naturschutz und Landschaftspflege damit von herausragendem Gewicht. Dies schließt die stark wachsende Bedeutung der urbanen Freiräume mit ihren spezifischen und komplexen Funktionen einschließlich der Klimaregulation ein.

6 Agrarwende einleiten

Der Zustand der Biodiversität in den Agrarlandschaften ist in vielen Regionen Mitteleuropas desaströs und mittlerweile schlechter als in den meisten anderen Landschaftstypen. Betroffen sind sowohl die schwindende Vielfalt an genutzten Tier- und Pflanzenarten und an Biotoptypen des Offenlandes als auch die assoziierte Biodiversität, das heißt die im landwirtschaftlichen Raum wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sowie ihre Lebensräume. Intensive Bewirtschaftungsweisen in einer veränderten Landschaftsstruktur (große Schläge und Ausräumung von Strukturelementen), enge Fruchtfolgen mit hohem Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz, häufige Mahd und hohe Intensität und Häufigkeit der Bodenbearbeitung haben dramatische Artenrückgänge etwa bei Insekten, Reptilien und Vögeln sowie Eutrophierung und Schadstoffbelastungen von Gewässern und Böden, Humusabbau und hohe Treibhausgasemissionen zur Folge (WBBGR 2018).

Aufgrund der großen landwirtschaftlichen Nutzfläche ist die Art und Weise der Bewirtschaftung ausschlaggebend für den generellen Zustand der Biodiversität des Offenlandes, von Gewässern und von Luft und Böden. Die Agrarproduktion muss flächendeckend (insbesondere im konventionellen Ackerbau und der zunehmend intensiven Grünlandnutzung) deutlich umweltverträglicher und nachhaltiger gestaltet werden. Wird die Landwirtschaft als Faktor verstanden, der neben der Produktion von Lebensmitteln auch intakte Böden und Gewässer schafft, Biodiversität entwickelt und Treibhausgase im Boden bindet, kann auf großer Fläche viel für einen guten Zustand der Natur erreicht werden. Hierfür sind Maßnahmen und eine gerechte Honorierung auf unterschiedlichen Ebenen notwendig, welche die Bewirtschaftung, den strukturellen Rahmen und die gesellschaftlichen Konsumgewohnheiten betreffen.

Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen, Förderung des Strukturreichtums und des Grünlands

Flächendeckend ist eine deutliche Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln geboten. Zudem muss die Schaffung kleiner Strukturen, beispielsweise durch Erhalt und Neuanlage von Hecken, pestizid- und düngemittelfreien Randstreifen (entlang Gewässern, Weg- und Feldrändern), Altgrasstreifen, aber auch Trockenmauern sowie Klein- und Kleinstgewässern stärker gefördert werden. Neben der Stärkung von Linienbiotopen auf Einzelflächen ist auch der großräumige Biotopverbund zügig umzusetzen. Extensives Grünland muss aufgrund seiner herausragenden Bedeutung als Habitat vieler bedrohter Arten und für den Klimaschutz sowie nicht zuletzt wegen seiner Ästhetik in der Kulturlandschaft deutlich besser geschützt und biodiversitätsfördernd bewirtschaftet werden. Nach Möglichkeit sind bei der Wiesenbewirtschaftung je nach Standort tierschonende Mahdtechniken anzuwenden, was in den Förderprogrammen angemessen zu berücksichtigen ist. Prioritär gefördert werden müssen nachSchoofet al. (2019) vor allem flächengebundene, extensive Beweidungsverfahren mit Schafen, Ziegen und Rindern mit Weideschlachtung und lokalen Vermarktungswegen („farm to fork“). Hierdurch werden für Verbraucher ökologisch akzeptable Bezugsquellen für Fleisch geschaffen und gleichzeitig wichtige Impulse zur Stärkung der Biodiversität in halboffenen Kulturlandschaften gesetzt. Zu begrüßen sind auch entsprechende extensive Beweidungsverfahren mit Pferden und anderen Extensivrassen zur Offenhaltung der Landschaft.

Neuausrichtung der GAP für einen starken, flächendeckenden Schutz unserer natürlichen Ressourcen

Klima- und Biodiversitätsschutz müssen zu integralen Bestandteilen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden. Dies erfordert, dass sich die Agrarfinanzierung zukünftig an der Maßgabe „Öffentliche Gelder nur für öffentliche Leistungen“ orientiert und umweltschädliche Subventionen eingestellt werden. Nur durch eine Umverteilung des enormen Mitteleinsatzes der Flächenprämien in die Honorierung von Landwirtinnen und Landwirten für ökologisch wirksame Naturschutzleistungen können Böden, Wasser, Klima, Biodiversität und Landschaft in der Fläche effektiv geschützt und gefördert werden. Die Einhaltung eines ausreichend ambitionierten gesetzlichen Mindeststandards des Natur- und Umweltschutzes muss zu einer Grundvoraussetzung für eine generelle Förderung durch die GAP werden. Forderungen liegen seitens der Verbändeplattform zur Agrarwende, eines Zusammenschlusses aus Umweltverbänden, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik und Tierschutz, vor, die im weiteren Vorgehen Berücksichtigung finden sollten (Verbände-Agrarplattform 2017).

Konsum und Preispolitik

Die Preispolitik im Lebensmittelsektor und die derzeitige Ernährungsweise, die durch den hohen Anteil tierischer Produkte äußerst ressourcenintensiv ist, sind weitere elementare Ansatzpunkte für eine Transformation hin zu einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Landwirtschaft. Dies betrifft auch eine drastische Verringerung der Menge an Lebensmitteln, die während des Produktionsprozesses oder durch den Verbraucher weggeworfen werden. Veränderte Konsum- und Ernährungsgewohnheiten und eine größere Wertschätzung für Lebensmittel und die Landwirtschaft sind unabdingbare Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die sich an den planetaren Grenzen orientiert.

7 Die Widerstandsfähigkeit der Wälder erhöhen

Die Wälder leiden zunehmend unter dem Klimawandel, was nach den trockenen und heißen Sommern der Jahre 2018 und 2019 und einem dazwischenliegenden niederschlagsarmen Winter nahezu deutschlandweit nicht nur für Experten sichtbar geworden ist. Diese Extreme werden keine Ausnahmeerscheinungen bleiben, sondern mittel- bis langfristig eine neue Normalität darstellen. Intakte Wälder sind CO2-Senken, mindern die Umgebungstemperatur und sind wichtige Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten. Gelingt es nicht, den Ausstoß von Treibhausgasen effektiv zu reduzieren und den Zustand der Wälder zu verbessern, können sie jedoch zu Treibhausgasquellen werden und zahlreiche Ökosystemfunktionen einbüßen.

Zusätzlich zum Klimawandel lasten ein hoher Nutzungsdruck und weitere Stressfaktoren auf den Wäldern, was durch Fehlbestockungen (Nadelbaum-Monokulturen) des letzten Jahrhunderts gefördert wurde.

Neue Ausrichtung der Waldpolitik erforderlich

Um die Ökosystemleistungen des Waldes langfristig zu sichern, muss das oberste Gebot sein, Wälder widerstandsfähiger gegen Klimaextreme und Klimawandel-begünstigte Schadereignisse zu machen. Die Waldbewirtschaftung muss sich dafür an ökologischen Kriterien ausrichten, was insbesondere die Abkehr von Monokulturen und den Wandel hin zu artenreichen, strukturreichen Mischwäldern bedeutet. Auch die Wasserspeicherkapazität der Böden muss verbessert werden. Entsprechende Anforderungen stellen sich an die Bewirtschaftungsweise, die Aus- und Weiterbildung von Förstern und Waldfacharbeitern sowie personelle Aufstockung in diesen Berufsfeldern. Wälder im Eigentum von Körperschaften des öffentlichen Rechts und des Staates sollten hier Vorbildfunktion für die Umsetzung ökologisch erforderlicher Maßnahmen für eine Naturwaldentwicklung einnehmen.

Es braucht eine neue Ausrichtung der Waldpolitik, die die nachhaltige Sicherung und Stabilisierung multifunktionaler Wälder in den Mittelpunkt stellt und nicht den alleinigen Fokus auf die wirtschaftliche Nutzung legt. Die angekündigte Waldstrategie des European Green Deal kann hier eine Chance darstellen, sofern sie den Schwerpunkt auf den Erhalt und die Stabilisierung der Wälder, insbesondere der alten, naturschutzfachlich wertvollen Wälder, legt (NABU 2019). Hierbei ist auch die Realisierung von Wildnisgebieten in Wäldern eine wichtige Maßnahme. Naturnahe Wälder sind prädestiniert für die Etablierung von Wildnisgebieten und sollten daher einen Beitrag zur Realisierung des 2%-Wildnisziels der Bundesregierung leisten, wie dies in der Nationalen Biodiversitätsstrategie verbindlich festgelegt wurde.

8 Grüne Infrastruktur ausbauen

Die fortschreitende Fragmentierung der Landschaft ist ein wesentliches Hemmnis für die Etablierung des Biotopverbunds und die Ausbreitung, Wanderbewegungen und das Vagabundieren von Tier- und Pflanzenarten sowie den Austausch zwischen (Teil-)Populationen. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts nimmt die Notwendigkeit der Vernetzung von Ökosystemen stetig zu.

Die grüne Infrastruktur bildet das Rückgrat für Wahrnehmung und Aneignungsmöglichkeiten der Landschaft und der urbanen Freiräume für die Menschen und ihre Erholung. Ihre Qualität bestimmt maßgeblich die Bedingungen zur Betätigung und Bewegung im Freiraum, wie beispielsweise Wandern, Entspannen oder Flanieren. Der grünen Infrastruktur, die von EU und Bundesregierung als Bestandteil der strategischen Raumplanung gefördert wird, kommt daher immer größere Bedeutung zu – auch zur Klimaanpassung im unmittelbaren Lebensumfeld großer Teile der Bevölkerung in urbanen Räumen und Metropolregionen, die am stärksten vom Temperaturanstieg betroffen sind.

Um einen Beitrag für den Schutz der Biodiversität und der Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen leisten zu können, muss die grüne Infrastruktur an planerischen, ökologischen und sozialen Erfordernissen ausgerichtet sein und dementsprechend geplant, angelegt und gepflegt werden (BMUB 2017). Beim Zusammentreffen unterschiedlicher Nutzungsansprüche (zum Beispiel in Städten) sind interdisziplinäre und integrative Lösungsansätze sowie eine übergreifende Perspektive für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen mit größtmöglicher Multifunktionalität der Räume erforderlich. Dies betrifft auch die Maßnahmenplanung von Vorhaben der grauen Infrastruktur (Verkehr, Energie, Ver- und Entsorgung) und im Städtebau.

9 Energiewende naturverträglich gestalten

Die Energiewende ist eine Grundvoraussetzung für den Klimaschutz und die Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens. Die weitestgehende Verringerung der Auswirkungen des Klimawandels ist außerdem aufgrund von dessen direkten und indirekten Wirkungen für den Erhalt und den Zustand der Biodiversität und weiterer Schutzgüter und Ökosystemleistungen essenziell. Der Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere im Strom-, Wärme- und Verkehrsbereich (bei beiden letzteren vor allem strombasiert), ist dabei ein wesentlicher Pfeiler. Mindestens ebenso wichtig sind die konsequente Reduzierung des Energieverbrauchs und die Steigerung der Energieeffizienz.

Es ist unvermeidbar, dass sich der Ausbau erneuerbarer Energien auf Natur- und Kulturlandschaften und Lebensräume auswirkt. Zielkonflikte zwischen erneuerbaren Energien und dem Naturschutz müssen frühzeitig erkannt und so weit wie möglich reduziert werden (siehe Punkt 2). Um Natur- und Klimaschutz in Einklang zu bringen und die Eingriffe in den Naturhaushalt so gering wie möglich zu halten, sind flächeneffiziente Technologien vorrangig auszubauen. So sollte beispielsweise die Produktion von Bioenergie nur auf Reststoff- und Abfallbasis erfolgen, also nicht durch Anbau von Energiepflanzen wie Mais in Monokultur, und für die Gewinnung von Solarenergie sollten nur bereits versiegelte Flächen oder Dachflächen genutzt werden. Außerdem muss das Schutzgut Landschaft stärker in den Fokus von Planungs- und Genehmigungsverfahren genommen werden. Dabei muss die Standortwahl im Hinblick auf den Schutz von Arten, Lebensräumen, Landschaften und Landschaftsfunktionen sehr bedacht erfolgen.

Regional wichtige landschaftliche Qualitäten sind ebenso zu erhalten wie naturnahe Landschaften, die keine technischen Infrastrukturen aufweisen. Eine übergeordnete Planung der Erzeugungsmengen und deren Verteilung wird notwendig, wobei ein verbrauchsnaher Ausbau auch im Sinne der Akzeptanz vorzuziehen ist. Hierdurch können Anzahl und Länge von Hochspannungsübertragungsnetzen reduziert werden. An dieser Stelle sei auch auf die Forderungen verwiesen, die als Abschlusserklärung des Deutschen Naturschutztages in Erfurt verfasst wurden (DNT 2012).

Wasserstoff hat eine Schlüsselfunktion in der Energiewende (siehe Nationale Wasserstoffstrategie). Die Technologieentwicklung von grünem Wasserstoff auf der Basis erneuerbarer Energien ist zu begrüßen. Dieser Prozess ist jedoch mit hohem Energieverbrauch verbunden. Wasserstoff kann in der Zukunft vor allem als Energiequelle im Schwerlastverkehr, in der Industrie und zum Einsatz als Speicher und Transport dienen. Mit Blick auf die knappe Flächenverfügbarkeit ist zu fordern, dass die Anwendung von Wasserstoff gerade dort erfolgt, wo effizientere, zum Beispiel direkte elektrische Anwendungen nicht möglich sind. Beim Einsatz der neuen Wasserstofftechnologie werden in erheblichem Umfang zusätzliche Anlagen zur erneuerbaren Stromproduktion notwendig; dabei wird unter anderem bis 2040 von zusätzlichen 10 GW Zubau von Windkraft (auf See) ausgegangen, was mit dem ohnehin erhöhten Ausbauziel (40 GW bis 2040) eine Vervielfachung der bislang rund 7,5 GW installierten Leistung in einem sehr sensiblen Naturraum bedeutet.

10 Digitalisierung für den Naturschutz nutzen

Die Digitalisierung ist ein Megatrend unserer Zeit, der auch vor dem Klima-, Umwelt- und Naturschutz nicht Halt macht. Sie hat bereits heute, und in Zukunft zunehmend, massive Auswirkungen auf Natur und Umwelt. Je nachdem, wie Technologien zum Einsatz kommen, können Krisen verstärkt oder Lösungen für bestehende Probleme gefunden werden. Es ist dringend erforderlich, sich auch im Natur- und Umweltschutz mit den neuen Technologien auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wie diese effektiv genutzt werden können.

Daher ist es sehr zu begrüßen, dass das Bundesumweltministerium im März 2020 eine Umweltpolitische Digitalagenda veröffentlicht hat mit dem Ziel, die Digitalisierung in umweltfreundliche Bahnen zu lenken, um einen Beitrag zu leisten, den Klimawandel zu begrenzen und das Artensterben zu stoppen (BMU 2020). Insbesondere in den Bereichen Erneuerbare Energien, Landwirtschaft und Mobilität muss die Digitalisierung für die Einhaltung planetarer Grenzen genutzt werden.

 

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