Raumanalyse der ackerbaulichen Flächennutzung in Naturschutz- und FFH-Gebieten in Deutschland
Abstracts
Im Kontext des Insektenrückgangs und landwirtschaftlicher Nutzung als einem bedeutenden Verursacher kommt Naturschutzgebieten und den FFH-Gebieten des europäischen Natura-2000-Netzes eine wachsende Bedeutung zum Erhalt der lokalen Biodiversität zu, die sich auch auf Ackerbiotope bezieht. Eine Raumanalyse im Rahmen des Forschungsprojektes DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) zeigt die Größenkulisse von Ackerflächen in Naturschutz- und FFH-Gebieten auf, wobei räumliche Lagebeziehungen berücksichtigt werden. Basierend auf dem Digitalen Landbedeckungsmodell 2018 (LBM-DE) konnten 440,71 km² beziehungsweise 1.283,23 km² Ackerflächen innerhalb von Naturschutz- beziehungsweise FFH-Gebieten ermittelt werden. Auf rund 11.033 km Länge grenzen Ackerflächen außerhalb der Naturschutzgebiete an diese unmittelbar an. Bei den FFH-Gebieten beläuft sich diese Kontaktlinie auf ungefähr 21.102 km. Die ermittelten Flächengrößen liefern einen Beitrag zu Diskussionen zur Minderung fortlaufender Biodiversitätsschäden und aktuellen und künftig notwendigen Novellen von Gesetzen und Verordnungen im Zusammenhang mit Schutzgebieten.
Spatial analysis of arable land use in nature reserves and SACs in Germany
A possible contribution to reducing biodiversity loss in protected areas
In the context of insect decline – with agricultural use as a significant cause – nature reserves and special areas of conservation (SAC) of the European Natura 2000 network are becoming increasingly important for the conservation of local biodiversity, which also relates to arable habitats. A spatial analysis within the framework of the research project DINA (Diversity of Insects in Nature protected Areas) illustrates the dimension of arable land in nature reserves and SACs, considering spatial positional relationships. Based on the Digital Land Cover Model 2018 (LBM-DE), 440.71 km² and 1283.23 km² of arable land within nature reserves and SACs could be determined. Around 11033 km of arable land outside nature protected areas directly adjoin them. In the case of the SACs, this contact line amounts to approximately 21102 km. The determined area sizes provide a contribution to current discussions on the mitigation of ongoing biodiversity loss, as well as current and future necessary amendments of laws and regulations in connection with protected areas.
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Von Lisa Eichler, Gotthard Meinel, Thomas Hörren, Martin Sorg, Sebastian Köthe, Gerlind Lehmann und Roland Mühlethaler
Eingereicht am 22. 07. 2021, angenommen am 24. 12. 2021
1 Einleitung
In einer Zeit zunehmender Biodiversitätsschäden selbst bei der artenreichsten Tiergruppe, den Insekten (Wagner et al. 2021), und einer zweifelsfreien Identifizierung moderner, ertragsorientierter landwirtschaftlicher Nutzung als einem der zentralen Verursacher (Beckmann et al. 2019, Raven & Wagner 2021, Schäffer et al. 2018) ist die Funktionsfähigkeit der Schutzgebietsnetze mit Bestandteilen einer naturschutzorientierten Ackernutzung von essenzieller Bedeutung.
Naturschutzgebiete dienen nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) als rechtsverbindlich festgelegte Flächen zum besonderen Schutz von Natur und Landschaft in ihrer Ganzheit oder in einzelnen Teilen, um so die Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung von Lebensstätten, Biotopen oder Lebensgemeinschaften bestimmter wild lebender Tier- und Pflanzenarten zu ermöglichen (BNatSchG 2009, § 23 in der gültigen Fassung vom 25.02.2021).
Aufgrund dieser Zweckbestimmung sollte ein nachhaltig funktionierender Schutz der lokal typischen Biodiversität in dieser Gebietskulisse für alle Biotop- und Nutzungstypen inklusive der Ackerbiotope höchste, uneingeschränkte Priorität haben. Dass dies bis heute nicht der Fall ist, zeigt bereits die Rote Liste der Biotoptypen Deutschlands (Finck et al. 2017), in der ausnahmslos alle Ackerbiotope mit hohem Vollständigkeitsgrad der Segetalflora (Ackerwildkrautflora) in der höchsten Gefährdungskategorie („von der vollständigen Vernichtung bedroht“) eingestuft sind. Eine ähnlich dramatische Situation zeigt sich für die Bedrohung der Tierwelt in Ackerlebensräumen.
Bezogen auf Naturschutzgebiete dokumentieren viele Beispiele eine unzureichende Berücksichtigung der Biodiversitätsförderung sowie fehlendes Risikomanagement bezogen auf degradierende Effekte einer innerhalb von Naturschutzgebieten ertragsfokussierten Agrarnutzung (Sorg et al. 2019).
Zur Situation in FFH-Gebieten vertritt die EU-Kommission die Auffassung, „dass bei allen 4.606 Natura-2000-Gebieten, in allen Bundesländern und auf Bundesebene, eine generelle und fortbestehende Praxis zu beobachten ist, keine ausreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit der zu ergreifenden Erhaltungsmaßnahmen“ (EU-Kommission 2020 in: Mühlenberg et al. 2021). Es mangelt für diese Gebietskulisse und ihre Pufferzone offensichtlich an geeigneten rechtlichen Grundlagen, an Planungsvorgaben sowie an einem Risikomanagement unter Einschluss der Berücksichtigung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes im Ackerbau.
Als Basis für einen konstruktiven Umgang mit diesen Problemfeldern sind Raumanalysen geeignet, die Größenordnungen und Verteilungsmuster zu identifizieren, in denen eine überwiegend konventionelle Ackernutzung Flächen direkt betrifft, die eigentlich den Zielen der Erhaltung der lokalen Biodiversität gewidmet sind. Im Rahmen der Umsetzung des Forschungsprojektes DINA (Lehmann et al. 2021) wird daher die Artenvielfalt von Insekten in ausgewählten Schutzgebieten Deutschlands im Kontext zur Ackernutzung untersucht. Hierzu zählt auch eine Raumanalyse derselben innerhalb sowie am Rand der Naturschutzgebiete und zum Schutzgebietssystem Natura 2000 (FFH-Gebiete). Ferner zeigt die hier vorgelegte Raumanalyse erstmals eine Übersicht zu Kontaktlinien sowie Flächen, die im Zuge einer angemessenen Risikoanalyse sowie von Verträglichkeitsprüfungen (Mühlenberg et al. 2021) für die Agrarnutzung berücksichtigt werden müssen.
2 Datengrundlage
Um einen deutschlandweiten Überblick über die Ackerflächen in Naturschutz- und FFH-Gebieten zu erhalten, bedarf es einer digitalen Datengrundlage, welche Ackerflächen bundesweit einheitlich, flächendeckend und mit hoher Aktualität beschreibt. Hierzu bieten sich insbesondere amtliche Geobasisdaten an, weil für diese auch eine geregelte Fortschreibungspflicht besteht. Dabei ist zu beachten, dass – je nach Datengrundlage – die Ergebnisse von Auswertungen zur ackerbaulich genutzten Fläche variieren können. Für die nachfolgenden Analysen wurde das Digitale Landbedeckungsmodell Deutschland (LBM-DE) (BKG 2020) ausgewählt, da es gegenüber den alternativen Geobasisdatenprodukten „Amtliches Kartographisch-Geographisches Informationssystem“ (ATKIS) (AdV 2021 a) und „Amtliches Liegenschaftskatasterinformationssystem“ (ALKIS) (AdV 2021 b) den Freiraum (und damit auch die Naturschutzgebiete) hinsichtlich der Landbedeckung am stärksten thematisch differenziert (27 Freiraumklassen) und auch flächendeckend im dreijährigen Rhythmus aktualisiert wird.
Mit dem LBM-DE des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) liegt für Deutschland eine flächendeckende Beschreibung der Landschaft durch topografische Objekte vor. Dabei werden die Landnutzung (LN) und Landbedeckung (LB) geometrisch abgegrenzt und nach einer LB/LN-Klassenübersicht bewertet. Das LBM-DE ist für die Stichjahre 2012, 2015 und 2018 verfügbar. Die Ersterfassung erfolgte 2009 noch unter dem Namen DLM (Digitales Landbedeckungsmodell Deutschland). Grundlage für die Klassifizierung der Objekte bilden multitemporale Satellitenbilder der Missionen RapidEye und Copernicus Sentinel-2 sowie das ATKIS-Basis-DLM. In der Regel beträgt für die Objekte die Mindestkartierfläche 1 ha und die Mindestkartierbreite 15 m (BKG 2020). Den nachfolgenden Analysen liegt das LBM-DE 2018 zugrunde.
Ackerflächen können im LBM-DE als Kombination der Landnutzung „Ackerland“ (B211) und der Landbedeckung „Ackerland“ (N211) identifiziert werden. Sie werden als regelmäßig (mindestens einmal pro Jahr) gepflügte, meist im Fruchtwechsel bewirtschaftete Flächen zum Anbau von Getreide, Gemüse, Futterpflanzen, Industriepflanzen oder Hackfrüchten definiert (BKG 2020). Nach dem LBM-DE 2018 werden für Deutschland rund 123.278 km² Ackerfläche ermittelt, was einem Anteil an der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland von 34,5 % entspricht.
Die Festlegung der Naturschutzgebiete (NSG) und FFH-Gebiete erfolgt in Verantwortung der Bundesländer. Die digitalen Gebietsabgrenzungen dieser können über das Bundesamt für Naturschutz (BfN) für die Bundesrepublik insgesamt bezogen werden. Obwohl NSG im Ganzen wie auch in Teilen als FFH-Gebiete ausgewiesen sein können (und umgekehrt), sind deren Grenzgeometrien nicht zwingend deckungsgleich (siehe auch Abb. 2 und 3).
Der Datensatz zu den NSG für das Jahr 2018 wurde vom BfN aus den Daten der Bundesländer und des Bundes zusammengeführt. Dabei unterliegen die Abgrenzungen unterschiedlichen Bearbeitungsmaßstäben zwischen 1:5.000 und 1:50.000. Der verwendete Datensatz zu den FFH-Gebieten für das Jahr 2018 entspricht den amtlichen Meldedaten (Gebietsabgrenzungen) Deutschlands an die EU. Für die Erstellung eines einheitlichen Gesamtdatensatzes zu den FFH-Gebieten wurden durch das BfN geringfügige Anpassungen in Form von Homogenisierungen hinsichtlich Grenzlinien an Landesgrenzen und Vereinheitlichungen der unterschiedlichen in den Ländern gebräuchlichen Koordinatensysteme vorgenommen. Der Bearbeitungsmaßstab wird hier mit 1:25.000 angegeben.
In den nachfolgenden Untersuchungen blieben Naturschutz- und FFH-Gebiete innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) unberücksichtigt. Damit flossen in unsere Untersuchung 8.836 NSG und 4.536 FFH-Gebiete ein (Stand 2018).
Für die Zuordnung der Schutzgebiete und Ackerflächen zu den jeweiligen Bundesländern wurden die Verwaltungsgebietsgeometrien (Produktname VG 25) des BKG mit Stand 31.12.2018 verwendet.
3 Methodik
Im Rahmen der GIS-gesteuerten Analyse werden Ackerflächen hinsichtlich ihrer Lage im Bezug zum Naturschutz- oder FFH-Gebiet unterschieden. Dabei ist zu beachten, dass diese im LBM-DE in der Regel nicht nach Ackerschlägen, Feldblöcken oder Flurstücken untergliedert werden. Vielmehr handelt es sich um zusammenhängende Flächen, welche zumeist nur durch größere Straßen oder Fließgewässer zerschnitten werden. Aufgrund unterschiedlicher Bearbeitungsmaßstäbe und einer voneinander unabhängigen Digitalisierung sind die Grenzgeometrien der Ackerflächen und Schutzgebiete nicht passgenau zueinander. Um zu vermeiden, dass die spätere Lagebeschreibung der Ackerflächen (innerhalb, am Rande oder außerhalb des NSG/FFH-Gebietes) von diesen geringfügigen Differenzen der Grenzgeometrien beeinflusst wird, wurde ein Toleranzbereich um die Schutzgebietsgrenze aufgespannt, welcher durch einen nach außen und einen nach innen weisenden Puffer von jeweils 10 m abgegrenzt wird.
Nachfolgend wurden folgende Kategorien vergeben, um die Ackerfläche bezüglich ihrer Lage zum Schutzgebiet eindeutig zu differenzieren (Tab. 1, vergleiche auch Abb. 1):
Neben der Ermittlung der Flächengrößen durch Verschneidung der Ackerflächen mit den Schutzgebietsgeometrien wurde auch die Länge der Grenzlinien der Ackerflächen unter Berücksichtigung ihrer Lage zu den Schutzgebieten bestimmt. Diese hat erheblichen Einfluss auf Stoffflüsse und den Austausch von Individuen zwischen Populationen. Die Grenzlinien werden dabei wie in Tab. 2 dargestellt eingeteilt.
Abb. 1 veranschaulicht die verschiedenen Kategorien der Ackerflächen und Grenzlinien.
Die Analyse erfolgt differenziert nach Naturschutz- oder FFH-Gebieten. Dabei wird zwischen Ackerflächen, die innerhalb der Schutzgebietsgrenzen liegen, und solchen, die sich noch innerhalb eines 2-km-Puffers darum herum befinden, unterschieden.
Der Tagesaktionsradius flugaktiver Insekten schwankt von weniger als 100 m bis zu Kilometern (siehe unter anderem Beil et al. 2008, Cant et al. 2005). So können beispielsweise Pestizidrückstände an in Naturschutzgebieten gesammelten Insekten nicht nur das Ergebnis von Anwendungen auf Kulturen in unmittelbarer Nähe, sondern auch von Pestizidanwendungen in einem größeren Areal innerhalb der Agrarlandschaft um die Schutzgebiete herum sein. Eine Korrelationsanalyse von Brühl et al. (2021) zwischen Ackerflächen in der umgebenden Landschaft (gepuffert von 500–3.500 m) und der Anzahl der in der Konservierungsflüssigkeit von Insektenfallen erfassten Pestizidrückstände ergab die beste Übereinstimmung für einen Radius von 2.000 m um das Zentrum der Fangpositionen. Daher wird nachfolgend der Ackeranteil in einem 2-km-Radius um die Schutzgebiete fokussiert ermittelt, um Flächenkulissen möglicher Pestizideinflüsse aus der Umgebung auf deren Biozönosen zu quantifizieren.
Ergänzend zu den genannten Flächenuntersuchungen erfolgen zudem Analysen zu den Randlinien.
4 Ergebnisse
4.1 Ergebnisse für die Naturschutzgebiete
Im Jahr 2018 weisen die 8.836 Naturschutzgebiete eine Gesamtfläche von 15.842,74 km² auf (siehe Abb. 2). Davon werden in 2.231 NSG mehr als 0,5 ha ackerbaulich genutzt, im Durchschnitt nehmen hier Ackerflächen einen Anteil von 10,5 % an der Gesamtfläche ein, die durchschnittliche Flächengröße beträgt 19,7 ha.
Nach dem LBM-DE 2018 werden in Deutschland 123.278,27 km² Fläche als Ackerland genutzt. Innerhalb der Naturschutzgebiete konnten 440,71 km² Ackerland ermittelt werden. Damit liegen 0,36 % der Gesamtackerfläche in derartigen Schutzzonen. Davon befinden sich wiederum 64,39 km² komplett innerhalb eines Naturschutzgebietes ohne Kontakt zur Schutzgebietsgrenze (Kategorie „Innen“, siehe Tab. 1 und Abb. 1).
Bezieht man alle Ackerflächen in einer Pufferzone von 2 km um die Naturschutzgebiete mit ein, so zeigt sich, dass von den 38.473,97 km² darin befindlichen Ackerflächen 23.211,20 km² unmittelbar an ein NSG angrenzen oder in dieses hineinreichen (Kategorie „Außen bis Rand“ und „Kreuzend“). Allein diese Flächenbetrachtungen belegen den erheblichen räumlichen Zusammenhang zwischen Schutzgebieten und Ackerflächen.
Die Länge der Grenzlinie bei von außen an Naturschutzgebiete reichenden Ackerflächen (Außen-Innen-Linie, siehe Abb. 1) beträgt rund 11.033 km. Ackerflächen, die in das NSG hineinragen, werden von rund 4.547 km Naturschutzgebietsgrenze durchzogen (Trennlinie). Bei Ackerflächen, die sich innerhalb des Naturschutzgebietes befinden, beträgt die Grenzlinie zum Außenrand 455 km (Innen-Außen-Linie) und innerhalb der Naturschutzgebiete rund 5.965 km (Innenlinie). Für NSG mit Ackerflächen kann für die Innenlinie eine durchschnittliche Grenzliniendichte von 1,59 km/km² (Median 0,98 km/km²) angeben werden.
Die Werte für die einzelnen Bundesländer können Tab. A1 (im Online-Supplement zu diesem Artikel unter Webcode NuL2231 ) entnommen werden. Mit rund 2.760 km² weist Nordrhein-Westfalen die größte Gesamtfläche für Naturschutzgebiete auf, gefolgt von Brandenburg und Niedersachsen. In Sachsen-Anhalt werden über 5 % der Naturschutzgebietsfläche ackerbaulich genutzt. In Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen liegt die ackerbauliche Nutzung bei 4 % der Gesamtfläche der Naturschutzgebiete. Bayern weist mit rund 2.135 km² die höchste Gesamtackerfläche auf, jedoch befinden sich mit rund 11 km² vergleichsweise wenige Ackerflächen innerhalb der bayerischen Naturschutzgebiete.
4.2 Ergebnisse für die FFH-Gebiete
Alle FFH-Gebiete zusammen (ohne solche der Ausschließlichen Wirtschaftszone) kommen im Jahr 2018 auf eine Fläche von 45.034,91 km², die damit wesentlich größer ist als diejenige der Naturschutzgebiete (15.842,74 km², vergleiche Abb. 2 und 3). Dabei sind 12.681,71 km² als FFH- wie auch als Naturschutzgebiet ausgewiesen, eine Addition der Ergebnisse der Raumanalyse für die NSG und FFH-Gebiete sollte daher vermieden werden. Die Berechnungen zeigten, dass 1.283,23 km² innerhalb der FFH-Gebiete ackerbaulich genutzt werden. Folglich liegen 1,04 % der Gesamtackerflächen Deutschlands in FFH-Gebieten.
Von den 4.536 FFH-Gebieten wurde bei 2.128 eine Ackerfläche von mehr als 0,5 ha ermittelt. Im Durchschnitt nehmen Ackerflächen in diesen 2.128 Gebieten einen Anteil von 8,08 % an der Gesamtfläche ein, die durchschnittliche Flächengröße beträgt 60,17 ha.
In den FFH-Gebieten liegen 185,10 km² der Ackerflächen komplett innerhalb des Schutzgebietes ohne Kontakt zur Grenze (Kategorie „Innen“). In einem Puffer von 2 km um die FFH-Gebiete grenzen von den 63.074,65 km² sich im Puffer befindlichen Ackerflächen 41.603,32 km² unmittelbar an ein FFH-Gebiet an oder reichen in dieses hinein (Kategorie „Außen bis Rand“ und „Kreuzend“).
Die gesamte Länge der Außen-Innen-Linie beträgt für Ackerflächen, die an FFH-Gebiete angrenzen, rund 21.102 km, solche, die in das Schutzgebiet hineinragen (Kategorie Kreuzend), werden von einer 12.632 km langen Trennlinie durchzogen. Ackerflächen innerhalb der FFH-Gebiete weisen insgesamt eine 16.931 km lange Innenlinie sowie eine 879 km lange Innen-Außen-Linie auf. Für FFH-Gebiete mit Ackerflächen kann für die Innenlinie eine durchschnittliche Grenzliniendichte von 1,12 km/km² (Median 0,58 km/km²) angegeben werden.
In Tab. A2 (Online-Supplement unter Webcode NuL2231 ) werden die Werte für die einzelnen Bundesländer gezeigt. Aufgrund der Ausweisung von großflächig in den Meeresraum reichenden FFH-Gebieten weisen die Bundesländer an den Küsten eine hohe FFH-Gebietsfläche auf. Auch Bayern zeichnet sich neben der höchsten Gesamtackerfläche durch eine sehr hohe FFH-Gebietsfläche von über 6.450 km² aus. Dabei ist festzuhalten, dass mit rund 91 km² nur etwa 0,4 % der Ackerfläche innerhalb der bayerischen FFH-Gebiete liegen. Knapp 6,4 % der FFH-Gebietsfläche werden in Brandenburg ackerbaulich genutzt. In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg liegt diese Nutzung bei über 4 % der Gesamtfläche der FFH-Gebiete.
5 Diskussion
Über die hier vorgestellten Raumanalysen wurden Flächenkulissen und Kontaktzonen zum Biotoptyp Acker und angrenzenden Schutzgebietsbiotopen ermittelt, die für aktuelle Diskussionen zur Minderung fortlaufender Biodiversitätsschäden von großer Bedeutung sind. Bisher beruhten Annahmen zu den betroffenen Flächen auf Einschätzungen. Dies betrifft sowohl aktuelle und künftig notwendige Novellen von Gesetzen und Verordnungen im Rahmen des Insektenschutzgesetzes der Bundesregierung (Bundesregierung 2021) als auch die Landschaftsplanung, Pläne zur Pflege und Entwicklung der Schutzgebietsflächen sowie Konzepte zu einer angemessenen Förderkulisse für die Entschädigung einer die lokale Biodiversität fördernden Ackernutzung. Unsere Ergebnisse zeigen, dass hierzu offensichtlich in ganz erheblichem Umfang Handlungsbedarf besteht, sowohl für die Schutzgebietsflächen als auch für Pufferzonen, um ein angemessenes Risikomanagement insbesondere zum Pestizideinsatz zu etablieren.
Von besonderer Bedeutung ist die erstmals vorgenommene differenzierte Berechnung von Grenzflächen und Randlinien als belastbare Informationsgrundlage für die umweltpolitische Diskussion zu einer Schutzgebietsplanung, welche die Erhaltung der Biodiversität besser berücksichtigt. Die unmittelbare Nachbarschaft von Schutzgebiet und Acker bedingt bei hoher, konventioneller Nutzungsintensität ein hohes Risiko der direkten Beeinflussung des Schutzgebiets durch Nährstoff- und Schadstoffeinträge (Dünger, Insektizide, Herbizide usw.). Die berechneten Randlinien verdeutlichen, in welcher Dimension in der Kontaktzone zwischen Acker und gegebenenfalls streng geschützten Lebensraumtypen (siehe Anhang I der FFH-Richtlinie) ein Stoffaustausch stattfinden kann. Ebenso sind dies die Größenordnungen der Kontaktlinien, die von mobilen, charakteristischen Arten streng geschützter Lebensraumtypen im täglichen Aktionsradius überquert werden. Letzteres trifft dann zum Beispiel auch auf flugaktive Insekten zu, die auf einem angrenzenden, konventionell bewirtschafteten Acker durch Insektizide geschädigt werden können.
Existiert über den oben genannten Austausch von chemischen Substanzen oder eben durch die Mobilität schützenswerter Arten ein für Arten und Biodiversität schädigendes Problem in Schutzgebieten, dann betrifft dieses in Deutschland die Größenordnung einer Streckenlänge, die Kontinente überspannt. Im Fall der FFH-Gebiete ist diese Kontaktlinie zwischen Acker und den Natura-2000-Schutzflächen mit 21.102 km länger als die Luftlinie zwischen Nord- und Südpol. Die vorliegende Raumanalyse zeigt daher, in welchen Größenordnungen und welcher Verteilung über Bundesländer und Schutzgebietstypen Risikobewertungen zur Ackernutzung für einen angemessenen Biodiversitätsschutz innerhalb von Schutzgebieten, entlang unmittelbar angrenzender Kontaktlinien sowie in einer Pufferzone erfolgen müssten.
Unberücksichtigt bleiben bei den Analysen jedoch Randstrukturen (etwa Feldraine, Gräben) zwischen Ackerflächen sowie Landschaftselemente (etwa Hecken, Baumreihen), die im LBM-DE nicht abgebildet werden. Um beispielsweise Hecken und Baumreihen zu berücksichtigen, müssten weitere Daten in das LBM-DE integriert werden (zum Beispiel Green Linear Elements des Copernicus-Programms der EU, entsprechende Elemente aus dem ATKIS-Basis-DLM). Der Vorteil, das unveränderte LBM-DE für eine solche „Überblicks“-Berechnung zu Ackerflächen in Schutzgebieten zu nutzen, liegt in der Transparenz und damit gegebener Nachrechenbarkeit der Analyse auf dieser Datengrundlage. Inwieweit und in welcher Effizienz bestimmte Randstrukturen und Landschaftselemente bis hin zu breiteren Gehölzriegeln Pufferwirkungen zu benachbarter, intensiver Landnutzung und den damit verbundenen Pestizideinsatz aufweisen und erfüllen können, bedarf weiterführender Untersuchungen. Ferner kann nach Vorliegen ausreichender Basisdaten die Umsetzung einer gebietsspezifischen Risikoanalyse und eines darauf abgestimmten Risikomanagements erfolgen.
Eine angemessene Bewertung der Risiken bestimmter Landnutzungselemente wird zusätzlich durch Kenntnisdefizite und Intransparenz behindert. Beispielhaft kann hier der Bereich des Pestizideinsatzes oder ein geeignetes räumliches Verhältnis zwischen konventionell-intensiv und ökologisch bewirtschafteten Ackerflächen in Schutzgebieten und deren Pufferzonen genannt werden.
Analysen von Röder et al. (2018) auf Basis von InVeKoS-Daten belegen für sieben ausgewählte Bundesländer (darunter die vier Flächenländer Niedersachsen, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) den extrem hohen Flächenanteil von 86–87 % konventioneller Ackerbewirtschaftung auch innerhalb von Naturschutz- und FFH-Gebieten gegenüber einer ökologischen Bewirtschaftung. Eine konventionelle Ackerbewirtschaftung, die im Regelfall mit Pestizideinsätzen verbunden ist, betrifft somit die Mehrheit aller Schutzgebietsflächen in Deutschland. Letzteres erklärt die ausnahmslos prekäre Gefährdungssituation aller Ackerbiotope mit hohem Vollständigkeitsgrad der Segetalflora („von der vollständigen Vernichtung bedroht“) in der Roten Liste gefährdeter Biotoptypen (Finck et al. 2017).
Die Bewirtschaftungsform (konventionell, in Umstellung, ökologisch, mit oder ohne Pestizide) der in den FFH- und Naturschutzgebieten liegenden oder daran angrenzenden Ackerflächen bleibt bei der vorliegenden Raumanalyse unberücksichtigt, da hierfür keine öffentlich zugänglichen raumbezogenen Daten zur Verfügung stehen. Dies weist auf das Defizit fehlender raumbezogener Daten zur Landwirtschaft im Kontext von Schutzgebieten hin, wie sie für deutschlandweit flächendeckende Untersuchungen zum Einfluss der Landbewirtschaftung auf Schutzgebiete erforderlich wären. Gleiches gilt für einheitliche und bundesweit verfügbare raumbezogene Daten zur Präsenz bestimmter streng geschützter Lebensraumtypen neben Ackerbiotopen. Diese Datengrundlagen wären sowohl für die Ausarbeitung von Übersichten einer angemessenen Risikoanalyse als auch für ein angemessenes Risikomanagement erforderlich.
6 Ausblick
Die vorliegende Studie leitet zu einer weiter differenzierten Bewertung repräsentativer, im DINA-Projekt untersuchter Bezüge zwischen Schutzgebietsbiotopen und der Ackernutzung über. Als Schutzgebiete werden dabei NSG und FFH-Gebiete als Lebensraum für eine Vielzahl von Arten fokussiert betrachtet. Eine solche Analyse zur landwirtschaftlichen Ackerfläche wäre in den EU-Vogelschutzgebieten (SPA) ebenfalls von Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Vögeln, denn Ackerflächen bilden ein wichtiges Habitat für Feldvögel.
Hier wurde zunächst die Ackernutzung fokussiert betrachtet. Für Untersuchungen zur Belastung von Schutzgebieten durch Pestizide müssten zusätzlich auch Sonderkulturen wie Weinbau, Obstbau und Hopfen betrachtet werden. Erste Analysen unter Verwendung des LBM-DE 2018 zeigen, dass sich mit circa 8,4 km² in Naturschutzgebieten und 14,1 km² in FFH-Gebieten vergleichsweise nur wenige Weinbauflächen in Schutzgebieten befinden. Jedoch sind insbesondere in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Schutzgebiete häufig unmittelbar von Weinbaugebieten umgeben und somit durch Grenzlinienkontakte betroffen. Bei den Obstbauflächen befinden sich circa 7,1 km² innerhalb von NSG und 11,6 km² innerhalb von FFH-Gebieten. Auch hier sind einige Schutzgebiete von direkter Nachbarschaft betroffen.
Neben einer vertieften Ermittlung der Flächennutzung und der Pestizidbelastung werden im DINA-Projekt auch das Verteilungsmuster von Vegetation, die Insektendiversität und deren Biomasse sowie Pflanzen-Insekten-Interaktionen untersucht. Darauf aufbauend sollen Empfehlungen ausgearbeitet werden, welche Ergänzungen zur existierenden Pflege- und Entwicklungsplanung beinhalten werden, um so die Aspekte der Ackernutzung ausreichend zu berücksichtigten. Alle auf diese Weise aktualisierten Planungsmodelle sind in ihrem Umsetzungspotenzial aber nur dann wirksam, wenn eine Akzeptanz bei den betroffenen Stakeholdern erzielt wird. Dies betrifft zentral auch die Landbewirtschaftenden. Letztere sind abhängig von einer, im Idealfall vorbildlichen, rechtlichen Grundlage und Planung der Bewirtschaftung von Ackerflächen innerhalb und in einer Pufferzone um Schutzgebiete herum. Die parallele Entwicklung verbesserter, realitätsnaher Fördermodelle zur praktischen Umsetzung ist Voraussetzung eines erfolgreichen Biodiversitätsschutzes in Schutzgebieten, die zu diesem Zweck ausgewiesen sind.
Dank
Das Projekt DINA wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und vom VDI/VDE-IT als Projektträger bearbeitet (Förderkennzeichen FKZ 01LC1901).
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.
Fazit für die Praxis
- Mit dem Landbedeckungsmodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie liegt für Deutschland eine flächendeckende Beschreibung der Landschaft vor, die als Datengrundlage für Raumanalysen in Schutzgebieten genutzt werden kann.
- Die Raumanalyse zeigt die Dimension der Kontaktzone zwischen Acker und Naturschutz-/FFH-Gebieten, über die ein unmittelbarer Stoffaustausch von zum Beispiel Nährstoffen, Pflanzenschutzmitteln oder anderen Chemikalien stattfinden kann.
- Die Ergebnisse der Raumanalyse der Ackerflächen und ihrer Lagebeziehung zu Schutzgebieten können als Grundlage für aktuelle Diskussionen über Novellen von Gesetzen und Verordnungen im Bezug zu Schutzgebietsflächen sowie auch für Konzepte zu einer angemessenen Förderkulisse für die Entschädigung einer die lokale Biodiversität fördernden Ackernutzung dienen.
- Ein Defizit zugänglicher raumbezogener Daten zu landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen und streng geschützten Lebensraumtypen wirkt dem Erstellen von Risikoanalysen bezüglich Ackerbiotopen, Lebensräumen und Schutzgebieten entgegen.
Kontakt
> l.eichler@ioer.de
> g.meinel@ioer.de
> thomas.hoerren@koleopterologie.de
Dr Martin Sorg – Wissenschaftliche Leitung der Beiträge des EVK im DINA-Projekt
> Sorg@entmologica.de
Dr Sebastian Köthe – Biodiversity Data Scientist
> Sebastian.Koethe@nabu.de
Prof Dr. Gerlind Lehmann – Leiterin des Verbundforschungsvorhabens & Wissenschaftliche Projektkoordinatorin DINA
> Gerlind.Lehmann@nabu.de
Dr Roland Mühlethaler – Referent für strategisches Prozessmanagement DINA
> Roland.Muehlethaler@nabu.de
- User_MTg1ODcwMg 26.04.2023 19:06Ich kann leider nicht auf die Suppelmente zugreifen. Deshalb würde mich interessieren, ob für Bayern die mehrere hundert Seiten lange Listen (!) von Flurstücken - i.d.R. Äcker, die per Verordnung nicht Bestandteile der FFH- und Vogelschutzgebiete sind, aber in den Abgrenzungen nicht auftauchen - berücksichtigt wurden. (Siehe https://www.stmuv.bayern.de/themen/naturschutz/schutzgebiete/natura2000/umsetzung.htm) Dadurch werden v.a. Vogelschutzgebiete, aber auch FFH-Gebiete zu regelrechtem Schweizer Käse. Ein abenteuerlicher Sonderweg, der m.E. rechtlich 'grenzwertig' ist, da die EU das eigentlich nie akzeptiert hat. D.h. der angegebene Anteil von 0,4% Acker in bayerischen FFH-Gebieten wäre eventuell noch viel kleiner.Antworten