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Auf Kosten des Naturschutzes

Bauernproteste und Wahlkampf dominieren die EU-Agenda

Ein Meilenstein für den europäischen Naturschutz: Das EU-Parlament hat die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur angenommen. Das Gesetz muss nur noch die letzte Hürde, den EU-Ministerrat passieren. Inmitten politischer Spannungen rund um die Bauernproteste und den Wahlkampf stehen zudem weitere Umweltkonditionalitäten der GAP auf dem Spiel und eine wichtige EU-Initiative zur Wasser-Resilienz wurde zurückgezogen. Weiterhin gibt es Neuigkeiten zum Wolf und zu einer Naturschutzklage vor dem Europäischen Gerichtshof.

von Lukas Traup erschienen am 19.03.2024
Artenreiche Wiesen wie diese sind selten geworden. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur könnte hier wesentlicher Meilenstein sein. © Julia Schenkenberger
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Good things first

Die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law), ein Meilenstein für den europäischen Naturschutz und das wohl wichtigste Naturschutzgesetz seit der FFH–Richtlinie und damit der letzten 30 Jahre, hat seine vorletzte Hürde genommen. Das EU-Parlament hat den im gemeinsamen Trilog mit dem EU-Ministerrat und der EU-Kommission verhandelten Gesetzestext angenommen. Eigentlich ist diese letzte Plenarabstimmung im Parlament eine Formalität. Die Annahme von Gesetzen ist vor dieser finalen Abstimmung in den meisten Fällen schon sicher, da diese im Trilog schon zur Genüge verhandelt und angepasst wurden. Am 27. Februar, dem Tag der Abstimmung, zitterten den Umweltverbänden und Befürwortern des Gesetzes jedoch die Knie, da die Europäische Volkspartei (EVP) wenige Tage zuvor angekündigt hatte, geschlossen gegen das Gesetz stimmen zu wollen. Am Ende reichten die Pro-Stimmen jedoch und die nötige Mehrheit kam zusammen – weniger knapp als erwartet. Einzelne Rebellen, wie der irische Teil der EVP-Fraktion, stimmten für das Gesetz. Andere blieben der Abstimmung fern, um nicht im Register aufzutauchen.

Und damit kommt auch schon der Dämpfer, denn der EU-Ministerrat muss das Gesetz noch bestätigen. Auch das ist eigentlich eine Formalie, jedoch stehen auch hier die Mehrheiten wieder auf der Kippe. Die nahende EU-Wahl, die Anti-Naturschutzkampagnen von rechter und konservativer Seite und die massiven Proteste der Landwirtschaft – oft gegen Umweltauflagen gerichtet – heizen die kaum zu begründende Kritik am Gesetz weiter an. Aus Naturschutzsicht ist diese Debatte scheinheilig und nur schwer nachvollziehbar, da z.B. die Landwirtschaft durch das Gesetz kaum in die Pflicht genommen wird.

Für die Umweltverbände in Brüssel geht die Arbeit und die emotionale Achterbahn daher vorerst weiter. Denn wenn das Gesetz scheitert, bleibt in Sachen Naturschutz vom Green Deal nur ein Trümmerhaufen übrig – mit noch schlechteren Zukunftsaussichten. Vertraut man den derzeitigen Umfragewerten, so werden die Mehrheiten im EU-Parlament nach der Wahl am 9. Juni nach rechts kippen. Mehrheiten für progressive EU-Umweltschutzpolitik werden dann wohl kaum noch zu holen sein. Das kürzlich veröffentlichte Manifest der EVP gibt Einblicke, was nach der Wahl von konservativer Seite zu erwarten ist – unter anderem eine Revision und Schwächung von Natura 2000.

Als wäre der Brachen-Umbruch nicht genug

Der Abbau der Umweltkonditionalitäten in der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) geht weiter. Trotz des Aufschreis seitens der Umweltverbände, als die EU-Kommission die weitere Aussetzung von GLÖZ 8 verkündete, baut die EU-Kommission die grüne Architektur der GAP weiter zurück. Laut neusten Ankündigungen soll nun nicht mehr nur GLÖZ 8 betroffen sein, welche besagt, dass Landwirtinnen und Landwirte für den Erhalt der Agrarsubventionen 4 % ihrer Fläche der Natur zur Verfügung stellen müssen, sondern zusätzlich GLÖZ 1, 6 und 7. Letztere reduzieren den Grünlandumbruch und schreiben eine Mindestbodenbedeckung oder einen regelmäßigen Fruchtwechsel vor. Zusätzlich dazu sollen vor Ort Kontrollen der regionalen Behörden um bis zu 50 % reduziert werden und für kleinere Betriebe komplett wegfallen. Während dies für die Landwirtschaft sicher weniger Bürokratie bedeutet, bleibt fraglich, ob die flächendeckende Umsetzung der Umweltkonditionalitäten durch die reduzierten Kontrollen überhaupt noch überprüfbar sind.

Wie diese Anpassung der GAP im Detail aussehen soll, wird sich noch zeigen. Für den Naturschutz sind diese Ankündigungen jedoch höchst problematisch und für die langfristige Resilienz der Agrarsysteme ein Schuss ins Bein. Zudem ist es fraglich, ob diese Maßnahmen die Situation der Landwirtschaft überhaupt merklich verbessern werden. Oftmals werden diese Lockerungen in Anbetracht der langfristigen Planung, die in der Landwirtschaft erforderlich ist, so einfach nicht umgesetzt werden können. Zudem führt ein Abbau von Umweltstandards nicht zwangsläufig zur Entbürokratisierung, wie von der Landwirtschaft gefordert. Fest steht, dass sich die Natur- und Klimakrise weiter zuspitzt und für die Landwirtschaft die Folgen als Erstes spüren wird. Statt eines Abbaus der Umweltstandards in der GAP bräuchte es daher einen möglichst unbürokratischen und fair vergüteten Ausbau derselben.

Dass die EU-Kommission als Reaktion auf die Bauernproteste, die über Jahre verhandelte GAP innerhalb weniger Wochen auf den Kopf stellt und lang ausgehandelte Kompromisse einfach über Bord wirft, ist zudem bezeichnend für den enormen Einfluss der Agrarlobby auf EU-Ebene. Die bevorstehenden Wahlen und das Werben um die Wählerstimmen des Agrarsektors seitens von der Leyen und ihrer Partei verstärken diesen Einfluss sicherlich.

Gemessen an dem ursprünglichen Ziel, mit der „Farm to Fork Strategie“ ein nachhaltiges, gerechtes und krisenfestes Ernährungssystem zu schaffen, bleiben die Erfolge der Kommission von der Leyen überschaubar. Von den 31 im Rahmen der Strategie geplanten Initiativen wurden bisher nur 8 umgesetzt, 15 noch nicht einmal veröffentlicht und eine, die Pestizidverordnung (SUR), sogar zurückgezogen. Zu den ausstehenden Initiativen gehört auch das Fundament und wichtigste Dossier der Strategie: das Gesetz über nachhaltige Lebensmittelsysteme (Sustainable Food Systems Law). Ob die nächste Kommission, mit oder ohne von der Leyen, hier liefern wird, bleibt angesichts der aktuellen politischen Stimmung äußerst fraglich.

Trotz Fluten, Dürren und Bränden – Wasser-Resilienz keine Priorität der Kommission

In ihrer Rede zur Lage der Union im Sommer 2023 kündigte von der Leyen zudem an, die zunehmenden Konflikte und Probleme rund um das Thema Wasser im Rahmen einer Water Resilience Initiative anzugehen. Die Initiative sollte Mitte März 2024 veröffentlicht werden, wurde aber ohne klare Kommunikation seitens der Kommission wieder von der Agenda gestrichen. Wasserkonflikte und Probleme, die sich durch den Klimawandel aber auch durch problematische Nutzungspraktiken verschärfen, hätten mit der Initiative angegangen werden sollen und wären insbesondere für den Süden Europas von großer Bedeutung gewesen. Ohne rechtliche Verbindlichkeit waren von der Initiative umfassende Zielvorgaben und Leitlinien für einen länderübergreifenden nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser zu erwarten. Umso überraschender ist es, dass die Veröffentlichung der Strategie von der Kommission auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Angesichts der in den letzten Jahren zunehmenden Häufigkeit von Dürren, Überschwemmungen und Bränden bei gleichzeitig anhaltender Wasserverschmutzung durch Landwirtschaft und Industrie ist dies ein fatales Zeichen. Hier zeigt sich weiterhin der fehlende Wille, die landwirtschaftlichen Akteure vor den Wahlen in die Pflicht zu nehmen – die Bauernproteste zeigen Wirkung. Dabei ist paradoxerweise gerade die Landwirtschaft auf ein nachhaltiges Wassermanagement und naturbasierte Lösungen zur Stärkung der Wasser-Resilienz angewiesen. Ob die Initiative zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht wird, ist derzeit unklar. Klar ist aber, dass die Kommission das Thema nicht weiter aufschieben kann und spätestens nach der nächsten Extremwetterlage Antworten liefern muss.

Der Wolf und die Mähwiesenklage

Auch der Wolf steht in Brüssel weiterhin auf der Agenda. Hier zeigt sich wieder die emotionale Tragweite der Diskussion, die das Thema in Anbetracht der baldigen Wahl wieder aufkochen lässt. Erst kürzlich gab es eine Debatte im Parlament in Straßburg. Die EVP möchte, dass der EU-Ministerrat noch vor den Wahlen eine Herabstufung des Schutzstatus in der Berner Konvention beschließt, der erste Schritt vor der Öffnung der FFH-Richtlinie. Im Rat selbst entscheidet derzeit die belgische Ratspräsidentschaft, welche Minister darüber abstimmen werden. Die Entscheidung wurde zunächst dem Umweltrat überlassen. Eine Entscheidung für die Herabstufung des Schutzstatus, wie durch von der Leyen gefordert, ist dort eher unwahrscheinlich. Sollte es aber bis Juli, dem Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft, zu keiner Entscheidung kommen, ist es wahrscheinlich, dass das Thema im Agrarrat landet. Und der hat bekanntlich eine ganz andere Position. Sollte es also noch vor Juli zu einer Entscheidung kommen, stehen die Sterne derzeit günstig für den Wolf.

Anfang März fand zudem die erste mündliche Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof zur „Mähwiesenklage“ aus dem Jahr 2021 statt. Damals hatte der EuGH Deutschland wegen unzureichenden Schutzes von blütenreichen Wiesen in Natura 2000-Gebieten verklagt. Nach EU-Recht darf sich der Zustand der geschützten Arten und Lebensräume in diesen Gebieten nicht verschlechtern. Dennoch sind in deutschen FFH-Gebieten rund 18.000 ha Mähwiesen durch intensive landwirtschaftliche Nutzung verschwunden. Das Verfahren gegen Deutschland geht auf eine Grünlandklage des NABU aus dem Jahr 2014 zurück. Auch wenn die Mühlen oft langsam mahlen – es bewegt sich etwas.

Autor:in
Lukas Traup
ist Umweltwissenschaftler und Geograf und arbeitet seit Sommer 2023 für den NABU zur EU-Naturschutzpolitik in Brüssel, mit Schwerpunkten auf Landwirtschaft und Landnutzung sowie Haushaltspolitik. Lukas.Traup@nabu.de
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