Ein Steinbruch für die Umweltbildung
- Veröffentlicht am

„Man darf stutzen, man darf lachen. Man darf aber auch anfangen zu denken.“ Diese beiden Sätze fassen die Philosophie von Dr. Michael Altmoos, hauptberuflich Biologe beim Umweltministerium im benachbarten Saarland, gut zusammen. Denn genau das will er gemeinsam mit seiner Frau Ursula in Staudernheim im Landkreis Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) erreichen. 2009 kaufte das Paar hier einen alten, aufgelassenen Steinbruch mitsamt den baufälligen Gebäuden. Ihre Vision: Ein Naturerlebnisort mit angeschlossenem „Museolum“ zu schaffen, einem kleinen, familiären Museum, um Menschen die Natur nahe zu bringen und das Spektrum von Naturschutz darzustellen.
Heute, zwölf Jahre später, ist die Situation zum Zeitpunkt der Übernahme nur noch mit Hilfe von Bildern vorstellbar. Was nicht zu reparieren war, wurde abgerissen; die alten Gebäude kernsaniert. Das Ehepaar, das mit zwei Töchtern auf dem ehemaligen Steinbruchgelände wohnt, hat viel Lebenszeit in ihr Projekt gesteckt. Im Innenhof der Anlage werden die Besucher vor die Wahl gestellt: Erst ins Museumsgebäude oder direkt ins Grüne? Wir lassen das Museumsgebäude fürs Erste links liegen und gehen auf Entdeckungsreise.
Direkt hinter den Gebäuden öffnet sich der Naturgarten. Er erscheint zuerst vielfältig, teils unaufgeräumt, fast schon verwildert. Doch ein näherer Blick zeigt: Hier gestaltet der Mensch. Wuchert eine Pflanze zu stark, wird sie gebremst, Formen und Farben werden kombiniert, Mauern und Bögen bereichern das Ensemble. Von hier geht es weiter in den noch wilderen Teil des Außengeländes, den Steinbruch.
Platz für Natur
An diesem Ort, eingerahmt von steilen Sandsteinwänden, darf sich die Natur frei entwickeln. Birken, Eichen, Ahorn, ein paar Robinien, dazu dichter Unterwuchs. „Der Bereich ist der Sukzession überlassen“, erklärt der Biologe. „Ich beobachte nur, ich dokumentiere.“ Eingegriffen wird nur, wenn die schmalen Pfade, Altmoos bezeichnet sie als „Wandelpfade“, nicht mehr begehbar sind. Insgesamt vier Kilometer dieser Wege gibt es auf dem 8 ha großen Gelände. „Sie sind bewusst ganz schmal, man muss sich auch mal bücken“, meint er. So kämen die Menschen viel besser in Kontakt mit der Natur, die sie umgibt. Dass die Pfade dadurch nicht barrierefrei sind, sei kein Problem. Gerade die Menschen mit Handicap hätten Verständnis dafür und erfreuten sich am Natur- und Moosgarten am Fuß des Steinbruchs.
Die Wege sind außerdem mit Bedacht angelegt: Sie sparen eine „Tabuzone“ im Kernbereich des Geländes aus. Diese Zone ist ausschließlich den störungsempfindlichen Arten vorbehalten. Hier brütet in den Wänden des Steinbruchs der Uhu, und eine Wildkatze zieht hier ihre Jungen auf. Die Besucher auf den schmalen Wegen bemerken ihre Anwesenheit nicht – für die Katze das ideale Refugium.
Wissen für alle
Wer gut zu Fuß ist, kann den Steinbruch nach oben durch den Felsengang verlassen. Von dort aus öffnet sich der Wald, durchzogen von Wandelpfaden und mit verschiedenen Plätzen, die zum Ausruhen und Umschauen einladen. Altmoos und seine Frau haben ihnen klangvolle Namen gegeben. „Steinbruchkanzel“, „Moossteinpfad“ und „Efeu-Halle“ beispielsweise. Hier spiegelt sich der Ansatz der beiden Wissenschaftler wider, Wissen und Naturerfahrung für alle zugänglich zu machen.
Wissensvermittlung geschieht auf verschiedenen Ebenen – mit niederschwelligen Angeboten für Kinder, weiterführenden Inhalten für Interessierte bis hin zu fachlichen Diskussionen mit Experten, etwa über die 80 dokumentierten Moosarten. „Es gibt auch Leute, die hier einfach nur durchhuschen“, stellt Altmoos fest. „Aber das ist ok, wir wollen ja einen Einstieg für alle.“ Trotzdem soll die Qualität des Angebots immer im Mittelpunkt stehen. „Wir sind kein Baumumarmungspark. Wir wollen auch die Profiebene drin haben.“
Paradies für Schmetterlinge
Die Außenbereiche des Museums sind aber nicht auf schattige Standorte beschränkt: An den Wald grenzt ein offener, enorm artenreicher Wiesenbereich an. „Bis zu 1000 Falter gleichzeitig konnten wir hier schon beobachten“, schwärmt Altmoos, dessen Bücher über Schmetterlinge und Moose nicht zuletzt durch die Beobachtungen vor Ort befruchtet wurden. „Wir haben den Bereich so optimiert, dass sich hier die Falter aus der Umgebung sammeln. So, dass sie sich auch hier vermehren können.“ Deshalb ist dieser Bereich der pflegeintensivste auf dem ganzen Gelände; auch durch die konsequente Streifenmahd mit dem Balkenmäher. Der Artenreichtum auf der Fläche ist dennoch nicht sein alleiniger Verdienst, findet der Biologe: „Wir leben hier von einer halbwegs intakten Landschaft, die wir gezielt ergänzen.“ Der besondere Artenreichtum des Nahetals, in dem sich Pflanzen und Tiere aus ganz unterschiedlichen Naturräumen treffen, kommen dem Garten zugute. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Über 40 Tagfalterarten kommen hier vor, auch seltene Arten. Einer der schönsten Falter lässt sich, wie bestellt, auch direkt blicken: der Segelfalter.
Die Artenvielfalt des „Schmetterlingsreichs“ soll aber nicht allein dem Naturschutz dienen oder das Auge erfreuen. Viel wesentlicher für Altmoos ist, dass es zum Denken anregt: Wieso gibt es hier so viele Arten und anderswo so wenig? Was müssen wir vielleicht anders machen, um diese Vielfalt zu erhalten? An vielen Stellen haben die Betreiber solche „Denkangebote“ versteckt, manchmal scheinbar banal, manchmal genial: Ein einfacher Topfdeckel mitten auf der Lichtung beispielsweise ermöglicht als „Deckel zur Welt“ bei Aufheben einen überraschenden Blick auf lichtscheue Fauna. Mit viel Witz hat das Ehepaar Exponate entwickelt, setzt aber auch oft schon Vorhandenes in der Natur ungewöhnlich in Szene.
Dialog gefragt!
Dabei möchten die beiden Biologen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ihre Position für den Naturschutz aufzwingen. „Vor allem möchten wir die Faktenlage aufzeigen. Die Menschen sollen aber ihre eigene Meinung bilden dürfen. Dabei ist uns der Freiheitsgedanke sehr wichtig. Unser Motto ist: Nahe der Natur – ein freier Ort für freie Menschen und freies Denken.“
Wir schließen unseren Rundgang ab und gehen durch einen lichten Wald zurück zu unserem Ausgangspunkt. Hier wechseln wir vom „Außen“ in das „Innen“: nämlich in das kleine Museum der Altmoose. Hier findet sich die private Sammlung des Biologen: versteinertes Holz, eine Blüte während der Bestäubung, verewigt in Gießharz und Fossilien – Exponate aus aller Welt. Aber auch Ungewöhnliches gibt es zu entdecken: Eine Sammlung von Musik rund um Umwelt und Naturschutz, die als NATURADIO (www.naturadio.net) frei für alle als Web-Radio rund um die Uhr weltweit ausgestrahlt wird. Ein Raum enthält eine Multimedia-Show mit Denkanstößen aus der globalen Ökologie. Immer wieder wechseln die Inhalte der Ausstellung. Michael Altmoos kennt sich mit der Präsentation aus, er ist Ausstellungsgestalter. Die Ausbildung hat er vor etlichen Jahren berufsbegleitend absolviert, mit dem Traum, irgendwann ein eigenes Museum zu eröffnen.
Das winzige Museum soll auch zum Mitmachen anregen: In einigen Räumen finden die Besucher „Mitmachschubladen“, in denen sie auch haptisch auf Entdeckungstour gehen können. Und damit hört der aktive Teil nicht auf: Altmoos bietet auch Kurse im „Grünen Gewölbe“ – einer alten Leichtbauhalle des Steinbruchs – und in einer restaurierten, heute wieder funktionsfähigen Schmiede des ehemaligen Steinbruchs an.
Diese Angebotsvielfalt ist allmählich gewachsen und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Inzwischen zieht es 6.000 Besucher im Jahr an, Tendenz steigend – finanziert über freiwillige Eintrittsgelder, Bildungsprogramme und den Museumsshop mit Café. Langfristig hofft Altmoos, das Museum einmal im Haupterwerb betreiben zu können und die jetztige GbR in eine gemeinnützige Träger-Stiftung zu überführen. „Wir haben 1.000 Ideen“, lacht er. „Aber wir machen einen Schritt nach dem anderen.“
Nach der Entdeckungsreise durch lokale und globale Artenvielfalt – zwei Stunden vergehen hier schnell – gönnen wir uns eine kleine Pause im Café. Es dient nicht nur der Erholung. Im Mittelpunkt steht für die Biologen der Austausch. „Es ist ein Ort, an dem man wunderbar fachsimpeln und debattieren kann“, meint Michael Altmoos und es dauert nicht lange, bis wir in eine angeregte Diskussion über Windkraft geraten, der der Biologe im dicht mit Windrädern bestückten Rheinland-Pfalz kritisch gegenübersteht. „Mir ist Pluralismus wichtig. Man muss nicht immer einer Meinung sein, wichtig ist, dass man sich austauscht.“ Museum und Café bieten hier ideale Foren. „Wir haben uns hier schon herrlich kultiviert gestritten“, schmunzelt er.
Es ist die Verbindung von Innen und Außen, die diesen Ort besonders macht: der direkte Kontakt zur Natur in Form einer Entdeckungsreise durch den alten Steinbruch, aber auch die Wissensvermittlung über Arten und Ökosysteme weltweit im kleinen Museum. „Basierend auf unseren Erfahrungen im Umwelt- und Naturschutz war unsere Idee, das Transferdefizit aufzulösen“, erzählt Altmoos. Transferdefizit – damit meint er die fehlende Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen an die Mitbürger und zielt auf den stark auf das eigene Umfeld ausgerichtetem Wissenschaftsbetrieb. „Wir verbinden hier das kleine Begreifbare mit dem großen Ganzen.“
Ursula Altmoos ist Diplom-Biologin mit dem Schwerpunkt Gewässerökologie. Sie kombiniert wissenschaftlichen Grundlagen und ihre Erfahrungen zu vielfältigen Naturkunde- und Umweltschutzthemen mit ganz praktischer Wald, Wasser- und Wildnispädagogik.
Dr. Michael Altmoos ist Ökologe und Naturschützer mit einem Diplom in Naturschutzbiologie und einem Doktor der Geografie. Außerdem ist er Naturpädagoge. Er war für Forschungsstellen, Behörden, Schutzgebiete, Bildungseinrichtungen und Museen tätig. Seine Arbeiten prägt, dass er aktuelle Wissenschaft, Naturschutz-Umsetzungspraxis und Bildung kombiniert.
Betriebsdaten
- Projekt: Museum „Nahe der Natur“
- Gründung: 2009
- Besucher: 6.000 jährlich, wachsend
- Schwerpunkte: Museum mit wechselnden Ausstellungen, Freigelände mit verschiedenen Lebensbereichen, Workshops, Seminare, Austauschplattform
- Finanzierung: freiwillige Eintrittsgelder, Bildungsprogramme und Museumsshop mit Café
Kontakt
Ursula Altmoos & Dr. Michael Altmoos
Nahe der Natur – Mitmach-Museum für Naturschutz
Schulstraße 47
D-55568 Staudernheim (Nahe)
www.nahe-natur.com
Mail: info@nahe-natur.com
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.