Windkraft und Birkhuhnschutz
Abstracts
Die Frage, wie sich Windkraftanlagen auf das Birkhuhn ( Tetrao tetrix ) auswirken, ist bisher mit erheblichen Beurteilungsunsicherheiten verbunden und sowohl für den Raufußhuhnschutz als auch für behördliche Bewilligungsverfahren ostalpiner Windkraftprojekte von hoher Relevanz. Vertiefte Untersuchungen im Windpark Steinriegel (Fischbacher Alpen, Steiermark) ergaben ein vorübergehendes Bestandstief nach Anlagenerrichtung, einen signifikant positiven Langzeit-Bestandstrend, das Fehlen jeglicher Meidereaktionen gegenüber den Anlagen, die Etablierung eines neuen Hauptbalzplatzes zwischen zwei Anlagen sowie ein Ausweichen vor alpintouristischen Störungseinflüssen. Eine kritische Zusammenschau von Daten aus sieben österreichischen Windparks zeigt nur dort anhaltende Bestandseinbußen des Birkhuhns oder eine räumliche Verlagerung von Balzplätzen (von den Anlagen ab- oder an diese heranrückend), wo neben der Windkraftnutzung weitere, mit verstärkter Präsenz des Menschen verbundene Nutzungen (insbesondere Alpintourismus und Wintersport) oder durch Wiederbewaldung bedingte Habitatverluste wirksam sind; anderenfalls sind solche Effekte nicht festzustellen. Als wesentlich für die Vereinbarkeit von alpiner Windkraftnutzung und Birkhuhnschutz werden eingestuft: die Verfügbarkeit strukturell geeigneter Habitate, jahres- und tageszeitliche Bauzeitbeschränkungen, Kollisionsvermeidung durch Kontrastfärbung der Anlagensäulen und konsequente Besucherlenkungsmaßnahmen zur Sicherstellung störungsarmer Rückzugsräume.
Persistence and spatial distribution of Black Grouse in east Alpine wind farms: a contribution to the “wind power versus black grouse protection” debate in Austria
The question of wind farm impacts on Black Grouse (Tetrao tetrix) is highly relevant both for grouse protection and for approval procedures for east Alpine wind farms, and it has been subject to major uncertainties. In-depth investigations into the Styrian wind farm at Steinriegel have shown temporary decline after construction, significant long-term population increase overall, no spatial avoidance response to the wind turbines, appearance of a new main lek between two wind turbines, and avoidance of touristic disturbance.
A critical synopsis of data from seven Austrian wind farms only confirms enduring population declines or lek displacement (away from or towards the wind turbines) in such cases where wind farms go hand in hand with habitat deterioration due to either reforestation or other utilization (mostly Alpine tourism and winter sports) associated with the frequent presence of people; otherwise there is no evidence of such effects. The following preconditions are considered crucial for the compatibility of Alpine wind farms and Black Grouse protection: availability of well-structured habitats, restrictions on construction activities during certain times of day and seasons, contrasting colouration of the wind turbine towers to prevent collisions, and rigorous visitor management to assure undisturbed retreat habitats.
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1 Einleitung
Im Zuge der Energiewende von fossilen hin zu regenerativen Energieträgern stellt die Windkraftnutzung ein umwelt- und klimapolitisches Anliegen dar. Nach Angaben der IG Windkraft existieren in Österreich derzeit 1.313 Anlagen (Stand Ende 2018), die Gesamtleistung der Windkraftanlagen (WKA) ist hier seit der Jahrtausendwende von 79 Megawatt auf 3.045 Megawatt gestiegen. Nach den Tieflagen Ostösterreichs wurden zuletzt vermehrt Gebirgsstandorte in die Windkraftnutzung einbezogen. Zunehmend werden daher auch nachteilige Wirkungen auf die alpine Tierwelt thematisiert, wobei der Risikobeurteilung und Risikominimierung für Vögel ganz besondere Aufmerksamkeit zukommt (z. B. BirdLife Österreich 2016,Horchet al. 2012,Linhartet al. 2018, Orchis &Winkler2013).
Zentral in diesem Diskurs – und auch in behördlichen Bewilligungsverfahren von hoher Relevanz – ist die Frage nach dem Risikomanagement für Raufußhühner (Tetraonidae) und dessen fachlichen Grundlagen (z. B.Grünschachner-Berger2013,Nopp-Mayret al. 2018,Wösset al. 2008, Wöss & Zeiler2003). Für das Birkhuhn ( Tetrao tetrix ) wurde über gravierende Auswirkungen der Windkraftnutzung bis hin zum örtlichen Bestandseinbruch berichtet (Grünschachner-Berger2012,Grünschachner-Berger & Kainer2011,Zeiler & Grünschachner-Berger2009), wobei alle genannten Arbeiten im Wesentlichen auf derselben Fallstudie im steirischen Windpark Oberzeiring beruhen. Aus der Arbeitspraxis der Fachbüros der beiden Verfasser in den österreichischen Ostalpen ergaben sich allerdings Gegenbeispiele, die ebenso wie umfangreiche schottische Untersuchungen (Zwart2014,Zwartet al. 2015) eine differenziertere Sichtweise des Konfliktfeldes Birkhühner und Windkraft nahelegen. Wie bei manchen anderen Tierarten (Weber & Köppel2017) bestehen somit auch beim Birkhuhn divergierende Befunde, zu deren Klärung die vorliegende Arbeit beiträgt.
2 Methoden
2.1 Schwerpunktuntersuchung Windpark Steinriegel
2.1.1 Untersuchungsgebiet
Dieser Windpark in den Fischbacher Alpen (Steiermark) wurde 2005 mit zehn Anlagen, in einer zweiten Ausbaustufe 2014 mit weiteren elf Anlagen in Betrieb genommen. Der Windpark liegt in einem Seehöhenbereich von etwa 1.400 m bis 1.580 m (hochmontane bis tiefsubalpine Bergwaldstufe,Kilianet al. 1994), der Anlagenbestand erstreckt sich entlang des Höhenrückens über eine Länge von rund 2,5 km.
Das anthropogen geprägte Lebensraummosaik aus Almweiden, parkartig aufgelichtetem Weidewald, Schlagfluren und Fichtengruppen ähnelt strukturell dem Habitat des Birkhuhns an der oberen Waldgrenze (Abb. 1). Das Ausmaß dieser halboffenen Lebensräume hat im Gebiet seit der Jahrtausendwende durch forstlich und almwirtschaftlich bedingte Auflichtungs- und Rodungsmaßnahmen zugenommen. In der chronologischen Luftbildserie im Geografischen Informationssystem des Landes Steiermark ist erkennbar, dass einerseits im Befliegungszeitraum 2001–2007 Weideflächen im Bereich des heutigen Hauptbalzplatzes hergestellt und durchgängig gemacht, andererseits 2007–2013 schrittweise eine rund 30 ha große (für das Birkhuhn allerdings kaum bedeutende) Schlagfläche an der Südabdachung des Höhenrückens geschaffen wurde; beides stand in keinem Zusammenhang mit der Windparkerrichtung.
2017/18 wurden zudem seitens des Windparkbetreibers Auflichtungsmaßnahmen in einer Gesamtfläche von rund 4 ha in einem von fortschreitender Sukzession betroffenen Weidewald und einem angrenzenden Waldbestand mit mutmaßlicher Korridorfunktion veranlasst. Die aktuelle Verteilung geeigneter Habitatflächen (klassifiziert nachWöss & Zeiler2003 bzw.Wösset al. 2008) in ihrer Lagebeziehung zu den WKA zeigt Abb. 2; die Birkhuhnerhebungen (Balzplatzzählungen und Punktdaten für die Raumnutzungsanalyse) fanden hier auf einer Gesamtfläche von rund 230 ha in allen „sehr gut geeigneten“ und „gut geeigneten“, teilweise noch in „geeigneten“ Habitaten statt. Ebenfalls zugenommen haben die Länge und der Ausbaugrad des Straßennetzes, sodass nun vermehrt Wanderer, Pilz- und Beerensammler sowie Skitourengeher und Mountainbikefahrer das Gebiet aufsuchen. Dem wurde mit dem Ausbau einer bewirtschafteten Almhütte Rechnung getragen.
2.1.2 Zählungen balzender Hähne
Es liegt eine 14-jährige Zählreihe balzender Birkhähne aus dem Zeitraum 2005 (Inbetriebnahme Windpark Steinriegel I) bis 2018 vor, die von ökologischen Fachbüros und der örtlichen Jägerschaft, teilweise in Zusammenarbeit, erstellt wurde. Werte vor 2005 wurden bestmöglich recherchiert (z. B.Grünschachner-Berger & Nopp-Mayer2013, Gruppe Landschaft 2009).
2.1.3 Raumnutzungsanalyse
In den Jahren 2017/2018 wurden, verteilt auf alle Jahreszeiten, an 82 Tagen in etwa 328 Stunden Gesamtdauer ornithologische Kartierungen im Birkwildlebensraum durchgeführt. Direkte oder indirekte Nachweise des Birkhuhns wurden verortet (88 Nachweispunkte, Abb. 3).
Um den Datensatz für die Kerndichteschätzung verwendbar zu machen, wurden Teilflächen ähnlicher Begehungshäufigkeit zusammengefasst und für jede der Teilflächen (TF) ein Gewichtungsfaktor berechnet. Jedem Datenpunkt wird der Zahlenwert 1 zugeordnet und dieser durch die Anzahl der Begehungen im betreffenden Teilgebiet dividiert. Datenpunkte, die mehr als ein Tier beinhalten, wurden mit der Anzahl der erfassten Tiere multipliziert, sodass sich insgesamt der Algorithmus „1/Anzahl Begehungen in TF*Anzahl Tiere“ ergibt. Die Datenpunkte wurden mit dem so ermittelten Gewichtungsfaktor für die Kerndichteschätzung versehen. Die Kerndichteschätzung wurde mittels Heatmap- und Kontur-Tool im QGIS 3.6.3 berechnet (Einstellungen: Bandbreite 250 m; biquadratischer Kern; Gewichtungsfaktor).
Für die Analyse eines möglichen Meideverhaltens des Birkhuhns gegenüber den WKA wurden Datenpunkte aus einem Erfassungsstreifen von 2 × 70 m Breite entlang einer einheitlich häufig begangenen Transektstrecke (etwa 4 km Länge) herangezogen, die zur Gänze durch potenziellen Birkhuhnlebensraum verläuft. Die Streifenbreite von 70 m wurde anhand der Datenpunkte als jene Breite ermittelt, innerhalb derer die Entdeckungswahrscheinlichkeit noch nicht so stark abnimmt, dass eine Verzerrung der Ergebnisse zu erwarten wäre. Abb. 4 zeigt den Transektverlauf sowie die Testquadrate (140 × 140 m), die für die Auswertung mittels UMP-Test (uniformly most powerful test) herangezogen wurden. Falls der Nahbereich der Anlagen von den Birkhühnern gemieden wird, muss in Quadraten mit WKA eine signifikant abgesenkte Beobachtungsdichte nachweisbar sein.
2.1.4 Totfunde
Funde von Birkhühnern, die als Kollisionsopfer eingestuft wurden, sind im Windpark Steinriegel dokumentiert und werden in den Gesamtzusammenhang derartiger Kollisionsereignisse (Dürr2019) gestellt, wobei auch der Zusammenhang mit einer vorhandenen oder fehlenden Kontrastfärbung der Mastfüße von Interesse ist.
2.2 Daten aus weiteren Windparks
Für die Darstellung der Situation des Birkhuhns in anderen ostalpinen Windparks wurden, unterstützt durch ein Rundschreiben der IG Windkraft an die Betreiber dieser Windparks, öffentlich zugängliche oder von Windparkbetreibern freigegebene Gutachten und Berichte sowie eigene Daten herangezogen.
3 Ergebnisse Windpark Steinriegel
3.1 Bestandsentwicklung
Im Betrachtungszeitraum 2005–2018 balzten 3–9 Hähne, im Mittel 4,7 Hähne, wobei die Bestandsentwicklung signifikant positiv ist (lineare Regression, df = 12, r = 0,73, p < 0,01; Abb. 5). Einem Bestandstief nach Inbetriebnahme des Windparks Steinriegel I folgte ab 2010 eine längerfristige Zunahme, die im Jahr 2015, nach Inbetriebnahme von Steinriegel II, vorübergehend einknickte und sich dann wieder fortsetzte. Der Mittelwert für die Betriebsjahre von Steinriegel II (2014–2018: 6,0 Hähne) ist signifikant höher als jener für die Vorjahre, in denen nur Steinriegel I in Betrieb war (2005–2013: 4,0 Hähne; t-Test: df = 12, t = –3,0513, tcrit = 1,782).
Aus den Jahren vor Windparkerrichtung verfügbare Zählwerte sind widersprüchlich und teilweise durch fehlerhaftes Aufsummieren von Teilergebnissen verzerrt. Glaubhaft sind Zählwerte von 2 und 9 Hähnen in den Jahren 2000 und 2001, einem Jahr mit großräumig hohen Bestandszahlen in den Fischbacher Alpen (Gruppe Landschaft 2009). Der Höchstwert von 9 Birkhähnen wurde jeweils einmal vor (2001) und nach (2018) Errichtung der Anlagen festgestellt.
3.2 Raumnutzung und Meideverhalten
Das Balzgeschehen findet fast zur Gänze im Nahbereich der WKA statt (Abb. 6 und 7). So erfolgten seit Inbetriebnahme der Ausbaustufe Steinriegel II im Zuge der Synchronzählungen 27 von 29 verorteten Beobachtungen balzender Birkhähne (93 %) in weniger als 200 m Entfernung zur jeweils nächsten Anlage. Ausweichflächen in größerem Abstand zu den Anlagen wären vorhanden – etwa eine weiträumige Schlagfläche am Südrand des Untersuchungsgebiets –, werden aber nur ausnahmsweise für die Balz genutzt. Im Lauf des Frühjahrs wurde mit zunehmendem Aufleben des Alpintourismus eine Verlagerung der Balzaktivität in einen störungsarmen Bereich (abseits des Mautstraßen-Parkplatzes und eines stark begangenen Wanderwegs) beobachtet, wo sich zwischen zwei WKA ein früher nur fallweise besetzter Balzplatz mit jetzt bis zu 8 Hähnen als Hauptbalzplatz etabliert hat. Hier konzentriert sich mitunter sogar das gesamte örtliche Balzgeschehen. Die Lage der Balzplätze im Gebiet zeigt somit keine Meidung der WKA, sehr wohl aber der alpintouristischen Störungen.
Die Kerndichteschätzung zur ganzjährigen Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Birkhühner zeigt Dichtezentren in unmittelbarer Nähe der WKA (Abb. 7). Die Ausgangsdaten würden erwarten lassen, dass der Aktivitätsschwerpunkt um den Hauptbalzplatz liegt, da dort ganzjährig die meisten Beobachtungen erfolgten. Durch die Gewichtung anhand der Begehungshäufigkeit kommt der Aktivitätsschwerpunkt jedoch in einem ungestörten Bereich in einem aufgelichteten, zwergstrauchreichen Weidewaldkomplex am Südhang zu liegen, der eine günstige Habitatstruktur aufweist und vor allem als Tageseinstand und Schlafplatz eine wichtige Rolle spielen dürfte. Hier wurden 2017 und 2018 seitens des Windparkbetreibers die erwähnten Habitatverbesserungsmaßnahmen umgesetzt. Grundsätzlich verschieben sich die Aktivitätszentren der Birkhühner durch die Gewichtung der Daten von offenen Weideflächen hin zu ruhigen, locker bewaldeten Bereichen, die im Rahmen der ornithologischen Erhebungen weniger oft begangen wurden. Die vier wichtigsten Dichtezentren liegen zwischen etwa 90 und 210 m von der jeweils nächsten Windkraftanlage entfernt.
Es wurden keine Anzeichen für ein Meideverhalten der Birkhühner gegenüber den WKA gefunden: Testquadrate ohne Anlagen weisen im Mittel 1,33 (1,0) Birkhuhnnachweise (in Klammer nur die direkten Nachweise) auf, jene mit Anlagen 2,0 (1,06); es besteht kein signifikanter Unterschied zwischen der Nachweisdichte in Anlagennähe und weiter abseits davon (UMT-Test: p = 0,11 bzw. 0,37). Beobachtungen rastender Hennen unter WKA bestätigen, dass der Nahbereich der Anlagen auch abseits des Balzgeschehens in die Raumnutzung integriert wird.
3.3 Kollisionen
Aus dem Windpark Steinriegel liegen zwei Totfunde von mit WKA kollidierten Birkhühnern vor (1 Henne 2009, V. Grünschachner-Berger inDürr2018; 1 Hahn 2017, eigener Fund). Beide Kollisionen ereigneten sich an nicht kontrastgefärbten Masten des Windparks Steinriegel I, die aufgrund ihrer hellgrauen Farbe bei schlechten Sichtverhältnissen, insbesondere bei Nebel und Schneefall, für fliegende Birkhühner nicht rechtzeitig wahrnehmbar sind. Der eigene Fund erfolgte nach einer mehrtägigen Schlechtwetterperiode mit schlechten Sichtverhältnissen. Fünf weitere dokumentierte Kollisionsmeldungen aus den Ostalpen stammen aus dem Windpark Oberzeiring (Dürr2019), dessen Masten ebenfalls keine Kontrastfärbung aufwiesen. Aus dem Windpark Steinriegel II, dessen Masten einer behördlichen Auflage folgend grün gefärbt sind, liegen wie aus anderen alpinen Windparks mit gefärbten Mastfüßen keine Kollisionsnachweise vor. Bei allen Kollisionsnachweisen handelt es sich um Zufalls- bzw. Einzelfunde; standardisierte Untersuchungen zur Bestimmung von Kollisionsraten von Birkhühnern an Windkraftanlagen liegen den Autoren nicht vor und wären aufgrund der Seltenheit der Kollisionsereignisse nur mit aufwendigen Kollisionsopferstudien durchführbar, zumal die risikominimierende Kontrastfärbung der Masten mittlerweile bei Neuerrichtungen oder Repowerings im Birkhuhnlebensraum standardmäßig vorgeschrieben wird.
4 Befunde aus weiteren Windparks
4.1 Hochpürschtling
In diesem Windpark (neun Anlagen, Baujahr 2013), einem einstigen Weide- und Bergmahdgebiet, ist die Raumnutzung des Birkhuhns nach Wiederbewaldung heute durch die veränderliche Verfügbarkeit von Schlagflächen und jungen Waldsukzessionsstadien bestimmt. Die Vergleichbarkeit vorhandener Daten ist wegen unscharfer Gebietsbezüge eingeschränkt.
Gut vergleichbar sind Daten für einen Vorkommensschwerpunkt an der Ostseite des Hochpürschtlings: Diesem Bereich können 2009 5 Hähne, 2015 6 und – bei fortschreitenden Habitateinschränkungen durch Sukzession – 2018 noch mindestens 3–4 Hähne zugeordnet werden (Gruppe Landschaft 2011,Zwicker2018, eigene Daten). Wiederholt wurde Balztätigkeit 2018 im Nahbereich von 100–200 m um die WKA festgestellt, dieser Balzplatz ist gegenüber 2009 sukzessionsbedingt näher an die heutigen Anlagenstandorte herangerückt.
Ein 2009 und 2013 noch vom Birkhuhn genutzter Standort in rund 400 m Entfernung zur nächsten WKA stellte 2018 aufgrund der fortgeschrittenen Wiederbewaldung kein geeignetes Habitat mehr dar und war nicht mehr besetzt. Die Mastfüße sind farbig (mit flächigen Graffitis) ausgeführt, sonstige Maßnahmen für das Birkhuhn wurden seitens des Windparkbetreibers nicht umgesetzt.
4.2 Moschkogel
Der Windpark (sieben Anlagen, Baujahre 2006/2015), der auf einem nordseitigen Auslaufrücken der Fischbacher Alpen liegt, wird nur in geringem Ausmaß vom Birkhuhn genutzt; schon vor Errichtung der Anlagen balzte hier lediglich 1 Einzelhahn. Eine langjährige Zählreihe belegt das vereinzelte, nicht alljährliche Auftreten des Birkhuhns in diesem Windpark (Grünschachner-Berger & Nopp-Mayr2016 und eigene Beobachtung). Die für die Anlagenerrichtung erfolgte Rodung entlang der bis dahin bewaldeten Kammlinie kann dem Birkhuhn zugutekommen; die Mastfüße weisen eine Kontrastfärbung auf, sonstige Maßnahmen für das Birkhuhn sind seitens des Windparkbetreibers nicht erfolgt.
4.3 Pretul
Der Windpark Pretul I (14 Anlagen, Baujahr 2015–2016) erschließt in direktem räumlichen Anschluss an den vorgenannten Windpark Teile des Hauptkamms der Fischbacher Alpen, der durch seine Lage im steirischen Randgebirgszug und seine Vernetzung mit anderen Birkhuhnvorkommen als wichtiger Trittsteinlebensraum gilt (Grünschachner-Berger2013,Nopp-Mayret al. 2018). Aufsummierte Einzelrevierdaten vom Beginn des Jahrtausends sind methodisch problematisch und widersprüchlich. So wird für den Höhenrücken Stuhleck-Pretul von 60 balzenden Hähnen im Jahr 2000 oder aber von 24 Hähnen 2000 und 57 Hähnen 2001 berichtet (Zeiler & Grünschachner-Berger2009,Grünschachner-Berger & Nopp-Mayr2013), daher werden diese Daten nicht weiter berücksichtigt. Neuere Daten stammen von systematisch erhobenen Synchronzählungen und sind damit als verlässlich anzusehen. Für den Zeitraum 2006–2017 wurde auf dem Höhenrücken ein arttypisch fluktuierender Bestand (vgl.Ingold2005,Martiet al. 2016) von durchschnittlich 19 balzenden Hähnen (mit Spitzenwerten von 27 bzw. 26 Hähnen 2008 und 2016) erfasst (Auswertung eines Monitorings der Universität für Bodenkultur Wien inGattermayr & Weinländer2018). Folgewerte nach Errichtung liegen mit 19 Hähnen 2017 und 17 Hähnen 2018 im natürlichen Schwankungsbereich, wobei im letzteren Jahr aufgrund eines späten Zähltermins der Bestand möglicherweise nicht vollständig erfasst wurde. Die Mastfüße sind kontrastgefärbt, zudem wurden habitatverbessernde Maßnahmen im Ausmaß von 25 ha umgesetzt und eine störungsberuhigte Wildruhezone im Ausmaß von 190 ha eingerichtet. Für eine Ausbaustufe Pretul II sind weitere 5 ha Maßnahmenflächen vorgesehen.
4.4 Oberzeiring
Für den Tauernwindpark in der Gemeinde Oberzeiring (14 Anlagen, Baujahre 2002/2004/2013) berichtenZeiler & Grünschachner-Berger(2009) undGrünschachner-Berger & Kainer(2011) von einer örtlichen Bestandsabnahme, vom Erlöschen der Balzaktivität im Nahbereich der WKA und von einer stark verringerten Raumnutzung im Umkreis von 500 m um die Anlagen. In jenem anlagennahen Bereich, für denZeiler & Grünschachner-Berger(2009) von 2002–2007 eine Abnahme von 12 auf 0 balzende Hähne dokumentierten, konnten bei aktuellen Zählungen 2017 und 2018 5 bzw. 6 Hähne erfasst werden; der Bestand hat sich somit auf geringerem Niveau wieder etabliert. Im Juli 2017 gelang im unmittelbaren Nahbereich einer Windkraftanlage der Nachweis einer führenden Henne mit zwei Küken, was belegt, dass nicht nur das Balzgeschehen, sondern auch die Jungenaufzucht im Windpark erfolgen kann. Seit Errichtung der ersten WKA wurden im örtlichen Birkhuhnlebensraum ein neuer Skilift, eine Skipiste, ein Beschneiungsteich und eine Photovoltaikanlage im Ausmaß von etwa 4 ha errichtet. Habitatverbessernde Maßnahmen für das Birkhuhn wurden seitens des Windparkbetreibers nicht durchgeführt, auch waren die Mastfüße in diesem vergleichsweise alten Windpark nicht kontrastgefärbt, sodass bereits mehrfach Kollisionen nachgewiesen wurden (Dürr2019); 2018 wurde dieser Standort im Zuge eines Repowerings mit kontrastierten Mastfüßen ausgestattet.
4.5 Salzstiegel
Der Windpark (zwei Anlagen, Baujahre 2007/2011) weist innerhalb von 100 m um die Anlagen auch andere bauliche Einrichtungen und Nutzungen auf (Skilift-Bergstation, Kreuzungspunkt stark begangener Wanderwege, 2014 Neuanlage eines Speichersees). Vor Errichtung der ersten WKA wurden 2005 bis zu 3 balzende Birkhähne in einem 500-m-Umkreis festgestellt, 1 Hahn am heutigen Anlagenstandort (Traxler2005). 2014 zeigt noch vor dem Bau des Speichersees ein Belegfoto des Betreibers 2 balzende Hähne weniger als 50 m von einer Windkraftanlage entfernt; die Anlage lief zu diesem Zeitpunkt im Vollbetrieb. 2016 wurden rund 500 m von den Anlagen entfernt 2 balzende Hähne angetroffen, ein dritter Hahn balzte an einem bis dahin nicht dokumentierten Platz an der Zufahrt zum Windpark. Demnach sind die Balzplätze etwas vom Windpark abgerückt; 2016 belegt jedoch der Fund einer Fährte weiterhin die Raumnutzung des Birkhuhns bis unter die Anlagen. Die Mastfüße sind kontrastgefärbt, sonstige Maßnahmen für das Birkhuhn wurden seitens des Anlagenbetreibers nicht umgesetzt.
4.6 Handalm
Vor Errichtung des Windparks (13 Anlagen, Baujahr 2016/2017) wurde im Jahr 2013 ein Bestand von mindestens 20 Hähnen ermittelt, davon 15 innerhalb des engeren Planungsgebiets (Traxler2013). 2018 wurde eine erneute Synchronzählung durchgeführt und ein Bestand von 17 Hähnen im engeren Gebiet erfasst (mündl. Mitt. Helmut Jaklitsch). Demnach hat sich der Birkhuhnbestand hier ungeachtet der störungsintensiven Bauphase und Inbetriebnahme des Windparks in vollem Umfang gehalten. Die Mastfüße weisen eine Kontrastfärbung auf, zudem werden seitens des Betreibers habitatverbessernde Maßnahmen im Ausmaß von 65 ha umgesetzt.
5 Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse zeigen kein Meideverhalten des Birkhuhns gegenüber WKA, sondern die volle Integration des Anlagennahbereichs in das Ganzjahreshabitat. Neben dem Balzgeschehen, das oftmals in Anlagennähe (im Windpark Steinriegel fast zur Gänze innerhalb von 200 m) stattfindet, gilt dies auch für die allgemeine Raumnutzung im Jahreslauf sowie exemplarisch belegt auch für die Jungenaufzucht. Eine räumliche Verlagerung der Balz (von Anlagen ab- oder zu anderen Anlagen hinrückend) wurde dort beobachtet, wo andere Nutzungsformen mit einer starken Anwesenheit des Menschen im Anlagenbereich verbunden sind oder eine sukzessionsbedingte Wiederbewaldung zu Habitatverlusten führt. Dies unterstreicht die Strukturabhängigkeit sowie die aus der Literatur hinreichend bekannte Empfindlichkeit der Raufußhühner gegenüber menschlicher Präsenz im Lebensraum (Ingold2005,Marti2018 u. v. a.).
Entgegen der in der Literatur geäußerten Befürchtung, wonach sich bei Neuerrichtung von Gebirgs-Windparks Birkhuhnpopulationen in den betroffenen Gebieten nicht halten können(Grünschachner-Berger & Kainer2011), verursachen Windparks keine dauerhaften Einbrüche örtlicher Birkhuhnbestände (siehe auchZwartet al. 2015) und lassen langfristig auch positive Bestandsentwicklungen sowie die Balzplatzneugründung in Anlagennähe zu, wenn die Habitatverfügbarkeit und ein nicht zu hoher Störungsdruck dies ermöglichen. Die vorliegenden längerfristigen Befunde schließen bereits mit Sicherheit aus, dass es sich bei dem Balzgeschehen in Anlagennähe bloß um ein vorübergehendes Festhalten bestimmter Individuen an Balzplatztraditionen handelt. Ein kurzfristiges Einknicken der Bestandsentwicklung nach WKA-Errichtung kommt vor und ist als Ausdruck des baubedingt vorübergehend erhöhten Störungsdrucks zu interpretieren. In einem Gebiet, in dem neben der Windkraftnutzung andere Störungen in großem Ausmaß dauerhaft wirksam sind, wurde eine längerfristige Halbierung des Birkhuhnbestandes, in einem anderen eine sukzessionsbedingte Abnahme dokumentiert; in beiden Gebieten wurden seitens des Windparkbetreibers keine lebensraumverbessernden Maßnahmen umgesetzt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass nicht die Windkraftnutzung, sondern die Verfügbarkeit strukturell geeigneter Habitate und ein geringes Störungsniveau für längerfristige Bestandsentwicklungen beim Birkhuhn maßgeblich sind.
Wesentlich für die Vereinbarkeit von Birkhuhnschutz und Windkraftnutzung in den Alpen sind (a) der Erhalt und die Entwicklung strukturell geeigneter Habitate durch forst- und almwirtschaftliche Betriebsmaßnahmen und bei Bedarf durch ergänzende Gestaltung und Pflege seitens des Windparkbetreibers, (b) die Berücksichtigung störungsarmer Brut-, Aufzucht- und Ruhehabitate bei der Planung der Anlagenstandorte, Kranstellflächen und Zuwegungen, (c) jahres- und tageszeitliche Bauzeitbeschränkungen zur Vermeidung baubedingter Störungen in der Balzzeit und den Tagesrandzeiten, (d) konsequente Besucherlenkungsmaßnahmen (inkl. Leinenpflicht für Hunde) bis hin zur Sperre der Windparkzufahrt für den Individualverkehr sowie (e) die (heute bereits standardmäßig zur Anwendung gelangende) Kollisionsvermeidung durch Kontrastfärbung der Anlagensäulen. Unter diesen Voraussetzungen bleiben die von der Windkraftnutzung ausgehenden Beeinträchtigungen des Birkhuhns gering.
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.
Dank
Die Verfasser danken den Firmen ECOwind Handels- und Wartungs-GmbH und Wien Energie GmbH für die Freigabe unveröffentlichter Untersuchungs- und Monitoringergebnisse sowie der IG Windkraft für die Einholung weiterer Freigaben. Der örtlichen Jägerschaft im Windparkgebiet Steinriegel, insbesondere den Herren J. Eichtinger, F. Pranckh und H. Zimmermann, wird für die gute Zusammenarbeit bei Birkhuhnzählungen seit 2015 und für die Bekanntgabe ergänzender Zähldaten aus früheren Jahren gedankt, den Herren K. Felsenstein und W. E. Holzinger für die gewährte Unterstützung bei der statistischen Datenanalyse. Nicht zuletzt gilt unser Dank den Biologinnen und Biologen, die bei Wind und Wetter Kartierungen durchgeführt haben: K. Geßlbauer, B. Knes, D. Leopoldsberger, A. Panrok, C. Pech, F. Richter, A. Schmied, J. Volkmer und N. Zierhofer.
Fazit für die Praxis
Windkraftnutzung und Birkhuhnschutz in den Alpen sind vereinbar, wenn wesentliche Voraussetzungen beachtet und gewahrt werden:
- • Schon bei der Planung von Windparks ist die Erhaltung und Entwicklung geeigneter Birkhuhnlebensräume ganzheitlich im Kontext forst- und almwirtschaftlicher, jagdlicher und naturschutzfachlicher Interessen zu sehen und von Windparkbetreibern je nach Notwendigkeit im Zuge lebensraumverbessernder Maßnahmen mitzutragen.
- • In Windparkgebieten mit Birkhuhnvorkommen soll gegenüber der bisherigen Praxis ein verstärktes Augenmerk auf alle Aspekte der Störungsvermeidung und Besucherlenkung gelegt werden.
- • Die Kollisionsvermeidung durch Kontrastfärbung der Anlagenmasten hat in Birkhuhnlebensräumen als Standard zu gelten, der einzuhalten ist.
Kontakt
Dr. Helwig Brunner ist Biologe und Mitinhaber des Büros ÖKOTEAM – Institut für Tierökologie und Naturraumplanung OG in Graz. Promotion an der Universität Graz zu Vogelgemeinschaften in Gebirgslebensräumen. Gutachterliche Tätigkeit im Bereich der projektbezogenen Naturraumplanung, seit über 15 Jahren Arbeitsschwerpunkt im Bereich Windkraft.
Mag. Tobias Friedel ist Biologe und Mitinhaber des Büros F&P Netzwerk Umwelt GmbH in Wien. Studium der Human Ecology an der Universität Wien und VUB Brüssel, Diplomarbeit über die Umsetzung der Biodiversitätskonvention in großen privaten Forstbetrieben in Österreich. Gutachterliche Tätigkeit bei Infrastrukturvorhaben, überwiegend Windkraft in Österreich.
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