NATURE RESTORATION LAW
- Veröffentlicht am

Als einen zentralen Baustein des Green Deals, dem ehrgeizigen Plan der EU-Kommission für ein sowohl nachhaltiges als auch wettbewerbsfähiges Europa, hat diese vor gut einem Jahr einen Vorschlag für eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur vorgelegt, das sogenannte „Nature Restoration Law“. Mit Natura 2000 verfügt die EU zwar bereits über das größte koordinierte Schutzgebietsnetz weltweit, denn 18 % der Landfläche und 9 % der Meerfläche sind als FFH- beziehungsweise Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Jedoch befinden sich 81 % der Natura-2000-Gebiete in einem unzureichenden bis schlechten Zustand. Um den rasanten Verlust an Biodiversität abzubremsen, genügt es nicht, Schutzgebiete auszuweisen, sondern die Lebensräume von Tieren und Pflanzen müssen aktiv verbessert werden. Diesem noch aktiveren Management von Flächen dient der Verordnungsentwurf der Kommission.
1. Unionsrecht
Legislative Akte beschließen jedoch der Rat und das Parlament – wie bereits in der Überschrift „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur“ zum Ausdruck kommt. Die EU beruht im Wesentlichen auf zwei völkerrechtlichen Verträgen zwischen den Mitgliedsstaaten: dem Vertrag über die Europäische Union (EUV), der unter anderem die Organe wie das Parlament, den Rat und die Kommission benennt, sowie dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der unter anderem die Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes enthält. Man nennt diese Verträge Primärrecht. Als sekundäres Unionsrecht bezeichnet man hingegen das nach Maßgabe der in den Verträgen festgelegten Verfahren erzeugte Recht. Die der EU zustehenden Handlungsformen ergeben sich vor allem aus Artikel 288 AEUV. Richtlinien, wie die Vogelschutz- und FFH-Richtlinie, sind gemäß Artikel 288 Abs. 3 AEUV nur hinsichtlich ihres Ziels für die Mitgliedsstaaten verbindlich, überlassen ihnen jedoch weitgehend die Form und Mittel der Umsetzung. Dem Erlass einer Richtlinie der EU folgt daher notwendigerweise ein Umsetzungsakt der Bundesrepublik Deutschland. Hingegen haben Verordnungen gemäß Artikel 288 Abs. 2 AEUV eine unmittelbare Geltung in den EU-Mitgliedsstaaten. In ihrer Wirkung entsprechen sie damit nationalen Gesetzen, weswegen die Wiederherstellungs-Verordnung in der Berichterstattung formal falsch, aber inhaltlich richtig meist als „Renaturierungsgesetz“ bezeichnet wird. Eine EU-Verordnung ist damit bei Inkrafttreten rechtsverbindlich.
2. Wesentliche Regelungen
In der Verordnung werden mehrere verbindliche Wiederherstellungsziele und -verpflichtungen für ein breites Spektrum von Ökosystemen festgelegt. Gemäß Artikel 1 Abs. 2 der Verordnung werden sich die Maßnahmen bis 2030 auf mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der Union und bis 2050 auf alle Ökosysteme, bei denen eine Wiederherstellung erforderlich ist, erstrecken.
Artikel 4 hat die Wiederherstellung von Land-, Küsten- und Süßwasserökosystemen zum
Gegenstand. Nach dessen Absatz 1 ergreifen die Mitgliedstaaten Wiederherstellungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um die in Anhang I der Verordnung aufgeführten FFH-Lebensraumtypen, die sich in keinem guten Zustand befinden, in einen guten Zustand zu versetzen. Nach Absatz 2 erstrecken sich die Wiederherstellungsmaßnahmen auch auf Flächen, die nicht mehr von diesen Lebensraumtypen eingenommen sind, um diesen dort erneut zu etablieren, damit ein günstiger Zustand im Bezugsgebiet erreicht werden kann. Gemäß den Begriffsbestimmungen, die in Artikel 3 enthalten sind, meint „Bezugsgebiet“ das Gebiet eines Lebensraumtyps in einer biogeografischen Region auf nationaler Ebene, das als das Mindestmaß anzusehen ist, um seine langfristige Lebensfähigkeit und der dort vorkommenden charakteristischen Arten zu gewährleisten. Eine analoge Regelung trifft Artikel 5 für die marinen Lebensraumtypen.
Artikel 6 regelt die Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Danach haben die Mitgliedstaaten insbesondere sicherzustellen, dass bis Ende 2030 in allen Städten kein Nettoverlust an Grünflächen gegenüber 2021 zu verzeichnen ist. In Bezug auf die städtischen Grünflächen und Baumüberschirmung müssen steigende Trends erreicht werden.
Artikel 8 hat die Wiederherstellung von Bestäuberpopulationen zum Ziel. Weil diese Arten weitgehend in Anhang II und IV der FFH-Richtlinie fehlen, handelt es sich um eine wichtige Ergänzung zum europäischen Artenschutzrecht. Die Mitgliedstaaten kehren laut allen Verordnungsentwürfen den Rückgang der Bestäuberpopulationen bis 2030 um und erreichen danach einen steigenden Trend, der in regelmäßigen Abständen gemessen wird.
Artikel 9 betrifft die Landwirtschaftsfläche und war bzw. ist die umstrittenste Vorschrift. Ziele sind die Schaffung von Landschaftselementen und die Erholung von Feldvogelpopulationen sowie von Wiesenschmetterlingen. Die im Kommissionsentwurf und auch in der Fassung des Umweltministerrats enthaltene Renaturierung landwirtschaftlicher Flächen wurde, ebenso wie die dort speziell geregelte Wiedervernässung von Torfmooren, nicht in den Standpunkt des EU-Parlaments übernommen. In der vom Parlament angenommen Fassung ist Artikel 9 komplett gestrichen.
Gemäß Artikel 10 müssen speziell auf Waldflächen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, welche die biologische Vielfalt in Wäldern erhöhen. Anhang VI der Verordnung benennt Indikatoren für Waldökosysteme, anhand derer der Fortschritt in regelmäßigen Abständen gemessen wird. Artikel 10a der vom Parlament beschlossenen Fassung sieht die Pflanzung von drei Milliarden zusätzlichen Bäumen vor.
Das Kernelement zur Umsetzung des Nature Restoration Law stellt die in Artikel 11 enthaltene Verpflichtung dar, nationale Wiederherstellungspläne aufzustellen. Darin quantifizieren die Mitgliedstaaten das Gebiet, das wiederhergestellt werden muss, um die Ziele gemäß den Artikeln 4 und 5 zu erreichen. Gemäß Artikel 12 deckt der nationale Wiederherstellungsplan den Zeitraum bis 2050 ab und enthält Zwischenfristen zu den Zielen und Verpflichtungen. Um die Umsetzung sicherzustellen, muss der Wiederherstellungsplan auch einen Zeitplan für die Durchführung der Wiederherstellungsmaßnahmen enthalten. Die Frist bis der nationale Plan der Kommission vorgelegt werden muss, beträgt gemäß Artikel 13 der Verordnung zwei Jahre ab Inkrafttreten. Gemäß Artikel 14 kann die Kommission innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Entwurfs des nationalen Wiederherstellungsplans Anmerkungen übermitteln. Die Mitgliedstaaten haben dann wiederum sechs Monate Zeit zur Überarbeitung. Es wird also nach Inkrafttreten der Verordnung weitere drei Jahre dauern, bis der endgültige nationale Wiederherstellungsplan veröffentlicht wird.
3. Trilog-Verfahren
Wenn, wie im Fall des Nature Restoration Law, die Standpunkte von Rat und Parlament nach der ersten Lesung zu einem Vorschlag der Kommission abweichen, dann bemühen sich die Organe der EU um eine möglichst frühzeitige Einigung. Den Rahmen dafür bietet der Trilog, ein Verfahren, das nach dem Modell des eigentlich für das Haushaltsverfahren geltenden Artikel 324 AEUV eingerichtet wurde. Auf Initiative der Kommission werden Beratungen der Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission einberufen. Diese sollen eine Abstimmung und Annäherung der Standpunkte der Organe, denen sie vorstehen, herbeiführen. Auch in dem Gesetzgebungsverfahren für die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Procedure 2022/0195/COD) folgt nun ein (informelles) Trilogverfahren, in dem ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen der Organe verhandelt wird. Die vom Umweltministerrat gebilligte Fassung vom 20. Juni 2023 sowie der vom Parlament am 12. Juli 2023 angenommene Text mit im Fettdruck hervorgehobenen Änderungen gegenüber dem Kommissionsentwurf sind in deutscher Sprache online abrufbar (Webcode NuL5715 ). Im Rahmen des Trilogs verhandeln Rat, Parlament und Kommission den finalen Gesetzestext. Dieses Verfahren beginnt im zweiten Halbjahr 2023. Bis zur Europawahl im Juni 2024 besteht noch ausreichend Zeit, um das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen. In Kraft tritt die Wiederherstellungs-Verordnung mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU.
4. Naturflächengesetz
Gemäß Artikel 4 Abs. 3 EUV gilt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts („effet utile“). Im Falle einer Kollision zwischen unionsrechtlichen und deutschen Rechtsvorschriften werden letztere zwar nicht ungültig, dürfen aber nicht angewendet werden (Anwendungsvorrang des Unionsrechts). So ist auch Deutschland verpflichtet, eine effektive Umsetzung der Verpflichtungen zu gewährleisten, sobald die Wiederherstellungs-Verordnung im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden ist. Bei einer unmittelbar verpflichtenden Verordnung nicht notwendig, aber im Fall des Nature Restoration Law sinnvoll erscheint ein Bundesgesetz, das wie das Windenergieflächenbedarfsgesetz die Zielvorgaben auf die Länder herunterbricht. Denn der Großteil der Maßnahmen, die im nationalen Wiederherstellungsplan gebündelt werden, muss durch die Verwaltung der Bundesländer und Kommunen realisiert werden. Im Mai hatte Umweltministerin Steffi Lemke angekündigt, eigentlich bis zur Sommerpause einen Entwurf für ein „Naturflächengesetz“ vorzulegen, worauf sich der Koalitionsausschuss bereits im März verständigt hatte. Das Gesetz soll Naturflächen sichern und bereitstellen und den Naturschutz so effektiver machen.In dem Gesetz soll ein zusammenhängendes Biotopverbundsystem auch als Planungsvorgabe für Wiederherstellungsflächen definiert werden.
Autor
Barrierefreiheit Menü
Hier können Sie Ihre Einstellungen anpassen:
Schriftgröße
Kontrast
100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot
Als Abonnent:in von Naturschutz und Landschaftsplanung erhalten Sie pro Kalenderjahr 100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot im Grünen Stellenmarkt.
mehr erfahrenNoch kein Abo? Jetzt abonnieren und Rabatt für 2025 sichern.
zum Naturschutz und Landschaftsplanung-Abo
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.